Wie wurde China zu einer globalen Wirtschaftsmacht? Entwicklung, Reformen und Herausforderungen bis heute 

Timna Michlmayr, Sinologin und Doktorandin am Institut für Ostasienwissenschaften der Universität Wien, gab in ihrem Vortrag einen Überblick über die Entwicklung der chinesischen Wirtschaft und Wirtschaftspolitik seit der Reform- und Öffnungsperiode in den 1970er Jahren bis heute. 

Als „chinesische Wirtschaftswunder“ wird der Wirtschaftsaufschwung Chinas in der Reform – und Öffnungsperiode seit 1978 bezeichnet. In diesem Zeitraum hat sich China von einem Agrarland in ein industrialisiertes und diversifiziertes Wirtschaftsland entwickelt. Mit dem Tod des damaligen Diktators und Begründers der Volksrepublik China, Mao Zedong, ging auch die Ära der sozialistisch, zentralistischen Planwirtschaft zu Ende. Das heißt, der Staat hatte die volle Kontrolle darüber, was produziert wurde.

China war bis dato großteils vom Ausland isoliert. Deng Xiaoping, der Nachfolger von Zedong, wurde als „der Architekt der chinesischen Reformen“ bezeichnet. Unter ihm als Staatschef, gab es eine Neuorientierung der chinesischen Wirtschaft, der Politik und der Gesellschaft. Wobei diese Reformen nicht sofort, sondern Schritt für Schritt umgesetzt wurden. Dieser „Reformprozess“ wird auch als zweigleisiges Wirtschaftssystem bezeichnet, da Plan und freier Markt koexistierten. Das hat, laut Michlmayr, einen wesentlichen Teil zur chinesischen Erfolgsgeschichte beigetragen. Strategien von damals werden heute noch verwendet. 

Die Wirtschaft wurde dezentralisiert und einheitliche Preise für landwirtschaftliche Güter eingeführt. Der Staat gab somit einen Teil seiner Kontrolle ab und verfügte nicht mehr über alle wirtschaftlichen Vorgänge im Land. Landwirtschaftliche Kommunen wurden aufgelöst und Familien durften ihr Land selbst bewirtschaften, wobei sie aber einen Teil der Einnahmen an den Staat abgeben mussten. Der Rest konnte am Markt verkauft werden. Dadurch gab es einerseits einen extremen Anstieg von Getreideanbau, anderseits wurden jedoch die infrastrukturellen Defizite und der Aufholbedarf ländlicher Dienstleistungen spürbar, die bis heute noch im Vergleich zur Stadt anhalten. Man muss auch dabei festhalten, dass man kein eigenes Land in China besitzen kann. Der Staat verkauft Land nur für eine gewisse Zeit. 

Eine weitere politische Reform, war die wirtschaftliche und außenpolitische Öffnung des Landes zum internationalen Markt, was 2001 dazu geführt hat, dass China in die Welthandelsorganisation (WTO) eingetreten ist. Ebenso wurde der Finanzsektor reformiert und geöffnet, damit auch ausländische Firmen sich ansiedeln, sowie ins Land investieren konnten. Ein wirtschaftliches Experiment war ein Mix aus Staat und Privat. Firmen, die im Besitz der Regierung waren, haben die Industrialisierung in China extrem vorangetrieben, bis sie sich Ende der 90er Jahre verschuldet haben und wieder privatisiert werden mussten.

China hat exzessiv Exportproduktionen ins Ausland betrieben („Werkbankmodell“). Hergestellt wurden dabei Textilien, Elektronik, Hochtechnologie und andere Konsumgüter. Wobei Hochtechnologie nicht selbst produziert, sondern nur zusammengesetzt und exportiert wurde. Exporte ins Ausland sind für die chinesische Wirtschaft immer noch von hoher Bedeutung, was aber zu einer hohen Abhängigkeit Chinas gegenüber den Handelspartnern (Deutschland, Hongkong, Japan, USA,… ) führte. Der aktuelle Handelskonflikt mit den USA ist daher wirtschaftlich kritisch für das Land. 

Der Immobiliensektor, der ebenso reformiert wurde, spielt in der chinesischen Wirtschaft eine sehr große Rolle, da man erst ab 1998 Immobilien überhaupt kaufen konnte. Es gibt eine hohe Nachfrage der chinesischen Bevölkerung nach, hauptsächlich Stadtwohnungen. 25% der Wirtschaftsleistung kommen aus diesem Sektor. „Das bedeutet aber auch, wenn man heute von einer Immobilienkrise spricht, dass ein großer Teil des chinesischen Wirtschaftssystem am Zusammenbrechen ist“ – so Michlmayr.

Der heutige Staatspräsident der Volksrepublik China, Xi Jingping, möchte die Produktion der Konsumgüter wieder mehr auf das Inland fokussieren („Made in China 2025“). Das aktuelle System funktioniert durch Investitionen und nicht durch Konsum. Chines*innen sind eher eine sparende Gesellschaft, die versucht so wenig wie möglich Geld auszugeben. Die Null-Covid-Politik Chinas hat zwei Jahre lang seine Wirtschaft zum Einbrechen gebracht. Diese hat ebenso das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber der Regierung geschürt. Außerdem ändert sich derzeit generell die Arbeitsmoral von jungen Menschen derart, dass einfach gesagt, viele nicht mehr arbeiten gehen wollen. Vom „Wirtschaftswunder“ ist nicht mehr viel übrig, denn China befindet sich seit ein paar Jahren aus mehreren Gründen in einer Wirtschaftskrise. Nach Michlmayrs Ansicht, steht das Land vor einer „Weggabelung, auch politisch. Mit Wiederaufleben von Nationalismus, Kommunismus und aggressivem Außenverhalten“ und somit bleibt es spannend, wie sich die heutige Weltwirtschaftsmacht global, aber auch national weiterentwickeln wird. 

Verfasst von Marie-Therese Jahn am 29.11.2023
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