Wie machen wir jetzt weiter? Gespräche mit Menschen, die Zukunft denken. Ein gemeinsames Projekt von movement21 und der Zeitschrift Welt der Frauen. Mein Gast heute ist Mag. Norbert Travöger. Herzlich willkommen, Norbert. Norbert, du bist Musiker, du bist Künstler, du bist künstlerischer Direktor des Bruckner Orchesters, du bist Intendant des Kepler-Salons und du bist auch, soweit ich das von dir als Selbstbeschreibung kenne, ein Luftikus. Was erkennt ein Luftikus an der Welt, so wie sie heute ist? Was siehst du da an Besonderem? Als Luftikus, so ein schönes Bild, vielleicht schwebe ich manchmal. Vielleicht ist es die Perspektive, sich zu erheben, eine gewisse Leichtigkeit, auch zwischen den vielen Dingen, die ich tue, in verschiedene Aggregatzustände zu switchen. Was erkenne ich? Wir sind alle aus unseren Routinen gerissen worden, nämlich kollektiv. Und was mich fasziniert hat, ist, dass wir alle gemeinsam Anfängerinnen und Anfänger wurden in diesem Zustand des Lockdowns. Das ist eigentlich ein ganz wahnsinnig faszinierender Vorgang, dass alle für einen Moment in einer Unschuld sind und gleichzeitig sich der Blick auf die Welt und auf das Tun und in die Formen und in den Alltag, in dem wir uns selbstverständlich und in unserem Land mit einer wahnsinnig großen Sicherheit, einer Planungssicherheit bewegen, dass das in Frage gestellt worden ist. Das macht uns natürlich höchst unsicher. Lasst uns Fragen stellen und ich finde das im Moment einen ganz großartigen Zustand. Und es ist ganz wichtig, dass wir jetzt die Fragen stellen und auch Antworten versuchen. Welche Fragen würdest du dringend stellen wollen jetzt? Wenn ich jetzt in meinem Bereich, sozusagen Kunst- und Kulturbereich, einfach gleich mal einen Blick mache, in der Hochkultur eines Orchesters oder Theaters, gibt es eine Behausung, da findet das nach einem bestimmten Ritual statt, wie in einem Tempel, fast ein liturgischer Vorgang. In den letzten Jahrzehnten sind wir ohnehin schon viel mit den Fragen beschäftigt, ist das noch zeitadäquat, kommen die Menschen rein, sind da nicht irgendwelche Hemmschwellen, die Vermittlungsprogramme sind ja hochgefahren, das sind ja alles Fragen, die denen nicht neu sind, aber durch Corona sozusagen viel attenter und sozusagen notwendig, wirklich notwendig, waren es an sich, diesen Fragen zu stellen und da stütze ich mich nicht die Frage nach dem Kern, der ja sich irgendwie verändern muss, was da immer passiert an Verwandlung, Kunstwerk, der Raum der Kunst, einer Symphonie, sondern die Frage, wie sind die Zugänge eigentlich adäquat. Haben wir mit unserer Gesellschaft, mit Menschen des 21. Jahrhunderts, in einem Ritual, das eigentlich aus dem 19. Jahrhundert stammt und wo wir eigentlich geglaubt haben, dass es Gott gegeben ist. Wo es nicht länger wie 120 Jahre ist. Also du meinst, es ist auch eine Chance, einen neuen Zugang zu gewinnen zu dem, was Kunst und Kultur ist, in welchen Formen es sich bewegt, in welcher Form es Inputs in der Gesellschaft gibt? Unbedingt, unbedingt. Weil ich glaube, dass man manchmal auch die Kunst und Kultur in Reservaten bewegt. Also das ist so die eingeweihten Wissen, die Zugänge, wo man reinkommt, wie man sich verhält und dann ist man irgendwie dabei. Mich fasziniert der Gedanke, der natürlich mit einem großen Hesda gar nicht so einfach ist, dass man im Alltag, dass man im alltäglichen Geschehen mit Kunst in Berührung ist. Das ist Kunst, was mit unserem Leben direkt zu tun hat. Wir haben da jetzt eigentlich im Lockdown relativ schnell ein Projekt geboren in Wels, die Collaterale. Wirklich, es war ein Spontanprojekt, das man normalerweise, glaube ich, mindestens ein Jahr Vorlaufzeit hätte. Wo wir einfach gesagt haben, es fallen jetzt Ausstellungen aus, wir können in der Galerie keinen Betrieb machen, da müssen wir im Sommer rausgehen. Und es waren dann in kürzester Zeit 30 Kunstschaffende in Leerständen an Litfaßsäulen in der Stadt performativ ausstellend Laboratorien in der Wöser Innenstadt. Und es hat mich eigentlich sehr fasziniert, wie das einfach dann passiert. Zufällig kommt ein Passant, eine Passantin vorbei, kommt ins Gespräch, kommt mit Kunst in Berührung. Die Kunstschaffenden haben auch von unzähligen Geschichten berichtet. Es finden feinstoffliche Begegnungen statt. Es geht nicht um das Spektakuläre, aber es ist dieser Raum oder das Vibrierende, was ich für mich, warum mir die Räume der Kunst für so wichtig sind. Weil das sind sozusagen diese Zweckfreuden. Ich wäre mir auch ein bisschen gegen dieses Systemrelevant. Ich sage mal, Kunst braucht überhaupt kein Systemrelevant. Das Bestehen der Räume soll relevant sein und der Gesellschaft als wert sein, unbedingt. Aber was darin stattfindet, ob das jetzt nützlich oder unnützlich ist, das möchte ich mir nicht vorschreiben lassen. Die Kunst kann alles unterhalten, irritieren, jemanden inspirieren, den anderen abstoßen. Und das sind ja eigentlich alles zweckfreie menschliche Zustände, wo wir uns auch begegnen. Was mich am Konzert fasziniert, ist sozusagen der solidarische Vorgang, miteinander zu lauschen. Die spielen, wie die hören, zu einem Klangkörper und schauen, was da passiert. Und das ist ja oft gar nicht so benennbar und auch nicht so wahnsinnig spektakulär, sondern es ist Miteinander sein. Also ich habe gerade in den letzten Wochen die Konzerte, Theater und so, die es gegeben hat, sehr geschätzt, weil sie diesen Charakter der Improvisation immer mitgehabt haben und auch der Intimität, die sie eigentlich mit Improvisation verbindet. Du improvisierst sehr viel, auch als Musiker. Worauf kommt es bei Improvisation an? Wie geht man diese Schritte einer Improvisation eigentlich? Oder wo lässt man sich da mitnehmen und was steuert man an in der Improvisation? Das ist eine gute Frage. Ich glaube, zum einen ist die Vorbereitung ganz was Wesentliches. Also Improvisation heißt ja nicht Beliebigkeit, sondern heißt höchste Wachheit und vielleicht auch, wenn ich jetzt in musikalischen Tonleitern oder Klangvorgängen wirklich geübt habe, die ja sowieso internalisiert zu haben, dass die einfach irgendwie in einem bewusst unbewussten Vorgang dann im Augenblick auftreten. Aber das heißt vor allem in der Zeit zu reagieren, wie ist die Atmosphäre durch Menschen, die zuhören, wie bin ich selber drauf, was kommt darauf, was passiert. Es ist nichts falsch, es ist nur falsch, sozusagen, irgendwie was machen zu wollen, sozusagen in diesem Fluss. Der Idealzustand ist ein Zustand des Flows, sich hinzugeben. Das ist ja scheinbar bei aufgeschriebener Musik nicht immer so einfach. Aber im Endeffekt ist es auch der Zustand, der erreicht werden muss, ganz egal wie alt das Stück ist, ob das jetzt 300 Jahre ist. Musik findet ja immer im Jetzt statt. Die kann gar nicht alt werden, weil sie findet im Jetzt statt und ereignet sich, wenn es gespielt und gehört wird. Aber was da, also abgesehen von dem spielerischen Akt und Vorgang des Improvisierens, finde ich die Improvisation an sich ein ganz wichtiges Stichwort jetzt. Gerade in großen Betrieben, wo so wahnsinnig lange Planungszeiten sind. Wir wissen zum Teil, wo wir 2022, 2023 Konzerte spielen, welcher Programm. Und wir im Mittelmeer oder in Europa sind ja auch wahnsinnig gewohnt, dass es keinen Plan B gibt. Wieso? Dann gibt es nur, wenn ich ein Open-Air-Konzert mache, da kann es regnen, dann muss ich mir etwas überlegen. Mit dem kann ich rechnen. Mit mehr ist ja nicht zu rechnen. Dann wird halt einmal irgendwer krank, dann gibt es einen Einspringer, also sage ich es eigentlich sehr selten. Aber auch in der Form und in dem Ablauf, dieser wenige Platz für Improvisation, schnell etwas zu machen, natürlich weil der Apparat da groß ist, weil mit 100 Menschen, 100 Musikerinnen und Musikern, das gleich organisiert. Aber ich finde das auch jetzt einen schönen Moment, dass man jetzt doch sagt, wir wissen aber nicht so genau, ob das Konzert jetzt nächste Woche so in der Form stattfinden kann, weil es vielleicht auch wieder Veränderungen gibt im Vorgang, in den Zeitumständen, so bei Ansteckungsgefahr oder was auch immer. Es könnte sein, dass sich das Programm verändert. Solche Sachen bringen auf Freiheit. Lässt sich dieser Zugang zur Improvisation auf die gesellschaftlichen Situationen, in denen wir jetzt sind, übertragen? Kann man sozusagen aus der Kunst der Improvisation für das was lernen, wie wir uns jetzt weiterbewegen? Ich glaube schon. Die Bereitschaft zu improvisieren, und da ist einmal ein langer Weg hin, dass man überall bereit wird zu improvisieren, heißt, wach zu sein. Das heißt nicht unbedingt tradierten Vorgangsweisen, Verhaltensweisen, Mustern, wie es in der Gesellschaft war, wie man sich zu verhalten hat. Das meine ich jetzt auf jegliches Ort. Wie ich meine Steuern zu zahlen habe, wie ich mich in der Straße baue, wie ich mit einem Fremden umgehe oder was auch immer. In Frage zu stellen und im Augenblick zu schauen, was ist jetzt eigentlich notwendig. Was kann ich jetzt einbringen? Und das erfordert ja eine wahnsinnige Selbstreflexion, mal überhaupt in diesen Zustand des Reagierens zu kommen und nicht auf die eigenen Muster zu kommen. Und ich glaube, das ist schon, wenn die Gesellschaft, das war so ein bisschen ein Bild, wieder mehr zur menschlichen Versuchstation, Laboratorium des Miteinander umgehens, das schauen braucht ja was, auch die Empathie, die dann auftritt. Also Improvisation und Empathie zwischen zwei Musikern geht nicht. Es muss ja immer wieder um Spannung und Entspannung, um Harmonie und Disharmonie gehen. Also wenn ich nicht empathisch bin, wenn ich nicht zuhöre, wenn dieser Zustand des Mieternahmens und des Wissens, dass ich eingebettet bin, dass ich Mitspielerinnen und Spieler habe, fand ich das ein sehr faszinierendes Bild. Da kann die Kunst und die Räume der Kunst ein bisschen anstecken. Mutig zu sein und auch nicht gleich zu schauen, was schaut aus dabei. Du hast als Intendant des Kepler-Salons zusammen mit dem Rektor der JKU eine Lage nach der Utopie ausgerufen. Die meisten reagieren in dieser Situation eigentlich dystopisch, das heißt mit einer negativen Utopie, also mit der Vorstellung, was jetzt alles kaputt gehen wird, was alles schwierig werden wird, was dem Ende zugeht. Was suchst du mit der Frage nach der Utopie? Im Prinzip ganz einfach das, dass wir immer wieder daran erinnert werden und begreifen, dass wir Gestalter sind. Und ich glaube auch, dass jetzt vieles kaputt gehen wird, dass wir jetzt sicher in einer Phase sind, wo sich vieles ändert und vieles auch sehr schmerzhaft sein wird, auch diese Unsicherheit und weil natürlich die Kräfte der Wirtschaft und des Gehälters auch ihre Bedürfnisse und Normalitäten wieder verlangen, die Sehnsucht nach der Normalität, was das auch immer ist. Zum anderen ist eben, wie wir schon gesagt haben, ist das ja genau die Chance, dass man die Dinge neu gestalten, das ist sozusagen ein Gestaltungsmoment, der vorher gar nicht da war. In der Klimaschutzdiskussion, das war alles sehr mühsam, jetzt ist es schon eine Spur, zumindest eine Spur realistischer, dass man reagiert, wenn man reagieren muss, weil es aus gesundheitstechnischen Gründen oder was auch immer gar nicht anders möglich ist. Weil du die lange Nacht der Utopie angesprochen hast, das war einfach der Beweggrund, ist das vor allem eine Erinnerung daran gemeinsam, wir können sozusagen auch über die Utopie, über die Fantasie, Utopie ist vielleicht sogar ein sehr großes Wort, aber es kommt auf jeden Einzelnen, auf jeden Einzelnen von uns darauf an, dass wir gestalten können. Und das heißt nicht immer sozusagen die großen gesellschaftlichen, sondern einfach auch menschlich im ganz nächsten Bereich, dass wir Sachen anders machen können. Und das heißt nicht immer die großen gesellschaftlichen, sondern menschlich im ganz nächsten Bereich, dass wir Sachen anders machen können. Siehst du gesellschaftlich irgendwo so von Utopie geprägte oder motivierte Bewegungen oder so Glutnester, die du interessant findest? die du interessant findest? Da muss man ein bisschen drüber nachdenken. Warum ich auch ein bisschen drüber nachdenke? Ich bin natürlich in einer Bubble oder in einem Resonanzraum, wo das Thema ist. In den Räumen der Kultur und Kunst, mehr oder weniger ist das schon ein Thema, wie geht es weiter, natürlich aus schmerzhaften existenziellen Gründen. Ich glaube schon, dass es an einer Spur mehr, also es sind sichtbarer und hörbarer, mehr Menschen gibt, die darüber nachdenken. Das war es vor Anfang August, für zwei Tage mit 35 Menschen aus Kunst und Kultur, aus allen Bereichen, vom Intendanten der Sturiate bis zum Jazz-Club-Besitzer bis freischaffende Musiker, aus allen Bereichen, wo wir einfach sozusagen Fragen der Zeit, die uns bewegen, diskutiert haben. Das hat erstmalig stattgefunden. Und es hat mich in einer gewissen Art beruhigt, weil wir umeinander wissen und im Diskurs sind und das auch weiter wollen und sozusagen der Gestaltungsmoment dann auch größer wird, wenn wir es miteinander machen. Deswegen sind die Probleme nicht gelöst. Aber das Umeinanderwissen sozusagen und dass die Problemstellungen und Herausforderungen, die wir jetzt haben, eigentlich gar nicht so unendlich sind. Ganz egal aus welchem Blickfeld. Das gilt wahrscheinlich dann auch für wirtschaftliche Bereiche mit anderen Vorzeichen. Aber ich glaube, das Um- und Wissen und das Thema haben, ist zumindest ein bisschen sichtbarer. Und ich glaube, es sind viel mehr Menschen bereit, dran zu bleiben und etwas zu investieren und zu sagen, wir müssen das jetzt tun. Also sich gegenseitig zu inspirieren, ohne dass man genau weiß, wohin das führen möchte. Eine Schlussfrage habe ich noch an dich, Norbert. Wenn du ein Jahr nach vorblickst in den Sommer 2021, wie werden wir da leben? Die Frage habe ich mir der Tage schon einmal gestellt und habe keine richtige Antwort darauf gefunden. Ich glaube schon, dass die Sparwelle, die zu erwarten ist, wahrscheinlich dann auch mal heftig anfangen wird. Ich hoffe aber, dass das Szenario des Miteinanderredens, des Vernetzens, des Thematisierens, dass das einfach schon viel Raumgreifender in der Gesellschaft geworden ist. Dass die gestalteten Kräfte auch sehr massiv sagen können, wir machen das jetzt vielleicht ganz anders, als wir das bisher gemacht haben. Wir besinnen uns aber auch auf das, was uns wichtig ist. Wir wollen auch kämpfen dafür, wir wollen dafür einstehen. Es gibt ja eine Aufbruchstimmung, die sicher viele unbequeme Vorzeichen rundherum hat, aber das braucht es vielleicht auch. Aufbruch braucht ja eben. Wenn wir gut sitzen, warum sollen wir den Sitzplatz verlassen? Insofern bin ich realist, aber auch sehr zuversichtlich. Man soll ja auch die eigene Kraft nicht vergessen, welchen Beitrag, wie groß oder klein, es gibt da auch keinen Groß oder Kleinen. Wirklich den Hintern zu geben und etwas zu tun. Das Tun, Nachdenken, ein Nachisch sein in dem Sinn, dass man sich selber immer wieder am Kopf stellt und andere Perspektiven einnimmt. Neugierig sein, vor allem auf das, was uns fremd erscheint, und tun, tun, tun, nicht machen. Vielen Dank, Norbert Ravöger, und wirklich viel Freude beim Vernetzen, tun, tun, und nicht am Hintern sitzen bleiben. Vielen Dank für das Gespräch. Danke. Thank you.