Guten Abend im Stifterhaus, meine sehr geehrten Damen und Herren. Mein Name ist Stefan Kögelberger. Obwohl ich unseren heutigen Gast im Grunde persönlich bislang nicht kenne, weiß ich, dass er ein äußerst verlässlicher Mensch sein muss. Anders ist es nicht zu erklären. Denn wie Sie sich vermutlich vorstellen können, kontaktiert man als Veranstalter vor einer Lesung nochmals die Mitwirkenden, einfach um noch einmal alle Details abzuklären, zusammenzufassen und zu eruieren, ob es irgendwelche Besonderheiten oder Sonderwünsche gibt. So geschehen im Falle unseres heutigen Gastes am vergangenen Donnerstag. Die Antwort, die ich auf meine E-Mail nach wenigen Stunden erhielt, war an und für sich nichts. Nicht weiter aufregend, es wurde alles Vereinbarte bestätigt. Nichtsdestotrotz sorgte die letzte Zeile vielleicht das Kribbeln bei mir, Zitat, mit besten Grüßen aus Yakutat, Alaska. Punkt, Klammer auf, werde aber pünktlich im Stifterhaus sein. Klammer zu, Punkt, Zitat Ende. Na gut, wenn er am Donnerstagabend noch aus Alaska schreibt, dann wird er wohl am Freitag, vielleicht am Samstag zurückfliegen, dachte ich mir. Einen Tag wird er jetlaggeplagt, zurückfliegen, dachte ich mir, einen Tag würde Jetlag geplagt zwischen Bett und Küche hin und her wandernd im Bett verbringen und am Sonntag, spätestens Montag, wieder vollkommen fit und bei Kräften sein. Das geht sich aus, so meine Annahme, jegliches Auftreten einer Force Majeure ausgenommen. Nun ist es so, dass der Großteil der Autorinnen und Autoren via Zug zu uns anreist. Aufgrund der heftigen Regenfälle der letzten Tage verkehren derzeit, wie Sie alle wissen, keine Züge zwischen Wien und Linz. Also fragte ich gestern beim Verlag telefonisch nach, kommt der denn auch ganz sicher? Und die Antwort war, er hat gesagt, er nimmt sich ein Mietauto, was er mir bei unserem heutigen Gespräch am Vormittag telefonisch bestätigt hat. Bitte begrüßen Sie mich bei unserem heutigen Gespräch am Vormittag telefonisch bestätigt hat. Bitte begrüßen Sie mich bei unserem heutigen Gast, der den weiten Weg von Alaska nach Linz gemacht und dabei den Naturgewalten der letzten Tage getrotzt hat. Er hat sich den Applaus redlich verdient. Herzlich willkommen im Stifthaus Kurt Palm. Ein Gespenst geht um in Kurt Palms neuem Buch Trockenes Feld, jenem Buch, das mit der Genrebezeichnung Roman versehen und vor genau einem Monat im Leicham Verlag erschienen ist. Dieses Gespenst ist das Gespenst vom Tod. Kurt Palm macht sich in Trockenes Feld auf die Suche nach seinen Wurzeln und spürt seiner Familiengeschichte nach. Seine Familie stammt aus dem Dorf Kapan im kroatischen Slavonien. Die Verwicklungen und Verwerfungen des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit führten dazu, dass sich die Familie auf die Flucht machte und letzten Endes, weil sich die organisierte Fluchtbewegung mehr oder minder mit Kriegsende auflöste, in Neukirchen an der Vöckla strandete. Kurt Palm, eines von drei Kindern, kam 1955 in Vöckla-Bruck zur Welt, damals noch als Staatenloser. Erst ein Jahr später erhielt die Familie die österreichische Staatsbürgerschaft. Warum aber habe ich eingangs vom Tod gesprochen? Ganz einfach, weil er in trockenes Feld allgegenwärtig ist. Von Seite 1 bis Seite 302 sind seine Ursachen vielfältig. Suizide, Tod, Geburt, Krankheit, Alter. Es wird viel über den Tod nachgedacht und erzählt, mit allem, was dazugehört, mit Fragen, Vorwürfen, Anklagen und Trauer. Verklärendes Pathos hingegen sucht man vergebens. Und auch wenn man als Germanist immer auf die Trennung zwischen Autor und Erzähler bedacht ist, so dürfen wir bei Kurt Palms trockenem Feld doch davon ausgehen, dass die beiden, nämlich Autor und Erzähler, hier in vielen Bereichen deckungsgleich sind, dass es sich über weite Strecken, Ausnahmen bestätigen erfahrungsgemäß die Regel, mehr um Fakt als um Fiktion, zumindest um fiktionalisierte Realitäten handelt. Es ist ein sehr intimer Blick in die persönliche Familiengeschichte und die Geschichte der ehemaligen Einwohnerinnen und Einwohner von Kapan, den Kurt Palm dem Lesenden gewährt. Und dass dabei so gut wie nichts in nostalgische Schwärmerei gerät, dass keine Verkitschung irgendeiner Art stattfindet, zeugt davon, dass da einer alles einordnen und in den Spiegel der Geschichte zu stellen vermag, ohne jeder Handlung eine moralisierende Wertung zuzuführen. Und so wird in trockenes Fell, wie unser heutiger Moderator in seiner Rezension zum Buch in der Tageszeitung Die Presse am 31.08. schrieb, Zitat, Lebensgeschichte und Zeitgeschichte verbunden, Zitat Ende. ein wenig Fiktionales erzählen und vieles mehr. Unter anderem auch ein Selbstinterview. Darin werden anlässlich einer familiären Tragödie die für uns alle größten Fragen verhandelt, die letzten Fragen eben, wenn man so will. Und da fragt Kurt Palm sich selbst, Zitat, was ist der Sinn des Lebens? Antwort, Dankbarkeit. Wenn die Dankbarkeit verloren geht, ist der Mensch am Ende. Zitat Ende. Kurt Palm wurde, wie bereits erwähnt, 1955 in Vöcklerbruck geboren. Er studierte Garmistik und Publizistik an der Universität Salzburg, wo er 1981 promovierte. Seit vier Jahrzehnten ist er vielgereister als Schriftsteller und Regisseur tätig. Hinsichtlich letzteren darf ich auf den Dokumentarfilm Der Schnitt durch die Kehle die Auferstehung des Adalbert Stifter hinweisen, der sich unserem Genius Lozi widmet und für den Kurt Palm 2006 den Fernsehpreis der Erwachsenenbildung erhalten hat. Um nur einige weitere Preise zu nennen, mit denen das Schaffen von Kurt Palm bedacht worden ist, der Friedrich-Klauser-Preis 2011, der Kulturpreis des Landes Oberösterreich in der Sparte Film 2012 oder der Leo Perutz-Preis 2023 für seinen Roman Der Hai im System, den er genau hier, fast auf den Tag genau, vor zwei Jahren vorgestellt hat. Den Moderator des heutigen Abends habe ich bereits kurz angedeutet, in seiner Rolle als Rezensent für die Tageszeitung Die Presse. Ich darf nunmehr auch ihn ganz herzlich im Stifthaus begrüßen. Herzlich willkommen, Hans Höller. Schön, dass Sie da sind. Hans Höller wurde 1947 in Vöcklerbruck geboren, studierte Germanistik und klassische Philologie in Salzburg. Nach einigen Auslandsstationen an verschiedenen Universitäten in Italien, Polen und Frankreich kehrte er nach Salzburg zurück, wo er nach seiner Habilitation, betitelt mit Geschichtserfahrungung das Werk Ingeborg Bachmanns von den frühesten Gedichten bis zum Todesartenzyklus bis zu seiner Emeritierung 2012 am Institut für Germanistik lehrte. Ich wünsche uns einen interessanten Abend mit Kurt Pahlen und seinem neuen Buch Trockenes Feld und übergebe das Wort an unseren Moderator Hans Höller. Vielen Dank für die freundliche Begrüßung. Ich habe mir mal vorgenommen, nie mehr Moderationen zu machen. Und jetzt dachte ich mir, ich muss in dieser Veranstaltung mit Kurt Palm sprechen können. Wir kennen uns seit 50 Jahren und in diesem Buch steht so viel, was mich selber betrifft. Es ist mir noch nie bei einem Buch so gegangen, dass ich meine Herkunftslandschaft, die Gegend an der Vöckler dargestellt finde und dass ich Sachen erfahre, schon vorher in anderen Büchern von Kurt Palm, die mir wichtig sind und die im Buch, weil es ein Roman ist, thematische Bedeutung haben. Der Geschmack der Forelle. Adalbert Stifter hat die Vöcklerforelle als den geschmackvollsten Fisch bezeichnet. Fisch bezeichnet. Ich wüsste es nicht, wenn ich nicht Bücher von Kurt Palm gelesen habe. Und es verbindet sich wieder mit meiner Kindheitsgeschichte und Jugendgeschichte, weil in der Gegend der Vöckler alle Jugendlichen einmal Schwarzfischer waren. Ich bin sie immer noch. Ja, ja. Der Roman ist mir wichtig, weil ich mir in vielem in diesem Roman begegne, in der Liebe zu dieser Landschaft, aber auch, was die Herkunftsfamilie angeht. In diesem Roman geht es auch um eine Sozialgeschichte der Hilfsarbeiter und ihrer Kinder. Denn das Interessante in diesem Buch ist, dass der Hilfsarbeitervater zugleich Puscher ist. Das war zu meiner Zeit noch etwas Selbstverständliches, dass die Väter nach Hause zurückkehrten und nach einem kurzen Schlaf an ihre Pfuscharbeit gingen. Mein Vater war Steinmetzpfuscher. Und Steinmetzpfuscher verbindet sich im Thema besonders mit diesem Roman, in dem immer wieder Friedhöfe eine Rolle spielen und Grabinschriften analysiert werden. Ich habe oft diese Grabinschriften-Meißeln gesehen, weil der Vater in der Garage gearbeitet hat. Und weil ich dann schon studiert hatte, fragte er mich jedes Mal, wenn er an dieses Wort kam, Hansl, jetzt sagt man, wie schreibt, Kruzifix, wie schreibt man gewidmet? Schreibt man das mit kurzen oder mit langen I? Fuscher ist in der Aufteilung der Familienrollen etwas sehr Wichtiges. Er ist im Haus und ist nicht im Haus erreichbar, weil er, besonders wenn es Konflikte gibt, hinunter verschwindet in seine Werkstatt. Und das ist für mich ein Beispiel, wie großartig dieser Roman ist, dass er an szenischen Bildern, die an Precht erinnern, an die Verfremdungstechnik bei Brecht, etwas bewusst macht, ohne das zu erklären. Der Vater müsste eigentlich reagieren und eingreifen bei einer Untat des Sohnes. Die Mutter fordert ihn auch auf. Die Mutter fordert ihn auch auf. Er aber nimmt einen tiefen Zug aus einer billigen, filterlosen Zigarette, fixiert einen Punkt an der Wand und verschwindet in seiner Werkstatt. Das ist für mich so bezeichnend, dieses Im-Haus-Sein und Nicht-Im-Haus-Sein. Dieses im Haus sein und nicht im Haus sein. Aber wichtig ist mir auch, dass dieser Vater dem Sohn seinen eigenen Weg gehen lässt. Auch wenn er gänzlich dagegen ist, stellt es sich nicht vor den Entscheidungen seines Sohns entgegen. Und wenn man den Roman genau liest, entdeckt man, so wie alles in diesem Roman aufeinanderbezogen ist, dass das mit der Geschichte des Vaters zu tun hat. Der Vater wurde mit 18 Jahren zur SS abkommandiert, Polizei, als er, Kurt Palm, 18 Jahre alt war, ging er aus freien Stücken zur Kommunistischen Partei. Es hat das eine und das andere miteinander zu tun und es hat dieses zur SS abkommandiert worden sein, auch damit zu tun, dass der Vater dem Sohn, der einen anderen Weg geht, nicht im Wege steht. Kurt, mach du weiter. Naja, das ist einer der Punkte, die mir erst bei der Arbeit an diesem Buch bewusst wurden. Ich habe sehr lange an diesem Buch gearbeitet. Begonnen habe ich circa 2015 mit ersten Vorarbeiten, die in Gesprächen mit drei Frauen bestanden, mit drei alten Frauen bestanden aus meiner Verwandtschaft und die interessanterweise am Übergang zur Demenz standen und erst da zu reden begannen, zu reden begannen über ihre Fluchterfahrung. Es war ja so, dass ich praktisch bis zu diesem Zeitpunkt, also bis vor circa zehn Jahren, fälschlicherweise davon ausgegangen bin, dass meine Eltern 1945 nach Österreich kamen und dann sich hier eine Existenz aufgebaut haben. Alles, was in diesem Buch jetzt steht, an diesen Schilderungen der dramatischen Flucht meiner Mutter, der nicht minder dramatischen Geschichte meines Vaters, der 1942 zur SS-Polizei eingezogen wurde als 18-Jähriger, habe ich erst erfahren, nachdem ich mit der Arbeit an diesem Buch begonnen habe. Das hängt damit zusammen, dass in unserer Familie, sozusagen wie in allen Familien, die diesen Weg gegangen sind, das große Schweigen herrschte. Es gab diese Vereinbarung, wahrscheinlich die stillschweigende Vereinbarung, dass über diese Zeit, über diese Erfahrungen während des Krieges, nach dem Krieg nicht gesprochen wird. Ich habe das nie verstanden. Jetzt verstehe ich es und mir ist vieles bewusst worden aufgrund meiner Recherchen. Und um jetzt diesen einen Punkt zu erläutern oder auf den Punkt zurückzukommen, den der Hans angesprochen hat, mir ist erst bei der Arbeit an dem Buch bewusst geworden, dass meine die symbolische Ordnung in meiner Familie stören musste. Mein Vater ist mit 18 zur SS-Polizei eingezogen worden, ich bin mit 18 zur Kommunistischen Partei gegangen. Ich habe das eigentlich nie wirklich verstanden. Jetzt ist es mir klar, dass es meine Mission in der Familie war, die symbolische Ordnung zu zerstören. Und das sind also diese Momente, die beim Schreiben eines solchen Buches natürlich aufregend sind, die erhellend sind und ich würde die Arbeit an diesem Buch auch so mit einer Art Abenteuerreise umschreiben. Es war eine Entdeckung, es war aufregend, es war emotional, es war zum Teil natürlich auch sehr hart für mich, gerade als ich mich mit der Geschichte meines Vaters während des Krieges auseinandersetzte, weil ich ja davon ausgegangen war, wahrscheinlich aus Selbstschutz, dass er bei der Wehrmacht gedient hatte. Dass er bei der SS-Polizei war, habe ich auch erst 2015 erfahren, obwohl es natürlich Möglichkeiten gegeben hätte für mich, das vorher in Erfahrung zu bringen. Und ein anderer Punkt, der mir auch erst bewusst wurde beim Schreiben dieses Buches und der ungeheuerlich ist eigentlich und der aber für mich meine Geschichte auch erklärt, ist der, dass meine Eltern 13 Jahre lang staatenlos waren, erst 1956 die österreichische Staatsbürgerschaft bekommen haben. Also ich bin auch noch, ich und meine Schwester, wir sind noch als Staatenlose geboren worden. Und das erklärt für mich auch zum Beispiel, weshalb ich zu diesem Land Österreich überhaupt keinen emotionalen Bezug habe. Und es gibt ein interessantes Dokument, das ich erst erhalten hatte, nachdem das Buch erschienen war, das Geburtenbuch des Krankenhauses Vöcklerbruck, wo alle Informationen über meine Geburt festgehalten wurden, zum Beispiel, wann ich geboren wurde und wie viel Uhr, wann die Nachgeburt abgegangen ist, dass ich also keine Kopf geschwulst hatte, dass ich halbwegs gesund aussah und so weiter und so fort. Und dann ein Eintrag hat mich allerdings stutzig gemacht und zwar steht in meinem Geburtenbuch Zuständigkeit Jugoslawien 1955. Das heißt, das Land, das für mich in den Augen der österreichischen Behörden zuständig war, war Jugoslawien. Österreich fühlte sich nicht zuständig für uns. Das Amt, das für meine Eltern zuständig war, hieß Amt für Umsiedlung. Eltern waren ab 1945 immer sozusagen der Gefahr ausgesetzt, umgesiedelt zu werden, wenn sie möglicherweise mit dem Gesetz in Konflikt kommen. Und das hat natürlich uns geprägt, insofern, dass meine Eltern, und das kann man sich, glaube ich, sehr leicht vorstellen, einem unglaublichen Anpassungsdruck ausgesetzt waren. Das heißt, wenn du als Staatenloser dich nicht assimiliert hast, da ging es nicht um Integration, da ging es um Assimilation, dann hattest du riesige Probleme. Und das war ein entscheidender Punkt in meiner Sozialisation, wo ich gewusst habe, da spiele ich nicht mit, ab dem Zeitpunkt, wo ich sozusagen bewusste Entscheidungen treffen konnte. Aber das ist mir erst bewusst worden eigentlich bei der Arbeit an diesem Buch. Weil du mich gefragt hast, welche Initialzündungen es gegeben hat. Ein wichtiger Punkt waren diese Gespräche mit den drei alten Frauen aus meiner Verwandtschaft, die eben am Übergang zur Demenz zu erzählen begonnen hatten, Geschichten, die sie vorher nie erzählten, über die Flucht. 14 Monate am Pferdewagen sozusagen von Kapern aus über Ungarn bis nach Neukirchen an der Vöckler, wo sie dann erzählten über die Entbehrungen. Vorher hatte man das irgendwie sozusagen glorifiziert und mystifiziert und es war lustig und es gab Ziehharmonikerspiele auf den Pferdewegen. Und dann hat sich herausgestellt, dass das Ganze natürlich unglaublich dramatisch und brutal war. Und sozusagen, das war der eine Punkt, wo ich mir gedacht habe, Wahnsinn, was ist da passiert? Und ich bin dann 2016 mit meiner Schwester zum ersten Mal nach Kapern gefahren, habe den Friedhof besucht und habe dort sozusagen Geschichten mitbekommen, aufgrund der Grabinschriften, die mich sozusagen wieder in völlig andere Sphären getragen haben, wo ich erfahren habe, welche toten Kinder es gab in der Verwandtschaft und so weiter und so fort. Und das waren sozusagen diese Initialzahlen. Und der andere Punkt war das Treffen mit einem Schulkollegen von mir, war das Treffen mit einem Schulkollegen von mir, der vor einigen Jahrzehnten eine Wasserleiche aus der Vöckler herausgeholt hat, bei der sich herausgestellt hat, dass es der Knecht war, der beim, das weiß ich bis heute nicht, entweder am elterlichen Bauernhof meiner Mutter oder meines Vaters in Kappernes Knecht gearbeitet hat. Und ich würde vorschlaggelesen, einmal einen Ausschnitt aus diesem ersten Kapitel. Bist du einverstanden, Hans, mit dieser Vorgangsweise? Ja, aber ich könnte noch zu diesem Knecht und zum Anpassungsdruck, auch zum Sprachlichen etwas hinzufügen. Einerseits finde ich großartig, dass die Mutter auf dem offenen Pferdewagen diesen serbischen Knecht mitgenommen hat, der verloren gewesen wäre im faschistischen Kroatien, das Millionen von Serben und Juden und Sinti umgebracht hat. Das ist jemand selber in Bedrängnis, nimmt diesen armen Teufel auf dem Wagen mit. Und dieser arme Teufel, und das gefällt mir so, dass du im Roman so einen, und darum bestehe ich darauf, dass das ein Roman ist, weil das in Frage gestellt ist, dass das so eine schöne Klammer ergibt, das erste Kapitel und das letzte, Dass das so eine schöne Klammer ergibt, das erste Kapitel und das letzte, wo der Erzähler, diesem Luca Bacci, seine Erzählerstimme gibt, weil er selber ja sich geweigert hat gegen die Assimilation. Er hat das Gastarbeiterdeutsch gesprochen, aber auf eine Weise, dass es in der Familie der Palms zum geflügelten Wort werden konnte. Einmal hat der Arzt ihn gefragt, wie es ihm geht. Und er antwortete, nichts scheißert, nichts brunzert, Luftdruck, nichts gut. Ich finde das einfach schön. Das ist fast wie eine Travestie von über allen Gipfeln ist Ruhe. Das ist das Gegengedicht aus den Niederungen der Gesellschaft. Und zugleich hat diese Gestalt in der ganzen Geschichte, auch in der Geschichte von Kurt immer wieder eine Rolle gespielt. Und wahrscheinlich war dieser Luca Paci auch einige Mal bei der Messe im Altersheim beziehungsweise im Armenhaus, wo Kurt Palm jeden Tag in der Früh um 6.40 Uhr ministriert hat. Und das ist interessant, dass bei dir das Religiöse oder Christliche eine gewisse Rolle spielt. Und am schönsten kommt das zum Ausdruck in dem Kapitel, das mir das Liebste ist, das Kapitel vom Sterben der Mutter. aber auch davon, wie man weiterleben kann und wie man einen anderen Sinn im Leben findet, wie man den Schritt ins Offene geht und sich wieder neu vergewissert in der Welt und wie man auch sich die Dankbarkeit bewahrt. Und in dieser Sterbesszene der Mutter geht es um die Dankbarkeit des Sohns der Mutter gegenüber, der ihr das Sterben leicht machen möchte. Der Tote im Fluss. Er ist ertrunken. Die Strömung hat ihn unter einen Felsen gedrückt. Dort ist er mit einem Fuß hängen geblieben. Er trug einen gestreiften Pyjama, der an einigen Stellen zerrissen war. Wahrscheinlich hat er in der Nacht das Altersheim verlassen und ist die Böschung hinuntergestürzt. Der, der es sagt, heißt Christoph. Er hatte in der Vöckler nach Luca Bacce gesucht. Die Gendarmerie hat mich darum gebeten, weil ich bei der Feuerwehr immer wieder als Taucher ausgeholfen habe. Bist du dir sicher, frage ich, oder verwechselst du ihn mit jemand anderem? Nein, ich bin mir sicher. Ich habe ihn ja eigenhändig aus dem Wasser gezogen. Außerdem kannte ich ihn vom Sehen. War es Selbstmord? Christoph zuckt mit den Schultern, schwer zu sagen, ist ja schon so lange her. Christoph zuckt mit den Schultern, schwer zu sagen, ist ja schon so lange her. Weißt du noch, wann es war? Ungefähr Mitte der 70er Jahre, an das genaue Jahr kann ich mich nicht mehr erinnern. Christoph nimmt einen Schluck Bier. Ich überlege, mit 20 hast du bereits als Taucher bei der Feuerwehr ausgeholfen? Christoph denkt nach, dann war es vielleicht Ende der 70er Jahre oder Anfang der 80er. War er verwandt mit dir? Nein, ich kenne nicht einmal seinen richtigen Namen. Meine Eltern nannten ihn nur Luca Baci, weil er aus demselben Ort stammte wie sie, aus Kappern in Slavonien. Christoph runzelt die Stirn. Baci? Ja, das war die Bezeichnung für ältere Männer und bedeutet so viel wie Onkel. In meiner Verwandtschaft gab es viele Bacis. Josef Baci, Janos Baci, Stippo Baci sind alle längst tot. Genauso wie die Nenis, die Tanten, die gar keine richtigen Tanten waren, aber als ältere Frauen so genannt wurden. Ich hatte Christoph zufällig am Friedhof von Obertalheim getroffen, wo ich das Grab meiner Eltern besuchte. Später wollte ich zu meiner Tante fahren, um ihr noch ein paar Fragen zu stellen. Sie war eine der letzten Überlebenden aus Kappern und hatte mir vor ein paar Jahren bereitwillig Auskunft über ihre Flucht und den Neubeginn in Österreich gegeben. Ihr Sohn hatte mir allerdings am Telefon gesagt, dass ein Gespräch wegen ihrer fortgeschrittenen Alzheimererkrankung schwierig werden würde, aber ich könnte es ja versuchen. Blickwinkel. In Obertalheim gab es bis vor kurzem neben dem Friedhof ein Kloster der Salesianer Don Boscos. Weil ich ein fleißiger Ministrant war, wurden mir im Kloster einmal an einem grünen Donnerstag vom Pfarrer die Füße gewaschen, gemeinsam mit elf anderen Ministranten und Novizen. Ich repräsentierte einen der zwölf Apostel, denen Jesus am Tag vor seiner Kreuzigung die Füße gewaschen hatte. Welcher Apostel ich war, weiß ich nicht mehr, hoffentlich nicht Judas Iskariot, der Verräter. Mein Lieblingsapostel war nämlich Johannes, der Verfasser des gleichnamigen Evangeliums. Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott. Im Anfang war es bei Gott, alles ist durch das Wort geworden und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist. Vielleicht war diese Passage mit ausschlaggebend dafür, dass ich schon früh meine Liebe zur Literatur entdeckte. Alles ist durch das Wort geworden. Was für ein fantastischer Gedanke. Am Tag nach der Fußwaschung schimpfte mich meine Mutter, weil einer meiner Socken ein Loch hatte. Ich verstand ihr Problem nicht, weil ich den Socken vor der Waschung ja ohnehin ein Loch hatte. Ich verstand ihr Problem nicht, weil ich den Socken vor der Waschung ja ohnehin ausgezogen hatte. Unabhängig davon fand ich die Zeremonie ziemlich unappetitlich. Da ich Friedhöfen wenig abgewinnen konnte, kam ich nur zwei oder dreimal im Jahr nach Obertalheim. Mein Vater lag seit 1997 hier, er war an Lungenkrebs gestorben, der Asbest, die Eisenspäne, der Kohlenstaub. Meine Mutter seit 2003, sie hat einen Herzinfarkt erlitten, die Belastungen, die Aufregungen, der hohe Blutdruck. Oft stellte ich mir die Frage, ob meine Eltern in fremder Erde ruhten oder ob es nicht völlig gleichgültig war, wo man seine letzte Ruhestätte fand. Das Grab meiner Großeltern mütterlicherseits befand sich ebenfalls auf diesem Friedhof. Andere Verwandte lagen auf Friedhöfen in Los Angeles, Neukirchen an der Vöckler, Milwaukee, Zipf, Churibata in Brasilien, Pforzheim oder Kappern. Ich blieb nie lange am Grab meiner Eltern, ich goss die Blumen, erzählte ihnen ein paar Neuigkeiten und ging wieder. Als ich noch ein Kind war, hat mir mein Vater einmal einen Witz erzählt. Ich kann mit den Toten reden, sagte er. Wirklich? fragte ich mit kindlichem Erstaunen. Ja, aber sie antworten nicht. Ich brauchte lange, bis ich den Witz verstand, aber vielleicht ging der Witz auch ganz anders, weil mein Vater generell ein schlechter Witzeerzähler war, der es selten bis zur Pointe schaffte. Einmal versuchte er, einen Witz über Stalin und Churchill zu erzählen, der sich über Tage hinzog und nicht und nicht enden wollte. Ich glaube, die Szene spielte im Himmel und irgendjemand schaute durch ein Schlüsselloch. Wer, wieso und weshalb, ich weiß es nicht mehr. Christoph jedenfalls stand am Grab seiner Frau und erst als ich den Namen auf dem Grabstein las, erkannte ich ihn. Wir waren gemeinsam in die Knabenhauptschule in Vöcklerbrook gegangen. Und da ich noch Zeit hatte, fragte ich ihn, ob er Lust auf einen Kaffee oder ein Bier hätte. Ja, gehen wir auf ein Bier, Kaffee vertrage ich nicht, sagte er wegen dem Blutdruck. Aber in Dimmelkamm haben fast alle Gasthäuser zugesperrt, fahren wir nach Vöcklerbruck. Okay, aber zum Auerhahn gehe ich nicht, dort habe ich nämlich seit 1971 Berufsverbot, beziehungsweise Lokalverbot. Wieso das denn? Christoph strich sich über seinen Schnauzer. Wir hatten damals eine Flugblattaktion gegen den Auerhahn gemacht, weil sein Besitzer die Lehrlinge ausbeutete und uns wegen unserer langen Haare nicht ins Lokal ließ. Außerdem hasste er uns wegen unserer politischen Einstellung. Christoph lachte. Am Stadtplatz gibt es ein paar andere Lokale, in die wir gehen können. Während wir im Gastgarten einer Pizzeria bei Bier, Christoph und gemischten Eis mit Schlag ich saßen, kamen wir unweigerlich auf Krankheiten und Todesfälle in unserer Umgebung zu sprechen. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass es auf der Rutschbahn des Lebens nach unten ging und zwar unaufhaltsam. Nachdem wir uns über die Toten in unserem Umfeld ausgetauscht hatten, erzählte ich Christoph, dass ich an einem Buch über meine Vorfahren arbeite, das unterfangen, aber kompliziert sei, weil fast alle Zeitzeugen tot waren und es kaum schriftliche Quellen gab. Als ich in einem Nebensatz erwähnte, dass ein Knecht aus Kappern im Altersheim in Timmelkamm gelebt hatte, wurde er hellhörig und erzählte mir von seinem Taucheinsatz. Dass ich Christoph getroffen hatte und er mir über Lukapatschis Tod etwas erzählen konnte, war ein Glücksfall. Eigentlich hatte ich Lukapatschi längst vergessen, aber jetzt, wo Christoph erzählte, dass er seine Leiche aus der Vöckler geholt hatte, erinnerte ich mich wieder an ihn. Hast du eine Idee, wie Luca Bacci überhaupt in die Vöckler gekommen ist, fragte ich Christoph. Er schüttelte den Kopf und sah auf das Display seines Mobiltelefons. Ich muss jetzt langsam los, er winkte der Kellnerin. Ich lade dich ein, mein gemischtes Eis mit Schlag ist sicher teurer als dein Bier. Ich lachte. Okay, danke. Christoph stand auf und gab mir die Hand, hat mich gefreut, vielleicht sehen wir uns wieder einmal am Friedhof. Ja, mach's gut, bis bald. Da bis zum Treffen mit meiner Tante noch etwas Zeit war, dachte ich über Luca Bacci nach. Ich stellte mir vor, wie er in der Nacht das Altersheim verließ, um, ja, was zu tun, zu rauchen. Dazu hätte er seinen Holzverschlag nicht verlassen müssen, weil damals im Altersheim alle rauchten, zumindest die Männer. Ich wusste das, weil ich dort ministriert habe. Oder war er Schlafwandler? Wusste er nicht, was er tat? Haben die Ordensschwestern nichts gehört? Wenn ja, werden sie sich nichts dabei gedacht haben. Viele alte Menschen stehen in der Nacht auf und geistern herum, weil sie nicht schlafen können oder aufs Klo müssen oder weil sie etwas suchen, was sie gar nicht verloren haben. Wenn ich an Luca Bacci denke, sehe ich einen alten Mann vor mir. Dabei war er, als ich ihm das erste Mal begegnete, sicher nicht älter als 50. Vielleicht lag es am Stock, auf den er sich immer stützte, oder an der Zigarettenspitze, die ständig in seinem Mund steckte, oder an seiner dunklen, abgetragenen Kleidung, oder an seinen Bartstoppeln, oder an seinem speckigen Hut. Luca Bacci war ein kleiner, schmächtiger Mann, dessen Erscheinung so gar nicht zu seinem früheren Beruf passte, Knecht. Aber ist Knecht überhaupt ein Beruf? Ist man zum Knecht sein berufen oder wird man zum Knecht gemacht? Luca Bacci, Knecht, ertrunken in der Vöckler. Oder doch nicht? Einige Stunden nach meiner Begegnung mit Christoph erzählte mir meine Tante nämlich, dass Luca Bacci in einem Sanatorium an Lungenkrebs gestorben sei. Sie sah mich an, ihr Blick ging ins Leere, woran sie dachte, war schwer zu sagen. Nein, antwortete sie und holte einen Besen, mit dem sie den sauberen Küchenboden kehrte. Also bist du dir nicht sicher? Ja, schon. Und nach einer kurzen Pause, wie geht es deiner Mama? Gut, sagte ich, obwohl meine Mutter schon lange tot war. Ich war irritiert, weil ich nicht wusste, wer recht hatte, Christoph oder meine Tante. Nachdem ich mich von meiner Tante verabschiedet hatte, entschied ich mich für Christophs Version von Luca Bacis Tod, weil seine Erzählung einfach spektakulärer klang. Bis heute weiß ich nicht, ob Luca Baci in Kappern am Bauernhof meiner Mutter oder meines Vaters gearbeitet hat. Ich dachte immer, dass es der Bauernhof meiner Mutter war, aber vor ein paar Jahren hat meine Tante behauptet, dass es der Hof meines Vaters gewesen sei. Der Bauernhof meines Vaters war ein großer Hof mit Kühen, Schweinen und Pferden sowie Äckern, Feldern und einem Wald mit einer Gesamtfläche von 20 Hektar. Außerdem gehörte ihm ein Weingarten mit 1,7 Hektar in Borowa, etwa vier Kilometer außerhalb des Dorfs. Mein Vater hatte den Hof bereits in jungen Jahren geerbt, weil sein Vater mit 24 Jahren an einer Lungenentzündung gestorben war. Nach heftigen Regenfällen war Wasser in den Weinkeller eingedrungen und mein Großvater wollte einige Fässer in Sicherheit bringen. Dabei hat er sich eine Lungenentzündung zugesogen. So hat es mir jedenfalls mein Vater erzählt. Auf dem Totenstein steht als Todesursache allerdings nicht Lungenentzündung, upala plutia, sondern plötzlicher Tod, nagler Smrt. Meine Tante wiederum glaubte sich zu erinnern, dass mein Großvater nach der Feldarbeit verschwitzt nach Hause kam und zu viel kaltes Wasser trank, woraufhin er eine Lungenentzündung bekam. Das wusste sie aber auch nur vom Hörensagen, weil sie zum Zeitpunkt des Todes meines Großvaters noch gar nicht auf der Welt war. Sie war ja die Tochter des zweiten Mannes meiner Großmutter und daher meine Halbtante, falls es dieses Verwandtschaftsverhältnis überhaupt gibt. Beim Tod seines Vaters war mein Vater gerade einmal vier Jahre alt. Ich habe ihn nie gefragt, wie es war, so früh seinen Vater zu verlieren. Als ich klein war, löste die Vorstellung, dass meine Eltern sterben würden, eine regelrechte Panik in mir aus. Wenn sie einmal am Abend länger fortblieben, was ohnehin selten genug vorkam, starte ich beim Fenster hinaus in die dunkle Nacht und zitterte am ganzen Körper. In diesen Nächten war die Bettdecke dann so schwer, dass ich dachte, sie würde mich erdrücken. Tagebucheintrag vom 8. Jänner 2005. Letzte Nacht träumte ich, dass ich meinen Vater mit einer Schnur erdrosseln wollte. Als ich realisierte, was ich gerade vorhatte, war ich geschockt und ich versuchte, meinen Vater zu umarmen. Später träumte ich von meiner Mutter, die mir auf der Straße entgegenkam. Sie trug einen Mantel und eine Pelzmütze und sah sehr krank aus. Ich hatte Angst, dass sie sterben würde und drückte sie ganz fest an mich. Ihr Herz schlug so heftig, dass ich es sogar durch den Mantel spüren konnte. Es ist immer dasselbe. Meine Eltern tauchen in meinen Träumen auf und ich wundere mich, dass sie nicht wissen, dass sie längst tot sind. Ich hasse diese Träume und frage mich, was sie mir erzählen wollen. Applaus immer wieder im Buch wiederholt und zwar diese Unsicherheit dessen, was passiert ist, ob das tatsächlich so war oder ob sozusagen das in der Erinnerung verändert wird, derjenigen Menschen, die das erzählen oder ob sich die Leute bestimmte Geschichten einfach ausgedacht haben oder zurechtlegen. sich die Leute bestimmte Geschichten einfach ausgedacht haben oder zurechtlegen. Ja, ich könnte bis heute jetzt nicht behaupten oder mit Sicherheit sagen, dass Luca Bacce tatsächlich in der Vöckle ertrunken ist. Ich weiß es nicht, aber für mich ist die Geschichte so plausibel und fügt sich so organisch in diese Geschichte ein, dass es für mich jetzt in diesem Buch gar nicht anders sein könnte. Und insofern, und da sind wir wieder bei dem Punkt, der in einigen Rezensionen vorsichtig infrage gestellt wurde, insofern ist es natürlich ein Roman. Es ist keine Autobiografie, es ist kein Sachbuch, es ist keine historische Abhandlung, weil dann das Buch natürlich ganz anders ausgesehen hätte. Man könnte auch sagen, es ist ein Roman, der sich aus vielen Sprachen und Erzählungen und Dokumenten zusammensetzt oder vom Autor zusammengesetzt wird. Man spricht in der Literaturwissenschaft auch von konstruktiven Romanen, die Szenen zusammenstellen und dem Leser überlassen, die Wahrheit dieser Szenen zu bestimmen oder den Stellenwert dieser Szenen für sich zu eruieren. Aber für mich liegt die Schönheit dieses Romans in diesen vielen Textsorten, in der Dokumentation von all dem, was in ein Leben hineinreicht, in das Schulleben zum Beispiel. Es gibt so viele Zitate aus Mitteilungsheften, aus Schulbüchern, sodass man von diesen Zitaten her eine Vorstellung bekommt, was die Schule in den 50 die Mitteilungshefte der Schüler geschrieben haben. Eben in das Mitteilungsheft des Kurt Palm, das der Lehrer schreibt, dass er den Schüler schon vor einer Woche aufgefordert hat, sich die Haare scheren zu lassen. Bis jetzt ist er ungeschoren, trotz meiner Aufforderung. Das ist oft so unglaublich, dass es das gibt. Oder, dass sich ein Schüler, und das wird auch dokumentiert in diesem Roman, dass sich ein Schüler das Leben nimmt, weil er von der Schule strafversetzt worden ist in eine andere Schule. Er geht in den Wald und hängt sich auf. Die Mitschüler und Kurt Palm gehörte zu den Mitschülern, die sich in diesem Zusammenhang politisiert haben, eine Zeitschrift gründeten. Und die Mitschüler hatten eine schwarze Fahne am Gymnasium gehisst. Die Schulleitung ließ die Fahne abnehmen und gab den Bescheid, dass man sie am nächsten Tag im Fundamt abholen sollte. Diese Herzlosigkeit in den Schulen kann man sich heute nicht vorstellen. Und wenn du sagst, also dieses Österreich, das hat für dich nie eine Rolle gespielt, für mich hat dieses Österreich immer, weil ich ein sehr braver, wo in den Schulen ein anderer Ton bestimmend ist, wo es die Aufmerksamkeit füreinander gibt, das Aufeinanderachten. Und das sind eigentlich Verhaltensweisen, die das Überleben garantieren und die einen retten können. Es gibt in dem Buch so einen schönen Traum. Die Familie Palm unternimmt eine Berg-Hochgebirgs-Wanderung und springt in die Tiefe. Und im Hinunterfallen bemerken sie, dass sie fliegen. Und unten angekommen, umarmt der Sohn den Vater oder der Vater den Sohn und der Sohn sagt, passen wir aufeinander auf. Und der Vater sagt, pass du auch auf dich auf. Und dieses Aufeinander aufpassen, Acht geben aufeinander, den anderen nicht übersehen, das ist, finde ich, ein Grundtenor in dem Buch, dass immer etwas Rettendes in Erscheinung tritt. Dass selbst in den sinistresten Fällen irgendwo etwas aufblitzt, eine Möglichkeit. Es ist das, was in einem schönen Hölderling-Gedicht das Gasthaus hieß. Das heißt, trüb ist es heute, es ist neblig und dennoch, Moment, jetzt muss ich schauen, dass ich das hinbringe, Sekunde. Ja, dennoch gelingt es, Ungläubige, Rechtgläubige zweifeln nicht an einem Moment. Aber das Gedicht beginnt viel schöner, mir fällt jetzt dieser Beginn nicht ein. Später, wenn er mir einfällt, dann werde ich ihn zitieren. Und ich glaube, die meisten von Ihnen kennen ja dieses Gedicht, das Gasthaus. Und es ist ja auch das Gasthaus in diesem Gedicht etwas ganz Entscheidendes, Rettendes. Zuletzt kehren die Götter in Masken ein und setzen sich unter die Bewohner dieses Städtchens. Ich habe davon gesprochen, dass so viele verschiedene Formen hier miteinander verbunden werden. Und ich glaube, es geht in diesem Roman nicht um die Romansprache, um die Schönheit der Romansprache, um eine auratische Sprache, sondern die Sprache ist eigentlich unserer Umgangssprache angebildet. Es gibt keinen großen Unterschied zwischen der Romansprache und unserer Umgangssprache. Es gibt aber einzelne Kapitel, wo die vom Erzählerischen bestimmt sind und das ist besonders dann der Schluss, die Schlusserzählung von Luca Bacci. Aber aus dieser Zusammenstellung von vielen Texten erlesen wir eine Dokumentation der sozialen Situation der 50er, 60er und 70er Jahre. Und jeder wird staunen oder auch von Grauen erfasst sein, was damals möglich gewesen ist. Ich glaube, man kann sich das gut vorstellen, wenn man sich überlegt, sich überlegt, dass meine Eltern 1945, also mit Ende des Krieges, in Österreich staatenlos waren, wohnungslos, rechtlos, arbeitslos und besitzlos. Ihr gesamter Besitz, im Falle meines Vaters wurde der Ende der 60er Jahre auf 10 Millionen Schilling geschätzt, war beschlagnahmt worden. Das heißt, war auf 10 Millionen Schilling geschätzt, war beschlagnahmt worden. Das heißt, die Menschen mussten vom Punkt Null beginnen, waren natürlich ausschließlich als Hilfsarbeiter tätig und das war sozusagen die Stimmung, in der ich aufgewachsen bin. Einmal Hilfsarbeiter, immer Hilfsarbeiter und ich wusste, diesen Weg will ich mit Sicherheit nicht gehen. Also dieses fremdbestimmte Leben möchte ich nicht gehen. nicht gehen. Also dieses fremdbestimmte Leben möchte ich nicht gehen. Und das sind aber jetzt auch Punkte und Erkenntnisse, die ich erst gewonnen hatte, nachdem ich mit der Arbeit an diesem Buch begonnen habe. Das ist schon interessant. Weil du gesagt hast, Hannes, dass du einige Parallelen siehst zu deiner eigenen Biografie. Und wir haben ja sehr viel gesprochen, was das bei dir ausgelöst hat. Die Beschäftigung mit deiner eigenen Familiengeschichte und diese Sachen, die du mir erzählt hast. Es haben selten bei einem Buch eigentlich so viele Leute reagiert, dahingehend, dass sie gesagt haben, es ist für sie eine Initialzündung oder ein Anlass, über die eigene Familiengeschichte nachzudenken, über diese dunklen Flecken, über diese Tabus und über diese vielen, vielen Ereignisse, die halt verschüttet werden oder verschüttet gehen. Und das war natürlich, und da komme ich wieder auf diese Abenteuerreise zurück, ein unglaublich spannender Vorgang. Also auch die Recherche und das Buch handelt ja auch von meinen Recherchen. Man bekommt einen Einblick als Leserin und Leser, wie dieses Buch, wie diese einzelnen Texte eigentlich entstanden sind. Und ich würde jetzt gern den Text lesen über den Besuch meiner Schwester und von mir im Friedhof in Kappern, wenn das okay ist. Der tote Bruder Johann mit einem N. Dass mein Vater einen kleinen Bruder hatte, der bereits mit fünf Monaten starb, habe ich erst erfahren, als ich vor ein paar Jahren mit meiner Schwester den Friedhof von Kappern besuchte. Es war ein alter Friedhof, der direkt an ein abgeerntetes Maisfeld angrenzte. In der Nähe des Eingangs stand ein großes Steinkreuz, das von einem riesigen Handymast überragt wurde. Ein merkwürdiger Kontrast zu den Gräbern, von denen einige bereits seit 250 Jahren existierten. Auch die Porzellanporträts der verschreckt wirkenden Frauen mit ihren tief ins Gesicht gezogenen Kopftüchern und der Männer mit ihren Schnauzbärten und den selbstbewussten Blicken erinnerten an längst vergangene Zeiten und an Hierarchien, die offenbar über den Tod hinaus ihre Gültigkeit hatten. Beim Betrachten der Porträts fragte ich mich, ob diese Menschen glücklich waren, aber vielleicht war das auch die falsche Frage, weil sie ohnehin niemand mehr beantworten konnte. Meine bäuerlichen Vorfahren mussten Baden-Württemberg Mitte des 18. Jahrhunderts aus wirtschaftlichen Gründen verlassen. Auf mehrere Missernten folgten Hungersnöte und ihre einzige Chance zu überleben bestand in der Besiedelung jener Gebiete in Slavonien, die nach der Vertreibung der Türken entvölkert und verwüstet waren. Der ersten Siedlergeneration brachte das neue Land den Tod, der zweiten die Not, der dritten das Brot. Meine Eltern gehörten im übertragenen Sinn der dritten Generation an. Meine Vorfahren kamen als Wirtschaftsflüchtlinge, bauten sich eine Existenz auf und knapp 200 Jahre später standen sie als Kriegsflüchtlinge wieder vor dem Nichts. Der Ort Kapan gehörte zum Dorf Sukopolje, was auf Deutsch so viel heißt wie trockenes Feld. Ein rätselhafter Name, wenn man bedenkt, dass die Gegend um Sukopolje Sumpfgebiet war und erst ab 1760 von deutschen und kroatischen Kolonisten Urba gemacht wurde, zu einer Zeit, als der Landstrich menschenleer war und Wölfe durch die Wälder streiften. Als der Ustascher Führer Ante Pavelic 1941 mit Hitlers Unterstützung den unabhängigen Staat Kroatien ausrief, übernahm der Tod wieder das Kommando und der Krieg führte schließlich dazu, dass die Felder in Suchopolje erneut vertrockneten und den Bewohnerinnen und Bewohnern ihre Existenzgrundlage entzogen wurde. Anhand der Namen auf den Grabsteinen hätte man wahrscheinlich die Geschichte des Ortes seit seiner Gründung erzählen können. Einige Namen sagten mir etwas, weil ich sie aus Erzählungen meiner Eltern kannte. Andere wie Nemodlin oder Brozovic lasse ich hingegen zum ersten Mal. Eva Nemodlin 1807 bis 1846, Eva Brozovic 1850 bis 1912. Lebensgeschichten reduziert auf Jahreszahlen. 1912. Lebensgeschichten reduziert auf Jahreszahlen. Wie immer auf Friedhöfen begann ich zu rechnen. Eva Nemodlin war nur 39 Jahre alt geworden. Woran ist sie gestorben? Hatte sie einen Unfall? War sie krank? Wurde sie ermordet? Wer hat um sie getrauert? Eva Brozovic ist mit 62 gestorben, wahrscheinlich ein normales Alter für die damalige Zeit. Auf einigen Grabsteinen war auch der Name Palm zu lesen. Eva Palm 1829 bis 1882 und Johann Palm 1825 bis 1895. Ein Ehepaar, bei dem der Mann die Frau um 13 Jahre überlebte. dem der Mann die Frau um 13 Jahre überlebte. Konrad Palm 1857 bis 1901 und Josefina Palm, geborene Fett 1861 bis 1902, beide sehr jung gestorben. Ein treues Elternherz hat aufgehört zu schlagen, befreit ist all der Schmerz, verstummt sind seine Klagen, die müde Seele ist nun daheim in Vaterhaus, die fleißigen Hände ruhen in stillen Grabe aus. Ich hatte keine Ahnung, wer diese Palms waren, aber wahrscheinlich war ich über verschlungene Wege mit ihnen verwandt. Eine eigenartige Vorstellung. Bei einem Grab war ich mir allerdings sicher, dass es sich um das Grab meines Urgroßvaters handelte, weil ich mir notiert hatte, dass er Konrad hieß und 1926 gestorben war. Hier ruhen Konrad Palm, 2.11.1884 bis 25.01.1926. Was das Leben hat vereint, hat der bittere Tod getrennt, doch nur auf kurze Zeit, es gibt ein Wiedersehen in Ewigkeit. Die Orthographie der Bewohnerinnen und Bewohner Kappans war immer schon sehr eigenwillig gewesen, was sicher auch daran lag, dass im Dorf ein ganz spezieller schwäbischer Dialekt mit ungarischem und kroatischem Einschlag gesprochen wurde. Da auch der Unterricht in der sechskllassigen Volksschule vornehmlich auf Kroatisch erfolgte, war Hochdeutsch in Kapern so etwas wie eine Fremdsprache. Es gibt ein Wiedersehen in Ewigkeit. Auf dem Grabstein meines Urgroßvaters befand sich ein ovales Porzellanporträt, das einen etwa 40 Jahre alten Mann mit exaktem Seitenscheitel und einem imposanten gezwirbelten Schnurrbart zeigte. Er trug ein weißes, kragenloses Hemd, das bis oben zugeknöpft war, dazu ein schwarzes Sarkosam-Gilet. Die Grabinschrift und das leere Ovalfeld neben dem Porträt deuteten allerdings darauf hin, dass hier auch seine Frau Anna Palm liegen sollte. Hier ruhen. Aber Anna Palm lag nicht dort, weil sie nicht in Kappern, sondern in Winkhof-Ziege gestorben war, nachdem sie im Frühjahr 1944 auf der Flucht einen Schlaganfall erlitten hatte. So erzählte es jedenfalls meine Tante. Eine andere Version der Geschichte lautet, dass sie während eines Partisanenangriffs auf den Flüchtlingstreck, mit dem sie unterwegs war, spurlos verschwand. So hatte es Hilde K., die als Kind ebenfalls auf einem Pferdewagen aus Kappern flüchten musste, in Erinnerung. In einem Schreiben, das mein Vater 1965 an die Entschädigungsabteilung der Finanzlandesdirektion für Oberösterreich richtete, hieß es hingegen, dass seine Großmutter schon seit Juli 1943 als vermisst galt. Sie war krank und wurde mit einem Lazarettzug von Virovitica nach Semlin, Franztal in der Nähe von Belgrad, transportiert, wo sie aber nie ankam. Wo Anna Palm, meine Urgroßmutter, väterlicherseits tatsächlich abgeblieben ist, ist nicht bekannt. Hätte Anna Palm die Flucht überlebt, wäre sie möglicherweise ein paar Jahre später gemeinsam mit ihrer Schwiegertochter, meiner Großmutter, nach Los Angeles ausgewandert. Von Kappern nach Los Angeles, ein größerer Kontrast ist wohl kaum vorstellbar. Ich weiß das, weil ich als Jugendlicher einmal meine aus Kapern stammenden Verwandten in Los Angeles besucht habe. Von meiner Tante wusste ich, dass sich das Grab meines Großvaters, der ebenfalls Konrad hieß, irgendwo auf dem Friedhof von Kappern befinden musste. Erst nach langem Suchen fanden meine Schwester und ich den Grabstein, der achtlos am Stamm eines Pfirsichbaums lehnte. Ein Pfirsichbaum am Friedhof, das gefiel mir. Das Grab selbst war nicht mehr auffindbar. Hier ruhet Konrad Palm, 20.08.1904 bis 3.05.1928, sein Sohn Johann, 31.10.1925 bis 31.03.1926. Johann mit einem N hieß also der Bruder meines Vaters, der nur fünf Monate alt wurde und den mein Vater nie erwähnt hat. Erst jetzt beim Schreiben wird mir bewusst, dass Johann Palm mein Onkel ist. Ganz unten am Grabstein war in verwitterter Schrift zu lesen, tief betriebt von seiner Gattin und Kinder. Aber weshalb stand Kinder auf dem Grabstein? Das einzige Kind, das damals tief betriebt sein konnte, war mein Vater. Seine Halbschwester kam ja erst ein paar Jahre später zur Welt und hatte natürlich einen anderen Vater. Oder gab es noch ein anderes totes Kind, von dem nicht einmal mein Vater etwas wusste? Da die Kindersterblichkeit damals erheblich höher war als heute, ist anzunehmen, dass über den Tod von Säuglingen oder Kleinkindern zumindest nach außen hin nicht allzu viel Aufhebens gemacht wurde. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an einen mysteriösen Vorfall, der sich Mitte der 1960er Jahre in unserem Haus in Timmelkamp zugetragen hatte. Meine Eltern hatten den ersten Stock an einen Zahnarzt und dessen Ehefrau vermietet. Meine Eltern hatten den ersten Stock an einen Zahnarzt und dessen Ehefrau vermietet. Eines Tages gab es im Treppenhaus einen ziemlichen Tumult, nachdem wir aus der Wohnung im ersten Stock einen Schrei und lautes Weinen gehört hatten. Obwohl meine Geschwister und ich von unseren Eltern weggescheucht wurden, konnte ich durch den Türspalt sehen, wie ein Schuhkarton die Treppe heruntergetragen wurde. wie ein Schuhkarton die Treppe heruntergetragen wurde. Denn Andeutungen meiner Eltern entnahm ich, dass ich in dem Karton eine Babyleiche befunden haben musste. Das sind jedenfalls die Bilder, die in meinem Kopf auftauchen, wenn ich an dieses Ereignis denke. Genauere Auskünfte zum Vorgefallenen gab es keine mehr und kurze Zeit später ist das Ehepaar ausgezogen. Das Tabu Todgeburt wurde in unserer Restfamilie erst gebrochen, als meine Frau 2008 ein totes Baby zur Welt brachte. Valentin hieß unser Sohn, der drei Tage bevor er zur Welt kam, starb. Ein Paradoxon, das auch die Beamten bei der Ausstellung des Totenscheins vor große Probleme stellte, dass der Todestag eines Menschen vor dessen Geburtstag liegt, hat nicht einmal das Computerprogramm des Standesamts verstanden. Meine Eltern haben die Todgeburt ihres Enkels zum Glück nicht mehr erlebt, genauso wenig wie den Suizid meines Bruders. Ich hatte allerdings die Möglichkeit, über den Verlust meines Kindes und den Tod meines Bruders zu trauern. Meine Vorfahren in Kappan, die ähnliche Schicksalsschläge erlitten hatten, haben diese Möglichkeit wahrscheinlich nur in sehr eingeschränktem Maß gehabt. Einmal habe ich meine Eltern gefragt, weshalb sie mich auf den Namen Kurt getauft haben. Wegen deinem Großvater, hat mein Vater gesagt. Kurt ist ja die Kurzform von Konrad. Das war mir neu. Über den Namen gibt es also eine Verbindung zu meinem Großvater, aber sonst, was hätte Konrad Palm wohl gesagt, wenn er 1973 als 69-Jähriger erfahren hätte, dass sein langhaariger Enkel soeben Mitglied der Kommunistischen Partei geworden war? Wahrscheinlich hätte er die Welt nicht nur verstanden oder vielleicht doch. Während ich diese Zeilen schreibe, kommt mir der Gedanke, dass ich nicht alleine bin, weil meine Ahnen hinter mir stehen, auch mein Großvater Konrad Palm, der bereits mit 28 Jahren gestorben ist und auch mein Onkel Johann Palm, Johann mit einem N, der nur fünf Monate alt wurde und auch jene Vorfahren, die vor mehr als 250 Jahren aus Baden-Württemberg nach Slavonien auswanderten, um dort ein besseres Leben zu führen. Ein beruhigender Gedanke, aber auch beunruhigend, weil ich weiß, dass viele meiner Vorfahren während des Zweiten Weltkriegs auf Seiten der Nationalsozialisten gekämpft haben. Es gibt einen großen Teil in deinem Buch, der sich auseinandersetzt mit der Geschichte deines Vaters als Mitglied eines SS-Polizeibataillons. Es ist interessant, das zu lesen, weil man hier eine andere Sprache kennenlernt, die Sprache der Militärverwaltung. Und das andere ist, dass man den ängstlichen Leser, den Sohn, mit dargestellt findet, der nur hofft, dass er nicht auf ein Dokument stößt, das die Mitschuld des Vaters an einem Kriegsverbrechen oder an einer Hinrichtung oder Massenerschießung dokumentiert. Und solche Recherchen, wo man genau die Antworten dieser Militärinstanz mitgeteilt bekommt, die lassen uns auch genauer lesen, so wie du uns lernst, Grabschriften zu lesen. Du stellst einfach dar, was man sieht auf einem Grabstein, was man herauslesen kann. Es ist auch eine Sozialgeschichte des Dorfs und dass die Leute so kurz gestorben sind, gehört mit zur Einsicht in eine fürchterliche Zeit. Und auch die Namen, die Schreibungen sind etwas, was von Interesse ist, weil sie zeigen, wie in diesem Gemisch von verschiedenen Sprachen und Völkern sich keine einheitliche Orthographie herausgebildet hat. Dieses Dokumentarische ist zugleich immer mit einer Nachdenklichkeit verbunden, mit einem Fragen verbunden und man lernt in vielen dieser Kapitel des Buchs ein fragendes Lesen, ein fragendes Denken und das zeigt für mich auch, dass du eigentlich, dass du von Bertolt Brecht herkommst. Weil für mich war das erste Buch, das ich von Kurt Palm gelesen habe, sein Buch über Brecht und Österreich. Für mich ist das insofern so wichtig, weil etwas Unglaubliches verhindert wurde Ende der 40er Jahre. Unglaubliches verhindert wurde Ende der 40er Jahre, dass Berthold Brecht bei den Salzburger Festspielen Schauspieldirektor hätte werden können und dass das von Karajan und von den konservativen Politikern verhindert worden war. Gottfried von einem hat sich damals eingesetzt für Brecht und das Einzige, was geblieben ist von dieser Bewerbung Brechts, ist, dass Brecht die österreichische Staatsbürgerschaft bekommen hat, die er bis zu seinem Tod beibehalten hat. Es ist auch interessant vom Haus, in dem sich das abgespielt hat zum Teil, dass dieses Mönchsberg 17 in diesem Haus Gottfried von Einem wohnte und später hat Peter Handke in diesem Haus gewohnt und Handke und Precht haben ja, was die Literatur angeht, ein gespanntes Verhältnis miteinander. Verhältnis miteinander. Und in diesem Haus wohnt jetzt ein Freund von Handke, der in der Mittelschule eine Zeitschrift herausgegeben hat in Tanzenberg. Und Handke gehörte zu denen, deren Beiträge er nicht aufgenommen hat, weil sie ihm nicht gefallen haben und trotzdem ist daraus eine tiefe Freundschaft entstanden. Das war nur eine kleine Anekdote dazu. Aber dass dieses Buch etwas Wichtiges war, Brecht und Österreich, weil du auch in die Dramaturgie Brechts eingeführt hast, das zeigt sich auch in der Praxis des Schreibens von dir, dass das Szenische, die Darstellung von Einsichten über Szenen, dass das in diesem Roman etwas Entscheidendes ist. Und dass eben das Erzählen keine so große Rolle spielt, aber wenn das Erzählen auftritt, dann hat das in diesem Buch eine besondere Schönheit. Und vielleicht liest du jetzt den, oder das ist zu bald, das Schlusskapitel, diese mit dem Luca Bacci. Ich wollte noch was sagen zu diesem Teil in dem Buch, der doch sehr umfangreich ist, was die Recherchen zur Geschichte meines Vaters während des Zweiten Weltkriegs betrifft, weil das natürlich sehr problematisch für mich war. Ich bin ja davon ausgegangen, dass mein Vater bei der Wehrmacht war. Das war sozusagen eine Wortschutzbehauptung und habe das erst nach und nach zur Kenntnis nehmen müssen, dass er als 18-Jähriger zur SS-Polizei eingezogen wurde und in Slowenien und in Frankreich gegen Partisanen gekämpft hat. hat. Und es gab ein Prinzip bei diesem Buch und ich habe gesagt, das schreibe ich nur unter der Bedingung, dass alle Karten auf den Tisch gelegt werden. Ich werde nichts verschweigen und ich werde alle Themen, mit denen ich mich beschäftige, sozusagen offen abhandeln. Und das war natürlich hart. Ich habe dann beim Bundesarchiv in Deutschland die Akte meines Vaters angefordert, habe die auch bekommen und habe dann aufgrund dieser Akten studiert, die verschiedenen Bewegungen dieses Bataillons, denen mein Vater angehört hat. Und das war jedes Mal natürlich mit Zittern verbunden. Ich beschreibe das also sehr genau, die einzelnen Orte, an denen mein Vater eingesetzt war. Hoffentlich finde ich nicht in der Kriegsberichterstattung, dass an diesem Tag in Montluçon oder wo immer, wo ein Massaker stattgefunden hat, mein Vater, das Bataillon meines Vaters daran beteiligt war. Also das ist sozusagen ein, das war ein Akt, der sehr schwierig war für mich, weil ich, also ich weiß, mein Vater war kein Nazi, also das kann ich hundertprozentig sagen. Und er war, als er sozusagen aus dem Krieg zurückkam und in Neukirchen an der Vögle strandete, 21 Jahre alt. Ich habe während 1997 gestorben, ich habe nie irgendein Wort gehört von ihm, wo er Hitler oder den Krieg verherrlicht hätte. Aber er war Teil, er war Mitglied einer verbrecherischen Organisation, er war zu der Zeit in Lyon als Klaus Barbie, der Schlechter von Lyon, als einer der ärgsten Kriegsverbrecher dort seine Massaker und seine Morde beging und er war sozusagen Teil dieser Maschinerie und meine Hoffnung ist oder war, dass er sozusagen ein kleines Rädchen war, aber er war Teil dieser Organisation. Und es ist natürlich für, ich hatte ein sehr gutes Verhältnis zu meinem Vater, auch wenn wir natürlich politisch völlig anderer Meinung waren, aber natürlich ist es unter solchen Umständen schon hart, diese Recherchen vorzunehmen. Aber wie gesagt, ich habe mir vorgenommen, relativ schonungslos vorzugehen bei diesem Buch und niemanden zu schonen, weder mich noch sonst jemanden. Aber das war sicher eines der schwierigsten Kapitel in diesem Buch. Aber ich würde gern noch, wie schaut es denn aus von der Zeit? Naja, oder soll ich das Schlusskapitel lesen jetzt? Warte, ich schaue mal, wie lang das ist. Das ist relativ lang. Das ist lang, ja. Herr Köglberger, wie schaut es denn aus? Nein, nein, nein, Sie haben uns engagiert, also Sie bestimmen. Nein, ich würde sagen, dann lese ich das Schlusskapitel, das noch einmal diesem Josef Batschi gewidmet ist. Das ist sozusagen die Klammer. Der Hans hat das ja bereits erwähnt. Das hat sich natürlich erst aus der Konstruktion des Buchs ergeben. Für mich war wichtig, dass ich sozusagen dem Schwächsten in dieser gesamten Konstellation, das war dieser Knecht, das war der, der nie eine Stimme hatte, dass ich dem sozusagen eine Art Stimme verleihe. Und ihm ist das erste Kapitel und das Schlusskapitel gewidmet. Und das lese ich jetzt vor. Wenn ich jetzt finde... Es müsste... Ach so, Blödsinn. Ich muss es ja aus dem Buch lesen. Ich habe es ja nicht ausgedruckt. Ach so, Blödsinn. Ich muss sie aus dem Buch lesen. Ich habe sie nicht ausgedruckt. Luca Bacci erinnert sich. Mein Name ist Luca Jovanovic. Ich wurde 1905 in der Nähe von Apatin in der Batschka im Königreich Serbien geboren. Ich war der sechste von acht Kindern. Wenn ich etwas falsch gemacht habe, wurde ich von meinem Vater verprügelt, immer auf die Ohren. Das ist auch der Grund, weshalb ich auf einem Ohr taub bin. Luca striegle die Pferde, Luca treibe die Gänse auf die Weide, Luca misste den Stall aus. So ging es Tag aus, Tag ein. Wann immer ich Zeit hatte, bin ich zur Donau hinuntergegangen. Ich habe mich ans Ufer gesetzt und die Schiffe beobachtet. Am liebsten wäre ich mit einem Frachter bis zum Schwarzen Meer gefahren. Alle Schiffe hatten Namen, aber nur ein paar konnte ich entziffern. Timok, Beograd, Vuk, Brankovic. Es gab dort einen kleinen Hafen und einmal habe ich mich auf einem Fischerboot versteckt. Als ich am Abend mit ein paar Fischen nach Hause gekommen bin, hat mein Vater die Fische vor lauter Wut an die Schweine verfüttert. Weil auf unserem Bauernhof kein Platz für so viele Kinder war, wurde ich nach Fünfklassenvolksschule zu einem Onkel geschickt. Dort ging es mir noch schlechter als zu Hause. Der Onkel hat getrunken und nicht nur seine Frau, sondern auch sein Gesinde geschlagen, zu dem ich gehörte. Nachdem einer seiner Söhne im Ersten Weltkrieg gefallen war und eine Tochter sich in der Scheune erhängt hatte, wurde alles noch schlimmer. Mit 14 habe ich es nicht mehr ausgehalten. Ich habe meine wenigen Habseligkeiten zusammengepackt und bin weg. Bei den Bauern gab es genug Arbeit, aber mit 19 haben sie mich zur Armee eingezogen. Dort wollten sie aus mir ein Tier machen. Aus dem Königreich der Serben war das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen geworden. Für mich machte das keinen Unterschied. Aber ich hatte Glück, weil ich eine Lungentuberkulose bekam und sie mich in ein Lazarett steckten, von wo ich nach einem Jahr entlassen wurde. In der Zwischenzeit war mein Vater als mittelloser Alkoholiker gestorben und man hat ihn in einem armen Grab beigesetzt. Keine Minute habe ich um ihn getrauert. Einige Jahre später wurde aus dem Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen das Königreich Jugoslawien und wieder wurde ich zur Armee eingezogen. Dieses Mal haben sie mich aber wegen meiner kaputten Lunge gleich nach ein paar Monaten wieder nach Hause geschickt. Auf einem Bauernhof in Kroatien habe ich mich in einen Markt verliebt, der aber nichts von mir wissen wollte, wahrscheinlich weil ich Serbe war. Als ich erfahren habe, dass meine Mutter im Sterben liegt, bin ich noch einmal zurück. Sie hatte etwas am Magen und ist elendiglich zugrunde gegangen. Ich war froh, als alles vorbei war und ich den Hof für immer verlassen konnte. Im Ort gab es ein paar Tschetniks, die mich anwerben wollten. Ihr Hass auf die Bosniaken und Kroaten war aber so groß, dass ich da nicht mitmachen wollte. Sie haben das nicht akzeptiert und mir gedroht. Noch in der Nacht bin ich davongelaufen zurück nach Kroatien. In Slavonien habe ich auf verschiedenen Bauernhöfen gearbeitet. Am besten ist es mir bei den Bauern mit den deutschen Namen gegangen. Sie haben von der Landwirtschaft auch mehr verstanden als die Kroaten. Während die kroatischen Bauern immer noch die grauen Langhornrinder züchteten, beschritten die Deutschen mit der Einführung der Simmentaler Rasse bereits neue Wege. In der Schweinezucht war es dasselbe. Ich weiß das, weil ich mich jahrelang um die Kühe und die Schweine gekümmert habe. 1938 habe ich als Knecht auf einem Hof in Kappern angefangen, dort bin ich geblieben. Dann kam das Jahr 1941 und Deutschland erklärte dem Königreich Jugoslawien den Krieg. Wenig später wurde der unabhängige Staat Kroatien ausgerufen und die Ustascher begannen mit ihren Feldzügen gegen die Serben. Ich hatte Glück, weil mich die Ustascha-Leute in Kapern gekannt haben. Sie haben mich in Ruhe gelassen. Außerdem habe ich mich mit den Deutschen gut verstanden. Das war auch der Grund, weshalb ich mich im September 1943 auf einem Pferdewagen versteckt habe, als sie aus Kapern flüchten mussten. Ich war ja alleine, was hätte ich machen sollen? Ende 1944 bin ich mit den anderen Flüchtlingen in Neukirchen an der Vöckler angekommen. Dort habe ich auf verschiedenen Höfen wieder als Knecht gearbeitet. Gut gegangen ist es mir dort nicht, die haben mich behandelt wie den letzten Dreck. Aber ich war froh, dass ich ein Dach über dem Kopf und genug zu essen hatte. Mit den Vertriebenen aus Kappern bin ich in Kontakt geblieben, aber sie hatten wenig Zeit, sie mussten sich ja ums eigene Überleben kümmern. Als es mit meiner Lunge immer schlechter wurde und ich nicht mehr arbeiten konnte, habe ich einen Platz im Armenhaus in Timmelkamm bekommen. Im Ort haben einige aus Kappern gewohnt, die habe ich ab und zu besucht. Es war schön, weil wir über die alten Zeiten reden konnten. Wir haben uns auf Kroatisch unterhalten, weil ich ja nicht Deutsch konnte. Das war auch der Grund, weshalb ich im Armenhaus kaum Kontakt zu den anderen Alten und Kranken hatte. Wenn der Sohn einer der Familien aus Kapern im Alter sein ministriert hat, bin ich zur Messe in die Kapelle gegangen, sonst nicht. Ich war ja nie religiös und habe gar nicht verstanden, worum es bei diesen Messen ging. Am Ende bin ich nur noch in meinem Verschlag im Bett gelegen, weil es mir so schlecht gegangen ist. Ich habe mich an die Donau erinnert und wie ich eines Nachts ein Schiffshorn gehört habe, bin ich aufgestanden und zum Fluss hinuntergegangen. Irgendwann hat mich das Wasser verschluckt. Was weiter geschehen ist, weiß ich nicht mehr. Vielen Dank. Entschuldigen Sie, dass ich noch etwas anfüge, was meines Erachtens in Linz dazugehört, wenn man diese Stelle von den Schiffen liest, von dem Kind, das immer zur Donau hinuntergegangen ist, um die Schiffe zu sehen. Eugenie Kain, Chill Out, die letzte Erzäh »Hohe Wasser«, schließt mit dem Satz »Am Ufer der Donau«, »Auge in Auge mit den schwarzen Schiffen«, bekam ich eine Ahnung, dass jeder Mensch Bedeutung hat. Das letzte Kapitel »In trockenes Feld« von Kurt Palm schließt mit der Erinnerung an die Schiffe auf der Donau. Und ich finde, es ist diese Parallele, diese Resonanz, eine schöne, ich lese das so, du wirst nicht daran gedacht haben, aber weil eben auch diese Sätze von Eugenie Kein irgendwie zum kulturellen Allgemein gut gehören, ist das eine schöne Hommage an Eugenie Kein. Ja, wann immer ich Zeit hatte, bin ich zur Donau hinuntergegangen. Ich habe mich ans Ufer gesetzt und die Schiffe beobachtet. Danke. Danke. Applaus Applaus Applaus Applaus Applaus Applaus Applaus Applaus Applaus Applaus Applaus Applaus Vielen Dank, Hans Höller und Kurt Palm. Es lohnt sich, trockenes Feld zu kaufen und zu lesen. Ich denke, Kurt Palm ist gerne bereit zu signieren. Die Buchhandlung Alex aus Linz bedeutet dem Büchertisch schon alleine für die Geschichte, die Geschichte über Kurt Palms Bruder, der Suizid begeht und die er lesen wollte und dann nicht lesen wollte, lohnt es sich auf jeden Fall, das Buch zu kaufen. Beehren Sie uns am Donnerstag wieder, wenn Sabine Scholl ihr Buch Transit Lissabon vorstellt. Vielen herzlichen Dank für Ihr Kommen. Vielen Dank.