Guten Abend, meine Damen und Herren, liebes literaturinteressierte Publikum, herzlich willkommen im Stifterhaus. Mein Name ist Sarah Pöhringer und ich freue mich sehr, Sie heute kurz in den Abend einführen zu dürfen. Wir treffen uns zur dritten und zugleich für 2025 letzten Veranstaltung unserer neu aufgenommenen Reihe Neue Stimmen Debuts aus Österreich. Ich beginne mit Jacqueline Scheiber, die aus ihrem Roman 3,30 Meter liest, der diesen Februar bei Leicham erschienen ist. Schön, dass Sie da sind. Herzlich willkommen, Jacqueline Scheiber. Genau, ich werde auch noch ein paar Worte zur Biografie sagen. Jacqueline Scheiber ist im Burgenland aufgewachsen und lebt und arbeitet heute in Wien. Sie studierte soziale Arbeit, arbeitete bis 2022 mit Suchterkrankten sowie im Kinder- und Jugendschutz und gründete den Young Widows Dinner Club mit. Bekannt wurde sie vielen schon durch ihre Texte als Minusgold, erst auf ihrem Blog, später auf Instagram, wo sie von 2010 bis 2024 Lyrik und Prosa veröffentlichte. Mit 3,30 Meter legt sie ihr Prosa-Debüt vor. Der Roman führt in eine Wiener Altbauwohnung, in der Clara und Balazs gemeinsam leben, bis eine Nacht alles verändert und Balazs reglos im gemeinsamen Bett liegt. im gemeinsamen Bett liegt. Jacqueline Scheiber stellt in ihrem Debüt Fragen nach Liebe und Verlust, nach Identität und den kleinen Dingen, die bleiben, wenn ein Leben endet. Radikale Offenheit, dafür steht Jacqueline Scheiber, hieß es dazu etwa in Zeit im Bild. Zitat, was den Roman auszeichnet, ist die Kombination einer zugänglichen und gleichzeitig poetischen Sprache, mit der Scheiber gelingt, auch weniger leseaffines Publikum anzusprechen. Kommen wir nun zu unserer zweiten Autorin. Lili Polanski liest heute aus ihrem Debütroman »Gratulieren müsst ihr mir nicht«, der 2024 bei Schöffling & Co. erschienen ist. Schön, dass auch Sie hier sind. Herzlich willkommen im Stifterhaus Lili Polanski. Lili Polanski wurde in Wien geboren, wo sie auch heute lebt und studiert. Für ihren ersten Roman wurde sie 2025 mit dem Raurisser Literaturpreis ausgezeichnet. In der Jurybegründung heißt es, Zitat, der Text illustriert die Kraft der Sprache, ist gleichzeitig Sprachkunststück und geglückte Literatur. Ihr Debüt erzählt von einer jungen Frau, die sich mitten im Ankommen ins Leben dem Tod gegenüber sieht und zugleich die Frage beantworten muss, was wirklich zählt. Seit ihrer Kindheit kämpft sie gegen Erschöpfung und Überforderung an. Kurz vor der Matura dann der Zusammenbruch und eine existenzielle Pause, zu der sie gezwungen wird. Ein Herzschrittmacher wird notwendig. Und kurz davor endet auch ihre Beziehung. Rosemaria Kropp schrieb in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Roman mache den drohenden Kontrollverlust über den eigenen Körper eindrucksvoll spürbar und erzähle zugleich von der mühsamen Mobilisierung von Energie am Rande des Aufgebens, die Geschichte der Heilung eines fragilen Ichs. Durch den Abend führen wir uns, wie schon bei den ersten beiden Veranstaltungen der Reihe, mit der Kollegin Christine Scheucher. Schön, dass du auch heute wieder hier bist, Christine. Wie die meisten von Ihnen wissen, ist Christine Scheucher erfahrene Literaturjournalistin und Moderatorin, hat Vergleichen der Literaturwissenschaft in Wien und Berlin studiert und war viele Jahre Korrespondentin für das Ö1-Fiaton Diagonal. Für ihre journalistische Arbeit wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Regelmäßig moderiert sie Literaturformate wie die literarische Sorée. Damit darf ich das Wort nun auch an Christine Scheucher übergeben. Vielen Dank. Herzlich willkommen. Wir freuen uns sehr, dass Sie hier sind. Wie Sie bereits gehört haben, unter dem Namen Minusgold hat die Autorin Jacqueline Scheiber seit vielen Jahren eine große, eine eingefleischte Fangemeinde um sich geschart. Sie gehört zu den Autorinnen, die in den sozialen Netzwerken wahrscheinlich zu den Spitzenreiterinnen zählt, wenn es um Followerzahlen geht. Auf Instagram bezeichnet sie sich als Vertreterin des großen Pathos. Ja, um große Gesten, große Gefühle, aber vor allem um großen Schmerz geht es auch in ihrem Debütroman. Nun ist es so, dass natürlich es teilweise so eine, wie soll man sagen, Abwehrhaltung im traditionellen Literaturbetrieb gegenüber den sozialen Netzwerken gibt, dass man das also als Tools der Aufmerksamkeitsökonomie vielleicht auch diskreditiert. Es gibt Vorbehalte. Ich habe diesen Roman gelesen ohne Vorbehalte und ich war hellauf begeistert. Mit Instagram-Literatur oder Social-Media-Happen hat das wirklich überhaupt nichts zu tun. So, worum geht es? Es ist eigentlich eine Art Kammerspiel. Die Kollegin hat es bereits angesprochen. Wir befinden uns in einem sehr konzentrierten Ort und auch die Zeit ist sehr konzentriert in einer Wohnung, die, wie der Titel sagt, 3,30 Meter hoch ist. Also es muss sich wohl um eine fast feudalherrschaftliche Altbauwohnung handeln. Ich weiß gar nicht, ich wohne auch in einer Altbauwohnung in Wien, aber ich glaube, 3,30 Meter schaffe ich nicht. Und in dieser Wohnung bricht die Katastrophe ein. Es ist eigentlich das Refugium von Clara und Balazs, die dort gemeinsam wohnen, ein Liebespaar. Sie sind vor kurzem eingezogen und dann passiert etwas Unglaubliches. Sie sind vor kurzem eingezogen und dann passiert etwas Unglaubliches. Und die Autorin erzählt dann in Rückblenden die Geschichte dieser beiden Figuren, die Liebesgeschichte. Jetzt die erste Frage, nachdem ich lange geredet habe. Warum hast du dich denn entschieden, Jacqueline? Das ist ja auch schwierig eigentlich. Man kann ja, also es geht, sollen wir es verraten? Ja, was passiert. Also im Endeffekt, sie liegen im Bett und Balazs liegt eigentlich reglos neben ihr. Sie kann es kaum glauben, aber es steht im Raum, dass er verstorben ist plötzlich. Und du hättest jetzt natürlich diesen Trauerprozess über viele Monate erzählen können, wenn du das so gewollt hättest. erzählen können, wenn du das so gewollt hättest. Wir erleben aber eigentlich nur, ich glaube, es ist eine Nacht oder ein, ich kann den Zeitraum gar nicht sagen, wer zieht sich wie ein Kaugummi, sie ringt damit, das überhaupt zu begreifen. Und diese Konzentration von Raum und Ort, also wir sind in der Wohnung, es passiert etwas Schreckliches und die Stunden danach ziehen sich in die Länge wie ein Kaugummi. Das ist ja auch erzählerisch eine Herausforderung. Warum hast du dich denn entschieden, es dir eigentlich schwer zu machen? Ich glaube aus dem einfachen Grund, dass ich nicht wusste, wie schwer es ist. Ich dachte, ich mache es mir leicht, aber im weiteren Verlauf habe ich gemerkt, also das, was von Anfang an schon klar war, war, dass ich nicht an Erzählungen über Trauer oder Trauerverarbeitung anknüpfen wollte. Ich hatte das Gefühl, da ist dazu schon viel gesagt worden, da ist dazu viel geschrieben worden. Der Ursprung, dieses Buch zu schreiben, die Motivation war vor allem jene, diese Momente des Nicht-Begreifen-Wollens auszudehnen und zu sezieren und da vielleicht auch eine Leerstelle abzudecken, die ich in der Form noch nicht selbst im Literaturbetrieb für mich gefunden habe. Und insofern wollte ich mir diesen Moment anschauen und ich finde das sehr schön, dass du auch sagst, du weißt nicht, wie lange es dauert, weil das ist auch eine Frage, die ganz häufig kommt und ich möchte dann immer so, also das ganze Buch und dieser ganze Verlust von Raum und Zeit zielt ja gerade darauf ab, dass der Leser und die Leserin mit dem eigenen Ermessen reingeht. Und wenn man das Gefühl hat, das sind fünf Minuten, die da durch Klaras Kopf donnern oder fünf Tage oder eine Nacht, dann ist alles richtig. Ich glaube, dass wir oft einfach eben diese Momente, wo uns so der Boden unter den Füßen weggezogen wird, oftmals ja genau das passiert, dass wir nachher nicht mehr erinnern, wie lange das gedauert hat. Genau, also die Zeit steht still und diese Kapitel in der Wohnung spielen, die sind ja auch überschrieben mit Tick-Tack, Tick-Tack. Also es gibt so einen Metronom, das irgendwie den Takt vorgibt. Also es gibt so einen Metronom, das irgendwie den Takt vorgibt. Du warst auch Sozialarbeiterin, das hat die Kollegin auch bereits gesagt, hast mit eben Suchterkrankungen zu tun gehabt. War da Trauerarbeit und Traumabbewältigung in dieser Arbeit auch ein Thema? Hast du diese Erfahrungen aus der Praxis eingearbeitet oder geht es da eher um persönliche Erfahrungen, die du gemacht hast? Wie bist du auf die Idee gekommen, dich diesem Thema, das ja sehr schwierig ist, natürlich, also man stellt sich vor, plötzlich der Partner ist tot aus mehr oder minder heiterem Himmel, wie es ja in dieser Geschichte ist. Wie bist du darauf gekommen, dieses Thema literarisch in deinem Debüt zu vermessen? Das, was vieles gemein hat mit Menschen, mit denen ich zu tun hatte, dass ich sehr viele Menschen gegenüber sitzen hatte, die an irgendeinem Punkt in ihrem Leben einen starken Wendepunkt erfahren haben. Also sei es eine Krise, ein Verlust einer Wohnung, eine psychische Erkrankung, eine Suchterkrankung. Auf der anderen Seite wurde auch gesagt, habe ich den Young Widers Dinner Club mitbegründet, was so eine Initiative, Selbsthilfegruppe war für junge Menschen mit PartnerInnenverlust, plötzlichem PartnerInnenverlust. Das heißt, ich habe im Laufe der Jahre in dieser Arbeit hunderte Geschichten, die man für unmöglich im eigenen Alltag hält, erfahren und fand eben auch diese Bandbreite an Umgangsformen so spannend. Also die Tatsache, dass wir immer noch Trauer als einen Überbegriff nutzen, bei dem ein gewisses Schema abzuarbeiten ist und dass das möglich wäre, spießt sich einfach mit meiner Erfahrung, wie individuell auch jede Lage ist. spießt sich einfach mit meiner Erfahrung, wie individuell auch jede Lage ist. Und so habe ich mich gefragt, was für eine Person vielleicht auch sich mit dem Tod nicht auseinandersetzen kann und vielleicht auch da so eine Unmöglichkeit darin sieht. Also Clara verschließt sich ja auch vor der Konfrontation und schließt die Tür und begibt sich in den Rest der Wohnung. Aber das ist natürlich auch eine Figur, von der es mir wichtig war, dass sie Irritation auslöst. Dann schlage ich vor, wir tauchen ein in dieses Refugium von Clara und Balazs. Du liest aus dem Beginn des Romans und es passiert etwas Unerhörtes. Die Uhr tickt, das Kissen war nass, die Luft stand, die Wärme flachte ab, sie wich aus dem Raum weg von den Körpern, die sich nur zaghafterin begriffen, nicht mehr hierher zu gehören. Nicht in dieser Konstellation, nicht in diesem Abstand, nicht in einem Grundriss, der jetzt kein Zuhause mehr war. Zwei Bilder hatten es bisher gerahmt an die Nägel in der spröden Wand geschafft, ein Stück Putz war herausgebrochen. Deswegen stand das dritte Bild angelehnt im Wohnzimmer, wartend, mahnend, zuversichtlich, dass es einmal Ränder eines Alltags an den alten Mauern hinterlassen würde. Mauern hinterlassen würde. Hier, das war ein abgedunkeltes Schlafzimmer im Schatten der Nacht, wo nur das bläuliche Leuchten eines Bildschirms die Konturen zweier Menschen ausmachen ließ. Es hätte jedes Schlafzimmer sein können, in jeder Stadt, an einem beliebigen Punkt eines jeden Lebens, wie er mit Sicherheit schon unzählige Male Einzug in andere Räume gehalten hatte, aber diesmal war es hier geschehen, in Wien, im dritten Stock eines stattlichen Gründerzeithauses an einem Donnerstag, wobei es genau genommen schon Freitag war, nach Mitternacht, aber genau nahm sich zu dieser Stunde nichts mehr. Es war spät, es war zu spät in Anbetracht der Tatsache, dass zwei ihr bisher gewohntes und gepflegtes Inventar auf den Kopf stellen mussten. Zwei, doch nur einer von ihnen sah sich gezwungen, mit dem Auseinanderziehen der zuvor sorgsam verwobenen Stränge ihrer Leben zu beginnen oder dagegen zu halten. Man könnte es so bezeichnen, einen Zug, einen Ruck entgegen allen Erwartungen, exakt an dieser Stelle, wo mit nichts zu rechnen war und alles in Frage stand. Da waren zwei, die müde und erschöpft von den vorangegangenen Tagen in Ermangelung von Licht zu verblassen drohten. Erschlaffte Arme parallel zu einem rasenden Herzschlag, sie weigerten sich der Veränderung Einlass zu gewähren, obwohl sie schon da war, zwei Menschen und eine Veränderung, das war eines zu viel. Es war die alte Gastherme, die in der Stille der Nacht aus dem Badezimmer ratterte, aus dem Badezimmer ratterte, unbeirrt erhitzte sie Wasser, um es durch die knarzenden Leitungen bis in den Heizkörper neben dem Bett zu pumpen. Clara hasste dieses Geräusch. Ein Klopfen, das sie häufig aus dem Schlaf riss, jetzt diente es als Beweis, dass es wahr war, die Wärme und ihre Abwesenheit. Das Rattern war alles, was noch zu hören war, als das Fremde die Zeit anhielt. Ein letzter, verbliebener, funktionierender Kreislauf, dachte sie, etwas, was sich trotz allem fortsetzte. Und vielmehr dachte sie schon nicht mehr, machte stattdessen die Umgebung aus, holte ihre Sinne zurück in den Moment. Was sie sah, hatte den Anschein von der Veränderung unberührt zu sein, ein Raum im Lichtkegel der Straßenlaterne vor dem Fenster, ein Ausblick, den sie in steter Wiederholung nicht bewusst wahrgenommen hatte. den sie in steter Wiederholung nicht bewusst wahrgenommen hatte. Das nasse Kissen war unbrauchbar geworden für den Schlaf, der nicht kommen sollte, gemasert von schwarzen Striemen, die ein unregelmäßiges Muster auf dem weißen Textil hinterließen. Es war für etwas anderes gedacht, das Kissen. Jetzt wurde es allenfalls zu den Beweisen dazugezählt. Es waren die Gegenstände der intimsten Umgebung, die Zeugen eines Bruchs wurden und ihn für immer bewahren würden. Bilder, die sich hinter die Augenlider brannten. Clara saß am unteren Ende der Bettkante gebeugt, als könnte sie damit die Wärme bei sich behalten und ihr Herz schützen, das zu ihrer Verwunderung ohne jegliches Zutun weiterschlug. Sie spürte das Pochen im Hals, in den Fingerspitzen, an den Lippen. Obwohl sie es wusste, ging sie instinktiv in Position, um sich vor einem Nachbeben zu bewahren, das nicht kam. Sie hielt das Telefon in der Hand, hielt es noch immer oder schon wieder, doch jetzt hielt sie es nah vor ihr Gesicht. Auf dem Display wechselten sich Kombinationen aus Symbolen und Namen ab. Er lehnte gegenüber am Kopfende, aus seinen Armen war die Spannung gewichen. So lag er da, die Beine ausgestreckt, den Blick von ihr abgewandt, wie er starrt, dachte Clara. So einen befremdlichen Blick hatte sie noch nie an ihm gesehen, so einen Blick hätte sie nie bei ihm vermutet. Wieso sah er sie nicht an? Das zuvor Gesagte war nur zögerlich durch den Raum mit den 3,30 Meter hohen Decken gedrungen, was war gesprochen worden? Sie erinnerte sich nicht. was war gesprochen worden. Sie erinnerte sich nicht. Es war verpufft, noch bevor es den Plafond hatte erreichen können, der Klang der Stimme war das erste, das abhanden kommen würde. Alles im Raum erinnerte an eine Zuneigung, die bestickten Baumwollpantoffeln vor dem Bett, eine Lichterkette aus kleinen Glühbirnen am Kopfteil, zwei Pflanzen, in deren feuchter Erde jeweils Holzfiguren mit aufgeklebten Wackelaugen steckten. Zwischen dem massiven Eichenstrang und dem Türstock unterbrach ein bunt gewebter Teppich das Muster des Fischgrätenpakets. klebter Teppich das Muster des Fischgrätenpakets. Schwarz-weiße Fotoautomatenstreifen, die ein Paar abbildeten, das es schon in diesem Moment nicht mehr gab. Nichts in diesem Raum ließ einen Hinweis auf den Riss zu, der schon geschehen war. Es war keine Entscheidung, zumindest keine, für die Clara zuvor Argumente hätte sammeln können. Zwei Gegensätze breiten aufeinander, schrille Ausschläge, weiche Konsonanten. Etwas, was man mit jemandem geteilt hatte, wurde von der Härte abgelöst. Eine Härte, die das Ende markierte. Er war tot. die das Ende markierte. Er war tot. Ja, also Clara sieht an ihrem Partner Palatsch einen Blick, den sie noch nie gesehen hat. Und offensichtlich ist er eben in diesem Schlafzimmer verstorben. Sie geht zunächst raus und will das gar nicht wahrhaben und sich mit der Situation auch gar nicht beschäftigen. Und dann mit der Zeit, wobei man eben das Zeitgefühl verliert, die Zeit steht still sozusagen, hat sie irgendwie Halluzinationen oder Visionen oder eine Art imaginärer Begleiter taucht auf, den sie wohl vorher schon ein paar Mal gesehen hat, sie nennt ihn den Sonnenesser, also irgendeine Figur, die aussieht wie ein verwahrloster älterer Mann. Und mit dem spricht sie. Ist das eine Erfahrung, die du gemacht hast, sowohl eben in deiner Sozialarbeit, aber vielleicht auch als Mitglied dieses Clubs, wo es ja auch um Trauerarbeit geht, dass man womöglich dann eben sich auch in imaginäre Kontinente flüchtet, um der Realität zu entfliehen? Ja, der Sonnenesser ist eine ganz tolle Figur und auch vielleicht auch eine tolle Metapher für mich, für etwas, das, glaube ich, sehr verbreitet ist und uns gar nicht so oft auffällt, nämlich das magische Denken. Und das ist etwas, das wir als Kinder ganz natürlich lernen und spannenderweise, und das habe ich eben auch bei vielen Menschen beobachtet, in Momenten zurückkommt, in denen es ganz eng wird. Und das magische Denken ist manchmal ganz gering ausgeprägt, wenn man sagt, seit meine Großmutter gestorben ist, kommt jedes Jahr ein Vogel an mein Fenster und dann weiß ich, sie kommt mich besuchen oder man beginnt irgendwie Zeichen zu sehen und plötzlich sieht man auf der Straße ein geformtes Herz in einer Lacke und man hat das Gefühl, man bekommt irgendwie, man ist in Verbindung mit jemandem. Und all diese kleinen Zeichen, die man für sich umdeutet, sind ja nichts anderes als die Sehnsucht danach, ein Verständnis auch für den Wahnsinn zu finden und auch ein Verständnis für den Verlust zu finden. für den Wahnsinn zu finden und auch ein Verständnis für den Verlust zu finden. Also das ist ein sehr bekanntes Phänomen. Bei Clara ist es mit Sicherheit auch etwas ausgeprägter. Und mir war da schon noch wichtig, dass das eben auch nicht aus einem luftleeren Raum heraus entsteht. Also Clara hat einfach eine Geschichte mit Schwierigkeiten, sich mit ihren Emotionen auseinanderzusetzen. Eine Geschichte mit Schwierigkeiten, sich mit ihren Emotionen auseinanderzusetzen. Und sie hat auch eine Historie eben mit Ausnahmesituationen, in denen ihr Gemüt mit ihr durchgeht. Weil allenfalls wäre das, glaube ich, sehr überraschend, wenn das so aus dem Nichts käme. Mir war nur sehr schnell klar, dass der Sonnenesser, also dass Clara ein Gegenüber braucht und dass der Sonnenesser da eine stoische, gelassene und manchmal auch vielleicht erheiternde Figur ist in dieser Schockstarre. Also eine Art Mentor vielleicht auch oder Ratgeber. eine Art Mentor vielleicht auch oder Ratgeber. Ja, Clara lebt ja auch viel davon, dass sie Menschen sagen, wie sie sich zu verhalten hat. Also es ist eine Figur, die sich viel am Außen orientiert, viel an Schablonen orientiert, ob das jetzt der berufliche Werdegang ist oder letzten Endes auch immer starke Personen an ihrer Seite hat, die ihr Halt geben. es auch immer starke Personen an ihrer Seite hat, die ihr Halt geben und in dieser Situation, in der sie so haltlos ist, gibt es dann eben eine ganz absurde Anweisung zum Tee trinken und auch das ist etwas, das ihr hilft. Genau, sie ist Architektin, eigentlich eine sehr rationale Person, hat aber oft Probleme mit ihren Emotionen umzugehen. Da gibt es auch andere Situationen mit der besten Freundin, wo sie eigentlich relativ unempathisch reagiert. Palasch kommt aus einer ganz anderen Welt. Er ist Ungar. Und das ist natürlich nicht zufällig gewählt, weil du selber auch zweisprachig aufgewachsen bist. Du kommst ja aus dem Burgenland. Ungarisch ist deine zweite Muttersprache, ein Teil deiner Familie hat also ungarische Wurzeln. Balazs, um das kurz zu umreißen, ist glaube ich vier Jahre vor dem Fall des Eisernen Vorhangs geboren und er kommt dann relativ schnell aber vom real existierenden Kommunismus, den er ja nur kurz erlebt, in die Welt des Kapitalismus, also nach Österreich, arbeitet zuerst in einem Wirtshaus und dann wird er irgendwie über Umwege Bühnentechniker und so lernt er Klara kennen. Und das ist sehr interessant, weil er, du beschreibst das nämlich sehr gut und ich weiß nicht, ob das sozusagen ein Hinweis darauf ist, wie du auch diese Community erlebt hast, dass er so über gewisse Kaufentscheidungen seine Identität modelliert. Komplimentarisation kommt und er kauft dann irgendwie Fair-Trade-Produkte, nicht aber um sein soziales Gewissen zu beruhigen, sondern weil er dazugehören will. Er will markieren, dass er zu dieser gesellschaftlichen Gruppe gehört. Also er modelliert sein Ich über den Konsum, was man so als Lifestyle-Kapitalismus bezeichnet. Das heißt, das ist eigentlich eine Figur, die sehr schnell in dieser Logik, weil das war doch auch, nehme ich mal an, ein Transformationsprozess, auch im Osten, die sehr schnell in dieser Logik des Konsums gelandet ist. Ja, Balazs, also es sind, glaube ich, eben diese zwei Dinge, die darauf einwirken und mich hat das im Schreibprozess sehr interessiert, weil ich selber eben, nachdem ich familiäre Wurzeln habe, das Gefühl gehabt habe, dass ich total wenig über diesen Umbruch weiß, dass ich in der Schule kaum davon gehört habe, meine Familie nicht viel darüber gesprochen hat. Dann habe ich angefangen, Interviews mit Auslandsungarn in diese Altersgruppe zu führen und habe versucht nachzuvollziehen, was da eigentlich passiert ist und warum sich diese Gruppe von Migration vielleicht auch ein wenig unterscheidet von anderen Gruppen, weil sie doch auch sehr angepasst und sehr assimiliert ein bisschen unterm Radar fliegen und trotzdem so eine andere Sozialisation haben. Sie schauen nicht anders aus einfach. Genau. Und aber auch zum Beispiel die Tatsache, dass man in Ungarn dann relativ schnell in der Schule Deutsch gelernt hat als erste Fremdsprache. Und all das sind eben so Themen, die einwirken und dann gleichzeitig auch der politische Aspekt natürlich, dass in Ungarn eigentlich, wenn man das drastisch formuliert und das traue ich mich jetzt nicht lange, eine Demokratie geherrscht hat, insofern da auch irgendwie eine Generation ein bisschen ihre Zukunft verloren hat, gerade wenn sie andersdenkend ist. Und Balazs ist natürlich von all diesen Dynamiken geprägt und natürlich eigentlich, so unauffällig wie möglich mit einzufließen mit seiner Umgebung. Genau, du machst auch so eine politische Tangente auf, nicht sehr aufdringlich, nur ein bisschen. Es wird auch ein bisschen in dieser ungarischen Familie politisiert, also zumindest in homöopathischen Dosen. Es ist ganz klar, dass dieser Balazs, der eben dann wann geboren ist, also in den 80er Jahren geboren ist, überhaupt keine Perspektive für sich sieht in Ungarn. Viktor Orban war Ministerpräsident von 1998 bis 2002, glaube ich. Dann war es kurz nicht und dann kam er wieder an die Macht in den 2010er Jahren. Bisher ist er sozusagen im Amt geblieben und er hat natürlich dieses Ungarn verändert. Darauf spielst du auch ein bisschen an? Es ist jetzt kein plakativ politisches Buch, aber es wird so angedeutet. Hast du dich auch mit der politischen Situation in Ungarn auseinandergesetzt? Es ist ja so, dass da zum Beispiel Kulturbetriebe neu besetzt wurden und so weiter. War das für dich ein Thema? Das war für mich ganz wichtig. Also für mich war es ganz wichtig, auch sozusagen die Dimensionen dahinter zu verstehen und da eine tiefere Auseinandersetzung damit zu haben. Das ging so weit, dass in der ersten, da plaudere ich jetzt aus dem Nähkästchen, in der ersten Manuskriptbesprechung meine Programmleitung mich gefragt hat, ob ich jetzt eigentlich ein Sachbuch Ungarn schreiben will oder ob es ein Roman bleiben darf. Und dann habe ich seitenweise mein Politisierungswissen wieder ein bisschen ausgedünnt. Aber diese Komponente war mir einfach wichtig auch, weil ich eben zum Beispiel total oft merke, in meinem Umfeld, selbst mit meiner Prägung, meiner Identität, viele meiner Freunde und Freundinnen wenig darüber wissen, wenig darüber fragen, dass auch sich gar nicht so dafür interessieren, was da im Nachbarland passiert und auch was das für Konsequenzen hat in weiterer Folge auch für viele junge Menschen, die hierher kommen. Und mir war es wichtig, im Laufe einer Geschichte etwas zu erzählen, wo man danach vielleicht auch mehr weiß als vorher. Dann schlage ich vor, wir lernen die ungarische Familie von Balazs kennen. Bei einem Familienessen treffen sie einander. Bitte schön. Genau, wir befinden uns in einer Rückblende und Klara und Balazs fahren zum ersten Mal nach Ungarn. Es gibt ein Familienfest, wo drei Geburtstage zusammenfallen. Und ich lese diese Stelle eigentlich immer und ganz gerne, weil es vielleicht auch so ein bisschen das Leben und die Dynamik von Balazs wiedergibt. Weißt du, es gibt da so einen Witz auf Ungarisch. Er holte tief Luft und musste schon vor der weiteren Ausführung grinsen. Jetzt brustete er los, klarer sein, verdutzt an, wurde aber unweigerlich von seinem kehligen Lachen angesteckt. Bitte was, fragte sie. unweigerlich von seinem kehligen Lachen angesteckt. Bitte was? fragte sie. Naja, man kann es nicht erklären, weil es ein Wortwitz ist, aber du musst ihn unbedingt lernen. Es geht darum, dass zwei Fische ein Rennen schwimmen. Der eine Fisch ist ein Karpfen, der andere Fisch die Hoffnung. Der Karpfen gelangt als erster ins Ziel, die Hoffnung als letzte. Und der Witz an der Geschichte ist, dass im Ungarischen das Wort für Fisch und Sterben dasselbe ist. Deswegen ist die Pointe, dass die Hoffnung zuletzt stirbt. Balazs lachte nicht, weil der Witz so gut war, sondern weil er sich daran erinnerte, wie die Familie an Weihnachten zusammengesessen war. Alle rauchten die schwarzen Haare seiner Urgroßmutter, Großmutter, Tante, Mutter und Großcousinen aus dem Nebel ragten und die Großmutter mit ihrer kratzigen, tiefen Stimme ansetzte, um den Witz zu erzählen. Großes Gelächter brach aus, die Tante stützte sich am Tisch ab, Tränen liefen ihr über die Wangen, alle hatten den Mund so weit aufgerissen, dass man die Goldkronen auf den Backenzähnen erkennen konnte, sofern noch welche vorhanden waren. Silbernerenau bog auf die Schotterstraße der Siedlung am Rande des Dorfes ein. Nach der Grenze wurden die Straßen holprig, Schlaglöcher säumten den Weg zum Haus der Großmutter. Sie parkten das Auto davor und stiegen aus. Balazs löste die Schlaufe, die das verzogene, gusseiserne Tor zusammenhielt, während er in der anderen Hand die mitgebrachten Speisen und gestapelten Geschenke balancierte. Clara folgte ihm mit einem Blumenstock im Arm, der ihr Gesicht verdeckte. Über Waschbetonplatten verlief der Weg vorbei am Haus in den hinteren Teil des Gartens schon. Von Weipen hörte man ein Stimmenwirrwarr und Gelächter dröhnte ein metallischer Radioklang zu ihnen herüber. Bevor sie um die Hausecke bogen, um den überschwänglichen, aber herzlichen Begrüßungen der Verwandten ausgesetzt waren, warf Bollasch Klara noch einen entschuldigenden Blick zu. Zur Feier des Tages hatte der Onkel ein Plastikzelt aufgestellt. Darunter standen aneinandergereiht minimal verschieden hohe Tische, die mit einem Papiertischtuch bedeckt waren, das wiederum von einer Plastikfolie geschützt wurde. Die Wettervorhersage rechnete mit Schauern,zogenem Himmel mit Behältern und Besteck zwischen Haus und Garten hin und her. Die Wiese war feucht, an den Stellen, wo das Grün karg war, hatte der Regen der vergangenen Tage die Erde zu Schlamm werden lassen. Der schwarze, gusseiserne Kessel hing an einer Metallkette über der Glut der Feuerstelle darin, köchelte seit dem Morgen das Gulasch vor sich hin. Schon als Kinder hatten Balazs und seine Schwestern für die Vorbereitung stundenlang Knoblauch geschält. Lorbeerblätter trieben an der Oberfläche dieses Muster, die Beschichtung von schwarz-weißen Punkten und die orange-rote Paprikapulverfärbung, die sich mit dem Fett vermischte. Das bedeutete zu Hause für Balazs. Als der Regen einsetzte, rief die Großmutter alle hektisch zum Essen ins Zelt. Sie bat nicht darum, es war ein Appell. Mit Nachdruck reichte sie den Brotkorb mit den dick geschnittenen Weißbrotscheiben herum. Die ersten Verwandten nahmen ihre Schüsseln, um aus dem Kessel zu schöpfen. Die Glut zischte unter den Tropfen. Langsam, rief die Tante, nicht, dass das Plastik bei der Hitze schmilzt. Eigentlich, rief die Tante, nicht, dass das Plastik bei der Hitze schmilzt. Eigentlich, rief sie los schon. Aber Bollasch saß dicht neben Clara und flüsterte ihr simultan die Übersetzung des Gesprochenen ins Ohr. Joid, warjot, Mahlzeit, sagte er lauter als die anderen, um Clara zu symbolisieren, dass jetzt gegessen wurde. Clara nickte, verhalten sie, wollte nicht unhöflich sein, aber traute sich nicht zu, die zungenbrechenden Ausdrücke zu imitieren. Immer wieder glitt ihr Blick suchend über den Tisch, sie wollte die Ordnung verstehen, die Reihenfolge, eine Form der Etikette. Dabei gab es keine. Am Kopfende des Tisches thronte die Urgroßmutter, das Familienoberhaupt, eine bucklige Frau mit zarten Handgelenken und haselnussbraunem Teint. Es wirkte, als wäre zu viel Haut da für diesen kleinen Menschen. Die schwarz-grauen Wellen waren ordentlich nach hinten gekämmt. Sie rauchte genüsslich, während die anderen aßen. Die meisten älteren Ehemänner waren bereits gestorben und so ergab sich ein natürlicher Nährboden für ein Matriarchat innerhalb einer Großfamilie. Boden für ein Matriarchat innerhalb einer Großfamilie. Am nächsten Morgen würde seine Mutter anrufen, sich für ihr Kommen bedanken und den restlichen Verlauf des Abends mit Nembolzomjas abtun, was bedeutete, dass er nicht durstig war und in Wirklichkeit den Umstand verharmloste, dass sich der Onkel bei jeder Gelegenheit Sternhagel volllaufen ließ, um seinen Ängsten und Sorgen letztlich seinem Ärgerraum zu verschaffen. In Bollasch hatte in dieser Nacht der Ekel gewütet über das sich bestätigende Klischee, das Abbild eines Milieus, das sich nicht abstreifen ließ. Er gehörte dazu und nicht dazu. Er konnte gehen, ins Auto steigen und in die entfernte Stadt fahren, von der niemand in seiner Familie eine Vorstellung hatte, weil sie nie besuchen kamen, weil sie nicht aus ihren gewohnten Bahnen ausbrechen konnten. Doch er war auch einer von ihnen. Der Klang seiner Stimme in der Muttersprache, die Vorahnung der Eskalation, die sich jedes Mal bestätigen sollte, weil schließlich jede Familie auf ihre eigene unglückliche Art und Weise von der Wiederholung ihrer Erkränkungen lebte. Vielen Dank. Eine Frage vielleicht noch zum Abschluss. Du hast begonnen als Bloggerin bereits in der Schulzeit und eigentlich deine ursprüngliche Passion, wie natürlich bei vielen Autoren und gerade jungen Autoren, war die Lyrik. Also es hat begonnen mit Gedichten. Das ist jetzt der erste Roman, also die erste Prosa in Langform. Als nächstes erscheint ein Essay. Aber wirst du dem Romanfach treu bleiben? Hast du Blut geleckt? Wird es noch ein Roman geben? Gehst du wieder zurück in die Kurzform? Ja, ich habe auf jeden Fall Blut geleckt und es wird im Herbst 2027, so wahr es sein soll, den nächsten Roman geben. Also die Idee und die Geschichte ist da und ich habe große Freude daran gefunden, Geschichten zu erzählen und vielleicht auch die Möglichkeit zu bieten, für eine gewisse Zeit in meine Figuren hineinzuschlüpfen und mit ihnen einen Teil des Weges zu gehen und das ist das Schöne daran. Vielen Dank, das war Jacqueline Scheiber mit 3,30 Meter der Romanes im Leihkampf Verlag erschienen. Vielen Dank. Danke sehr. Und Sie können natürlich das Buch, ich glaube, Daumseck, oder? Erwerben und die Autorin wird gerne signieren. Und wir kommen zur zweiten Autorin des heutigen Abends. Sie wurde mit dem Rauri Salitra-Zurpreis ausgezeichnet 2025. Herzlich willkommen, Lili Polanski, wir freuen uns sehr. Also die Geschichte, die Sie in Ihrem Debütroman erzählen, gratulieren müsst ihr mir nicht, die ist wirklich unglaublich und hätte sie jemand erfunden, dann würde man denken, es ist ein bisschen zu dick aufgetragen. Es geht um eine bewegende Krankengeschichte, eine junge Frau, eine 20-Jährige, ist konfrontiert mit einer Reihe von Schicksalsschlägen. Zuerst wird ein Gehirntumor bei ihr diagnostiziert, dann muss sie zum Kardiologen, da wird diagnostiziert, dass ihr Herz zu langsam schlägt und sie im Alter von 20 Jahren einen Herzschrittmacher braucht. Zusätzlich wurde sie von ihrem langjährigen Partner, von ihrem Freund, abserviert und wie man das heutzutage so macht, via WhatsApp, also die elegante Variante des Schlussmachens. Ja, man denkt sich, das ist sehr, sehr viel für eine Person, die gerade erst mal 20 Jahre alt ist. Lili Polanski hat diesem Text einen Satz vorweggestellt, dieser lautet, diese Geschichte ist komplett frei erfunden, bis auf die Teile, die wahr sind. Was wollte das heißen? Ein Verwirrspiel mit Fakten und Fiktion, wie man es aus der Autofiktion kennt. Ja, was wollten Sie mit diesem Satz, dem Sie den ganzen Text voranstellen, denn sagen? Ich habe mir da so ein bisschen an Spaß erlaubt, weil die Protagonistin im Roman hat ja auch denselben Namen wie ich. Und deshalb war mir klar, dass ich recht oft diese Frage gestellt bekomme. Und ich dachte mir, ich will es so ein bisschen der lesenden Person überlassen, was sie als wahr und was sie als erfunden empfindet. Und deshalb dachte ich, dass das eigentlich eine ganz gute Idee ist, das einfach so hinzuschreiben, weil im Endeffekt ist es ja auch, also ich stelle mir immer so die Frage, wie relevant ist es dann, was wirklich passiert ist und was erfunden ist für eine Geschichte. Natürlich interessiert das einen, aber ich denke mir, im Endeffekt ist es ja eigentlich viel relevanter, was das Ganze mit einem macht. Und deshalb habe ich mich dann für diesen Satz entschieden. Das ist ja auch das, was die Autofiktion, die im Moment trendet, ausmacht, dass man so ein Verwirrspiel treibt mit Fakten und Fiktion. Es wird etwas erzählt und dahinter liegt ein sogenanntes authentisches Erleben. Aber natürlich ist jede Geschichte, jede Erzählung auch immer fiktional, weil man sie ja im Nachhinein erst zusammenfasst, weil man sie in Sprache gießt, weil man ja Wahrnehmung und Welt gar nicht so eins zu eins übersetzen kann mit den Mitteln der Literatur. Aber es ist trotzdem eine Geschichte, die nah dran ist an ihren eigenen Leben, eine Art Coming-of-Age-Roman. Es geht um die Geschichte einer Selbstermächtigung, eine furchtbare Krankengeschichte und der Versuch, damit zurechtzukommen. Vielleicht geht es auch wieder um Traumabewältigung, wie bei der Autorin zuvor. Es ist aber auch die Geschichte einer Außenseiterin, diese Lili P., wie sie heißt im Roman, die ist eigentlich von Anfang an auch vor dieser Diagnose oder diesen Diagnosen, muss man sagen, eine Figur, die ein bisschen im Abseits steht. Also ich erkläre es kurz, ja, sie wird immer ein bisschen gemobbt von den Alphatieren in der Schule oder beim Völkerball wird sie nie ausgewählt oder beim Sackhüpfen, weil sie nicht sportlich genug ist und dann hat sie dicke Brillengläser, ist natürlich auch nicht gut. Also die Leute, die sagen, Kinder an die Macht, die waren nie in einer Schule, glaube ich. Ich habe ähnliche Erfahrungen gemacht. Und ich habe eben das Gefühl gehabt, das ist so eine Liebeserklärung an die Außenseite auch. Ja, und ich habe mir auch gedacht, es gibt vielleicht auch eben diesen Außenseitern und Außenseiterinnen, die sich auch einfach vielleicht so fühlen und es vielleicht auch gar nicht so sehr sind, aber einfach das Gefühl haben, sie sind vielleicht ein bisschen anders als die gängigen Kinder und Jugendlichen, dass das denen vielleicht auch so ein bisschen eine Stimme geben kann, dass sie das dann vielleicht lesen und sich ein bisschen gesehen fühlen. Also ich musste dann auch ein bisschen an mich selber denken. Ich glaube, mir hätte das einfach auch vielleicht ein bisschen geholfen, so einfach mal Bücher zu lesen, wo eben nicht immer diese Heldinnen und Helden sind, die sich so in den Vordergrund drängen, sondern vielleicht einfach die Heldinnen und Helden einfach da sind sich so in den Vordergrund drängen, sondern vielleicht einfach die Heldinnen und Helden einfach da sind, die ein bisschen im Hintergrund sind und die halt nicht so die Rampensäule sind. Und für diese Lili P., also die Ich-Erzählerin, die fiktive Lili P., ist aber auch die Literatur und das Lesen eine Art Fluchtpunkt. Also sie ist ein Kind, sie ist wahnsinnig schlecht in Mathematik, aber wo sie auch ist, sie hat immer ein Buch dabei. Gibt es für Sie selber als Autorin, ich meine, Sie sind ja wahnsinnig jung und natürlich sehr erfolgreich, sind selber 24 jetzt, glaube ich, und bereits mit dem Rauhrieser Literaturpreis ausgezeichnet. Also gab es für Sie so Lektüren, die wichtig waren, die Sie vielleicht auch zur Autorin werden haben lassen? Haben Sie da ein konkretes, es werden zwar ein paar konkrete Titel genannt, aber haben Sie da konkrete Bücher gedacht, die diese Lilly überall hin mitschleppt? Es gibt ein paar, also Joachim Meyerrhoff, da hat er eine recht lange Reihe an Werken, die auf jeden Fall. Dann auch Silvia Plath, The Bell Drawer, also auch ein bisschen englischsprachiges. Dann auch so diese typischen Werke, mit denen man halt anfängt zu lesen, so Harry Potter, Herr der Ringe, so ein bisschen Fantasy. Juli C. auch so ein bisschen. Also ich würde sagen, einfach eine Mischung. Voll. Dann schlage ich vor, wir lernen diese Lili P., wie sie heißt, kennen. Sie ist schlecht in Mathe, wie gesagt. Wer? Ja. Die Wohnung, in der meine Mutter und ich nach ihrer Trennung von meinem Vater gewohnt hatten, war sehr klein. Meine Mutter versuchte es gern mit der Umschreibung, gemütliches Vogelnest schön zu reden. Immerhin hatten wir einen winzigen Balkon, den meine Mutter mit Blumen schmückte. In einem heißen Sommer kaufte sie uns ein Planschbecken, das sie unter höchster Anstrengung aufblies, damit sie ihre Füße und ich meinen kleinen Kinderkörper darin abkühlen konnten. Sie arbeitete viel. Wenn sie mich vom Kindergarten abholte und ich müde war und sie müde war und ich weinte, weil es in unserem Haus keinen Aufzug gab und meine Beine vom langen Nachhauseweg wehtaten und mir noch sechs Stockwerke bevorstanden, begann auch meine Mutter oft zu weinen, weil es in unserem Haus keinen Aufzug gab und sie ihre Einkäufe bis nach oben schleppen musste und ihre Beine vom ständigen Herumrennen wehtaten und weil ihr Kind weinte und weil ihr und dem weinenden Kind noch sechs Stockwerke bevorstanden. Da standen wir dann, hielten einander bei den Händen und meine Mutter wischte meine Tränen weg und ihre eigenen auch und dann begannen wir unseren Aufstieg zu einer kleinen Wohnung, unserem gemütlichen Vogelnest. In dieser Wohnung war es immer warm. Unter den Wänden standen Bücherregale mit unzähligen Büchern, die unzählige Geschichten enthielten. Vielleicht wirkte die Wohnung deshalb so eng, weil die ganzen Geschichten so viel Platz darin beanspruchten. Aus den Büchern las meine Mutter mir jeden Abend vor und manchmal, wenn ich zwar übermüdet, aber so aufgekratzt war, dass selbst ihre sanfte Lesestimme mich nicht beruhigen konnte, sang sie. Sie sang die Geschichten. Sie sang Bolo der Elefant oder Kleine Katze Nina von Erwin Moser. Manchmal tanzte sie sogar dazu, was zur Folge hatte, dass mir das Einschlafen erst recht nicht gelang. Am Ende tanzten wir gemeinsam durch die Wohnung. Sie ließ mich mittanzen. Ein wenig, weil es ihr Spaß machte, Regeln zu brechen. Ein wenig in der Hoffnung, die Müdigkeit käme dann schneller über mich. Wenn ich gar nicht mehr aufhören wollte mit dem Tanzen und meine Mutter erschöpft und verzweifelt war, weil sie schlafen wollte und weil sie wollte, dass auch ihr Kind endlich schliefe, wurde ihre vorher so sanfte und schöne Vorlese und Singstimme hart und streng und sie sagte, dass es jetzt Zeit fürs Bett sei. Wenn ich diese Aufforderung zum Anlass nahm, nur noch wilder zu tanzen, wurde sie etwas lauter und etwas verzweifelter. Wenn ich dann weinend im Bett lag, weil ich nicht mehr tanzen durfte und weil sie geschrien hatte, legte sie sich zu mir und weinte mit. So schliefen wir ein. Ein müder Vogel und sein Küken in einem kleinen Vogelnest. Der Mathematikunterricht in der Volksschule veränderte die Beziehung zwischen meiner Mutter und mir. Wir gerieten immer öfter aneinander. Meist fing es damit an, dass meine Mutter mir ein aus ihrer Sicht banales mathematisches Problem zu erklären versuchte. Ich begriff nicht, was sie mir erklärte oder wollte mein Denken nicht so verändern, dass ich es begreifen konnte. Und nach etlichen gescheiterten Versuchen wurde sie ungehalten und sagte, ich verstehe nicht, wie du das nicht verstehen kannst. Ich sagte nichts und begann zu weinen, weil ich es ja auch nicht verstand. Dann sagte sie, du weinst? Ich sollte weinen. Du weinst? Ich sollte weinen. Ich opfere meinen Sonntagnachmittag, um dir zu erklären, warum Zug A den Bahnhof 15 Minuten früher erreicht als Zug B und du willst es nicht begreifen. Ich weinte noch mehr. Sie seufzte und versuchte sein letztes Mal. Weil ich wusste, dass sich die Lage zwischen uns verschlimmern würde, wenn ich ihr sagte, dass ich das Beispiel immer noch nicht verstand, behauptete ich, dass ich es nun doch verstanden hätte. Und sie freute sich und schlug voller Übermut vor, dass wir das nächste Beispiel auch gleich lösen sollten, um den Stoff zu festigen. Und dann merkte sie natürlich, dass ich es doch nicht verstanden hatte und die Situation eskalierte erst recht. Oft mischte sich Massimo, mein Stiefvater, mit schlauen Weisheiten ein. Lilly, du brauchst Mathematik, wenn du Erfolg im Leben haben willst. Ohne Mathe findest du nie einen Job. Überall ist Mathe. Meine Mutter pflichtete ihm bei und sagte, dass ich irgendwann einsehen müsse, dass man im Leben einfach nicht drum herum käme, die Integrale von zwei imaginären Flächen zu berechnen. Ja, das ist die junge Lilly, bevor sozusagen diese große Katastrophe einbricht über ihr Leben. Das ist ein Roman, der mit einem Satz beginnt, der in Mark und Bein geht. Der erste Satz dieses Romans lautet Vier Monate nach meinem 20. Geburtstag bekam ich einen Herzschrittmacher eingesetzt. Was auffällt bei diesem Roman, er beschreibt ja eigentlich Ungeheuerliches, also eine sehr, sehr junge Frau muss sich mit der Vergänglichkeit auseinandersetzen und sie erlebt etwas, was ja im Grunde der Fluchtpunkt jeder Existenz ist, nämlich dass ihr der Körper wegbricht. Das erfährt jeder Mensch früher oder später, die wenigsten eben in diesem Alter. Es gibt dann auch Sätze, die wirklich unter die Haut gehen. Ich fragte mich, ob dieser Körper wirklich mein Körper war, warum dieser Körper sich anfühlte, als wäre er mein Feind. Warum gerade dieser Körper mein Körper war, warum ich einen Körper hatte, dem ich nicht vertrauen konnte, einen Körper, der gegen mich arbeitete. Also das klingt eher wie Sätze von Menschen, die mit Demenz ringen, die über 80 sind, zumindest über 70. War es dein Interesse auch, einfach eine Figur zu präsentieren, die sich an dem Thema Vergänglichkeit abarbeitet, aber in einem sehr, sehr jungen Alter? Ja, definitiv. Also ich finde generell, dass in der Literatur auch das Thema Krankheit in einem eher jungen Alter ein bisschen unterrepräsentiert ist, beziehungsweise dass diese Bücher meistens schlecht ausgehen. Und ich wollte etwas schreiben, was sich eben mit diesen Themen befasst, aber eben vielleicht auch so ein bisschen einen leichten Humor auch teilweise drin hat, was halt natürlich bei so einem Thema nicht so einfach ist. Aber ja, ich habe ja, also der Roman besteht ja auch aus sehr vielen Rückblenden auf eben die Kindheit, auf die Schulzeit, auf die ersten Erfahrungen, die man als junger Mensch so macht und die Idee dahinter war auch, dass es jetzt nicht nur dieser Krankheitsstrang ist, sondern dass man auch so ein bisschen zeigt, dass das eigentlich ein junger Mensch ist, dem eigentlich das Leben noch bevorsteht und dass auch so Dinge wie was macht man nach der Matura oder schafft man überhaupt die Schule, so Dinge, die einem sehr groß und extrem wichtig erscheinen, dann eigentlich nicht so existenziell bedrohlich sind, wie man denkt, wenn man dann eben mit solchen Themen wie eben Krankheit konfrontiert ist. Und es ist aber in einem Ton verfasst, der überhaupt nicht lamoyant oder weinerlich ist. Es sind teilweise auch sehr lakonische Sätze, mit denen eben Unfassbares ausgedrückt wird. Allein dieser Eingangssatz, der hat ja eine ziemlich niederschmetternde Lakonie. War das dein Ziel auch sozusagen nicht weinerlich, nicht zu lamoyant zu werden? Es gibt ja dann auch immer wieder so fast humoristische Passagen, zum Beispiel mit den Kolleginnen, die im selben Zimmer im Krankenhaus liegen. Da kommen ja immer wieder, das ist zum Beispiel eine, die im selben Zimmer im Krankenhaus liegen. Da kommen ja immer wieder, da ist zum Beispiel eine, die hat einen riesigen Koffer mit und sie fragt sich, als diese OP mit dem Herzschrittmacher stattfindet, und sie fragt sich, was macht die mit diesem riesigen Koffer? Und dann kommt sie irgendwann drauf, die hat da einfach ganz viele Chipspackungen und Schokolade gebunkert, weil das Krankenhausessen so schlecht ist. Eine andere spricht irgendwie in so einer albernen Fantasiesprache. Also das sind immer wieder so fast komödiantische Passagen auch. War dir das wichtig, dass es nicht zu schwer ist und zu weinerlich ist, was du da erzählst? Weil es ist ja eine harte Kost einfach per se. Ja, es war mir schon sehr wichtig. Ich war nur mir selbst sehr lange unsicher, ob es nicht eigentlich genau das ist, also ob es nicht tatsächlich wahnsinnig weinerlich wirkt, wenn man sich das durchliest, weil natürlich, wenn man so eine Geschichte schreibt und einen Teil davon auch ein bisschen selber erlebt hat, dann ist man da emotional wahrscheinlich auch noch mehr mitgerissen und es kommen viel mehr Emotionen hoch, als wenn man jetzt keine Bezugspunkte dazu hat. Deshalb dachte ich eben lange Zeit, dass es wie so ein, wie es sich wie ein Text liest, in dem sich diese Protagonistin eben selber leid tut und das war immer die größte Angst, dass ich mir gedacht habe, ich will auf keinen Fall, dass es sich so liest, in dem sich diese Protagonistin eben selber leid tut und das war immer die größte Angst, dass ich mir gedacht habe, ich will auf keinen Fall, dass es sich so liest und deshalb freut es mich sehr, dass es anscheinend nicht so wahrgenommen wird und ich glaube, dass man auch einfach selber als Autorin wahrscheinlich strenger zu sich selbst ist, als es die Lesenden sind, einfach weil man dann auch so diesen Text hundertmal liest und dann schreibt man was um und dann kommt noch was dazu und dann am Ende kann man, also ich kann glaube ich auch die ersten zehn Seiten wahrscheinlich ausführlich jetzt aufsagen, weil ich sie schon so oft gelesen habe, also irgendwann ist dann auch so ein Punkt erreicht, wo man einfach denkt, oh Gott, alles, was ich geschrieben habe, ist komplett blöd und irgendwie niemand wird das lesen und niemand wird sich dafür interessieren. Deshalb ist es ja auch ganz gut, dass es dann Lektoren und Lektorinnen gibt, die da eben nochmal drüber schauen und einem da auch so ein bisschen die Sicherheit geben, dass die eigenen strengen Gedanken, die man eben über den eigenen Text hat, doch nicht so zutreffen. Dann schlage ich vor, wir lernen die 20-jährige Lilly kennen und bereits nach der OP. Das heißt, sie hat bereits einen Herzschrittmacher und muss zu einer Kontrolle. Sechs Wochen nach der Operation sitzen meine Mutter und ich erneut im Wartezimmer meiner Kardiologin und ich starre erneut auf die Abbildung des Herzens an der Wand, betrachte das Organ und die Beschriftung. Rechter Vorhof, rechte Herzkammer, Hauptschlagader. Linker Vorhof, linke Herzkammer, Herzmuskel. Auf dem Tisch vor mir liegt eine Broschüre. Die knalligen Farben brennen in den Augen, wenn man zu lange hinsieht. Das Titelbild zeigt einen Mann mit der grautem Haar, der auf einer Schaukel in der Luft schwebt. Zwischen seinen Beinen sitzt der Enkelsohn, strahlt ihn an und auch der Mann strahlt, sieht so glücklich und unbeschwert in die Kamera, dass ich wegschauen muss. Ein Schritt in Richtung Freiheit. Unser Herzschrittmacher schenkt nicht nur Leben, sondern auch Lebensqualität, damit sie auch im fortgeschrittenen Alter die kostbaren Momente genießen können. Das Pflaster auf meinem Schlüsselbein juckt. genießen können. Das Pflaster auf meinem Schlüsselbein juckt. Ich wende den Blick ab und bemühe mich, meiner Mutter zuzulächeln, die neben mir sitzt. Das Lächeln misslingt, fühlt sich unecht und falsch an. Es rutscht in meinem Gesicht herab wie Regentropfen an einer Fensterscheibe. Ich weiß nicht, ob sie es bemerkt. Und, wie geht's? fragt die Kardiologin, als ich wenig später auf dem kalten Untersuchungsstuhl sitze. Sie mustert mich zugleich erwartungsvoll und skeptisch, als wäre ich eine seltene Salamanderspezies, die man aus dem Regenwald hat einfliegen lassen. Ganz gut, besser als das letzte Mal, als ich hier war, versuche ich es mit einem Scherz. Ganz gut, besser als das letzte Mal, als ich hier war, versuche ich es mit einem Scherz. Die Miene der Ärztin bleibt nach wie vor ernst und hart. Sie starrt mich wie durch ein Vergrößerungsglas an, fragt in einem kühlen Ton, wie die letzten Wochen verlaufen seien, ob ich mich müde gefühlt, wie ich geschlafen habe, wie oft ich die Schmerzmittel genommen habe und ob ich den linken Arm noch bewegen könne. genommen habe und ob ich den linken Arm noch bewegen könne. Ich sage, dass die Müdigkeit weg sei, aber dass ich nachts oft wach liege und nicht einschlafen könne, weil es in meiner Brust poche und poche. Mit monotoner Stimme sagt sie, naja, wahrscheinlich muss man die Frequenz hinunterschalten und den Schrittmacher umprogrammieren. Sie zuckt mit den Schultern. Ich sage, dass ich den linken Arm sechs Wochen lang nicht über meine Schulter gehoben habe, dass ich Schmerzen vom Dreieckstuch habe, das ich nachts trage, dass ich der Arm taub anfühle und wie ein nutzloses Anhängsel an mir herunterhänge. Sie tippt auf der Tastatur herum, wirft meiner Mutter einen prüfenden Blick zu, fragt, ob es mir beim Anziehen und Waschen und Haare kämmen geholfen habe. Und meine Mutter sagt ja. Sie habe mir anfangs, als die Schmerzen zu groß waren, noch geholfen. Später hätte ich meine eigenen Strategien entwickelt und sei unabhängiger geworden. Trotzdem habe sie mich nie aus den Augen gelassen. Man wisse ja nie. Ich sitze etwas verloren auf der Untersuchungsliege und höre meine Mutter und meine Kardiologin über meinen Kopf hinweg reden. Fast klingt es, als würde meine Mutter mich loben. Sie kann sich jetzt schon ganz alleine anziehen. Letzte Woche hat sie es geschafft, sich mit einer Hand an den Pferdeschwanz zu binden. Ja, hat einige Versuche gebraucht, aber immerhin. Soll ich jetzt meine Wasserflasche auspacken? Dann kann sie auch noch damit angeben, wie gut ich alleine trinken kann. Meine Kardiologin sagt, vermutlich braucht sie eine Massage, damit sich die verspannten Muskeln lösen. Ich lege mich auf den Rücken und sie klebt die EKG-Elektroden auf, wartet, statt gespannt auf den Bildschirm sagt nichts, betrachtet die Grafik, die steigt und sinkt, genau wie mein Brustkorb sich hebt und senkt, während sich in meiner Magengegend dieses mulmige Gefühl breitmacht. In meinem Kopf beginnt es zu rattern. Ich schlucke die aufkommende Säure in meinen Mund hinunter, warte und warte, zwinge mich, weiter zu atmen. Da stimmt etwas nicht. So etwas habe ich noch nie erlebt. Der Herzschrittmacher hat nichts verändert. Der Herzschlag ist immer noch zu langsam. Innerlich wappne ich mich für diesen Satz, der schon regelrecht in meinen Ohren dröhnt und dessen Wuch mich trifft wie ein Schlag in die Magengrube. Ich sehe den Schock im Gesicht meiner Mutter, die ratlose Miene meiner Kardiologin und die fassungslosen Gesichtsausdrücke all jener Ärzte und Ärztinnen, die eine Zweitmeinung abgeben sollten. Sie wissen nicht wieso, es gibt keine Erklärung, höre ich mich meinen Freundinnen sagen, während sie mir unverständliche oder mitleidige oder tief traurige Blicke zuwerfen. Ich spüre den Schock. Ich spüre meine eigene Fassungslosigkeit, meine Trauer und die Scham. Jeder Muskel meines Körpers ist angespannt. Das EKG piepst. Die Kardiologin sieht auf. Sie lächelt. Alles in bester Ordnung. Die Frequenz ist ausgezeichnet. Der Schrittmacher leistet gute Arbeit. Ganz wunderbar. Ich blinzle. Der böse Tagtraum löst sich in Luft auf. Das Déjà-vu verschwindet. Der Schrittmacher leistet gute Arbeit. Die Kardiologin entfernt die Elektroden und verkündet, jetzt möchte ich das Pflaster entfernen und die Fäden ziehen. So, als gäbe es bald Torte und danach Geschenke. Die Wunde liegt frei auf meiner Haut. Sie atmet die Luft ein und sieht zum ersten Mal die Welt ohne ihre Schutzdecke. Das Pflaster liegt einsam im Mülleimer, es klebt noch ein wenig Kruste daran. Ich betrachte die Wölbung, untersuche den Schnitt, die abgeheilte Kruste, den leichten Bluterguss rundherum. Ich sehe nicht hin, als die Fäden gezogen werden, knallfe die Augen zusammen wie beim Kerzen ausblasen. Atme scharf ein, als es sticht. Puste die Luft wieder aus und wünsche mir was. Niemand singt Happy Birthday, niemand klatscht. Dafür sagt die Ärztin, dass der Kollege sehr gute Arbeit geleistet habe. Die Narbe sei wunderschön geworden, gut verheilt, der Schrittmacher gut eingewachsen. Happy Birthday, schritt die. Hoch sollst du leben. Der Titel Gratulieren müsst ihr mir nicht, der spielt ja ein bisschen darauf an, wie das Umfeld auf diese unglaubliche Krankheit reagiert. Also viele bemitleiden natürlich diese Lillipä, die Ich-Erzählerin, greifen sie vielleicht samt Handschuhen an. Welche Reaktion würde Sie sich denn wünschen? Ein bisschen weniger Mitleid und einfach ein bisschen mehr Akzeptanz beziehungsweise einfach ein bisschen mehr das Gefühl vermittelt zu bekommen, dass es jetzt nicht wahnsinnig schlimm ist, was es ja eigentlich ist. Aber ich denke, in so einem Moment hilft es dann auch nicht, wenn man von allen Seiten gesagt bekommt, wie schrecklich etwas ist, was es ja eigentlich ist, aber ich denke, in so einem Moment hilft es dann auch nicht, wenn man von allen Seiten gesagt bekommt, wie schrecklich etwas ist, sondern da wäre es dann vielleicht an irgendeinem Punkt auch ganz gut, das einfach wie etwas Alltägliches zu behandeln. Genauso wie es ja auch alltäglich ist, dass ich weiß nicht, junge Leute eine Brille bekommen, die alte Leute ja auch tragen. Also natürlich ist ein Herzschrittmacher etwas deutlich gravierenderes, aber irgendwann reicht es dann halt auch mit dem Mitleid. Gratulieren müsst ihr aber nicht. Dieser Debütroman und du bist ja sehr, sehr jung, eben jetzt 24 Jahre alt, wurde ja 2025 mit dem Rauriser Literaturpreis ausgezeichnet. Warst du da überrascht, dass das gleich so einen Erfolg hat? Ja, also ich hätte mir nie gedacht, dass es überhaupt für einen Preis nominiert wird. Es war ja auch beim Rauriser Literaturpreis nicht so, dass der Verlag das eingereicht hat, sondern es hat ja eine Jury selber ausgewählt und auf eine Shortlist gesetzt. Und ich habe das gar nicht so mitbekommen. Mir wurde dann auf Instagram von einer Autorinnenkollegin wurde mir geschrieben, dass ich eben auf dieser Shortlist stehe und ich habe es mir gar nicht glauben können. Und dann eben noch weniger, dass ich überhaupt den Preis auch wirklich bekommen habe. Also ich glaube, das war für mich generell so ein bisschen ein wildes Jahr, weil ich erst mal realisieren musste, dass ich einen Verlag für dieses Buch habe, dass dieses Buch in den Buchhandlungen liegt, das Lord ist tatsächlich Lesen und dann irgendwie auch noch diesen Preis obendrauf. Das war schon etwas, womit ich nicht gerechnet habe. Und was ich noch immer nicht so ganz realisiert habe, glaube ich. Gut, dann gratulieren wir noch einmal. Vielen Dank für die Lesung. Gratulieren müsst ihr mir nicht. Ist im Schöffling Verlag erschienen und auch dieses Buch können Sie natürlich erwerben. Und die Autorin wird gerne für Sie signieren. Vielen Dank für das charmante Gespräch an beide Autorinnen und vielen Dank für die Aufmerksamkeit und dass Sie gekommen sind. Vielen Dank. der Autorinnen und vielen Dank für die Aufmerksamkeit und dass Sie gekommen sind. Ja, auch ich möchte mich noch im Namen des Stifterhauses bei Jacqueline Scheiber und bei Lili Polanski für die Lesungen bedanken. Es war sehr schön, dass ihr heute bei uns wart. Herzlichen Dank. Und ich möchte auch noch mich bei Christine Scheucher bedanken, dass sie 2025 die Moderation der Reihe übernommen und mit ihren Gesprächen die Abende in besonderer Weise bereichert hat. Auf dem Büchertisch ist schon kurz hingewiesen worden, Sie finden ihn hinten am Ausgang. Mein Kollege Lukas Kaiser hilft Ihnen gerne weiter. Er ist heute in Zusammenarbeit mit der Buchhandlung Fürstlberger zustande gekommen. Und wie schon angekündigt, die Autorinnen signieren gerne ihre Werke. Besuchen Sie uns auch gerne kommenden Dienstag um 19.30 Uhr wieder. Dann haben wir in der Reihe Denken, Leben, Schreiben, Positionen und Welthaltungen österreichischer AutorInnen Anna Mittgutsch zu Gast. Das Gespräch mit ihr wird Michael Kerbler führen. Ich hoffe, Sie haben den Abend genossen und bis hoffentlich bald wieder hier im Stifterhaus. Vielen Dank und auf Wiedersehen.