Wem gehört die Wahrheit?“

Selbstfahrende Autos, kunstschaffende Computer und Manipulation von Bildern: Gewissermaßen leben wir im Zeitalter der Science Fiction. Doch wie wirken sich diese Technologien auf den Kultur-Sektor aus? Martin Wassermair spricht mit Autor und Dramatiker Harald Gebhartl und Kulturmanagerin Cornelia Lehner.

Das Gespräch lieferte den Auftakt für die dreiteilige Sendereihe Rührei im Morgengrauen anlässlich des ARS Electronica Festivals in Linz. Dabei ging es um verschiedene Entwicklungen und deren Konsequenzen, die nicht selten auch beängstigend wirken können.

Ein Beispiel sind die Fähigkeit von Tools wie ChatGPT oder KI-gestützten Bilderzeugungstool: Ein Mensch muss jahrelang üben, studieren und sich ausbilden, um das zu erreichen, was ein Computer innerhalb von Sekunden generieren kann. Dramatiker Gebhartl sieht darin jedoch keine nachhaltige Veränderung in seinem Metier, der Theaterszene. Er wäre maximal als einmaliges Experiment bereit, ein Stück zu inszenieren, dass von einer KI geschrieben wurde. Auf Dauer jedoch würde sich das sicherlich nicht halten, da es die „Eigenart“ eines jeden Künstlers und einer jeden Künstlerin sei, welche deren Kunst spannend macht.

Im Bereich des wissenschaftlichen Arbeitens und selbstständigen Verfassens von Texten vermutet Lehner ein größeres Risiko. Ihr sei es immer wichtig gewesen, dass ihre Studierenden gut schreiben und zitieren können; wenn jedoch ChatGPT einen Großteil der Arbeit übernimmt und die menschlichen Verfassenden nurmehr bearbeiten und editieren, stelle sich schon die Frage nach der Eigenleistung.

Generell beschreibt Gebhartl die aktuelle Situation als „verwirrend“. Sowohl der mediale als auch der künstlerische Sektor seien zunehmend unüberblickbar, und auch die Möglichkeiten, mithilfe von künstlicher Intelligenz sogenannte Deepfakes (gefakte Bilder und Videos) zu erstellen, seien enorm beunruhigend, da man sich gerade bei Informationen aus dem Internet letztlich nur noch auf die eigene Intuition verlassen könne, um Fakes zu enttarnen.

Es stellt sich somit auch die Frage nach spezifischen Filterblasen, die in Online-Kulturen zwar verstärkt werden, aber auch so schon längst aufgrund von medialer Berichterstattung, hauptsächlich in den Nachrichten, existieren. Moderator Wassermair bezieht sich auf eine Studie von Reporter ohne Grenzen, der zufolge 90 Prozent der Nachrichtenmeldungen in Österreich auf Informationen aus der nördlichen Hemisphäre beruhen. Dabei sind beispielsweise die Asuwirkungen der Klimakatastrohe in der südlichen Hemisphäre viel verheerender und deutlicher zu spüren, nur bekommt man davon verhältnismäßig wenig mit.

Das vermutlich gravierendste Problem der Kunst- und Kulturszene ist jedoch viel älter als jegliche künstliche Intelligenz oder auch das Internet: die mangelhaften Fördergelder. Sowohl Gebhartl als auch Lehner kritisieren dieses System stark, der Kulturmanagerin zufolge sei das Künstler*innendasein auf Förderbasis insbesondere in Oberösterreich „ein hartes Brot“ während Gebhartl behauptet, Politiker*innen verstünden nichts von Kultur.

Daher sei der Erfolg des Linzer Festivals ARS Electronica, welches sich mit dem Zusammenhang zwischen Kunst, Technologie und Gesellschaft beschäftigt, umso wichtiger. Gebhartl argumentiert jedoch, dass es dabei schon sehr lange nicht mehr um die Themen des Festivals gehe, sondern um den finanziell ertragreichen Event-Tourismus. Außerdem sei auch die ARS Electronica selbst noch zu einschüchternd und elitär, um wirklich für alle Gesellschaftsschichten zugänglich zu sein. Diese Frage nach der Vermittelbarkeit und Niedrigschwelligkeit von Kunst und Kultur ist Lehner zufolge eine der großen und wichtigsten Fragen, mit der man sich sicherlich noch lange auseinandersetzen werden muss. Klar ist: Luft nach oben gibt es allemal, doch auf die bisherigen Entwicklungen darf man trotzdem stolz sein.

Hier geht‘s zur vollständigen Diskussion.

Verfasst von Vivian Grabowski am 14.09.2023