Musik Wie machen wir jetzt weiter? Gespräche mit Menschen, die Zukunft denken. Ein gemeinsames Projekt von Movement21 und der Zeitschrift Welt der Frauen. ein gemeinsames Projekt von Movement21 und der Zeitschrift Welt der Frauen. Mein Gast heute ist Prof. Dr. Ulrich Brand. Ich begrüße Sie sehr herzlich aus Jena, zugeschaltet aber eigentlich Professor für internationale Politik an der Universität Wien, ein Experte für Globalisierung, auch ein Experte für Lateinamerika und durch dieses Themenfeld werden wir uns in der nächsten Viertelstunde durchbewegen. und durch dieses Themenfeld werden wir uns in der nächsten Viertelstunde durchbewegen. Herr Dr. Brand, Sie beobachten sehr genau die politischen und ökonomischen Entwicklungen global. Kann man schon so etwas wie Verliererinnen und Gewinnerinnen der gegenwärtigen Krise ausmachen? Ja, erstmal verlieren tendenziell natürlich alle, weil Normalität unterbrochen wird. Wie wir leben, wie wir im Alltag sind, es wird wahnsinnig viel Aufwand vertrieben, um den Alltag zu reorganisieren. Aber natürlich gibt es auch Gewinner. Es sind die großen Internetfirmen, es ist Amazon, andere Lieferdienste, es sind natürlich die pharmazeutischen Firmen. Und insgesamt würde ich sagen, verstärken sich in der Krise bestehende Ungleichheitsstrukturen. Also die, denen es ohnehin so ein bisschen besser geht, die einen fixen Arbeitsvertrag haben, die große Wohnräume haben, die mehr oder weniger stabiles Leben haben, die können das bei allen Zumutungen im Einzelnen weiterführen. Und andere, die eben beengt wohnen, die flexible Arbeitsverträge haben, im globalen Süden, in Lateinamerika, viele Menschen leben ja in sehr informalisierten Verhältnissen, sozusagen von Tag zu Tag im Einkommen. Die sind natürlich richtig bedroht auch in ihrer Existenz. Und von daher würde ich sagen, es verstärkt erstmal bestehende Ungleichheit. Es gibt ein paar ganz große Gewinner. Es gibt manche, die betrifft es vielleicht nicht so viel. Und dann gibt es viele in der Welt, vor allem im globalen Süden, die sind sehr stark von der Krise betroffen. Ja, darf ich da gleich anschließen? Sie gehen ja mit uns Konsumentinnen und Konsumenten in der westlichen Hemisphäre sehr kritisch ins Gericht und sagen, unsere Lebensweise ist sehr imperial. Was meinen Sie damit? Real-Lebensweise ist ja ein Versuch zu verstehen, wie wir ganz normal im globalen Norden, wenn wir leben, wenn wir Alltag haben, wenn wir Kleidung kaufen, wenn wir Nahrungsmittel kaufen, wenn wir Handys kaufen und nutzen, Autos und so weiter, systematisch Produkte haben, die unter oft ökologisch und sozial problematischen Bedingungen andernorts hergestellt werden. Denken wir an das berühmte T-Shirt der Näherinnen in Bangladesch. Darauf wollen wir erstmal hinweisen. Es ist eben eine, so wie wir leben, ist es voraussetzungsvoll. Also imperial heißt ausgreifen, heißt gar nicht, dass die Menschen das absichtlich machen. Viele müssen es auch machen. Und wir wollen anregen in der Gesellschaft, das Buch von 2017 hat ja eine große Debatte auch entfacht, wird gerade in neun Sprachen übersetzt, weil es offensichtlich auch in anderen Ländern einen interessanten Punkt macht, überhaupt darauf hinzuweisen, dieses Andernorts, vor allem im globalen Süden, aber auch die Tönnies-Fabrik, die Fleischfabrik, wozu katastrophalen sozialen Bedingungen rumänische Arbeiter die Tiere schlachten, verarbeiten müssen, wo ist tierethisch ganz problematisch, darauf wollen wir hinweisen. Das sind nicht nur Konsumenten, das sind vor allem natürlich auch Konsummuster, aber es sind auch die Arbeitsbedingungen, auf die wir hinweisen wollen, die ungleich sind und auch die Produktionsweise selber. Sie fordern ja auch in ihrer Ausrichtung, dass es stärkere ökologische und soziale Standards geben sollte in der Herstellung von Gütern, aber auch bei Dienstleistungen, gerade im Anschluss an das, was Sie gerade gesagt haben. Und die Politik soll das sein, die diese Standards garantiert. Jetzt muss man sagen, momentan kann man damit aber in Westeuropa noch keine Wahlen gewinnen, wenn man das tatsächlich einfordern würde. Wie kann man aus diesem Dilemma überhaupt herauskommen? Ist das nicht eigentlich eine unangemessene Forderung an Politik, die das gar nicht leisten kann? Naja, als Politikwissenschaftler sage ich natürlich jetzt, die Politik handelt in der Regel nicht von sich selber aus, sondern weil es Probleme gibt in der Gesellschaft, die gelöst werden müssen. Es gab vor 150 Jahren das Sklavenproblem, also es gab lange Sklaverei und mit einmal gab es soziale Bewegung. Die haben gesagt, Sklaverei ist nicht ethisch okay, das ist menschenrechtlich nicht okay. Also wurde es politisiert und die Regierung musste reagieren. dass Frauen kein Wahlrecht haben, dass sie auch nachts arbeiten müssen und so weiter. Und dann gab es soziale Bewegung, eine Politisierung und die Politik musste das aufnehmen über viele Konflikte und es gab dann Frauenwahlrecht, es gibt es heute Gleichstellungspolitik von Frauen. Und so müssen wir heute auch die Umweltfrage sehen. Die Umweltfrage oder die ökologische Krise wird politisiert, wird thematisiert von sozialen Bewegungen. Denken wir an die Anti-Atom-Bewegung, Österreich eine wichtige Geschichte, auch in Deutschland, denken wir jetzt an die Themen gegen Plastik, die Plastikvermüllung der Welt und denken wir eben auch an die Umwelt- und Sozialstandards in anderen Ländern, damit eben unsere Produkte nicht so billig sind, dass die impreale Lebensweise zumindest etwas verändert wird. Da gibt es ja internationale Abkommen und die müssen von der Politik umgesetzt werden. Ich wäre da gar nicht so pessimistisch, wenn aus der Gesellschaft heraus der Wunsch entsteht, wir wollen nicht nur billig, billig, billig, sondern wir wollen Produkte kaufen, die zu sozialen und ökologischen Bedingungen produziert werden. Dann muss die Politik auch liefern. Und das tut sie ja teilweise auch. Können wir vielleicht noch ganz konkret jetzt bei dieser aktuellen Covid-19-Krise bleiben? Die österreichische Bundesregierung sagt, sie will sich aus dieser Krise heraus investieren. Aus Ihrer Perspektive, was muss oder soll sie investieren, um sich aus der Krise heraus investieren zu können? Heraus investieren knüpft ja an sozusagen das alte, dominante wirtschaftspolitische Paradigma an Wachstum, Wachstum, Wachstum. Also wenn investiert wird, dann kann wieder gewachsen werden, dann haben wir mehr. Und was wir ja jetzt haben in der Krise und zwar ein sehr interessanter Unterschied zu 2009, also zur Wirtschafts- und Finanzkrise, dass es durchaus eine stärkere ökologische Sensibilität gibt. Es kam ja nicht die Schrottprämie in Österreich, die durchaus gefordert wurde, auch den Import oder in Deutschland. Es gab durchaus die Diskussion, wie soll die Aua unterstützt werden. Also ich würde nicht sagen, dass investiert wird, sondern wie investiert wird und in welche Bereiche investiert wird, das ist wichtig. Wir brauchen dringend Investitionen. Was würden Sie sagen? Ja, Pflegebereich. Jetzt mit Corona ist es ganz klar, wir brauchen dringend eine stärkere Pflege, auch eine öffentliche Pflege. Die Leute müssen gut bezahlt werden. Wir brauchen dringend Investitionen in öffentlichen Verkehr. Wir haben jetzt die Chance anzuerkennen, der Flug sozial-ökologischen Umbau, oder nehmen wir die Landwirtschaft, nicht mehr die großen Subventionen für die industrielle Landwirtschaft, sondern ökologische, regionale Landwirtschaft, wo Österreich ja einiges zu bieten hat, auch weiterzuführen. Die Kommissionspräsidentin von der Leyen hat jetzt ihren Europäischen Green Deal formuliert, der ja durchaus von den Zielen sehr weitgehend ist, ökologische Landwirtschaft zu fördern. Also müsste man genau schauen, in welche Bereiche gehen die Investitionen? In ökologische Bereiche, in soziale Bereiche. Und da gibt es gute Beispiele und da muss die Politik jetzt liefern. Sie vertreten auch das Schlagwort des Postwachstums. Jetzt haben Sie aber gerade Bereiche aufgezählt, von denen Sie möchten, dass sie wachsen, also dass da stärker investiert wird. Ist dieses Schlagwort nicht irreführend, weil es immer suggeriert, dass es kein Wachstum bräuchte? Reden wir nicht eher davon, dass wir Wachstum in anderen Bereichen der Gesellschaft brauchen? Ich habe gerade ein Buch dazu veröffentlicht, das heißt auch Postwachstum und Gegenhegemonie. Der Titel ist ein bisschen Zungenbrecher. Ich habe auch ein Kapitel zur aktuellen Corona-Krise. Es kam im Juni raus, das Buch. Es ist ein Missverständnis zu sagen, Postwachstum bedeutet Schrumpfen, sondern die Postwachstumsdebatte, die ging in den 70er Jahren los, hat jetzt seit zehn, zwölf Jahren wieder viel Fahrt gewonnen, bedeutet genau zu sagen, wir müssen aus dem Wachstumsimperativ, also aus der Politik, alles muss immer wachsen und dann ist es gut raus. Sondern wir müssen genauer qualifizieren, welche Bereiche müssen rückgebaut werden. Flugverkehr, Automobilität, billige T-Shirts, billiges Fleisch etc. und welche Bereiche müssen ausgebaut werden. Also Postwachstum heißt nicht weniger vom Bestehenden, sondern heißt anders. Ein gutes Leben für alle bedeutet gute Lebensmittel, eine gute Mobilität, die erschwinglich ist und nicht so wie heute, alles muss überall wachsen, Hauptsache es werden Profite gemacht, also um es zuzuspitzen. vielleicht zuzuspitzen, Postwachstum bedeutet, aus dem auch kapitalistischen, dem Profitprinzip, das immer nur die Großen und die Starken fördert, ein bisschen herauszusteigen und wieder genauer zu fragen, was sind sinnvolle Bereiche, die zunehmen müssen und was sind eben Bereiche, die auch abnehmen müssen. Machen wir noch einen globalen Blick, internationale Politik, Wenn man sich die Kräfteverhältnisse global ansieht, dann hat es momentan den Eindruck, dass China mit seinem politischen System, mit seiner Art zu wirtschaften, eigentlich eine neue imperiale Macht oder die starke imperiale Macht ist. Da ist eine starke auch demokratiepolitische Implikation damit verbunden. Alle Standards, von denen Sie jetzt gesprochen haben, dafür ist China nicht gerade berühmt. Was erwartet uns denn da eigentlich tatsächlich, wenn China die beherrschende Weltmacht wird? Also erstmal erwarte ich nicht, dass China die beherrschende Weltmacht wird, sondern es wird eine Multipolarität geben. Die USA oder auch die EU werden ja weiterhin stark bleiben. Beim Durchschnittseinkommen ist China weiterhin ein Entwicklungsland, hat weniger Durchschnitts- oder Pro-Kopf-Einkommen als Ecuador beispielsweise. Das ist natürlich die schiere Größe, die China so mächtig macht und ein eben tendenziell autoritäres System. unseren Gesellschaften das Verstehende auf China zugegangen wird, also dass es kritisiert wird, Menschenrechtsverletzungen, geringe soziale und Umweltstandards, dass aber nicht gleich gesagt wird, China ist das Böse und wir hier in Europa, das läuft ja alles ganz gut. Ich sage Ihnen nur ein Beispiel. Studien zu Afrika zeigen, dass die Entwicklungspolitik von China in Afrika bei breiten Bevölkerungsschichten wesentlich akzeptierter ist, weil sie auch unverteilt ist, weil sie den Menschen auch was bringt, weil sie nicht nur für die Eliten ist, weil sie nicht nur die lokalen Märkte kaputt macht, was die EU-Politik gerade im Landwirtschaftsbereich oft macht. China ist ja eher auf Infrastruktur ausgerichtet. Also mein Plädoyer hier bei diesem riesengroßen Thema wäre, genauer hinzuschauen, nicht China nur als Böses zu handhaben, sondern auch immer wieder zu fragen, wie wehren sich Menschen in China gegen die schlechten Arbeitsbedingungen, gegen die geringen Sozialstandards und hier von Europa hin auf einen politischen Ausgleich hinzuarbeiten. Wir werden eine multipolare Weltordnung haben, die auch nicht nur das Dreieck China, USA, Europa sein soll, sondern wo sind Afrika, wo sind Osteuropa, wo sind Lateinamerika. Also das Multipolare wieder stark zu machen gegen diesen Clash, den es gerade gibt, ja sehr stark gefördert auch von Trump, wo die andere Seite nur ein Feind ist. Ihr Thema bringt es mit sich, dass man sehr große Themen mit, jetzt auch in unserem Fall, sehr wenig Zeit beantworten soll. Ein anderes sehr großes Thema ist die Frage der internationalen Politik. Wir haben jetzt in der Corona-Krise gesehen, dass sehr stark zurückgegangen wird auf nationale Politiken. Wir haben von Amerika erlebt, dass gerade internationale Organisationen weiter geschwächt werden. Diese internationalen Organisationen waren ja nicht nur Ordnungsstrukturen, sondern sie waren von ihrem Ursprung her sehr stark auch Friedensstrukturen. Auf welche Zukunft steuern wir dahin, wenn diese internationalen Strukturen geschwächt sind? Ja, Sie sprechen es an. Also der Nationalismus, an den Trump, Bolsonaro, Duterte, Orban usw. anknüpfen und von dem ja auch unsere eigenen Regierungen nicht frei sind. Machen wir uns nichts vor, Sie sprechen es ja selber an. Die großen Ressourcen sind natürlich weiter auf der nationalstaatlichen Ebene, um Krisen zu bekämpfen. Und da findet auch der Kampf um Legitimität statt. Die Regierung muss halt in Österreich Politik machen und die EU kommt da nur vermittelt ein. Ich würde aber auch sagen, Nationalismus ist auch erklärbar über 30 Jahre Politik der Spaltung. Dass 30 Jahre die Wohlhabenden, vor allem die Superreichen immer reicher wurden, die Politik das unterstützt hat, die Mittelschichten teilweise absteigen, teilweise geht es besser und viele, die eh nicht so viel hatten, denen geht es noch mal schlechter. Und diese natürlich eher empfänglich in persönlichen Krisenerfahrungen, ökonomischen Krisenerfahrungen, für die nationalistische Anrufung America first oder Austria first. Ist ja auch nicht so viel anders. Und was wir halt brauchen ist, die UNO natürlich zu stärken und vor allem die Ausgleichsmechanismen zu stärken. Die UNO hat ja auch Freihandelsorganisationen, die müssen eher geschwächt werden, die Welthandelsorganisationen, aber die Weltgesundheitsorganisationen, die Friedensorganisationen müssen gestärkt werden und der Politik dann auch zu sagen, wir brauchen internationale Ausgleichsmechanismen. Also wo wäre es gewesen, dass die UNO sagt, nicht nur die EU, die UNO, wir nehmen jetzt ganz viel Geld in die Hand, um auch in Afrika die Corona-Krise zu bekämpfen oder in Lateinamerika, das ist ja nicht geschehen, sondern das sind die Brosamen, dass dann die Entwicklungsminister in den Ländern sagen, ein paar Millionen gehen auch nach Afrika. Und was uns fehlt, sind soziale, dann eben auch friedenspolitische, ökonomische Ausgleichsmechanismen auf UNO-Ebene. Das ist die ganz große Zukunftsaufgabe. Wo sehen Sie denn die wesentlichen Entwicklungen in den nächsten Monaten? Was denken Sie, was werden wir im Zuge dieser weiteren Krise, was werden wir da noch erleben? Ich befürchte, dass es so weitergeht wie jetzt, dass es eher auf eine autoritäre Politik geht, dass die Kritik an der autoritären Politik eher von den rechten und rechtsextremen Kräften abgefischt wird, sehr verschwörungstheoretisch aufgeladen, dass die Rettungspakete weiterhin die wohlhabenden, die starken Akteure stützen. Das befürchte ich. Was ich mir erhoffe, das Argument mache ich auch in meinem neuen Buch, sind Lernprozesse, dass wir lernen können, der Staat kann eigentlich in Krisensituationen auch mal gegen herrschende Interessen agieren. Das, was uns vor einem Jahr bei der Klimakrise gesagt wurde, der Staat kann eh nichts machen, dass wir merken, doch, wenn die Krise anerkannt ist, kann der Staat auch durchaus für die Bevölkerungsmehrheit, für die großen Probleme einkommen. Was wir lernen können ist, eine Kultur des Geizes geil, alles muss billig sein, ich will für 1999 nach Mallorca fliegen können, dass es kulturelle Lernprozesse gibt, dass es, ich sag mal, ein auskömmliches Leben im Nahverhältnis auch ein sinnerfülltes Leben ist. Also in Corona, Post-Corona. Und ich wünsche mir letztens, dass wir lernen, dass auch die Unternehmen, beispielsweise die Autoindustrie, wenn es darauf ankommt, auch ganz schnell sich umstellen kann. Wir nennen das Konversion, also Umbau der Industrie. Dass beispielsweise dann eben Automobilkonzerne nicht mehr Autos, sondern medizinisches Gerät produzieren. Das war natürlich eine Krisensituation. Und ich würde mir wünschen, dass es viel mehr Mut gibt, dass die Unternehmen schauen, nicht mehr das ökologisch Zerstörerische zu bauen, sondern eben auch sinnvolle Produkte. Das wären so die möglichen Lernprozesse. Vielen Dank, Herr Dr. Brandt, für diesen kurzen, kompakten Überblick über Ihre Sicht auf die Dinge, auf die Krise, auf mögliche Entwicklungen, auf Ängste und auf Hoffnungen. Vielen Dank! Ich danke Ihnen, dass Sie dabei waren und wenn Sie weitere Antworten auf die Frage, wie machen wir denn jetzt weiter, suchen, dann werden Sie in einer Woche auf diesem Kanal wieder fündig. Vielen Dank!