Vielleicht unterscheiden wir Theorie und Praxis bei dieser Frage. In der Theorie ist der Beitrag, den eine Inklusionsforschung leisten könnte, recht hoch. In der Praxis müssen wir feststellen, dass Österreich ein Land ist, in dem die Frage der Transparenz politischer Prozesse und die Rolle, die Forschung dabei spielt, Politik und Politikbereiche wirklich evidenzbasiert zu gestalten, relativ gering ist. Wir haben es gesehen im Kontext der Umsetzung des letzten nationalen Aktionsplans Behinderung. Ich war Teil eines Teams, das diesen nationalen Aktionsplan evaluiert hat. Ein großes Thema in der Umsetzung war die Frage nach geeigneten Indikatoren. Geeignete Indikatoren für etwas zu finden, setzt voraus, dass man sich gemeinhin klar ist, welche Ziele man eigentlich verfolgt. Erst zu diesem Punkt macht es Sinn, sich zu überlegen, anhand welcher Kennwerte können wir feststellen, dass wir diese Ziele auch erreicht haben. Der Prozess des Nationalen Aktionsplans Behinderung der letzten zehn Jahre hat, so ist es die wesentliche Einschätzung, der meisten Akteurinnen der Zivilgesellschaft, aber auch der öffentlichen Verwaltung nicht dazu beigetragen, die Lebensbedingungen von Menschen mit Behinderungen zu verbessern. Würde hier ein klarer politischer Wille existieren, könnte eine Inklusionsforschung so einen Prozess sicherlich auch gewinnbringend begleiten. Ich glaube, eine der großen Herausforderungen besteht darin, dass das System so wie es besteht, wie es funktioniert und wie es sich historisch entwickelt hat, grundsätzlich nicht darauf angelegt ist, inklusiv zu funktionieren. Im Laufe der Zeit haben unterschiedliche Erwartungen geherrscht, unterschiedliche Vorstellungen und Bilder von Menschen mit Behinderungen und Systeme der Behindertenhilfe haben sich diesen Erwartungen ein Stück weit angeglichen und haben letztlich mit der Art und Weise ihres Bestehens Legitimität versucht aufrechtzuerhalten. Wir haben in den letzten 20, 30 Jahren eine Reihe an Entwicklungen gesehen, zu guter Letzt die UN-Behindertenrechtskonvention und diese Forderung einer zunehmend inklusiven Orientierung in diesen Systemen. Und wir müssen aber immer wieder feststellen, dass die Art und Weise, wie Institutionen, insbesondere hochgradig institutionalisiert und geschlossene Strukturen, kaum dazu in der Lage sind. Ein ganz ganz kurzes, auch sprachliches Beispiel in einem ganz jüngst veröffentlichten Buch, dass sich das System der Werkstätten für behinderte Menschen in Deutschland zum Gegenstand nimmt. Sagt Heinrich Greving, ein deutschsprachiger Forscher, macht einfach nur am Beispiel der Art und Weise, wie wir Sprache verwenden, sehr klar, mit welchen Widersprüchen wir es eigentlich zu tun haben. Und er sagt, wir sprechen von Werkstätten für behinderte Menschen. Wir haben ein Unterstützungssystem für behinderte Menschen. Wir sehen in diesem Für eine historisch gewachsene, paternalistisch bevormundende Orientierung. Greving zeigt sehr schön auf, dass der Begriff Für immer auch ein Gegen impliziert. Wir kennen das aus der Medizin. Eine Medizin für die Influenza ist eine Medizin gegen die Erkrankung. Er bringt das Beispiel einer Fußfessel für straffällige Menschen. Das ist gleichzeitig eine Maßnahme gegen gefährliche Personen. Insofern haben wir es nach wie vor ganz stark mit einer Traditionslinie in der Behindertenhilfe zu tun, die auch modernere Entwicklungen nicht überwunden haben. Dass wir nicht mit Menschen unter der Perspektive wer ist dieser Mensch und was braucht diese je individuelle Person, sondern dass wir nach wie vor in Systemen denken, planen und konzipieren die Menschen ganz, ganz stark homogenisieren und es wiederum andere Stellen sind, die sagen, was für einen Menschen gut und richtig ist. Das ist wahrscheinlich eine der großen und am schwersten zu beantwortenden Fragen. Ich denke, eine der großen Herausforderungen liegt daran, dass es Menschen grundsätzlich immer schwerfällt, sich Dinge vorstellen zu können, die sie so nicht kennen, wo ihnen Bilder fehlen, wo ihnen Erfahrungen fehlen. Ich merke häufig, dass wenn Menschen gefragt auch eine Aufstellung für Inklusion einzunehmen, dann sieht man sehr häufig, dass Menschen sich intuitiv in die Form eines Kreises bringen. Und in dieser Form liegen sehr viele versteckte Bilder und Annahmen und Zuschreibungen enthalten, die ich grundsätzlich für problematischer denn für förderlicher achte. Weil es liegt das Bild darin, dass Menschen alle gleich sind, dass wenn es Menschen gelingt, harmonisch und friedvoll, harmonisch miteinander zu sein, dann würde sich Inklusion einstellen. Und ich denke, eine der Grundherausforderungen und für mich auch eine der Grundessenzen von Inklusion ist die Frage, wie gelingt es mir, wie gelingt es uns, mit Menschen, mit Dingen umzugehen, die vor dem Hintergrund meiner Lebenswelt, meiner Erfahrung, in dem was ich kenne, für mich noch unvertraut und fremd sind. Und wenn wir uns anschauen momentan, was in unserer Welt geschieht, aktuell mit Blick auf Covid und die ganzen Spaltungen in unserer Gesellschaft und wir wahrnehmen, wie schwer es uns fällt, Unterschiedlichkeit, unterschiedliche Positionen zuzulassen, dann denke ich, ist dieser Aspekt oder diese Herausforderung, Wege zu finden, wo Menschen, die unterschiedlich sind, einen Weg finden können, nicht in Harmonie unbedingt miteinander zu leben, aber gut miteinander zu leben in einer Art und Weise, wo Respekt und Achtung vor dem Anderssein die Grundlage bildet und nicht der Zwang zur Konformität, also der Zwang zum Gleichsein müssen. Und als solches wäre für mich in einer Utopie und einer Vision irgendwann einmal in einer inklusiven Welt Inklusion genauso ein Grundrecht wie die Meinungsfreiheit, wie die Versammlungsfreiheit, das Recht auf Vielfalt, das Recht darauf, dass Unterschiede ernst genommen und wahrgenommen werden und dass Menschen für sich dabei ihren jeweils eigenen individuellen Ausdruck finden können.