Silvana Steinbacher begrüßt Sie wieder herzlich bei Literatur im Dorf. Silvana Steinbacher begrüßt Sie wieder herzlich bei Literatur im Dorf. Gemeinsam mit der Autorin Eva Schörkuber lade ich Sie heute zu einer literarischen Reise einer jungen Schellmin ein. Eva Schörkuber schickt ihre junge Protagonistin Mira von einer Etappe zur nächsten, von einem Abenteuer zum nächsten. Doch ich würde meinen, dieses Buch als Abenteuerroman oder Reiseroman alleine zu bezeichnen, wäre zu wenig. Denn Eva Schörkoper verwebt in ihrem Buch sehr geschickt Gesellschaftskritik mit den Motiven der Romantik, auch mit der Thematik der Freiheit und Revolution. den Motiven der Romantik, auch mit der Thematik der Freiheit und Revolution. Das Buch heißt Die Gerissene und hat auch immer wieder Stoffe, also reale Stoffe zum Inhalt. Ich begrüße jetzt Eva Schörkoper ganz herzlich. Schön, dass Sie da sind. Es gäbe ja auch von Ihnen noch sehr, sehr vieles biografisch zu sagen, auch was die wissenschaftliche Laufbahn von Ihnen betrifft. Aber ich hoffe, das fließt dann ja auch noch ins Gespräch ein. Aber zunächst einmal zum Buch. Die Gerissene hat eigentlich, oder beziehungsweise die Protagonistin Mira, weist eigentlich alle Merkmale auf, die so ein Schellmann-Roman ja auch hat. Also sie kommt aus einer unteren sozialen Schicht, sie übt Gesellschaftskritik, sie begibt sich auf Reisen, aber die Romane, die man kennt, haben einen männlichen Hauptdarsteller. Wollten Sie da ganz bewusst damit brechen? Ja, das wollte ich tatsächlich. Also, es gibt ja die klassischen Schellmann-Romane aus der mitteleuropäischen Literatur. Einerseits die deutschsprachigen, sowie die Blechtrommel, dann andererseits, es gibt ja die klassischen Schelmen-Romane aus der mitteleuropäischen Literatur, also einerseits die deutschsprachigen sowie die Blechtrommel, dann andererseits es gibt in der tschechischen Literatur lange Traditionen von Schelmenhafte Element wirklich auch mit einer weiblich markierten Protagonistin verhandelt wird. Und es gibt ein Buch von einer slowakischen Schriftstellerin, die schon lange in der Schweiz lebt, von Irina Breschner. Da gibt es ein Buch, die Undankbare Fremde. Und dann gibt es von Irmgard Coyne Kinder aller Länder. Und das Interessante dabei ist, das sind tatsächlich weibliche Stimmen, die in dem Buch auftreten und auch reisen. Allerdings alle in sehr, sehr jungen Jahren markiert, also tatsächlich Mädchen. Und ich habe mir tatsächlich überlegt, wie ich begonnen habe, also das Recherchematerial aufzuarbeiten und nach der Figur zu suchen oder mich näher an die Figur Mira heranzuwagen und sie kennenzulernen, dass es wirklich tatsächlich schön wäre, eine Shellminnenfigur auf Reisen zu schicken. Und zwar eine Shellminnenfigur, die zwar in sehr jungen Jahren beginnt, also als Jugendliche, die aber natürlich im Laufe der Zeit auch älter wird. Agiert denn, habe ich mir so überlegt, agiert eine Schelmin grundsätzlich anders als ein Schelm, ein männlicher Schelm? Ich glaube, dass sie andere Erfahrungen macht. Also es ist ja, also als Schelmin, die Mira hat ja natürlich einen anderen Körper und auch eine andere Erfahrung. Also sie zieht es nicht als Soldatin in die Welt, wie zum Beispiel der berühmte Schweig, sondern sie wird mit anderen Dingen einfach kon ist, die sie bereits in jungen Jahren als Kind, als Mädchen oder eben dann als Jugendliche gemacht hat. Insofern würde ich auf jeden Fall sagen, dass sie einerseits natürlich anders agiert und sich generell auch anders zu der Welt verhält, weil sich auch die Welt zu ihr als weibliche Person anders verhält. Aufgefallen ist mir, und das ist mir eigentlich so als sehr angenehme Leerstelle, in Anführungszeichen aufgefallen, dass ich habe eigentlich erwartet, die Schelmen, die Mira wird jetzt zu einer Liebesgeschichte nach der anderen durchleben. Das war aber so überhaupt nicht eigentlich in erster Linie da. Und was mir auffällt bei so zeitgenössischer Literatur, wo man böse sagen könnte, da wird jetzt auch noch was Erotisches hinzugefügt, damit es ein paar mehr Leser oder Lesende gewinnt. Also das war einfach nicht da und das war erquickend eigentlich. Ja, das fand ich ehrlich gesagt auch gut, dass die Mira jetzt nicht von einer Liebesgeschichte zunächst geeilt ist. Ich glaube, es war für Sie jetzt nicht so relevant. Es sind eher Beziehungsgeschichten in einem allgemeineren Sinn, die für mich relevant sind. Es gibt schon eine nicht sehr gut verlaufende Liebesgeschichte. Und dann ist es aber eigentlich die Art und Weise, wie sie Zugang zu sich und zu anderen Menschen und auch zu der Welt findet. Und da sind Beziehungen einfach weitergefasst. Ich finde das auch tatsächlich viel interessanter. Es stärkt auch ihre Autonomie, habe ich den Eindruck gehabt. Also sie steht dann mehr auf ihren eigenen Beinen. Sie kommt ja aus einem ganz kleinen Ort und eben auch von der eher niederen sozialen Schicht. Also die Eltern arbeiten in einem Schlachthof und die Mutter ist eigentlich den ganzen Tag damit beschäftigt, das beschreiben sie sehr fast fast drastisch, ist den ganzen Tag damit beschäftigt, das Blut der Tiere wegzuwischen. Also ist eigentlich so mit den Qualen der Tiere ununterbrochen beschäftigt. Also die Geschichte, Miras Eltern sind ja als Kinder aus einem Land in dieses Land hineinmigriert. Es werden keine Namen genannt, aber es ist zeitlich durchaus auch vor Ort bei Mittem Prager Frühling. dann eben in ein deutschsprachiges Land. Und ihre Eltern bauen sich dann ihre Existenz in diesem kleinen Dorf auf, haben eben dieses Häuschen, arbeiten im Schlachthof. Und was natürlich, also einerseits sind es Klassenfragen, also soziale Klassenfragen, die die beiden zu spüren bekommen und in weiterer Folge auch die Mira als Kind, weil ihre Mutter kann sozusagen nicht zu Hause bleiben, sondern muss eben in diesen Schlachthof arbeiten gehen, wodurch dann ihre Schulkollegen und Kolleginnen immer sagen, na ja, was ist mit deiner Mutter los? Du musst immer quasi verpflegt werden über Mittag und so weiter. Also einerseits Klassenfragen, aber natürlich auch wieder Genderfragen, Geschlechterfragen, weil wieder diese Mutterrolle mit verhandelt wird und dieses Mutterbild. Und es ist dann tatsächlich auch diese Enge, jetzt vielleicht einerseits schon natürlich auch die Enge einer bestimmten sozialen Herkunft, aber vor allem auch die Art und Weise, wie diese soziale Herkunft eben keinen Platz bekommt und immer wieder eine darauf verwiesen wird, woher man eigentlich kommt. Und das ist genau diese Art von sozialer Enge, die die Mira verlassen wollte. Es ist ja einerseits die soziale Enge, aber Sie beschreiben es ja nicht so schwarz-weiß, denn es kommen ja dann auch durchaus sehr positive Erinnerungen, die die Mira hat. Und Sie verweben diese Erinnerungen ja auch dann immer wieder so in die einzelnen Stationen, nämlich das Dorf und dann auf einmal wieder die Großstädte. Sie hält sich ja durchwegs in Großstädten auf und das geht so das eine in das andere über. Ich glaube, das ist auch noch mal schön, es ist sehr schön, wie Sie das jetzt beschrieben haben, damit kann ich sehr viel anfangen. Es ist tatsächlich so, dass der Erinnerung, also die Großstadt ist natürlich ein weites Feld und ganz neu und irrsinnig spannend und ein Raum für alle möglichen, wahrscheinlichen und unwahrscheinlichen Begegnungen und so weiter. Aber diese Stadt wird auch, oder diese Städte sind ja mehrere, werden auch zu Resonanzräumen von den Erinnerungen. Das heißt, diese, so war das, diese Schwarz-Weiß-Erinnerung, die die Mira vielleicht am Anfang noch mit sich trägt, wird dann einfach dadurch, dass auch der Erinnerungsraum weiter wird, einfach besser ausstaffiert und lebendiger und greifbarer auch für sie. Also einerseits natürlich mit der Zeit, weil es vergehen ja viele Jahre, aber andererseits auch einfach mit den Räumen, die dann auch den Erinnerungen an dieses Dorf, an die sozialen Kontakte dort einfach ambivalenter erscheinen lassen, lebendiger dadurch und auch bereichernder im Endeffekt. Mira kommt ja zunächst einmal nach Marseille und kann die Sprache überhaupt nicht und setzt sich auch nicht hin und lernt jetzt die Grammatik, so wie es wahrscheinlich die meisten tun würden, sondern versucht an Camus' La Peste Französisch zu lernen, das ist auch eine Methode. Ein Buch, das also gerade jetzt für uns sehr aktuell war und schlägt sich durch, also versucht eine Kleidung, die sozusagen weggeworfen wurde, wieder neu zu nähen oder zusammenzunähen und hat ja damit dann auch Erfolg. Das heißt, sie weiß sich sehr wohl auf die Beine auch zu stellen. Das ist eben auch so ein bisschen der schelmenhafte Moment. Es ist aber durchaus eben ambivalent, weil sie profitiert sozusagen von einer gewissen sozialen Struktur dieser eigentlich sehr armen Stadt Marseille und schlägt aus den schwankenden sozialen, gesellschaftlichen Umständen so ein bisschen eben auch persönlichen Profit durch diese Verwertung von den Kleidungsstücken. Sichert sich aber gleichzeitig ihr unabhängiges Einkommen auch. Nämlich recht gut dann, also es entwickelt sich recht gut. Sie ist ja einerseits eine Romantikerin, aber doch andererseits auch doch ein Stück weit naiv, habe ich den Eindruck gehabt, weil man erfährt immer, was sie vorhat zu tun und das sind also hohe Ansprüche, die sie hat, die Erdkrusten verschieben, um ein Zitat zu nennen. Aber ich habe mich dann gefragt, was genau ist ihr Ziel? Also außer die Freiheit. Also das definiert sie ja dann eigentlich nicht so wirklich. Ich glaube, sie hat tatsächlich eine sehr vage Vorstellung von wirklich auch so etwas Ähnliches wie Revolution. Also sie merkt, irgendwas ist in dieser Welt nicht in Ordnung. Und sie kann sich aber im ersten Moment oder eigentlich wirklich sehr, sehr, sehr lange Zeit nur vorstellen, dass es irgendwie so etwas wie ein Erdbeben geben muss. Und dieses Erdbeben wird durch eine einzelne Person ausgelöst. Und das ist natürlich sehr, sehr überhöht und auch überzeichnet. Aber es entspricht auch ein bisschen dem Geiste unserer Zeit, sagen zu müssen, ich als Icher-G oder ich als Einzelunternehmerin oder ich als einzelne Person bin in der Lage, einfach viele Dinge in der Welt zu verändern. Also was sie erst viel, viel später und im Endeffekt dann erst auf Kuba in Havanna lernt, ist, dass Revolutionen oder dass gesellschaftliche soziale Bewegungen nicht von einer Person initiiert werden oder von einer Person angeführt werden, sondern dass sehr viele Menschen in teilweise sehr mühsamer organisatorischer Kleinarbeit sich auf den Weg machen, um kleinteilig gewisse Strukturen zu verändern. Aber das Sympathische an ihr ist ja, dass sie, und das ist sicherlich nicht immer der Fall, das Sympathische ist, dass sie ja ihr individuelles Leben nicht nur für sich finden will, sondern sie will sie auch für andere finden. Das ist ein großes Bestreben, das sie hat. Also auch ein weitgefasstes, wo man sagt, wie will ihr das gelingen? Aber das ist dann doch die Solidarität, die sie trägt. Genau, oder die sie auch für sich, einerseits für sich selbst zu empfinden lernt und auch für die anderen zu empfinden lernt. Ich glaube, das ist auch, und sie möchte ja gute Sachen machen. Es ist manchmal eben, und das ist auch dieses schelmenhafte Moment ein weiteres Mal. Sie hat sehr gute Absichten und manchmal geraten diese guten Absichten ein bisschen in eine Schräglage. Oder sie weiß einfach noch nicht, wie er sich an bestimmten Orten verhält. Oder lernt, dass manche Dinge dann wirklich zu sehen oder wirklich auch zu begreifen. Ja, so viel ich weiß, ist ja auch so gesellschaftliches und politisches auch sehr wichtig in Ihrem Leben. Gibt es denn den Schelm noch bei uns? Also gibt es die Schelmern oder die Schelminnen, gibt es die noch bei uns? In unserer Gesellschaft, also die realen. Ich glaube schon, dass es das gibt. Also ich glaube eben, es gibt so, was mich auch persönlich so interessiert an sozialen Bewegungen sind, es gibt ja solche zum Beispiel Kommunikationsgarier-Sachen, wo sozusagen bestehende Dinge aufgegriffen werden und dann nur ein Stück weit so verändert, dass man im ersten Moment nicht weiß, ob das ernst gemeint ist oder nicht. Ich finde, das hat so schelmische Momente. Also wirklich dieses Spiel mit den bestehenden Tatsachen und durch die hindurch eine kleine Schneise zu finden, damit sich wieder was Neues ergeben kann, damit sich wieder was Neues öffnen kann. Und ich glaube schon, dass auch in Protestkulturen oder so mit diesen schelmischen Elementen gearbeitet wird. Ob es jetzt die Figur der Schelmin oder des Schelms so als vielleicht eher im negativen Sinn so eine etwas – ich glaube, man muss aufpassen bei dem Schelm oder bei der Schelmin, dass sie nicht zu einer Figur gerät, die ausschließlich auf den eigenen Vorteil bedacht ist. Es gibt so den Eigenwert, die Verwertung der eigenen Geschichte, der eigenen Fähigkeiten. Und es gibt ja auch so eine Tendenz zu diesem Individualgeschick. Also wie geschickt bin ich, mein Leben gut auf die Beine stellen zu können. Und das ist oft sehr eng verknüpft an egoistische Tendenzen oder auch an so… Narzisstischer Schelm ein wenig, ja. Genau, diese narzisstischen Persönlichkeitsstrukturen. Da gibt es ja auch mittlerweile viele, viele Publikationen darüber, zu diesen Managerfiguren, die dann eben teilweise wirklich so schon narzisstische Störungsprofile aufweisen, aber auch, was wir so jetzt hier momentan auch erleben, ist, wie sich auch gewisse Eliten, ökonomische oder politische Eliten, glauben, sich alles erlauben zu können, weil die anderen merken es ja eh nicht. Also sozusagen dieses, wirklich auch diese Arroganz und diese verachtende Überheblichkeit zu sagen, ich nehme alles raus, ich bin besonders geschickt und dabei einfach wirklich eine große, also erstens einmal eine große Mehrheit anderer Menschen für blöd zu verkaufen, aber gleichzeitig natürlich auch. Aber sich auch über sie zu stellen. Also das kommt ja auch hinzu. Kommt mir gar nicht solidarisch vor, kommt mir sehr bekannt vor. Ein wenig, was Sie jetzt angesprochen haben, also was mir in Marseille eben auch aufgefallen ist, ist eben diese Gentrifizierung, die sich ja dann auch beobachtet, wo sich ja viele überhaupt nicht, oder sagen wir mal, die Verantwortlichen überhaupt nicht Gedanken machen oder vielleicht schon Gedanken machen, aber es beiseite schieben, was jetzt mit diesen Menschen passiert, die da nicht mehr leben können, weil es einfach nicht mehr existenziell möglich ist. Und das ist tatsächlich eine Entwicklung, die in marseille tatsächlich stattfindet also seit sicher gut 15 jahren und das hat mit aufwertung zu tun das hat mit spekulation zu tun das hat ja auch mit einfach falschen versprechen zu tun man kann das sehen also immer sie stürzen buchstäblich die häuser über den Köpfen von Menschen ein, weil die Sicherheitsauflagen einfach nicht mehr kontrolliert und auch nicht mehr eingehalten werden. Und da geht es eben um sehr zentral liegende Gebiete, die aber ganz, ganz traditionelle Einwanderungsviertel sind und das macht einerseits den Charme der Stadt aus. Also es ist ja auch eine Stadt, die sich gerne so multikulturell und so weiterhin inszeniert, aber tatsächlich werden genau diese arabischen und westafrikanischen Märkte, die sind zwar im Stadtzentrum, die sollen dort auch bleiben, so für Hochglanzfotos, aber die Menschen, die diese Märkte tragen und dort arbeiten, die werden sukzessive wirklich aus diesen Vierteln auch, die eben im Stadtzentrum liegen, hinausgedrängt. Und ich glaube, es ist wirklich auch gut, immer wieder darüber zu sprechen und sich das auch auf allen möglichen Ebenen vor Augen zu führen, was das bedeutet, wenn die Menschen, die eine Stadt machen, die eine Stadt verkörpern und praktizieren, sukzessive vertrieben werden zugunsten von leerstehendem Anlagekapital, also was auch mit den Städten passiert. Das sind so viele Themen. Haben Sie sich dann, wie Sie so diese Schelminnenfigur ungefähr hatten, im Kopf hatten, oder ich weiß auch nicht, wie diese Figur entstanden ist, dann verschiedene Möglichkeiten überlegt, welche Sprache Sie finden für diese Geschichte? Oder war das ein Prozess des immer wieder Probierens? Oder wie läuft das bei Ihnen ab? Also ich habe ungefähr gewusst, was ich machen möchte. Eben wirklich einen Schelmenroman mit einer Protagonistin. Und mir war auch klar, an welchen Orten es ungefähr stattfinden soll, weil mir auch wichtig war, dass ich die Orte tatsächlich kenne. auch klar, an welchen Orten es ungefähr stattfinden soll, weil mir auch wichtig war, dass ich die Orte tatsächlich kenne. Und dann ist die Figur der Mira gewachsen. Und die hat sich wirklich über weite Strecken und auch über wirklich lange Zeit hinweg entwickelt. Auch ihre Sprache, also da gab es viele Durchgänge, damit ich als Schreibende wirklich näher an diese Figur kommen kann. Ich bin eine Schreibende, bei mir entsteht sehr viel schreibend. Das heißt, es gibt eine ungefähre Richtung, einen ungefähren Plan, es gibt sehr viel Recherchematerial, das dann im Laufe des Schreibprozess. Und so eben auch der Charakter von der Mira. Die Mira war am Anfang eine viel, viel melancholischere Figur. Also viel weniger Schelmin, eher eine Traurige. Und sie hat sich während des Schreibens, das klingt komisch, aber sie hat sich wirklich selbst immer mehr Platz genommen und hat gesagt, ja, nein, da möchte ich jetzt, also ich will ja nicht die ganze Zeit traurig sein und verloren, sondern ich möchte wirklich auch gerne etwas tun. Also ein Dialog praktisch zwischen der Autorin und der Figur, die dann ihren Platz nimmt. Es ist sehr schön, sich vorzustellen. Es ist auch sehr lustvoll zu schreiben. Ja. Weil Sie sagen, Sie haben ja diese, Sie kennen die Städte sehr gut. Ich muss sagen, ich habe es eigentlich nicht bedauert, dass ich jetzt, es ist dann eben nach Marseille noch Iran. Ich sage jetzt in der deutschen Sprechweise Iran und Havanna. Also ich habe es nicht bedauert, dass ich diese Städte nicht kenne, weil da war mein Vorstellungsbild eben nicht besetzt. Aber Sie kennen all diese Städte. Hat es sich beruflich ergeben oder durch ein Studium ergeben, dass Sie zu diesen Städten gekommen sind oder hat es Sie gedrängt, gerade diese Städte aufzusuchen? Ja, also ganz, ganz unterschiedlich. Die erste Stadt, die ich kennengelernt habe, war tatsächlich Oran. Und bin mit Anfang 20 aufgrund eines Studienaufenthalts. Also ich habe Germanistik studiert in Wien und vergleichende Literaturwissenschaften und habe damals auch die Ausbildung zur Deutsch als Fremd- und Zweitsprachentrainerin oder Lehrerin eben gemacht. Sprachentrainerin oder Lehrerin eben gemacht. Und da gibt es die Möglichkeit, so zwischen drei und sechs Monaten ein Auslandspraktikum zu machen, also eine Art von Sprachassistenz an Einrichtungen. Und die Liste der Länder war lang und auf dieser Liste stand auch Algerien. Und ich habe mir damals gedacht, es ist doch die Gelegenheit, nach Algerien zu kommen. Und ich muss sagen, es war 2004. Das war ganz kurz nach dem offiziellen Ende des Bürgerkriegs in Algerien. Und mir war natürlich damals überhaupt nicht klar, in welches Land ich dort kommen werde. Ich habe als Jugendliche sehr viel Camus gelesen tatsächlich. Und vor allem auch sehr gerne diese Essays, die in Algerien spielen und habe damals natürlich auch noch nicht so gut verstanden gehabt, dass es auch eine sehr spezielle Perspektive ist, aus der Albert Camus Algerien auch erzählt. Das ist einfach die Perspektive von französischen EinwandererInnen, also von den Pienois, also einerseits die Klassenfrage, die sehr schön verhandelt wird, aber was weniger gut verhandelt wird in den Texten von Camus, sind sozusagen die Aspekte der Kolonialgeschichte oder dieses, also es gibt keine interessanten arabischsprachigen Figuren tatsächlich. Er beschreibt ja auch sehr stark das Licht, soweit ich mich erinnere. Genau. Auf jeden Fall, das hat mich damals alles sehr angezogen und ich habe mir gedacht, das ist die Gelegenheit, nach Algerien zu kommen. Und habe dann aber erst im Laufe der Reisevorbereitungen gemerkt, dass ich ein ganz, ganz, ganz anderes Algerien sehen werde und erleben werde, als das, was ich damals gelesen habe, eben in diesen schönen Lichtessays. Mir fällt auf der Wahnsinn ja wahrscheinlich gar nicht sehr viel älter als Mira, als er sich auf die Reise begeben hat. Nicht sehr viel tatsächlich. Ein bisschen, aber nicht sehr viel. Und also mindestens so unbedarft wie Mira. Aber es ist gut gegangen, sehen wir uns hin. Es ist gut gegangen, es war eine sehr, sehr, sehr wichtige Zeit. Aber es ist so, wir haben tatsächlich Algerien oder im Speziellen Oran kennengelernt. Und Marseille war dann ein Erasmusaufenthalt, ein Jahr lang. Und Marseille ist mir insofern geblieben, als ich sehr viele Freunde und Freundinnen dort habe, die immer wieder besuche, auch über längere Zeit hinweg. Und dann im Rahmen meines Algerienaufenthalts gab es auch diese Sahara-Reise, also in dieses UNHCR-Camp in Tinduf. Das war wieder der Zeitsprung, dann kam Marseille und Kuba war wirklich eine lange Recherche und wirklich auch politische Neugierreise. Also die, die am wenigsten lang zurückliegt und das war wirklich eine, also quasi unabhängig von irgendwelchen Studien oder Sprachassistenzaufenthalten. Weil Sie diese Sahara-Reise ansprechen, da haben Sie ja so diese verschiedenen Perspektiven auch eingebaut. Da waren verschiedene Fahrer und man lernt eigentlich sehr, sehr unterschiedliche Sichtweisen kennen, ja, über die Tourik, über die Tuerik, über die Wüste. Also das ist, irgendwie habe ich so den Eindruck gehabt, dass sie wollen da auch in Frage stellen, also die verschiedenen Aspekte einer Wahrheit und dass man sich eigentlich auf keinen Aspekt wirklich verlassen kann, weil so vieles Verschiedenes auf einen einströmt. Ich finde, das ist auch ein sehr schönes Plädoyer, eben wirklich tatsächlich fürs Reisen. Es ist doch schade, wenn ich wohin fahre und glaube, schon alles im Vorfeld besser zu wissen und mich dadurch dann eigentlich auch dieser Vielfalt und auch dieser Mehrdeutigkeit, die ich zwangsläufig vor Ort finde, weil das ist alles, also alles ist mehrdeutig und hat verschiedene Ebenen und sich dem zu verschließen wäre ja sehr schade und deswegen ist es schön zu sagen, es gibt halt die verschiedenen Aspekte, die teilweise auch widersprüchlich sind, aber wirklich auch als Plädoyer für Reisen und für eine wirklich offene Neugier, die nicht nur sucht sich selbst in den vorgefassten Bildern oder in den bereits gelesenen oder erfahrenen und einfach sich darin festzuschreiben. Was interessant ist bei Mira ist, also sobald sie dann auch mit einer ihrer Konzepte auch Erfolg hat, und sie ist ja sehr geschickt, also auch mit, vor allen Dingen eben mit Stoffen. Also in Oran sind es ja diese Minirock-Taschen, die aber sozusagen die Einwohner nur versteckt in Einkaufssäcken kaufen. Und sobald sie aber Erfolg hat, zieht sie weiter. So als hätte sie das jetzt eben erreicht und würde sie nicht mehr sehr interessieren. So ein Aspekt einer Schelmin vielleicht auch. Ja, und auch vielleicht, es ist ja nicht ihre Aufgabe, obwohl sie immer wieder sagt, sie möchte gern gut ankommen, durchaus auch in dem doppelten Sinn, aber ihre Aufgabe ist es nicht, sich irgendwo zu etablieren und irgendwo einen festen Platz einzunehmen. Und dem entzieht sie sich. Man weiß ja dann auch nicht gegen Ende, wie geht es mit der Schelmin weiter. Also ich denke, es muss ja auch der Schelm oder die Schelmin muss ja auch nicht zwangsläufig scheitern in irgendeiner Form. Auch das, wie soll ich sagen, das Positive daran. Sie wollten ja auch lesen aus dem Buch. Jetzt weiß ich nicht, ob das genau passen würde oder auch passen würde zu dem, was wir bisher besprochen haben. Ja, ich glaube, es passt auch an der Stelle sehr gut. Es ist eine Stelle in der Wüste, wo Mira bereits einen gewissen weg durch die wüste zurückgelegt hat aber noch nicht diese begegnungen hatte von denen sie gesprochen haben mit den fahrern aber da fährt sie erst gegen gegen osten also richtung libysche grenze und also die mira ist an der Stelle von Oran eben abgereist und in den Sahara gefahren und konnte dann nicht ganz alleine sich auf den Weg machen, da es einfach auch aus sicherheitstechnischen Gründen einfach Reisebeschränkungen gibt für Individualreisende und man darf nur mit der Reisegruppe. für individual Reisende und man darf nur mit der Reisegruppe und ihr gelingt es aber schließlich, dass sie einige Menschen überredet, sie dann doch quasi illegal durch die Wüste zu befördern. Sie wird dann diese Reisegruppe, mit der sie nicht sehr glücklich war, los und ich lese da, wie sie da jetzt noch in Algerien, aber schon in der Nähe der libyschen Grenze ankommt und wie sie den Elias kennenlernt. Als wir die kleine Ortschaft an der Grenze erreichten, war es stockfinster und ich so erschöpft, dass ich in dem Matratzenlager, wo wir untergebracht wurden, sofort in einen tiefen, traumlosen Schlaf fiel. Geweckt wurde ich von den Stimmen, die durch die nicht verglasten Fenster drangen. An den Lehmwänden hingen vereinzelt Lichtflecken, im übrigen Raum war es dämmerig. Auf den Schlafstätten meiner Weggefährten lagen die Decken aufgewühlt und zusammengeschoben. Ich konnte nicht erkennen, ob sich noch jemand darunter befand. Ich erhob mich und schrieb leise durch den Raum hin zu den anderen Matratzen. Kein Mensch war mehr da und eine böse Ahnung streifte mich. Schnell trat ich vor die Tür und wurde von einem dichten Hitzeschwall zurück ins Haus geworfen. Ich holte tief Luft und setzte vorsichtig wieder einen Schritt hinaus. In diesem Moment sprang ein kleiner, tratiger Mensch auf mich zu und hielt mir eine Tasse entgegen. Ah, bonjour, du musst Mira sein. Sei herzlich willkommen. Automatisch griff ich nach dem Teeklass und setzte mich auf den Stuhl, der mir der Mann hingeschoben hatte. Wo die anderen seien, wollte ich von ihm wissen. Er zog die Mundwickel nach unten, seine Augen kitten zur Seite. Nach ein paar Sekunden lächelte er wieder. Oboje, begann er und erklärte mir, dass sie schon im Morgengrauen aufgebrochen seien. Sie hätten ihn gebeten, sich um mich zu kümmern und mir bei der Weiterreise zu helfen. Er freue sich. Schwer wie Sandsäcke legten sich seine Worte auf mein Gesicht und drohten, mich zu ersticken. Von wegen Freunde, von wegen Coupons schrie ich und schmetterte das Teeklast zu Boden. C'est pour vous, pour votre sécurité, c'est trop dangereuse. Ich wollte, ich konnte nichts mehr davon hören, wie alle um meine Sicherheit besorgt waren und mich deshalb über vielen überwachten oder im Stich ließen. Ich sprang auf, über die staubigen Straßen rannte ich, bis ich nicht mehr konnte. Vor dem Eingang zu einem der sandfarbenen Häuser sackte ich zusammen, benommen von Hitze und Wut. Wasser benetzte meine Lippen, meine Frau in einer hellen Cellaba und mit einer Flasche in der Hand kniete vor mir. Sie sprach auf mich ein, doch ich brachte kein Wort heraus, meine Zunge war schwer und unbeweglich wie ein versandeter Aal. Kurze Zeit später stand der kleine, tratige Mensch vor mir und half mir aufzustehen. Wir gingen zurück zu dem Haus, in dem ich die vergangene Nacht verbracht hatte. Ich solle mich ausruhen. Am Abend komme er wieder vorbei und bringe mir etwas zu essen. Übrigens, er habe sich noch gar nicht vorgestellt. Elias, hieße er, und er freue sich, meine Bekanntschaft zu machen. Meine Bekanntschaft mit Elias hat einen etwas holprigen Anfang und ein sehr freundschaftliches Ende gefunden. Ich verbrachte viele Tage in seiner Gesellschaft. Er zeigte mir die Wüste, begleitete mich zu den Gebirgsketten, die sich im Südosten erstreckten. Gemeinsam bestaunten wir die bizarren Formationen aus Sandstein und rätselten über die Bedeutungen der Felsmalereien. Elias war nicht daran gelegen, mich zu belehren. Er hörte sich an, was mir dazu einfiel, lachte und staunte, als würde er alles zum ersten Mal hören. Dabei hatte er sein ganzes Leben in dieser Gegend verbracht, war hier aufgewachsen und hatte auf den Erdgasfeldern gearbeitet. Jetzt war er in Rente und verdiente sein Zubrot damit, für Männer wie Yasin, Mustafa und Jakob ihre Reisen über die Grenze zu organisieren. Tout le vit est un voyage. Tout la vie est un voyage. Das ganze Leben ist eine Reise, pflegt er zu sagen und wer sich nicht bewegt, ist schon gestorben. Danke. Also die Gerissene erschienen im At die Menschen irgendwie dann sehr schnell auch angepasst haben. mit den Umständen eher engagieren, also mit den Umständen, und wenn sie auch noch so klein sind, engagieren. Das ist ja doch auch ein Aspekt, den wir auch manchmal erleben können, wenn auch nicht so drastisch natürlich. Weil wir hatten so in der letzten Zeit keine Revolution, keine Rebellion. Aber trotzdem, wenn man in irgendeiner Form eingeschränkt wird oder so, dass man sich dann diesen Dingen einfach runterwirft. irgendeiner Form eingeschränkt wird oder so, dass man sich dann diesen Dingen einfach runterwirft. Und ich glaube auch im Fall von Kuba ist auch sehr interessant, also einerseits natürlich die große Erzählung der kubanischen Revolution und auch die Verengungen dieser Erzählung und der Tradierung von diesen Erzählungen, weil die kubanische Revolution war wie die allermeisten Revolutionen ja am Anfang viel breiter. Es war jetzt nicht nur quasi die klassische kommunistische Partei rund um Fohle aller unbedingt durchgesetzt. Und wenn heute eben diese Revolutionserzählung immer nur die Geschichte dieser einen Partei, die im Endeffekt sich dann durchgesetzt hat und berühmt geworden ist mit den ganzen berühmten Heldenfiguren, dann ist das auch eine Verknappung der Geschichte und macht auch... Und ich glaube, das ist auch diese, wirklich auch gerade in Europa uns zu befragen, wie wir es mit den Revolutionsgeschichten halten wollen, ob wir uns nicht die viel wuchernden und viel, viel breiteren Anfänge, also immer wieder auch nicht auch in Erinnerung rufen sollten und nicht nur die teilweise ganz furchtbaren, fatalen Folgen. die teilweise ganz furchtbaren, fatalen Folgen. Also ich glaube, wir wollen auch manchmal bei unseren Heldenfiguren auch nicht zu tief graben und wollen nicht zu viel sehen, was vielleicht auch nicht so positiv wäre. Aber ich habe schon auch so, wenn wir jetzt wieder zu dem Buch kommen, Mira verkauft ja dann im Untergrund so einen vieläugigen Sternenvogel und der entwickelt sich dann so zu einem Widerstandssymbol eigentlich. Also ich habe so oft den Eindruck, dass manchmal so ein Funke genügt und auf einmal ist der richtige Augenblick da und es entsteht eine Rebellion oder ein Widerstand und das war ja dann auch seltsamerweise auch schon in Zeiten, in denen die Medien nicht so sehr die Verbreitung gewisser Dinge, gewisser Phänomene, also es ist schon ein Phänomen eigentlich. Also haben Sie das so auch beobachtet, dass Sie sich ja mit Widerstand und Rebellion auch sehr stark beschäftigt haben? Ich glaube, was natürlich auch, also was mir wichtig ist und auch vielleicht deswegen diese Geschichte mit diesem vieläugigen Sternenvogel, es gibt nicht das eine Initialmoment, es gibt nicht das Ereignis, das alles verändert, sondern es ist eine Verkettung von mehreren Ereignissen, die dann zusammengenommen vielleicht dann wirklich … In der Summe. Genau. Und ich glaube, das ist wichtig, weil es ist natürlich nicht die Mira, die mit ihrer … Natürlich. Aber es spielt auch eine Rolle, dass Sie gerade diesen, also einen Vogel mit mehreren Augen … Ja. Ich möchte ein wenig natürlich auch noch auf Sie kommen und was Sie auch noch darüber hinaus gemacht haben. Also Sie haben ja schon drei Bücher davor geschrieben und waren auch wissenschaftlich schon sehr engagiert. Sie haben sich mit Gedächtnistheorien schon sehr beschäftigt. Also Gedächtnistheorien, könnte man das jetzt so von meinem leihenhaften Standpunkt auch ein wenig in Verbindung sehen mit den Erinnerungskulturen, zum Beispiel die, mit denen sich das Ehepaar Aßmann beschäftigt hat? Geht es in diese Richtung und möchte aber auch gerne, also vielleicht ganz kurz, ihr habt promoviert über Archiv- und Gedächtnistheorien in Literaturwissenschaften und haben halt da verschiedene Gedächtnistheorien und verschiedene Archivtheorien, also vor allem aus dem französischen Poststrukturalismus diese Archivtheorien angeschaut und bei dem Konzept des kulturellen Gedächtnisses, das ja wirklich ganz breit über verschiedene Geistes- und auch sozialwissenschaftliche Disziplinen hinweg verwendet wird, ist ein, finde ich, wirklich diskussionswürdiges, das war einer meiner Argumente oder der Dinge, die ich ganz zur Diskussion stelle oder auch in dieser Arbeit zur Diskussion stellen möchte, in der Dissertation, dass einerseits öffnet so ein breites Konzept von kulturellem Gedächtnis einer bestimmten Kulturalisierung von Erinnerungsgemeinschaften, also Türe und Tore. Das merkt man auch teilweise, wenn so Gedächtniskonzepte darauf angewandt werden, um zu erklären, warum im Buch einer, ich weiß nicht, russischstämmigen Autorin manche Dinge anders beschrieben werden, als in einer, ich weiß nicht, spanisch, also sprich aus Spanien oder aus Österreich oder aus Deutschland kommend und so. Oder auch die Herkunftsumgebung, in meinem Fall eben wie gesagt die Literaturwissenschaften eines Autors oder einer Autorin, ziemlich stark kurzgeschlossen wird mit dem Text. Also es gibt da wirklich viele Analysen, die sich da ziemlich eng an dieses kulturelle Gedächtniskonzept in dieser Form halten und das finde ich problematisch. halten und das finde ich problematisch. Und das andere, was ich problematisch finde in dieser Konzeption, ist diese starke Trennung von Speichergedächtnis und Funktionsgedächtnis. Also ganz kurz in einem Satz erklärt, es gibt sozusagen das Funktionsgedächtnis, das ist das, was eine Gesellschaft immer wieder in Diskursen, aber auch in der Praxis refunktionalisiert, also so ein gemeinsamer Erinnerungsbestand von einer bestimmten, meistens eben sehr groß gefassten kulturellen Gruppe. Und dann gibt es das Speichergedächtnis, also die Sachen, die in den Archiven liegen, die liegen dort brach und werden durch Zufall oder wenn ein bestimmter Diskurs wieder aufgegriffen wird oder wenn sich eine bestimmte Institution als einflussreich genug erweist, um sowas wieder refunktionalisieren zu können. Und ich glaube, dass das ein bisschen verkürzt diese ganze Problematik von den brachliegenden nicht vielmehr so, dass die latent auch weiterarbeiten, dass die trotzdem Einfluss nehmen auf die Erinnerungsgemeinschaft und überhaupt auf die ganze Konstitution einer Gesellschaft oder von bestimmten gesellschaftlichen Gruppen. Genau. Also auch was das Archivieren betrifft, das ist ja auch eine ihrer großen Leidenschaften und da habe ich so diesen Satz gefunden, das Archiv hat längst seine Unschuld verloren. Also jetzt so, ich habe da als erstes gedacht an die Digitalisierung, aber war das damit gemeint oder was war da in erster Linie damit gemeint? War da in erster Linie damit gemeint? Die Digitalisierung, das hat ganz sicher auch damit zu tun, aber in allererster Linie war tatsächlich gemeint, dass jede Art von Archivierung, jede Art von Sammlung schon bereits einem bestimmten Gesetz oder bestimmten Gesetz und Regelmäßigkeiten folgt. Also ein Archiv ist nicht eine Sammlung, wo halt gutmeinend alle kulturellen Güter und so weiter aufbewahrt werden oder Dokumente aufbewahrt werden, sondern Archiv. Ein Archiv hat immer eine quasi eine Vorabstruktur. Also es gibt immer eine Institution oder eine Gruppe, also eine institutionalisierte Gruppe oder eine Gruppe, die über entsprechende Deutungshoheiten und so verfügt, die entscheidet, was überhaupt gesammelt wird und in welcher Form. deutungshoheiten und so verfügt die entscheidet was überhaupt gesammelt wird und in welcher form und gerade bei den nationalarchiven also dieses nation building und diese sachen also was schon ausscheidet ja also das ist ja natürlich genau und insofern ist eigentlich kein archiv in dieser form unschuldig und wo man das natürlich also internet das große archiv-Internet ist alles andere als unschuldig, aber es gilt auch für die ganz traditionellen Archive. Ich glaube, das sollte man auch nicht vergessen, dass die Frage beginnt, sich damit zu überlegen, was überhaupt in welcher Form archiviert, also bewahrt wurde. archiviert, also bewahrt wurde. Sie haben ja mit, also was das Archivieren betrifft, literarisch auch als Thema gewählt, im weitesten bei der Blickfängerin, weil eine Frau eben Blicke auffängt, sammelt und das geht ja dann auch so in dieses Archivieren hinein, diese Thematik. Ja, ganz ehrlich zu sein, die Blickfängerin war, ich habe damals schon begonnen gehabt, eine Dissertation zu schreiben und habe dann einfach wirklich auch nicht mehr weitergekonnt, weil es war, also auf jeden Fall, ich habe eine längere Pause genommen von der Arbeit an der Dissertation und habe dann mit großer Lust und Freude, also die Blickfängerin ist tatsächlich meine erste längere literarische Erzählung und das war noch einmal so eine, also für mich wirklich lustvolle und anregende Aufarbeitung von, also Umgang noch einmal auf einer ganz ganz ganz ganz anderen Ebene mit all den Sachen, die eigentlich gelesen und auch exerbiert und auch schon so geclastert habe für die wissenschaftliche Arbeit. Also ein bisschen ein Befreiungsschlag. Ja, also das liegt dann schon ein wenig parallel, denn ich habe mir dann doch gedacht, oder beziehungsweise ich habe mir die Frage gestellt, denn zu Beginn war es doch eigentlich so, dass sehr vieles auch darauf hingedeutet hat, dass Sie eine wissenschaftliche Karriere einschlagen. Oder gab es da eben, wie gesagt, irgendwann einmal den Moment, wo Sie das Gefühl hatten, nein, das ist jetzt doch die Literatur oder es soll beides sein? Oder wie ist da jetzt sozusagen der Status quo in Ihrem Leben? Ja, das ist, also mir gefällt momentan wirklich auch beides zu machen. Also und beides heißt aber auch mit einer gewissen Autonomie. Also als Schriftstellerin ist diese Autonomie ja manchmal auch ein bisschen zu groß. Also was halt gerade diese wirklich nicht gesicherten Einkünfte und so weiter, also mit Stipendienanträgen. Und es lebt ja niemand oder kaum jemand tatsächlich von verkaufter Bücher, obwohl es natürlich immer schön ist, wenn die Bücher gekauft und vor allem am wichtigsten gelesen werden. Aber es sind ja hauptsächlich Stipendien, Honorare bei Auftritten und so weiter. Und das ist natürlich, also da gibt es bessere und schwierigere Zeiten. Und in der Wissenschaft ist es ja tatsächlich auch nicht einfacher geworden, auch nicht institutionell angebunden. Wir wissen alle mit diesen neuen, sich weiter verschärfenden Universitätsgesetzregelungen und so weiter und so fort, die gerade WissenschaftlerInnen, die noch nicht über eine Profession und so weiter verfügen, also wirklich auch stark benachteiligen. Also es sind eigentlich zwei jetzt nicht so stabile oder ökonomisch stabile Felder für, um zu arbeiten. Wo es auch sehr prekär manchmal sich abspielt, ja. Aber soweit es geht, finde ich eigentlich schön, wirklich beides zu machen. Und das wollen Sie sich auch so beibehalten? Ja, wenn möglich natürlich sehr gerne. Aber Sie machen sehr vieles, Sie sind in diesem Projekt politisch schreiben und ich habe es jetzt nur so nicht mehr ganz richtig, also ganz korrekt im Sinn, aber das ist für all jene, die den Tiger im Hirn haben oder so ähnlich. Das hat mir recht gut gefallen. Das heißt, was Politik betrifft, würden Sie meinen, haben Sie so das Kämpferische, den Tiger im Hirn? Ja, also hoffentlich. Oft, manchmal auch ein bisschen. Also manchmal ist der Tiger ein bisschen müder und ein bisschen traurig. und in Leipzig ansässig ist. Und es ist wirklich auch, also der Tiger im Hirn ist wirklich auch, wir wissen, es ist ein konkurrenzbasiertes System, dieser ganze Kunst- und Kulturbetrieb. Wir wollen trotzdem Banden bilden, wir wollen uns trotzdem vernetzen und wir wollen vor allem auch diese Struktur miteinander besprechen und sie nicht einfach stillschweigend hinnehmen. Und da ist ein Tiger im Hirn auf jeden Fall sehr hilfreich. Also es ist so ein wenig das Widerständige. Aber doch irgendwie das Widerständige ohne jegliche so aggressive Haltung, die man ja bei Ihnen überhaupt nicht spürt. Das macht auch ein wenig, um den Bogen zu schließen, auch wieder die Mira aus, bei der man ja auch so gar nichts Verbissenes oder Aggressives spürt. Ich glaube, das ist so wie mit dem Reisen, mit den verschiedenen Begegnungen. Also Sie haben es so schön erzählt mit den drei Fahrern, die die Mira dann im Endeffekt wieder vom Osten der Sahara in den Westen bringen. Ich glaube, das ist auch, ich glaube, es ist sehr gut, sich zu überlegen, was ist meine Haltung dieser Welt gegenüber und daran auch zu arbeiten. Aber diese Welt selbst, ich glaube, es ist gut, seinen eigenen Stammpunkt, von dem aus gesprochen, geschrieben und auch argumentiert wird, immer wieder gut zu befragen. Der ändert sich auch. Aber gut zu wissen, wo man selbst steht und dann wirklich, aber nicht sich sozusagen auf eine bestimmte Strategie oder eine bestimmte Dogmatik festzulegen. Weil das macht den Kopf schmal, das macht das Sehen ganz eingeschränkt und das macht auch die Begegnungen sehr kanalisiert und meistens nicht schön und offen. Ja, ja. In der Hinsicht ist es ein streunender Tiger in unseren Köpfen. Also was das Literarische betrifft, ist ja eigentlich am meisten politisch die Nachrichten an den großen Bären, wo sie sozusagen auch eine völlig diktatorische Welt kreieren. wo sie sozusagen auch eine völlig diktatorische Welt kreieren. Also finde ich, ist das Buch von ihnen, das wirklich am offensichtlichsten sehr politisch ist. Ja. Da war auch natürlich eine große Sorge. Es war ja alles lang vor Corona und alles auch vor den Dingen, die sich jetzt immer stärker und auch schärfer abzuzeichnen beginnen, aber die waren natürlich schon vorher da. Und interessant ist, bei der Rezeption von der Nachricht an den Großen Bern war am problematischsten oder am meisten kritisiert und diskutiert worden sind, war diese Zonenaufteilung von Europa. Also da gibt es so diese A- bis C- oder bis D-Zone, wo halt quasi die innerkolonialen Verhältnisse Europas also einfach wirklich auch überzeichnet, aber prinzipiell und strukturell gibt es das ja alles. Und das hat mich damals wirklich fasziniert, dass das so, ich glaube es war auch das Wort Zone, Das war so ein ganz, ganz, ganz heikles Wort. Und vielleicht auch einfach die Tatsache, dass, also das gibt es alles. Union. Also ich habe eine Zeit lang in Bratislava an der Uni, in der Comenius-Universität gearbeitet, bin gependelt zwischen Wien und Bratislava, sind nur noch 60 Kilometer. Also in der Slowakei verdient man ein Drittel von dem, was in Österreich verdient wird, in allen Bereichen. Und Bratislava ist aber so teuer wie Wien. Also die M ist aber so teuer wie Wien. Also die Mieten sind so teuer wie Wien. In den Supermärkten kosten manche Dinge sogar noch mehr. Und ich glaube einfach, ja genau, das ist ein kurzer Exkurs zu der Nachricht. Ich glaube, das hat mich damals eben wirklich auch sehr beschäftigt und die Konsequenzen daraus. Und Sie meinen kritisiert, weil Sie gemeint haben, kritisiert wurde das dann von den Belesungen oder von den Rezipienten, also von den Kritikern auch, oder? Aha. Und dieses Wort Zone, also ich habe so gemerkt, das war der größte Stein des Anstoßes. Also diese Zonenaufteilung, das war irgendwie am, das ist wirklich am, also am meisten angesprochen worden, auch Belesungen oder auch in Rezensionen und teilweise auch am heftigsten kritisiert worden, tatsächlich. Und ich habe das interessant gefunden, weil ich mal gedacht habe, ist es jetzt zu klar benannt? Ist es so etwas, was man wirklich lieber nicht in der Form thematisiert sehen möchte? Oder ist es vielleicht tatsächlich das Wort Zone? Also dieses sehr, sehr, sehr aufgeladene Wort, also sowohl historisch als auch eben auch ideologisch sehr aufgeladene Wort Zone. Das war auf jeden Fall faszinierend. Ja, ist auch immer wieder interessant, mit welchen Begriffen oder mit welchen Themen man dann doch wirklich, wirklich unangenehmes berührt anscheinend bei Menschen und bei mehreren Menschen. Was folgt jetzt bei Ihnen? Ich kann mir vorstellen, es ist bereits wieder etwas in Arbeit oder ist jetzt gerade ein wissenschaftliches Projekt, das Sie sehr in Anspruch nimmt? Es gibt einerseits ein wissenschaftlich-essayistisches Projekt. Also ich arbeite zusammen mit Andreas Baflik an einem Buch über Vagabondage. Das ist so ein Sammelband, der wird nächstes Jahr im Frühjahr im Sonderzollverlag erscheinen. Und wir sind jetzt gerade dabei, also die ersten Beiträge treffen ein, wir arbeiten selbst an unseren Essays, also das beschäftigt mich jetzt wissenschaftlich und literarisch ist durchaus ein weiteres Projekt geplant, das steht ganz am Anfang, also da gibt es gerade mal die ersten Entwürfe, die ersten Exposés. Und das wird auf jeden Fall auch noch Zeit dauern. Aber da wird es groß gefasst um Trauer gehen, also einerseits um individuelle Trauer, aber andererseits auch um gesellschaftliche Trauer, also um Verlust, sozialen Verlust, ökonomischen Verlust. Und das wird sich nicht direkt auf die Pandemiesituation beziehen, aber einige der Themen in einem anderen Kontext berühren, die mich während der Pandemie auch sehr berührt haben und weiterhin eben genau diese Verluste, also die persönlichen Verluste, aber auch die Verluste, was so den Existenzboden unter den Füßen betrifft, wovon sehr viele betroffen sind und in weiterer Folge auch sein werden. Ja, was man so weiß. Ja, wünsche ich Ihnen in beiden Bereichen sehr viel Glück und danke fürs Kommen. Alles Gute. Ja, herzlichen Dank für die Einladung. Ja, das war heute ein Literatur im Dorf mit Eva Schörkuber. Wir haben über ihr neuestes Buch, die Gerissene, erschienen im Atelier Verlag gesprochen, auch über einiges andere mehr, über ihre wissenschaftliche Arbeit und ihr Engagement. Und ich, Silvana Steinbacher, wünsche Ihnen noch eine schöne Zeit. Machen Sie es gut. you