Gereifte Corona-Jahr-Erkenntnisse Bestandsaufnahme Status Covid-19 Nummer 42 am 14. März 2021. Eins kann ich nach zwölf Monaten Pandemie definitiv sagen. Ich mag meine Wohnung. Aber ich hasse alle von meiner Wohnung ausgehenden Spaziergangsvarianten. Und wie nochmal gingen eigentlich Umarmungen? Ja, ich spüre ihn kommen. Wenigstens da ist dieses Jahr nicht anders wie alle anderen. Er kommt immer irgendwann im März. Er, der zu früh die Winter gegen die Übergangsjacke ausgetauscht Tag. Und ja, er wird Folgen haben. Ich werde mich wie immer verkühlen und dann, oh Himmel, hilf halt ein, husten müssen. Und wieder wird die Chance zur Übergangsjacke vorbei gewesen sein und sie bis zum Herbst, der keiner sein wird, wieder im Kasten verstaut werden. Arme, arme Übergangsjacke, dünnes Opfer Übergangsjacke, dicke, mächtige Corona-Winterjacke. Hast mir gute Draußenstehdienste geleistet, sollst dafür nicht gescholten werden. Scholten war mal Kunstminister, ein Ministerium für Kunst, das gab's damals noch. Man stelle sich vor, ach damals, ach Jacke, Wärme, Sauna. Werde ich mich je wieder zu dreißigst in die Hütteldorfer Außensaunakammer quetschen? Zu zwanzigst? Zu zehnt? Ich weiß es nicht. Ich weiß andere Dinge. Es ist gerade sehr leicht, Aufmerksamkeit zu erregen. Es genügt schon ein Smiley oder Mittelfinger auf der FFP2-Maske. Es funktioniert auch, beim Friseur gewesen zu sein. Wenn 2020 das Corona-Jahr war, ist 2021 das Haar-Jahr. Noch nie stand Haar so groß im Mittelpunkt und so wirr von allen Häuptern. Seit ich mir meine Corona-Matte schneiden ließ, trage ich die Last der Lockdown-Tage nicht mehr mit mir um. Ja, ich bin lockerer geworden, fühl mich leichter. Daher sage ich, Sorgenhaare locken down und Freude Frühlingsstimmung ab. Ja, schwanke, was ich werden will, die Zukunft schönredner oder die Gegenwart verdammer. Ich sag einmal so, die Zukunft ist gesichert, die Gegenwart wird schon vorbeigehen, ist sie noch immer. Aber wissend, wie grundlos müde ich die letzten Wochen trotz Schlafschnitt von neun Stunden war, fürchte ich mich schon etwas vor der berüchtigten Frühjahrsmüdigkeit. Haben sich die Ich-schau-dir-in-die-Augen-Baby-Blicke nach einem Jahr Maskentragen eigentlich intensiviert? Dürfen FFP2-Masken mit Wasserfarben verziert und individualisiert werden? Ich weiß es nicht. Ich weiß andere Dinge. Was mich ehrlich gesagt schon ärgert, ist, dass ich noch im Jänner richtig viele, richtig coole Stoffmasken gekauft habe. Was mich wundert wiederum, ist die Hartnäckigkeit, mit der Schneidereien Stoffmasken noch immer im Schaufenster anbieten. Es wundert mich auch, dass der vergangene Fieber zwar gefühlt der längste Fieber aller Zeiten war, ich aber jetzt schon nicht mehr weiß, was ich im vergangenen Fieber gemacht habe. Ist das das Lockdown-Paradoxon? Weiß ich es nicht, weil eh nichts passierte. Nichts vom Balang, nur Lang, Lang, Langeweile. Einerseits ja gut, dass ich diese Durststrecke schon erfolgreich verdrängt habe, andererseits aber schon auch bedenklich. Vergoldfische ich womöglich. Aber immerhin, immerhin hab ich jetzt, was ich seit der Jugend nicht mehr hatte und zwar richtige Winterschuhe. Keine Winterstiefel, aber pelzgefütterte, schwere Winterschnürschuhe lokaler Produktion. Dicke, mächtige Winterschnürschuhe. Hab mir gute Draußendienst-Stehleiste geleet, sollt dafür nicht gescholten werden. Scholten, hat man gesagt, dass Kunst öffentlich finanziert gehört, wie Bildung, man stelle sich vor. Was ich auch habe, noch immer, ist eine ungenützte Österreich-Card, mit der ich aktiv die ÖBB unterstütze. Ach, Schuhe, Kunst und Zugfahren. Ich wäre ja so leicht zufriedenzustellen. Endlich wieder mal ein Grund zum Zugfahren. Würde helfen, wenn ich mit Maske im Zug in der Ruhezone säße, über das deutsche Eck führe und die Augen schlösser, verspürte ich einen kurzen Moment der absoluten Freiheit. Es wäre wie verschwinden, unsichtbar, startendlos und losgelöst von allem, sein losgelöst im vorübergehenden Nichts. Und dann, dann endlich wieder mit zugestiegen von einem auch nur seine Pflicht erfüllenden Schaffen aus diesem Glücksmoment gerissen werden. Und dann endlich wieder Klingeltöne anderer Menschen hören und sie Scheiße finden können. Und dann endlich wieder über Schaffnerinnen anderer Menschen hören und sie Scheiße finden können. Und dann endlich wieder über Schaffnerinnen durchsagen, schmunzeln oder sich ärgern, dass welche ausbleiben, wenn der Railjet seit Minuten irgendwo im niederösterreichischen Nichts steht. Und dann endlich wieder sehen, was andere so lesen, für Serien schauen, für Winterschuhe tragen. für Serien schauen, für Winterschuhe tragen, endlich wieder wundern über die Zeitverzögerung vom Türöffnerknopf drücken bis zum tatsächlichen Türöffnen, endlich wieder mit der Hand nach dem Sensor der Glasschiebetüren fuchteln, endlich wieder mal Zug fahren, Zug fahren mit Grund, jetzt dann, bitte bald, danke, geht das? Fällt dir keine andere Abschlussfrage ein? Doch, wieder mal eine Rätselfrage. Was ist der Feind von selbst erzeugten Düften? Das Stoßlüften, sagt Markus Köhle in der Bestandsaufnahme 42 vom 14. März 2021. Danke fürs Dabeisein und Zuhören. Bis nächste Woche. Tschüss.