+ Welt-Bilder | 04.2 | Bewusstsein + Gewissen in Antike und frühem Christentum I - 06.11.2012 Created at 7. Apr. 2016 5232 Ansichten by dorftv BeschreibungEmbed Univ. Prof. Dr. Walter Ötsch Vorlesung „Themen und Theorien der Kulturwissenschaften I“ an der Johannes Kepler Universität Linz im Wintersemester 2012 4. Stunde – Teil 2, 6.11.2012 Bewusstsein und Gewissen in der Antike und im frühen Christentum I 1. Das Wissen des Ge-Wissens (a) Wortbedeutungen Das deutsche Wort Gewissen mittelhochdeutschen gewizzen im althochdeutschen gewizzani aus einer Lehnübersetzung zum lateinischen conscientia, die Notker Teutonicus um die Jahrtausenwende zu Psalm 68, Vers 20 einführt. Das Wort hat ursprünglich einen weiblichen Artikel und wird später im Mittelhochdeutschen sächlich. Lateinisch conscientia ursprünglich ein Ausdruck der Rhetorik vor Gericht, mit dem Auswirkungen des Schuld-Bewusstseins in Form von Unruhe und Unsicherheit bezeichnet wurden später ein Ausdruck des Christentums. Der lateinische Begriff gilt seinerseits als Lebensübersetzung des griechischen syneidesis. Griechisch synoídesis, synóida oida bzw. eido bedeutet sehen, erblicken, verstehen, wissen; im Lateinischen videre conscientia und synoidesis sind reflexiv Syn und con bedeuten „mit“. Ein Moment der Distanz (ich weiß etwas über etwas) und ein Moment der Intimität (in mir über mir) Das Ge-Wissen ist ein Mit-Wissen mit jemand in einer Sache: ein >innerer< Mit-Wisser tritt auf: eine Meta-Ebene im Bewusstsein (b) Grundidee In der Entdeckung der >Innen-Welt< formen sich Meta-Instanzen der Manipulation >innerer< Welten. In der Beschäftigung mit >inneren< Vorgängen wächst so die Bereitschaft, Teile der >inneren< Welt als abgegrenzt und isoliert zu denken, ihnen eigene Namen zu geben und sie z.B. in Form gleichbleibender Bilder an sie zu erinnern. Die >Innen<-Welt< nimmt damit festere Formen an. >Äußere< Impulse und Kräfte wandern nach und nach nach >innen< und werden – in ihrem gefühlsmäßigen und körperlichen Erleben – als von >innen< kommend erfahren. In diesem Prozess sinkt die „Fähigkeit,“ die Götter direkt >außen< zu erfahren. Sie werden „unsichtbar“, ihre Wahr-Nehmung auf ausgezeichnete Momente oder auserwählte Personen beschränkt. Das Bewusstsein entwickelt sich auf Kosten der Götter. Die Befehle, die die Götter im Befehls-Raum der Götter direkt erteilen, erscheinen nun als >innere< Befehle. . Dieses Denken kann die Form eines >inneren< Dialoges annehmen. eine Stimme >in< mir spricht zu mir und bewertet meine Handlungen. Ein Bewusstsein, das Elemente eines Gewissens kennt, konzentriert sich zumindest auf zwei Vorgänge auf zwei Ebenen: auf aktuelle Erfahrungen, Wünsche, Impulse und zugleich auf ihre Bewertung und Billigung, – letztere ist mehr zeitunabhängig und weist konstantere Aspekte auf. Als neue Phänomene werden Gewissens-Bisse, Gewissens-Not, Gewissens-Pein erfahren. Die Menschen beginnen sich als „moralisch“ zu erfahren und ihr eigenes (und fremdes) Handeln als „moralisch“ zu beschreiben. 2. Die Rachegöttinnen >Äußere< Formen des „schlechten Gewissens“ Die Rachegöttinnen, Erinnyen oder Eumeniden, berichten, was an einer Tat verwerfenswert ist und vermitteln das, was später Schuld-Gefühle heißt. Beispiel: Orestie von Aischylos Euripides, ein halbes Jahrhundert später Das Gewissen ist hier ein Bewusstseins-Vorgang, der als eigen und >innerlich< erfahren wird: Euripides lässt Orestes davon in Ich-Form berichten. 3. Sokrates (470 – 399) Zeitgenosse von Euripides Sokrates HÖRT mit unumstößlicher Gewissheit eine >innere< Stimme, der er in letzter Konsequenz bis in den Tod folgt. Sein Auftreten wirkte wie ein Schock: man ist fasziniert und abgestoßen zugleich. Sokrates weiß, dass sein >Inneres< eine ungeahnte Tiefe besitzt, ihm selbst, so meint er, von Gott Apollo persönlich verliehen. Diese Tiefe setzt er auch bei seinen Gesprächs-Partner voraus. In jedem steckt, so meint er, von Geburt ein ihm noch nicht bewusstes Wissen. Eine innere Stimme: Daimonion: Er hält Sokrates ab, (1) Schlechtes zu tun und (2) dass ihm Schlechtes geschieht. [Frage zu Privatheit und Individualität der inneren Stimme bei Sokrates.] Die innere Stimme besitzt: Endgültigkeit: Etwas „Göttliches“ in mir. Das okkupiert Sokrates, wichtiger als Tod. autorativ (wie ein Kommando von außen ) und inspirativ (aus mir selbst) Intimität Geheim und privat: niemand anderer hört das. Zeugenhaftigkeit Jemand sieht zu als Zeuge für das, was ich tue. Reflexiv: Sokrates ist sein eigener Zeuge. Sokrates verwickelt alle, die er trifft, in scheinbar harmlose Fragen, die bald grundsätzlicher Natur werden. Sokrates fragt nach den Begriff, der Definition: was sei denn wesensgemäß mit einen Wort wie der Tugend, der Tapferkeit, das Gute gemeint? Sokrates gibt ? Antworten vor. Im Dialog mit anderen möchte er sie dazu bringen, seinen eigenen Zustand nachzuvollziehen, nicht sie zu bestimmten Antworten zu bringen oder gar philosophischen „Inhalte“ zu vermitteln. Aristophanes hat im Jahre 423 mit „Die Wolken“ eine bissige Satire auf Sokrates geschrieben, der hier als „Priester des kniffligen Wortes“, „Erhabenheitsschwätzer“ und Gottesleugner verspottet wird. Sokrates hört eine „innere Stimme“: eine neue Meta-Ebene im Bewusstsein: man steht gleichsam neben sich und beobachtet, dass man >innerlich< etwas weiß. Im Erleben des Gewissen (und im Verstehen des Wortes „Gewissen“) erfährt (entdeckt) man sich als sein eigener Mitwisser. Das >Innere< wird (zumindest) als zwei-lagig gedacht: seine herkömmlichen Inhalte und die >innere< Stimme, die die Inhalte kommentiert und bewertet. Die neue Schicht der Seele ist den anderen Teilen übergelagert. Sie will sie beherrschen, kontrollieren. Ein Teil der Seele spricht Befehle über die anderen aus, will sie kontrollieren und in (sozial gefällige) Richtungen lenken: „Ich“ kontrolliere „mich“ gleichsam selbst. Bei Sokrates wird erstmals das Leib-Seele-Problem mit großer Klarheit formuliert. „Bringt vielleicht das Gehirn alle Sinnesempfindungen hervor – Hören, Sehen und Riechen? Und entsteht das Gedächtnis und die Meinungsbildung aus diesen? Und entsteht beweisbares Wissen aus fest gegründetetm Gedächtnis und Meinung?“ (Phaidron) 4. Plato (427 – 347) Nach Charles Taylor ist Plato der erste Denker, der klar von einem einzigen >Innen-Raum< spricht. Der menschliche Geist wird hier erstmals als einheitlicher >Raum< aufgefasst. Welche >Außen-Welt< entspricht dieser >Innen-Welt<? Nach Plato kam eine innere Vereinheitlichung, eine innere Ordnung nur dann entstehen, wenn die Vernunft regiert. „Der Begriff der Vernunft steht in engen Zusammenhang mit dem der Ordnung. Die von der Vernunft regierte Seele ist eine geordnete Seele“ (Taylor) Eine solche Seele ist gesund. Sie vermag die Welt so erkennen, wie sie ist, nämlich als geordnete Welt. „Die Vernunft kann demnach als Wahrnehmung der natürlichen oder richtigen Ordnung begriffen werden„. Die von der Vernunft >innen< geordnete Seele steht einer umfassend geordneten Welt >außen< gegenüber. Die Welt-Seele Ideen als Konzepte der „Außen-Welt“ http://www.walteroetsch.at/videos-von-vorlesungen/videos-zur-vorlesung-… Videoproduktion: Alexander Grömmer und JKU Video auf youtube: http://bit.ly/22ehPbZ Share & Embed Embed this Video Link to this Video Add new comment Kommentar verfassen login or register to post comments. 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