Guten Abend, ich lese aus dem Text, wenn unsere Spezies schwächelt, einen Corona-Text. Frühlingsanfang 2020, erster haubenloser Tag, punktgenau. Erster haubenloser Tag, punktgenau. Um Mitternacht, dann mehrfaches haubitzenhaftes Donnern. Das Gefühl dabei in der Kindheit mir vermittelt, jetzt greift auch noch der Russe an. Holt sich mit zwei, drei gezielten Schlägen das Corona-gelähmte Europa. Angst hinauszuschauen, ob Atompilze zu sehen wären. Zuerst noch immer nicht klar, ob auch wirklich Gewitter. Wie der in seinem Tessinerhaus von der Außenwelt abgeschnittene, verwitwete Herr Geiser in der Mensch erscheint im Holozän, jener späten Erzählung von Max Frisch von 1979, der während nach tagelangem Regen die Hänge zu rutschen anfangen, ratlos Bagoden aus Kneckebrot baut und verschroben zwischen Polterdonner, Knalldonner oder Paukendonner unterscheidet. Zur Melodramatik neigend sehe ich das Finis humani generis ganz schnell kommen aus einer Ecke, aus der es keiner vermuten würde, wie bei den Sauriern. Obwohl die Menschheit alles tat, um sich mit System auszurotten, kam das Ende aus einer anderen Ecke. Es begann mit außertuerlichen Ferien. Eine Leichtigkeit überkam die Leute, während die Horrorzahlen exponentiell hochschnellten. die Leute, während die Horrorzahlen exponentiell hochschnellten. Wie zum Spott erspross der Frühling schöner denn je und wurde erstmals, da die Hamsterräder blockiert waren, seit langem wieder wahrgenommen. Sie alle würden den Neuen, den Endtod, dahingehen, den, der ihrer Gattung den Garaus machte. Einer der wenigen, die sich noch in einen traditionellen Tod hatten abschwingen können, war jener 66-jährige Skifahrer, der sich bei einem Sturz den Skistock in die Brust gerammt hatte, die Fahrt noch fortsetzen konnte und später beim Mittagessen bewusstlos zusammengebrochen war. Wenn die Pandemie ihre Mäher anwirft, sind die, die noch eines alten Todes sterben, zusehends die Ausnahme. Wenn einer in die Pest, in den schwarzen Tod hinein, gerade noch einen nicht schwarzen Tod stirbt, durch herabfallenden Ast, ausgelöste Lawine, Blitzschlag, Unfall, so ist der wie ein Widerspruch, wie der Borst zur allgemeinen Chemrichtung des Verhängnisses, förmlich ein Gentleman, der sich in das alte Kapitel gerettet hat, bevor definitiv die geschwärzten Seiten beginnen. It's the end of the world as we know it. Kein stummer Frühling jetzt, wie Rachel Carson einst befürchtete, sondern ein durch die neue Stille redender, zwitschernder. Ich erinnere mich an die späteren 1960er, als ich mit der Großmutter abends durch die Siedlung ging und es ruhig wie jetzt war. ich mit der Großmutter abends durch die Siedlung ging und es ruhig wie jetzt war. Wie würden wir schauen, hören, riechen, wenn wir mit einem Schnipp, mit einem Umlegen des Schalters zurück wären in den 1960ern. Womöglich wollte man von dort nicht wieder retour ins Jetzt. Ich höre die Vögel, ihre Stimmen sind lauter. Sind sie unsere zwitschernden Totenglöcklein? Die Natur würde bei unserem Abgehen noch einmal so richtig schön, ja immer schöner. Kein Dramaturg hätte es so erfinden können, dabei ist alles so einfach. Die Natur gibt sich uns noch einmal in alter Fülle und entzieht sich uns, zeigt noch einmal ihre Früchte und zieht sie weg, wie bei Tantalus. Fruchtbare Bäume neigten um seine Scheitel die Zweige, voll balsamischer Birnen, Granaten und grüner Oliven. Oder voll süßer Feigen und rötlich gesprenkelter Äpfel. Aber sobald sich der Greis aufreckte, der Früchte zu pflücken, wirbelte plötzlich der Sturm sie empor zu den schattigen Wolken. Odyssee, elfter Gesang in der Übersetzung von Voss. Es war der Philosoph Wilhelm Weischedel, der von abschiedlichem Denken sprach. Die Welt wird von dem Abscheidenden, Verscheidenden, Verschieden. Sie zieht sich in ihr Leben zurück. Die Welt wird von dem Abscheidenden, Verscheidenden, Verschieden. Sie zieht sich in ihr Leben zurück. Wir werden nicht eins mit der Erde, sondern die Erde wird wieder eins mit sich, während sie uns abscheidet oder wir uns von ihr abscheiden. Und sie leuchtet in ihrer alten Pracht abermals auf, zeigt uns, was sie uns hätte sein können, die, und das ist die List, nicht wir verspielten, sondern die wir uns selber verspielten. Ich denke auch an gewisse Sätze Adornos, wo das Utopische entzughaft von den Gegenständen und Landschaften abstrahlt, wie ein in Purpurpulver getauchtes Abendrot. wie ein in Purpurpulver getauchtes Abendrot. Der Schwan, der Delfin, schwimmt dank Photoshop wieder in Venedig ein, wie zu den Toretto-Zeiten. Nur Tage braucht er es, bis es sich klart, die Natur stünde zur Regeneration bereit, bis die Luft sich klart, das Wasser, bis wie in den letzten Tagen der Menschheit von Karl Kraus, Stunde um Stunde, eine Narrheit nach der anderen, die uns in Bann hielt und deren wegen wir uns entzweiten, von uns abfällt, sich abscheidet. Es ist ein Karneval mit Abschiedscharakter. Wir Menschen waren keine guten Noas. Wir hätten höchstens der Bordkanonier sein können, wie ihn die Zoosphäre sonst nicht hat. Mit immer größerer Destruktionsmacht, von Zins und Zinseszins gepeitscht, von den Nullen gefoltert und in die Megalomanie des abstrakten Hasards getrieben, Manie des abstrakten Hasards getrieben, unter dessen Blutsaftpresse das tausendjährige Holz der Urwälder schreit, hatten wir innerhalb zweier, dreier Generationen den Weltbestand bis knapp vor die Wand gefahren. Doch all die der Natur zugefügten Verluste kommen noch nicht den Verlusten gleich, die ein fernkünftig einschlagender Asteroid mit ziemlicher Sicherheit einmal wieder anrichten würde, den von allen Tieren hinieden einzig das sogenannte intelligente Tier technisch abzuwehren Verstände. Möchte die Natur vorerst aufatmen, wenn wir Halbgott-Tiere, die das Maß verloren haben oder es nie hatten, von Bord gehen, ja in neue Zehn- und Hunderttausende, so nicht wieder Millionen Jahre fortwachsen, so hat sie doch ihren trefflichen Kanonier eingebüßt, den Bordschützen der Arche Noah und deren Ausschauhalter. Unerwartet also doch noch lange nachblühende Erde wird dann das Verwilderte schließlich recht bald als solches unkenntlich gewordene Grab sein, ihres größten Talents, des Animal Nobilissimum. Selbst Tapire könnten den Menschen verwunden haben, ihn übertauchend. Es kann sie getrost noch einmal 30 Millionen Jahre geben, in kaum je sich verändernder Gestalt. Sie sind Symbol für niemanden mehr. Nun geht statt unserer technologischen Aneignung die schon für abgetan erachtete uralte Evolution des Erdgeists sich wieder selbst übereignet weiter. Neue Arten werden selbsttätig kommen, wie kein Mensch sie je erblickt und ersonnen. Es bleiben auf Erden unsere giftigen, schwerstverdaulichen Hinterlassenschaften. Kein schönes Paket. Die Erbschaft der dann langsam korrodierenden, sich selbst überlassenen Atomkraftwerke. Könnte trotzdem die Evolution dies alles überwinden, überwachsen? Könnte trotzdem die Evolution dies alles überwinden, überwachsen? Der aber wäre verschieden, abgeschieden, den man einst an der Wiege der Zivilisation gesungen hatte. Dies alles, diese ganze Natur sei ihm zuliebe geschaffen. Wie Moses das gelobte Land noch sah, ohne es betreten zu dürfen, so sehen wir die sich uns entziehende und in ihr Sein zurücktretende, gleichzeitig vor- und aufscheinende, eigentlich immer uns substanziell fremdgewesene Natur auffahren in ihrem Sonnenwagen, wie sie uns doch noch unter die Räder bekam. Oder schaffen wir es? Wollten wir dann zurück in den alten Lärm, die alte Hast, die alte Verschwendung, den alten Verschleiß an Material und Mensch? Nicht würde die Lieblichkeit die Dolcezza jenes Bühnenbildes vergessen, vor dem der Mensch Wochen und Monate lang in den Abgrund seines Endes sah. Das ist aus der Anthologie Corona, eine Anthologie herausgegeben von Helga Pregisbauer und Eleonore Weber, erschienen in Edition Transit 2021. Sehr zu empfehlen. Vielen Dank.