Schönen guten Abend, liebe Damen und Herren, grüße euch liebe Freunde. Ich begrüße euch zur Vorlesestunde im Dor bin der Kurt Mitterndorfer und ich lese heute aus einem Projekt, an dem ich sehr lange schon arbeite. Ich bin im Rahmen vom Verein Zuflucht sehr oft konfrontiert mit Menschen, die mir erzählen aus ihrer Vergangenheit, aus ihrer Heimat und von ihrem Weg von dort nach hier und von ihren Erfahrungen hier. Darüber lese ich heute einen Teil meiner Texte. Das musst du dir einmal vorstellen, Das musst du dir wirklich einmal vorstellen. Er hat mir das gestern erzählt in einer Pause im Pausenraum. Ich wollte eigentlich nur meine Ruhe haben, weil ich ohnehin die ganze Stunde geredet und erklärt habe. Aber dann stellt er sich zu mir und erzählt mir das. Er ist mit seinem Bruder in ihrer Hauptstadt mitgegangen zu so einer Demonstration, wie es sie damals immer gegeben hat. Und es war schön, blauer Himmel und Sonnenschein. Und sie sind in die Stadt hineingefahren mit so einem Auto, hinten oben auf der Ladefläche. Man kennt das, man sieht das ja öfter im Fernsehen, wenn aus diesen Krisengebieten berichtet wird. Da sind sie hinten oben gestanden, zu zehnt oder so und irgendwo sind sie dann von der Ladefläche gesprungen und sind einfach mit den anderen mitgelaufen in Richtung Zentrum. Und es sind immer mehr Menschen geworden. Von allen Seiten sind sie dann auf diesen großen Platz zusammengekommen, mit Transparenten und mit Fahnen, wie man das auch von uns kennt. Und Megafone haben manche Menschen auch mitgehabt. Und dann waren sie auf dem Hauptplatz. Und es sind immer mehr Menschen geworden. Und die zwei Brüder waren auch dabei. Mitten drinnen in der Menge. Und dann ist es losgegangen mit den Sprechchören. So wie bei uns, nur eben in ihrer Sprache. Und einige sind mit Fahnen auf ein Denkmal hinaufgeklettert und es ist immer lauter geworden und es sind immer noch mehr Menschen auf den Platz gekommen. Und sie haben immer lauter Parolen gegen Assad gebrüllt. Und die Stimmung ist immer aggressiver geworden und die Transparente haben sie geschwungen und gebrüllt haben sie. Und zuerst hat man es noch gar nicht gemerkt. In der Mitte der Menge, hat er gesagt. Aber anscheinend haben die Ersatzsoldaten schon irgendwo gewartet und plötzlich ist es losgegangen. Und dann haben sie es mitbekommen, sein Bruder und er, dass es immer enger wird auf dem Platz. Und auf einmal haben sie Schüsse gehört. Und dann war ganz viel Rauch in der Luft und die Augen haben zu brennen begonnen. Das war von den Tränengranaten, die die Soldaten in brennen begonnen. Das war von den Tränengrasgranaten, die die Soldaten in die Menge geschossen haben. Und die Leute wollten davonlaufen, aber es waren zu viele Menschen. Und es gab auch keinen Ausweg, weil auf einmal alle Straßen, die vom Platz weg geführt haben, von den Soldaten abgeriegelt worden sind. Und auf einmal sind die Soldaten mitten in der Menge gewesen, mit Vollvisierhelmen und durchsichtigen Schutzschildern aus Plexiglas, damit sie sehen haben können, was vor ihnen passiert. Und damit sie trotzdem geschützt sind gegen Wurfgeschosse. Und Schlagstöcke haben sie in den Händen gehabt und eingeprügelt haben sie auf die Leute. Einfach nur zugedroschen haben sie, ohne zu schauen, einfach zugedroschen, eingedroschen auf die Leute. Und die haben sich gar nicht wehren können. haben sie ohne zu schauen einfach zugedroschen, eingedroschen auf die Leute. Und die haben sich gar nicht wehren können. Die haben nur die Hände über die Köpfe gehalten zum Schutz. Und manche haben sich dann gewehrt gegen die Soldaten und haben mit den Stangen von ihren Transparenten zurückgeschlagen. Und dann ist es immer ärger geworden mit den Transparenten und mit dem Tränengas und mit dem Prügeln. Und dann hat man ganz viele Pfiffe gehört, von überall her. Und auf einmal ist es geschossen worden und sein Bruder hat ihm ins Ohr gebrüllt, dass sie jetzt schnell verschwinden müssen, weil man nicht weiß, wie das weitergeht. Und sie haben sich bei der Hand genommen und sein Bruder hat ihn Richtung Platzrand und hinaus aus der Mitte des Platzes gezogen, aber sie sind nicht recht weiter gekommen, weil so viele Menschen da waren. Aber dann ist es auf einmal ganz schnell gegangen und sie sind am Rand des Platzes gewesen, weil anscheinend ganz viele Menschen in eine Richtung gedrängt haben. Und da haben sich die Soldaten gegen die vielen Leute nicht mehr wehren können. Und sein Bruder und er sind gerannt mit den Menschen, Hand in Hand. Und die Leute haben geschrien und dort und da ist schon jemand umgestoßen worden, weil er zu langsam gewesen ist. Und geschossen haben sie wieder, die Soldaten. Und auf einmal hat er gespürt, dass sein Bruder seine Hand ausgelassen hat. Und er hat hinübergeschaut zu ihm nach links und er sieht, dass sein Bruder so komisch schaut und die Augen verdreht. Und er dreht sich zu ihm hinüber und auf einmal knicken seinem Bruder die Knie ein und er fällt hin und dann sieht er, dass ihm Blut aus dem Ohr rinnt. Und er bückt sich hinunter und will ihm aufhelfen in dem Chaos. Und in dem Moment merkt er, sein Bruder bewegt sich nicht mehr. Sein Bruder ist tot. Sie haben ihn erschossen, direkt neben ihm. Neben ihm, keine zwei Meter links von ihm haben sie ihn erschossen, seinen Bruder. Sie stand auf dem Platz bei den Brunnen und die Männer hielten sie fest. Hielten sie fest, damit sie sich nicht wehren konnte. hielten sie fest, damit sie sich nicht wehren konnte. Sich nicht wehren konnte gegen die, die sie bespuckten und mit dem verfaulten Obst, das unter den Bäumen lag, bewarfen. Sie konnte es nicht glauben, was da mit ihr passierte. Warum diese Menschen, die sie alle kannte, sie bespuckten und mit verfaultem Obst bewarfen? Was hatte sie angestellt, dass sie das mit ihr taten? Niemand getraute sich das zu fragen, weder die, die sie bespuckten und bewarfen, noch sie selbst. Es war so. Es war einfach so. Immer häufiger passierte es, dass die Männer kamen und jemanden mitnahmen, ohne Erklärung, ohne auf das Weinen der Familienmitglieder zu achten, mitnahmen und hinzerrten auf den Platz beim Brunnen. Dort auf dem Platz wurden auch die umgebracht, die sich nicht an die neuen Regeln mit der fremden WM erhielten. Aufgehängt. Aufgehängt. Aufgehängt und hängen gelassen. Tagelang. Bis der Verwesungsgeruch sogar ihnen selbst, den fremden Männern, zu viel wurde und die Leichen heruntergeholt werden mussten von den Männern des Dorfes. den Männern des Dorfes. Der Zaun war mehr als drei Meter hoch. Ein elendslanges, hohes Gitter zog sich die Straße entlang. Auf der einen Seite eine überschaubare Menge von Männern in abgerissener Kneidung, manche mit Taschen, einige mit Rucksäcken. Auf der anderen Seite etliche Männer in Uniformen, mit Gewehren die einen, mit Schlagstöcken die anderen. Vor dem Zaun ein etwa vier Meter breiter Streifen, dahinter auf der drüberen Seite eine Straße. All das frisch angelegt schien es. Auf seiner Seite versuchten einige Männer vor ihm, die schon beim Zaun waren, daran hochzuklettern. Auf der anderen Seite liefen die Soldaten zusammen und schlugen mit ihren Schlagstöcken auf die Hände derer, die versuchten hinaufzuklettern. Etliche der Ihrigen hatten die kritische Höhe schon überwunden, bevor die Soldaten bemerkt hatten, dass wieder einige versuchten, den Zaun zu überwinden. Sie konnten die, die es geschafft hatten, mit den Stöcken nicht mehr erreichen. Die Männer kletterten höher und saßen dann oben auf dem Zaun und warteten. Jetzt versuchten einige andere, an einer entfernten Stelle den Zaun zu überwinden. Die Soldaten drüben wussten nicht, wie sie reagieren sollten. Sie entschlossen sich, nur zwei von ihnen an dieser Stelle zu belassen. Der Rest der Truppe lief dorthin, wo der neuerliche Versuch gestartet worden war. Auch dort schlugen sie, wo sie nur konnten, auf die Hände derer, die wieder versuchten, den Zaun hinaufzukommen. Jetzt kletterten an seiner Stelle weitere Männer auf den Zaun hinauf, ließen sich nicht abhalten von den mit Stöcken auf ihre Hände Einschlagenden. Als etwa 20 Männer ganz oben auf dem Zaun waren, sprangen sie auf ein Kommando drüben hinunter. Die zwei Soldaten schrien ihren Kollegen etwas zu und versuchten gleichzeitig die, die gesprungen waren, mit ihren Stöcken auf die Köpfe zu schlagen oder sie festzuhalten. Die, die nicht erwischt wurden, rappten sich auf und liefen über die Straße und verschwanden im Gebüsch. Die zwei von ihnen, die erwischt worden waren, wurden geschlagen, bis andere Soldaten kamen und sie mit Stricken fesselten. Jetzt sprangen an der anderen Stelle wieder etliche Männer vom Zaun. Die Soldaten wussten nicht, ob sie die zwei bewachen sollten, die sie gefangen und gefesselt hatten, ob sie die verfolgen sollten, die im Gebüsch verschwunden waren oder ob sie ihren Kollegen helfen sollten. Sie liefen zu ihren Kollegen. Jetzt war auch seine Zeit gekommen. Er kletterte den Zaun hoch, sprang hinunter, rannte so schnell er konnte drüben auf das Gebüsch zu und suchte sich einen Weg in die Freiheit. Hinter sich hörte er Schüsse, aber er drehte sich nicht um und lief weiter, so schnell er konnte. Der nächste Text handelt von dem berühmten Moria Camp of Lesbos. Als es noch Moria war, jetzt heißt es ja Karatepe und ist ein bisschen an einer anderen Stelle. Man kommt hier nicht an, dieser Feuchtigkeit, dieser Nässe, man kommt hier nicht an, alles ist feucht, zumindest feucht, du kriegst die Feuchtigkeit nicht weg, selbst wenn es am Tag halbwegs warm draußen wird, wenn du dich in die Sonne stellst, irgendwo unten am Meer zum Beispiel oder weiter hinten bei den Olivenbäumen, du spürst die Wärme zwar, solange du in der Sonne stehst, aber kaum, dass die Sonne hinter einer Wolke verschwunden ist, spürst du sie wieder, diese Feuchtigkeit. aus deinem Bart und du kannst nichts dagegen tun. Sie ist unsichtbar, unhörbar. Du spürst sie nur, diese Feuchtigkeit. Und wenn du sie am Tag manchmal vergisst, sie ist da. Sie bleibt da. Und in der Nacht, wenn du dann in deinen Schlafsack kriechst, der schon stinkt und der schon schwer ist von der Feuchtigkeit und von der Nässe und vom Dreck, dieser Schlafsack, den du tagsüber draußen auf das Zelt hängst, das auch nass ist, du hängst ihn trotzdem drauf, weil du hoffst, dass er trockener wird, wenn die Sonne auf ihn scheint. Aber dann musst du ihn wieder hineinlegen in das Zelt und den, der auch in diesem Zelt wohnt, auch in diesem Zelt schläft, bitten, auf ihn aufzupassen, dass ihn niemand stiehlt, diesen verdammten Schlafsack, während du dich um das Essen für euch beide anstellst, in dieser Stunde, in dieser einen Stunde, wenn du Glück hast, nur eine Stunde, der du dort stehst und wartest auf das Essen. Besser gesagt, auf die Verpflegung, Denn Essen kann man das, was sie dir dort meist geben, nicht nennen. Dieses kalte, klebrige Zeug, das du nicht essen willst, weil es so eigenartig fremd riecht und schmeckt, das du aber essen musst, weil du essen musst, dich ernähren musst, damit du nicht Kraft verlierst, damit du nicht krank wirst. Du brauchst dieses Essen, damit du halbwegs kraft hast kraft dich zu wehren zu werden gegen diese feuchtigkeit gegen diese kälte gegen diese unmenschlichkeit dieser dreck das geht nicht weg egal du tust, du kriegst ihn nicht weg. Überall dieser Dreck, den schleppst du herein in dieses Zelt. Er ist überall. Da kannst du noch so vorsichtig sein. Den bringst du nicht weg. Du hast ihn an den Füßen, er klebt an den Schuhen, er klebt an deinem Rock. Den bringst du nicht mehr weg. Du brauchst nur kurz hinauszugehen vor das Zelt und schon stehst du in diesem Dreck. Am Weg zur Toilette, nichts als Dreck, überall, wo du hingehst, nur Dreck. Morast, der kleben bleibt an deinen Schuhen, deinem Rock. Du kriegst ihn nicht weg, wie du den Dreck in dir selbst nicht wegkriegst. Den Dreck in dir, der wächst und wächst. Noch sieht man ihn nicht, aber du spürgst, den Dreck in dir. Der wächst und wächst. Noch sieht man ihn nicht, aber du spürst ihn, diesen Dreck. Und du weißt nicht, was du tun sollst mit all dem Dreck. Du kriegst ihn nicht los. Den auf dem Boden nicht und den in dir nicht. Er klebt an deinen Schuhen und deinen Füßen und deinem Rock, der eine. Und klebt an deiner Gebärmutter, der andere. Du kriegst sie nicht weg. Wärst du doch nicht auf die Toilette gegangen damals, mitten in der Nacht, dann wäre dir das nicht passiert. Und jetzt siehst du ihn alle paar Tage, diesen Dreckskerl, wenn du zur Toilette gehst. Und er schaut dich an und du weißt, was er denkt und du spürst, was er denkt, dieser Dreckskerl. Und du kannst dich nicht wehren gegen diesen Blick, der dich verfolgt, dich verfolgen wird, egal wo du hingehst, egal wo du hingehen wirst. Er wird dich verfolgen, dieser Blick. Du wirst ihn nicht vergessen, diesen Blick, diesen dreckigen Blick, diesen dreckigen Kerl, diesen verdammten Aufseher, dieses Schwein von Sicherheitsmann, der da mitten in der Nacht über dich hergefallen ist, hinter der Toilette. Nie wirst du ihn vergessen. Nach vielen Problemen und Schwierigkeiten und Tragödien kommen manche dann doch gut bei uns an, Schwierigkeiten und Tragödien kommen manche dann doch gut bei uns an, von diesen Menschen. Und wir vom Freien Zuflucht begleiten diese Leute dann oft zu den Verhandlungen. Darüber geht der nächste Text. 6 Uhr früh. Wir treffen uns bei der Information am Linzer Hauptbahnhof. Vier Erwachsene, drei Kinder. Wir grüßen uns coronamäßig mit Ellbogen und Faustkontakt. Es liegt Spannung in der Luft. Der Tag wird lang, das wissen wir. Lang und anstrengend. Anstrengend vor allem für die Erwachsenen. Wir gehen zum Bahnsteig 12 und warten auf den Zug. Auf den Zug nach Wien. Wien, Bundeshauptstadt. Stadt der Zukunft für zwei Erwachsene und drei Kinder. Stadt der Entscheidung über ein weiteres Leben. Stadt des BVWG, Bundesverwaltungsgericht. Dort wird heute entschieden, ob die Familie aus Afghanistan stammen und aus dem Iran nach Österreich geflüchtet, in Österreich bleiben darf oder zurückgeschickt wird nach Afghanistan. Nach Afghanistan, das, wie manche Menschen hier behaupten, ein sicheres Land ist. Liest man die Berichte in den Zeitungen und sieht man sie im Fernsehen, dann weiß man, dass dem nicht so ist. Nach Afghanistan, das die beiden Erwachsenen nur aus den Erzählungen ihrer Eltern kennen, weil die noch vor ihrer Geburt vor den Taliban auf Afghanistan in den Iran geflüchtet sind. Wir begleiten die Familie zu ihrer Verhandlung. In Wien mit der U-Bahn hinaus nach Erdberg. Dann warten und versuchen mit den kleinen Scherzen gegen die Anspannung zu machen, die Angst etwas zu mildern. Die Saaltür geht auf, die Familie wird hier eingerufen. Die Richterin verweist uns, den Vater, drei Kinder und die Kinder nach der Feststellung der Personalien des Saals. Die Mutter der Kinder wird einvernommen. Wir warten, spielen mit den Kindern, versuchen ihre Wartezeit so angenehm wie möglich zu gestalten. Der ältere Sohn, zehn Jahre alt, weiß, worum es heute geht. Die zwei Kleineren erleben einen Ausflug nach Wien, allerdings ohne Kinderprogramm. Nur ein trostloser, betonierter, zugiger Durchgangshof. Die kleine Tochter findet sogar hier Blumen, die sie pflückt und uns bringt. Wir gestalten damit ein Blumenbild für die Mutter. Unsere Anspannung und Nervosität dürfen die Kinder nicht mitbekommen. Nach drei Stunden Befragung und Erniedrigung kommt die Mutter völlig fertig aus dem Verhandlungssaal. Jetzt ist der Vater an der Reihe. Die zwei kleinen Kinder verstehen nicht, warum ihre Mutter so abweisend ist. Der Große schmiegt sich an seine Mutter. Sie muss stark sein. Meine Frau geht mit den Kindern hinaus, um der Frau aus Afghanistan Zeit zu geben, zur Ruhe zu kommen. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Stehe am Fenster und schaue hinaus. Hinaus auf diesen grauen Betondurchgangshof. Sie stellt sich neben mich, schaut mich an. Da kann ich mich nicht mehr halten, drehe mich zu ihr und streichle ihre Schulter. Sie lehnt sich an meine Brust und beginnt zu zittern und zu weinen. Ich drücke sie fest an mich, frage nicht, ob ich das darf, drücke sie einfach. Sie schaut mich an, weint, sagt nichts. Ich wische die Tränen aus ihrem Gesicht. Es war so schlimm, sagt sie nur. Später kommt meine Frau mit den Kindern zurück. Ich übernehme die Kinderbetreuung. Meine Frau und die Afghanin setzen sich abseits zusammen und bereden, was drinnen vorgefallen ist. Wir warten. Der Familienvater kommt nach mehr als zwei Stunden aus dem Saal, geht ohne ein Wort an uns vorbei auf die Toilette. Als er zurückkommt, erfahren wir, dass es bis zur Urteilsverkündung etwa eine Dreiviertelstunde dauern wird. Wieder warten, zittern, hoffen. Dann geht die Tür endlich wieder auf und wir dürfen in den Saal. Zu wenig Sessel, die Kinder sitzen bei den Eltern und bei mir. Die Richterin verkündet das Urteil. Wir müssen aufstehen. Ich nehme das kleine Mädchen in die Arme. Sie ist eingeschlafen und schläft weiter, während die Richterin das Urteil über sie verkündet. Die Familie erhält einen positiven Bescheid. Vater, Mutter und die Kinder sind jetzt Konventionsflüchtlinge. Sie dürfen in Österreich bleiben. Erst draußen vor der Tür fallen wir uns in die Arme. Und dann sind sie hier, diese Menschen, und da leben sie hier. Und dann erleben sie hier, wie die Menschen mit ihnen umgehen. Hamide. Habe sie noch, wer was braucht, auch Putzfrau, hat sie mich gefragt. Und ich habe zurückgefragt, warum sie jetzt zusätzlich Arbeit braucht. Ob denn etwas vorgefallen sei in ihrer Arbeit. Nein, nein, passt eh alles, im großen Büro, hat sie gesagt. Hamide, unsere Putzfrau. Aber in Fahrschule geht nimmer. Haben mich rausgeschmissen. Brauchen wir dich nimmer, hat Frau Schäffing gesagt. Nehmen wir mal wieder Österreicherin. Ist besser. Beschweren sich Leute nicht, was in die Vollschule kommt, wegen Führerschein. Das putzt Frau mit Kopftüchel. Oder Hassan. Wo ist denn der junge Mann mit den schönen dunklen Augen, hat die Dame neben mir den Kellner gefragt. Den habe ich aber jetzt schon lange nicht mehr gesehen. Den Hassan meinen Sie wahrscheinlich, war die Antwort. Der ist nicht mehr bei uns, er ist schon mehr als einen Monat. Ja, aber wieso, der war doch immer so nett. Hat er gekündigt oder was, fragt die Dame nach. Nein, nein, sicher nicht. Dem Hassan hat es eh recht gut gefallen bei uns, sagt der Kellner. Ja, aber wieso ist er dann weg, will die Dame wissen? Der Kellner meint ihm weggehen. Da müssen schon die Frau Chefin fragen. Karim. Jetzt sind sie aber aufzuhören, Herr Kreitzer. Ist Ihnen der Karim leichter angeboten? fragt der Herr mit dem Audi an der OMV Tankstelle den Chef. Nein, angeboten ist er nicht. Er will auch noch da bleiben. Aber ich habe ihm weggeben müssen. Die Beschwerden sind mir schon zu viel geworden am Schluss. Das ist nicht gut fürs Geschäft, wissen Sie, wenn ein Dankwart nicht richtig Deutsch kann. Mein Pesi, hast du deine Putze noch? Nein, nicht mehr. Schon länger nicht mehr. Aber du hast geschwärmt von ihr, dass sie so sauber ist, so ordentlich, so gewissenhaft. Wieso hast du sie denn nicht mehr? Weißt du das? Sie hat halt gebrochen. Wie bitte? Grochen? Ja, gebrochen. Das habe ich früher nicht so mitbekommen, wie ich noch beim Harald mitgearbeitet habe. Aber seit ich zu Hause bin wegen Benjamin, da habe ich das erst so richtig gemerkt, dass sie riecht. Ja, was heißt denn riechen? Meinst du, dass sie gestunken hat oder was? Ja, natürlich. Wie alle Schwarzen halt. Hey, Bebo, komm her, herrscht der Gast mit dem kurzgeschuren Haar den Kellner an. Hörst schlecht? Herkommen so ist, Bebo. Der Kellner kommt freundlich lächelnd zum Gast. Was wünschen Sie bitte, mein Herr? Ein Bier oder Tali, sonst gibt's was, Bimbo, poltert er mit der Jeans. Jawohl, mein Herr kommt sofort vom Kellner, dann geht er zum Tresen und lässt das Bier herunter. Na, wie geht's bald da hinten, Bimbo, lässt er mit der Bomberjacke nicht locker. Der Kellner bringt dem Gast das Bier. Bitte sehr, mein Herr. Nicht einmal einschägen kannst, Bimbo, da gehört nur ein Bier drauf, malt der Stiefelträger weiter. Wird sofort erledigt, entschuldigen Sie, mein Herr, sagt der Kellner. Geht zurück zum Tresen, lässt noch etwas Bier in das Glas laufen und kommt zurück zum Gast. Der trinkt einmal kräftig, tropft sich dabei etwas auf das Sweatshirt, setzt das Glas ab und schimpft. Nicht einmal Bier in der Schengen kannst, Bamboy. Möcht wissen, was du überhaupt kannst, außer Blätlochen und unsere Weiber pudern. Dankeschön, mein Herr, ist noch zu hören. Dann geht der Kellner zu seinem afghanischen Kollegen in die Küche. Schwarz wie die Nacht. Schwarz sind sie, wie die Nacht, denke ich mir. Straßenhändler, Fliegende, verkaufen Touristenschmuck aus aller Welt. Trommeln aus Afrika, Edelsteine aus Mexiko, Tücher aus Paraguay, Armreifen aus dem Senegal. Plötzlich dann ein Schrei und packen ihre Sachen ein und huschen in die Nacht und niemand sieht sie, weil sie schwarz sind, wie die Nacht. Gott hat schon gewusst, Gott hat schon gewusst, warum er die Neger schwarz gemacht hat. Wenigstens das Flüchten wollte er ihnen erleichtern. Wenigstens in der Nacht. Und zum Abschluss noch ein Text einer afghanischen Frau, die seit einiger Zeit in Österreich lebt, über fünf Jahre schon. Und sie hat einmal zu mir gesagt, ich habe mich erst hier in Österreich kennengelernt. Sarah aus Afghanistan. Und ich habe sie mit großen Augen angeschaut und dann hat sie weitergeredet. Alles, was mir in Afghanistan verboten war, was ich nicht einmal gedacht habe, was ich mir nie hätte vorstellen können, das habe ich hier gelernt. Nicht nur die Sprache. Ja, natürlich die Sprache zuerst. Aber so viele andere Dinge habe ich hier gelernt. Ich gehe alleine auf die Straße, ich fahre mit dem Fahrrad, ich frage Menschen, die ich nicht kenne, nach dem Weg, ich gehe einkaufen, ich kaufe Sachen nur für mich. Manchmal kaufe ich sogar kleine Dinge, obwohl ich sie gar nicht brauche, nur weil sie mir gefallen. Ich treffe mich alleine mit Männern, ich trinke mit ihnen Kaffee und rede mit ihnen. Ich treffe mich alleine mit Männern, ich trinke mit ihnen Kaffee und rede mit ihnen. Ich habe österreichische Freundinnen. Ich frage sie, was ich will, und sie geben mir Antworten. Antworten auf meine Fragen, auf meine Fragen, von denen ich in Afghanistan gar nicht gewusst habe, dass es sie gibt. Hier habe ich gelernt, dass ich auch über persönliche Probleme reden darf. Und mein Mann macht es genauso wie ich. Hier dürfen wir miteinander lachen, wenn uns danach isst. Ohne dass die Eltern, die Onkel, die Tanten, die Brüder und Schwestern uns deshalb schimpfen. Wir dürfen mit unseren Kindern lustig sein, mit ihnen spielen, ihnen Geschichten erzählen. Hier darf Ali die Kinder in den Kindergarten und in die Schule bringen, ohne dass seine Freunde ihn verachten. Hier habe ich schwimmen gelernt. Hier habe ich gelernt, vor vielen Leuten zu reden. Hier habe ich Eislaufen gelernt. Hier habe ich gelernt, wie man Putenschnitzel macht. Hier habe ich gelernt, dass ich mich mit Freunden mit Wange begrüßen und verabschieden darf. Hier habe ich gelernt, dass ich auch Nein sagen darf. Hier in Österreich habe ich gelernt, was Leben wirklich bedeutet.