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Die achte Elegie

Created at 22. Nov. 2014

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by Hugo

Duineser Elegien von Rainer Maria Rilke

Vorgetragen von Ruth Ritter

Die achte Elegie

Château de Muzot, 7./8. Februar 1922

Die achte Elegie schließt inhaltlich, und mit dem Metrum des Blankverses auch formal, an die vierte Elegie an. Auch hier dient die Vorstellung vom Tier, das kein Wissen vom Tod habe, als Gegenbild dafür, das menschliche Bewusstsein als eines um sein Ende wissendes hervorzuheben.[133] Doch nun wird das Gegenbild zur Gegenüber-Stellung erweitert, und darüber als Umkehrung vorgeführt. Im Wechsel der Perspektiven wird der Blick geöffnet für dieses „Schicksal: gegenübersein und nichts als das und immer gegenüber“[134], und Sichtweise hinsichtlich verschiedener Aspekte vorgestellt als umgekehrt, umgedreht, umgewendet. Im Kontrast zu menschlichem Bewusstsein erscheint das Tiergesicht somit als „Frei von Tod. Ihn sehen wir allein".[135] Und so sehe der Mensch „Gestaltung"[136] und „Welt"[137][138], nicht aber das Offene, „denn schon das frühe Kind wenden wir um und zwingens, dass es rückwärts Gestaltung sehe"[139].

Die Sicht auf das Offene sei dem Menschen damit verstellt, durch seinen Blick auf den Tod. So: „Immer ist es Welt und niemals Nirgends ohne Nicht: das Reine“[140]. Als Menschen hätten wir „nicht einen einzigen Tag, / den reinen Raum vor uns“[141] – jenes: das von Verneinung Freie, „Unüberwachte, das man atmet“[142] und „unendlich weiß“[143]. Als Kind kann sich „eins im Stilln [sic]“ an dies verlieren[144] und “wird gerüttelt“[145]; im Sterben wird ein jeder dazu werden und „ists“[146], denn er sieht den Tod so nah nicht mehr „und starrt hinaus, vielleicht mit großem Tierblick“[147]; und mancher denn wird dem „wie aus Versehn"[148] nahe kommen, staunend, in der Liebe – aber dann bleibt es „aufgetan hinter dem anderen ...“[149], „der die Sicht verstellt“[150], und „über ihn kommt keiner fort“[151]. So „wieder wird ihm Welt“[152].
Etruskischer Sarkophag mit Darstellung der Begrabenen

Nach der Gegenüberstellung von „Bewußtheit unsrer Art"[153] und dem „sicheren Tier, das uns entgegenzieht / in anderer Richtung“[154] werden die Stellungen der Tiere relativiert und abgestuft. Die Säugetiere kennen zwar den Tod nicht, wohl aber die „Erinnerung“ an ihre Herkunft aus dem Mutterschoß. Nur die nichtsäugenden Tiere, die Mücke und der Vogel, haben diese Erinnerung nicht, wobei der Vogel, weil er aus dem Ei stammt, eine Zwischenstellung einnimmt.[155] Um diese Ambivalenz, „die halbe Sicherheit des Vogels"[156] zu illustrieren, verwendet Rilke das Bild etruskischer Sarkophage, die das Bild des Begrabenen auf dem Deckel tragen, sodass der Verstorbene sowohl im Innern als auch außerhalb des Sarkophags ist.[157] Rilke spielt damit auf die Scheinbarkeit der Unterscheidung von Leben und Tod in der ersten Elegie an.[158] Die Eigenschaft, keine Erinnerung an einen Mutterschoß zu haben, setzt Rilke ins Verhältnis zur Fähigkeit des Fliegens. Zwischen den fliegenden Nichtsäugern und den Säugetieren steht damit die Fledermaus als fliegender Säuger, gleichsam als Irritation: „Wie vor sich selbst / erschreckt durchzuckts die Luft, wie wenn ein Sprung / durch eine Tasse geht. So reißt die Spur / der Fledermaus durchs Porzellan des Abends."[159]

Auf die Darstellung der Tiere folgt die Klage über die ordnende Tätigkeit des menschlichen Bewusstseins als nach innen gerichteter Versuch des Einschließens, mit welcher der Mensch zu Grunde geht: „Uns überfüllts. Wir ordnens. Es zerfällt. / Wir ordnens wieder und zerfallen selbst."[160]

http://de.wikipedia.org/wiki/Duineser_Elegien#Die_achte_Elegie

Produktion:
Fina Esslinger
Simon Ritter
Georg Ritter
Aranka Jell

© 2014

dorf tv.

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