Am 9. Nov. 2023 | 19:00 Uhr
+

Talk der Erregung - Die Feminisierung der Kreativwirtschaft

Created at 6. Nov. 2023

587 Ansichten
by dorf

Als Führungskraft und Frau als solche wahrgenommen und vor allem ernstgenommen zu werden ist heute selbstverständlich. Tatsächlich? Echt? In einer aufgeklärten, modernen und offenen Gesellschaft sollte man davon ausgehen können. Die Realität beweist das Gegenteil. Nicht nur Männer, auch Frauen, verhandeln auch jetzt noch immer „lieber“ mit Männern, sehen den Mann in der Führungsfunktion. Ist das Gleichberechtigung? Nein. Punkt.

Wir reden hier nicht von klassischen oder „alten“ Industrien, die historisch männlich geprägt waren und es oft noch sind – das würde ohnedies nichts entschuldigen. Wir reden von der Kreativwirtschaft. Von einer Branche, die sich innovativ, emanzipiert und weltoffen gibt und sich Empowerment und Gleichstellung an die Fahnen heftet. Der Diskurs über Chancengleichheit der Geschlechter in der Kreativwirtschaft wird nicht geführt, schon gar nicht die Transformation am Arbeitsmarkt vorangetrieben.

Das erregt die Gemüter. Vor allem die von Kira Schinko und Letitia Lehner. In einer Ausstellung an der Kunstuniversität Linz im Rahmen der bestOFF 2023 geben sie in Zusammenarbeit mit Architekt Clemens Bauder dem Thema „Feminisierung der Kreativwirtschaft“ einen Raum zur Diskussion, bei dem es um weit mehr als Gender Pay Gaps geht.

 

Beim Talk der Erregung am 24. Oktober 2023 an der Kunstuniversität Linz stellten die beiden Unternehmerinnen ihren Gästen die Frage „Wird Design der nächste Frauenberuf?“ Katharina Maun, Mitgründerin und Creative Director der Agentur DODO und Vorstandsmitglied des CCA, Samia Azzedine, Creative Director Digital bei LOOP, Lukas Fliszar, Gründer von 101 sowie CCA-Vorstandsmitglied und Mitglied des Fachausschuss der Fachgruppe Werbung der WKO Wien und Rebecca Wiederstein, Mitgründerin commonground und Diversity Expertin, diskutierten knapp zwei Stunden intensiv darüber.

(…)

Rebecca Wiederstein: „Homogenität ist für Unternehmen ein großes Problem. Sie schwächt uns in der Kreativität und in der Innovationskraft. Die Frage nach dem Warum mehr Diversität notwendig sei, stellt sich nicht, sie ist lächerlich.“

Prekäre Situationen: Das Los der Frauen?
Die Hälfte der selbstständigen Frauen in der Kreativbranche (Freelancerinnen und EPU) erwirtschaften weniger als 50.000 Euro, bei einem von vier Männern liegt der Jahresumsatz bei über 250.000 Euro. Männer sind tendenziell häufiger in der höchsten Gehaltsklasse, Frauen in der niedrigsten (Dienstnehmer:innen und Selbstständige). Hat die Feminisierung der Kreativbranche deshalb negativen Einfluss auf die Umsätze und Gehälter? Einer Studie des Bundeskanzleramts (2021) nach, sind etwas mehr als 2 Mio. Frauen in Österreich erwerbstätig. 91,1 % der Geschäftsführung der 200 umsatzstärksten Unternehmen Österreichs ist männlich. 50% der erwerbstätigen Frauen arbeiten hierzulande in Teilzeit. Um hier irgendeine nachhaltige Veränderung zu bewirken, müssen Hidden Bias und Vorurteile erkannt und überwunden werden. „Der Performance-Bias basiert beispielsweise auf der Annahme von Fähigkeiten von Männern und Frauen. So werden die Leistungen und Kompetenzen von Männern tendenziell überschätzt, jene von Frauen eher unterschätzt, das belegen zahlreiche Studien, soll aber keinesfalls ein Vorwurf an irgendjemanden sein, nur ein Aufruf zur Selbstreflexion und dazu, Veränderung in erster Linie auch bei sich selbst zu beginnen“, so Rebecca Wiederstein.

Manfred, bist du 16 % mehr wert?
Im Vergleich zu Männern verdienen Frauen im Durchschnitt deutlich weniger, beginnen ihre berufliche Laufbahn oft mit niedrigeren Stundensätzen und unterbrechen diese aufgrund von Karenz und Betreuungspflichten häufiger. Dadurch ergibt sich im europäischen Vergleich im Durchschnitt ein Gender Pay Gap von 12,4 %, in Österreich von 18 %, in Oberösterreich sogar von 18.6 % (zum Vergleich: Wien 3 %), in der Kreativbranche liegt er bei 16 %.

Samia Azzedine berichtet aus eigener Erfahrung: „Fast alle männlichen Kollegen, die mit mir die Werbeakademie absolviert haben und etwa gleich alt sind wie ich, sind schon einige Jahre Creative Directors. Ich traue mir zu sagen, dass es nicht an mangelnder Kompetenz lag, dass ich erst letztes Jahr mit 37 Jahren CD wurde. Eine Frau in eine Führungsposition zu bestellen darf keine Werbemaßnahme für die Agentur sein. So wie eine Frau allein nicht Diversität bedeutet.“

Diese Ungleichbehandlung in den Aufstiegschancen schlagen sich auch in geringen Verdiensten nieder. Frauen lassen sich schnell abspeisen und verlangen weniger als ihre männliche Kolleg:innen z. B. bei Gehaltsverhandlungen. Katharina Maun zitiert Meryl Streep: „Frauen haben früh gelernt ‚Mann‘ zu sprechen. Auch ich habe sehr früh eine männliche Rolle eingenommen und mir meine weiblich assoziierten Eigenschaften, wie Fürsorge und Emotionalität, im Beruf abtrainiert, um in einem männlich dominierten Konkurrenzumfeld bestehen zu können. Ich mag meine weibliche Seite und mag es eigentlich nicht, ‚Mann‘ zu spielen. Dennoch: Frauen müssen fordern und sagen, was sie wert sind.“ Vieles würde sich verbessern, wenn es Transparenz bei den Verdiensten geben würde und Verhandlungen um Gehälter nicht stattfinden würden, weil es einen klaren Rahmen gäbe, da ist sich Rebecca Wiederstein sicher. „Kollektivverträge, den es in Österreich für die Branche nur in Wien gibt, würden diesen Rahmen gewissermaßen ermöglichen, auch wenn er viel zu niedrig angesetzt ist“, so Lukas Fliszar.

 

Ist der Designblick männlich?
70 % der Jury sagen: Ja! Kein Wunder: 70 % männliche Jurymitglieder, 30 % Frauen beim CCA Award 2023. Auch andere Awards zeichnen ein ähnliches Bild. Die Frage die sich stellt: Warum ist das so? Obwohl der CCA Vorstand auf Frauen sehr aktiv zugegangen ist, konnte keine Gender-Balance in der diesjährigen CCA-Award-Jury erreicht werden. Die Bemühungen werden fortgesetzt. Der Blick auf Design ist also definitiv männlich. Anders sieht das Verhältnis in Ausbildungen aus: 77 % der Grafik-Design & Fotografie- Studierenden an der Kunstuniversität Linz und 79 % jener, die dort Visuelle Kommunikation studieren sind Frauen. Und doch sind es Männer, die bei der Bewertung der Kreativarbeiten als Art Directors, Creative Directors und Geschäftsführer durch die Bank in der Überzahl sind! Der Blick ist männlich, der Nachwuchs weiblich, geht das gut?

 

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Echt jetzt???
46,4 % der 34+Jährigen Dienstnehmer:innen (CCA-Umfrage) erlebten sexuelle Belästigung in Agenturen. Mehr als im österreichischen Schnitt. What the f*?! Kira Schinko stellt klar: Arbeitgeber:innen haben per Gesetz eine Fürsorgepflicht! Gesprochen wird über Sexismus am Arbeitsplatz selten, das ist auch in der Kreativbranche nicht anders. Männer sind sich des Problems oft gar nicht bewusst, was Lukas Fliszar bestätigt, der sich im Werberat künftig gegen Sexismus einsetzen wird. Samia Azzedine bekrittelt, dass Sexismus in Agenturen oft heruntergespielt wird und Katharina Maun bricht eine Lanze für die sensibilisierten Männer: „Es gibt genügend Männer, die Awareness haben und für die Sexismus ein No-Go ist. Deshalb meine Bitte an sie: Steht auf und sagt etwas, wenn ihr Unrecht wahrnehmt.“ Zusätzlich fordern die Diskutierenden eine neutrale und vertrauliche interne oder externe Ansprechperson für Mitarbeiter:innen. Es muss insgesamt mehr Bewusstsein für die Problematik geschaffen werden.

 

Share & Embed
Embed this Video

Link to this Video

Add new comment

login or register to post comments.