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GIVEAWAYS/HIDEAWAYS | Lungitz/Gusen

Created at 26. Jul. 2023

209 Ansichten
by dorf

Rundgang mit Wolfgang Schmutz

Am 29. November 2022 erhielten wir eine Nachricht mit einer Reihe von Bildern vom Bahnhof Lungitz. Die meisten davon entsprachen dem, was man erwarten würde: leere Räume, die hier und da Spuren der Vergangenheit zeigten. Auf einem Bild jedoch waren zwanzig bis dreißig Säcke in der Ecke eines kleinen Raumes abgestellt. In der Nachricht wurde erwähnt, dass diese Säcke mit Resten von Ausgrabungen unter den Bahnschienen gefüllt waren. Bei Renovierungsarbeiten im Jahr 2018 wurde eine Ascheschicht freigelegt, von der befürchtet wurde, sie stammen aus den benachbarten Konzentrationslagern.

Wir setzten den Bahnhof in Lungitz als zentralen Punkt und begannen das Projekt mit der Suche nach einer klaren Geste: einem Motiv oder Rahmen, der die Frage aufwirft, wie Gewalt und Trauma in der unmittelbaren Umgebung des Bahnhofs Lungitz und des KZ Gusen III ausgeblendet und zugleich weitergegeben werden. Wir fragten uns, ob wir das Gebäude zum Schweigen bringen könnten, indem wir alle Fenster abdecken, bis auf ein einzelnes mit Ausblick auf das ehemalige Lager. Zudem haben wir von Künstler*innen gebeten, gemeinsam mit uns Objekte und Erfahrungen zu entwickeln und zu verschenken und lokale Holocaust-Expert*innen gebeten, Führungen zu veranstalten, um gemeinsam zu erforschen, wie unterschiedliche Zugänge zu Zeit und Identität mit den Bewohner*innen und Reisenden in Verbindung kommen können.

Es ist seltsam, an einem Projekt wie diesem zu arbeiten, im Rahmen eines Festivals, das die Region feiern soll. Im Laufe des Prozesses haben wir uns viel darüber unterhalten, dass Erinnern etwas aktives ist, etwas das kontinuierlich bearbeitet und erneuert werden muss. Wie es immer wieder weitergegeben werden muss, um sichtbar zu bleiben. Wir haben über die Rolle von zeitgenössischer Kunst und die verschiedenen Formen von Trauer und Freude gesprochen, über die Traurigkeit des Humors und die Kommerzialisierung von Gedenken.

Während die Vergangenheit die Gegenwart einholt, fahren die Züge jeden Tag mehr oder weniger pünktlich ein und ab. Der Bahnhof Lungitz steht schon seit einiger Zeit leer und wartet auf seinen Abriss, um als eines der letzten verbliebenen architektonischen Zeugnisse zu einem Park and Ride umgestaltet zu werden. Als Künstler*innen sind wir uns der Unmöglichkeit eine angemessene Form zu finden, um das Ausmaß des Verlustes auszudrücken der hier geschehen ist, bewusst, dennoch ist es uns ein Bedürfnis, es zu versuchen.

Antoine Turillon und Seth Weiner

CV

Antoine Turillon und Seth Weiner lernten sich 2017 durch ihr gemeinsames Interesse an zeitgenössischer Kunst und deren Vermittlung kennen, und kollaborieren seitdem in ortsbezogenen Projekten und pädagogischen Experimenten. Da sie die Hoffnung noch nicht aufgegeben haben, dass zeitgenössische Kunst die Fähigkeit hat, Veränderungen herbeizuführen, suchen sie weiterhin nach Kontexten und Prozessen, die sowohl Raum für Handlung als auch für Reflexion bieten.

Antoine Turillon ist Bildender Künstler, dessen Arbeiten meist im öffentlichen Raum entstehen, oft in kollaborativen und ortsbezogenen Ansätzen. Traditionelle Darstellungsformen in Frage stellend, ermöglicht sein Zugang neue Formen sozialer Prozesse, um neue Formen der Wahrnehmung und Verständnisse situativer Herausforderungen unserer Zeit zu ermöglichen.

Seth Weiner setzt in seinen Arbeiten eine Vielzahl von Medien ein, mit denen er die Lücken zwischen architektonischer Fiktion und gesellschaftlicher Konvention auslotet, um sowohl reale als auch imaginäre Umgebungen zu schaffen. Als künstlerischer Leiter des Palais des Beaux Arts Wien, einer gemeinnützigen Einrichtung, die als mobiler Ort der Erinnerung und der Projektion dessen dient, was während des Nationalsozialismus verloren ging, fungiert Seth Weiners Arbeit als fortlaufender Akt der Rückgewinnung und als Möglichkeit, zu erkunden, was seine jüdische Identität im heutigen Österreich bedeutet.

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