Bedrohungen und Verteidigungsstrategien für kritischen Journalismus

Moderator Martin Wassermair hat die Sommerpause der politischen Sendung „Stachel im Fleisch“ gebrochen, um mit Michael Nikbakhsh (Journalist, Podcast „Die Dunkelkammer“) und Daniela Kraus (Generalsekretärin Presseclub Concordia) über die Pressefreiheit in Österreich zu diskutieren.

Im aktuellen Bericht zur globalen Lage der Pressefreiheit von „Reporter ohne Grenzen“ finden sich alarmierende Informationen: Vor 10 Jahren wurde die Situation in 26 Ländern als „gut“ aufgeführt, davon befanden sich 14 in der EU; im Jahr 2023 sind es nur noch 7 EU-Länder mit guter Situation – Österreich ist von Rang 12 auf Rang 26 abgerutscht und wird nunmehr unter den Ländern mit „zufriedenstellender Lage“ aufgeführt. Die Gründe dafür sind natürlich komplex, doch Nikbakhsh und Kraus betonen unter anderem die Rolle der türkisen Regierung von Ex-Kanzler Sebastian Schulz und seinem Projekt „Ballhausplatz“. Nie zuvor sei ein Politiker durch derart strategische Manipulation in der öffentlichen Wahrnehmung platziert worden. Unter der Leitung des damaligen strategischen Kommunikationsplaner Gerald Fleischmann sei dieses Vorgehen praktisch professionalisiert worden, so Nikbakhsh und Kraus. Es zeige sich ein direkter Zusammenhang zwischen Pressefreiheit und Demokratie; Nikbakhsh betrachtet die Möglichkeit für starken Investigativjournalismus als Indikator für einen stabilen demokratischen Staat.

Außerdem behindere in Österreich das Amtsgeheimnis die investigative Arbeit enorm: In allen anderen Ländern der EU gibt es ein Informationsfreiheitsgesetz, an welches Journalist*innen appellieren können, um für mehr Transparenz zu sorgen - nur Österreich erlaube es Behörden, Ämtern und Politiker*innen, "über alles den Mantel des Schweigens zu breiten“, so Nikbakhsh.

Doch auch die ökonomischen Zwänge würden immer präsenter: da sich Printmedien mittlerweile kaum noch verkaufen, seien viele Zeitungen zunehmend auf zusätzliche Gelder angewiesen, die man sich leicht durch sogenannte Inseratenvergabe beschaffen kann, also eine wohlwollende mediale Berichterstattung gegen Bezahlung. Diese Entscheidung sei Nikbakhsh zufolge letztlich viel eher eine kaufmännische anstatt einer moralischen. Letztendlich seien die angestellten Journalist*innen die Leidtragenden, wenn das Geld immer knapper würde. Außerdem sei die Politik sowieso immer weniger angewiesen auf prestigeträchtige Zeitungen, laut Nikbakhsh habe mittlerweile jedes Bundesministerium in Österreich ein eigenes Medienhaus.

Dazu kommt, dass sich die Berufsbezeichnung Journalist:in gerade stark wandelt: Kraus erläutert, dass es in der öffentlichen Wahrnehmung an einem Bewusstsein für guten Journalismus mangelt, wodurch es für Bürger*innen immer schwieriger werde, echten Journalismus von manipulativem Schein-Journalismus zu unterscheiden. Daher nehme das Vertrauen in die Berichterstattung sowie die Bereitschaft, für gute Arbeit zu zahlen, ab.

Des Weiteren plant der Ministerrat der EU eine Verschärfung der Gesetzgebung, um die Möglichkeit zu schaffen, Journalist:innen mit sogenannten Staatstrojanern zu überwachen. Dies ist zwar noch lange nicht beschlossen, doch drücke Moderator Wassermair zufolge eine feindliche Haltung gegenüber Journalismus aus.

Und auch die direkte, physische Bedrohung für Journalist*innen nimmt deutlich zu: Immer wieder werden sie auf Demos oder wie zuletzt beim Rammstein-Konzert in Wien bedroht, beleidigt und angegriffen, so Kraus.

Was ist bei all diesen Gefahren also zu tun?

Nikbakhsh und Kraus fordern ein Verbot von Inseratenvergaben sowie ein gesteigertes Bewusstsein für den Wert der Pressefreiheit und die Rechte von Journalist:innen. Des Weiteren sei es gerade als freischaffende Journalist*in wichtig, Recherchekollektive zu bilden und im Team zu arbeiten, um ohne Medienhaus im Rücken unabhängige Arbeit zu leisten.

Auch der von Kraus geleitete Presseclub Concordia zum Beispiel sei ein kleiner Lichtblick im Dickicht des österreichischen Journalismus. Da nur Journalist*innen und keine Medienhäuser Mitglieder sind, sei der Presseclub erstmal keinem starken ökonomischer Druck ausgesetzt, berichtet Kraus. Des Weiteren sei er ein Ort zum Treffen und Austauschen und biete mehr Kapazität, um Dinge ausführlich zu betrachten, kommentieren und kritisieren - zum Beispiel Gesetzesentwürfe, die für eine Bearbeitung durch Einzelpersonen oft zu umfangreich seien. Außerdem stellt die Concordia ihren Journalist*innen unentgeltlich einen Juristen zur Verfügung, der sowohl Publikation abcheckt als auch bei Einschüchterungsklagen beratend zur Seite steht. Dies sei sowohl pragmatisch als auch symbolisch wichtig, um Journalist*innen den Rücken zu stärken.

Die komplette Diskussion und Ausführungen der Argumente findet ihr hier.

Verfasst von Vivian Grabowski am 15.08.2023