Queerness, Nicht-Binarität und das Leben abseits der Geschlechterordnung

Diese Themen werden in der aktuellen Folge von Der Stachel im Fleisch diskutiert. Zu Gast bei Martin Wassermair waren Conny Felice, die Geschäftsführerin der HOSI Salzburg und die nicht-binäre Schauspielperson Jona Moro

Ausgangspunkt der Diskussion ist Moros Masterarbeit zur Lebensrealität von nicht-binären Personen in Österreich. 
Zunächst wird der Ausdruck nicht-binär erläutert. Moro verwendet den Begriff für Menschen, die sich nicht oder nicht ausschließlich als männlich oder weiblich definieren. Wichtig sei jedoch zu beachten, dass der Ausdruck ein großes Spektrum umfasst: Sowohl Menschen, die „agender“ sind, sich also keinem Geschlecht zugehörig fühlen, als auch Menschen, die sich mit einer dritten Geschlechtskategorie identifizieren, sind bei nicht-binär mitgemeint. Es handelt sich also eher um Nicht-Definition, eine Abgrenzung von der binären Geschlechterordnung, die aus der Einteilung in Männer und Frauen besteht. 
Außerdem verwendet Moro das Wort „Geschlechterideologie“. Damit möchte Moro deutlich machen, dass Geschlecht nichts biologisch Diktiertes, Naturgegebenes ist, sondern ein Produkt von sozialen Prozessen und somit veränderbar. Da diese Prozesse jedoch unsichtbar passieren, würde die binäre Ordnung als natürlich und selbstverständlich wahrgenommen. Es brauche also eine aktive Auseinandersetzung mit dem Thema, um diese Annahmen wieder abzulegen und die eigene Wahrnehmung der Geschlechter zu hinterfragen. 

In der Diskussion werden viele unterschiedliche Aspekte behandelt, doch einige Grundthemen tauchen immer wieder auf – hauptsächlich (augenscheinliche) Spannungsverhältnisse. So ist zum Beispiel das Verhältnis von Theorie und Praxis immer wieder präsent. Denn während Moro eher den akademischen Zugang zum Thema repräsentiert, ist Conny Felices Aufgabe als Geschäftsführerin der HOSI  die direkte Interaktion mit Betroffenen sowie das Lösen von konkreten, unmittelbaren Problemen.

Bei der HOSI handelt es sich um die Homosexuellen Initiative. Sie ist in ganz Österreich in Form von eigenständigen Vereinen, die alle Anfang der 80er gegründet wurden, vertreten. Ziel war damals, sichere Räume für homosexuelle Männer zu schaffen – schließlich war Homosexualität bis 1971 illegal in Österreich und ein Coming-Out mit dem Verlust gesellschaftlicher Achtung und sozialer Strukturen verbunden. 
Heute ist das jedoch anders: Mittlerweile fungiert die HOSI als Vertretung für alle queeren Menschen (das bedeutet alle, die sich nicht als heterosexuell oder mit dem ihnen bei Geburt zugeteilten Geschlecht identifizieren) und unterstützt und arbeitet vor allem auf politischer Ebene, beispielsweise wenn es um die gesetzliche Gleichstellung von queeren Menschen geht. Früher sei es Felice zufolge viel um das Ehe- oder Adoptionsrecht gegangen; seit einigen Jahren jedoch seien die Bedürfnisse von nicht-binären und Trans-Menschen immer mehr in den Fokus gerückt. Felice sieht die Aufgabe der HOSI also darin, die theoretische Ebene – die unverzichtbare Grundvoraussetzung für Veränderung – in den Alltag zu integrieren. 

Moro pflichtet Felice bei und betont, dass es letztendlich im Grunde sowieso sehr simpel sei: Es gehe schlicht darum, wie Menschen einander begegnen. Es tue nicht weh, die Geschlechtsidentität anderer anzuerkennen und zu respektieren, da diese in alltäglichen Situationen sowieso keine Rolle spielen sollte. 

Ein weiteres grundlegendes Spannungsverhältnis, welches Felice betont, ist der Balanceakt zwischen dem Bedürfnis nach Aufklärung und der Angst vor der Überforderung der Bevölkerung. Insbesondere in einer Zeit, in der die Anti-Trans Lobby Konjunktur erfährt, müsse man strategisch handeln, um nicht die bereits erkämpften Meilensteine der Gleichstellung zu gefährden. In den USA beispielsweise sei schließlich eine klare Regression zu beobachten, in deren Zuge zuvor erkämpfte Rechte auch wieder entzogen werden. 

Und auch die Verantwortung der Medien in diesem Prozess wird thematisiert. Moro bietet hier eine kritische Perspektive auf die viel geforderte „Sichtbarkeit“. Denn: Sichtbarkeit sei das eine, doch man müsse unbedingt auch fragen, auf welche Weise jemand sichtbar ist. Wenn beispielsweise bei jeder Nachrichtenmeldung über queere Menschen Bilder von der Pride-Parade, einem Fetisch-Club oder einer Drag-Show gezeigt werden, beeinflusse dies enorm, wie die queere Community öffentlich wahrgenommen wird. 
Moro fordert, beim Thema Queerness mehr mit alltäglichen Bildern zu arbeiten und die Lebensrealitäten von queeren Menschen zu zeigen, die genau wie die heterosexuelle Bevölkerung in ganz gewöhnlichen Berufen arbeiten und ganz gewöhnliche Leben führen. 

Und sowohl Moro als auch Felice zufolge muss dringend aufgehört werden, beim Thema Queerness nur die negativen Aspekte zu beleuchten. Es sollten auch positive Vorbilder gezeigt werden, die deutlich machen, dass queere Menschen sich nicht nur in der Opferrolle befinden, sondern das auch enorm viel Euphorie damit verbunden ist, sich beispielsweise erstmals wohl im eigenen Körper zu fühlen oder mit den richtigen Pronomen bezeichnet zu werden. 

Im vollständigen Gespräch wird noch viel ausführlicher diskutiert und erläutert. Hier könnt ihr es euch ansehen.  

Verfasst von Vivian Grabowski am 13.02.2024.