Da bleibt immer noch die Hoffnung, dass sie es geschafft haben. Den Donaustrand sieht man ja jetzt nicht, aber da wissen wir zumindest, es gibt ihn und er kommt auch wieder zum Vorschein. Vor allem, wenn jetzt die Sonne scheint, dann lassen sie es stark hoffen. Und in meinem Text geht es eher um Träume. Gestrandet. Viele Jahre sind vergangen, seit Rudi das letzte Mal durch diese Tür gegangen ist, um seinen Freund zu besuchen. Damals war das der Eingang zum Geschäft. Zweitens war das der Eingang zum Geschäft. Wenn man eintrat, bimmelte eine Glocke und dann kam entweder Simons Vater oder seine Mutter durch die Wohnungstür in den Laden. Der ihm nun öffnet, geht gebeugt wie ein alter in Erinnerung hat. Hier muss die Verkaufsbudel gewesen sein, um die er einst herumgehen musste, um in die Wohnräume zu kommen. Viele Leute warteten stets geduldig, um an die Reihe zu kommen. Selbstbedienung gab es hier nicht. Da befand sich einst das Regal an der Wand, das bis zur Decke reichte. Simons Vater war oft auf der Leiter gestanden, um Waren aus dem Regalen zu holen. Alles gab es hier, Lebensmittel, Wolle, Nägel, Hemden. Die gewohnten Wege von damals gibt es nicht mehr. Rudi sieht nur weiße Wände. In einer Teeküche bittet ihn der Mann, Platz zu nehmen. Simon werde gleich kommen. Simon hat niemanden erwartet. Im Haus seiner Eltern verkehren ihm die gleichen Leute. Psychisch Kranke leben hier, weil sie Betreuung und Gemeinschaft brauchen. In dem Haus ist Platz genug. Auch für die Mutter und ihre Pflegerin. Als man ihm sagt, dass ein gewisser Rudi auf ihn wartet, denkt er an einen neuen Kollegen, aber mit ihm, der ihm die Hand reicht und sie zu fest drückt, hat erangemeldet herein. Servus Simon, ruft er. Wie geht's dir? Zu überschwänglich für jemanden, den man Jahrzehnte nicht gesehen hat. Bierbauch und eine brüchige Stimme, die man gerne ölen möchte. Von seinem Gegenüber, mit dem er acht Jahre die Schulbank gedrückt hat, hört Rudi nur einen leisen Gruß. Der Händedruck ist leicht und flüchtig. Mit der Glatze im Stirnbereich ist Simon seinem Vater ähnlich. Nur einen Vollbart druckt dieser nicht. Der Vater lebt nicht mehr, auch Simons Bruder Jonas ist tot. Mit dem Auto gegen eine Mauer gekracht, mit Absicht angeblich schon vor Jahren. Simon sagt nichts, fragt nichts. Als er sich hinsetzt, schiebt er den Stuhl weit von sich. Wenigstens anbieten könnte er etwas. Ein Glas Wasser oder Kaffee muss ja nicht gleich ein Bier sein. Rude kommt sich komisch vor. Richtig fehl am Platz, er greift in die Jackentasche, um das Samtsäckchen hervorzuholen. Darin ist, was gut 40 Jahre im Schlamm gelegen hat. Sein Bruder hat unlängst den Löschteich ausgebagert und Rudi ist dabei gewesen. Ein blechender Eimer, ein Schädelknochen von einem Hasen und das elfenbeinende Kreuzchen sind zum Vorschein gekommen. Rudi hat sofort gewusst, wem dieses Eimerl gehört hatte. Vielleicht erkennst du es, sagt er, während er das weiße Kreuzchen aus dem Sächchen holt. Simon starrt auf das Kreuz, das sein einstiger Schulfreund vor ihm auf den Tisch legt und da öffnet sich ein Fenster. Vergilbte Bilder. Je länger er auf das Kreuz starrt, desto deutlicher, lebendiger werden sie. Der Teich. Mit den Rädern flitzten sie über den Feldweg, um zum Teich zu kommen. Das Wasser schwarz und heimlich ruhig lag es da. Rudi redete von Amphibien, die in diesem Wasser schwammen, während sie auf dem schmalen Steg die Badehosen anzogen. Am liebsten hätte Simon sich wieder umgezogen. Während er noch den Helden wachzurüttelte, versuchte er stieß in Rudi ins Wasser. Simon graute unähnlich, glaubte sich, als er untertaucht von Schlangen umzingelt. Das zahl ich ihm heim, schuhe er sich. Kaum wieder, über Wasser, wild um sich schlagend, schwamm schon Rudi lachend neben ihm. neben ihm. Soll er Schlangen und Kröten schlucken. Er drückte den Freund unter das Wasser. Dieser spuckte beim Auftauchen grüne Brühe. Sie rangelten und alberten und als sie über das schlammige Algen über das Teichufer stiegen, flüchteten Kröten ins Wasser. Aber der graute ihm schon nicht mehr. Zu Hause merkte er das Willlen der Halskette. Das Kreuz war ein Geschenk des Firnparten gewesen. Das Erinnerungsfenster bleibt offen. Sie lagen im Gras auf der grün-gelb karierten Decke und zitterten wie Espenlaub. Damit ihnen warm wurde, träumten sie von Sonne, Sand und Meer. Dass sie Schiffbruch erlitten hätten und sie an Land gespült wurden und nun würden sie auf der Insel ihr Leben so gestalten, wie es ihnen beliebte. Rudi würde sich ein Baumhaus bauen und an Früchten der Insel leben wollen, so hatte er gesagt, nur nicht mehr daheim auf dem Hof schuften. Und er, wovon träumte er? Am imaginären Meeresstrand. Als Bub hatte er viele Träume. Bikini-Mädchen fallen ihm ein, die er aus dem Wasser fischen und mit einem Haarem gefangen halten wollte. Und forschen würde er. Er forschen, was es auf der Insel zu entdecken gäbe. Pflanzen, Mineralien, das Wetter, das Leben im Wasser, sofern es keine Haie sind. Er würde die Gestirne beobachten und über seine Erkenntnisse Bücher schreiben. Das Schwelgen seines Schulfreundes, der sich vorgeprägt hat und das Kreuz betrachtet, weiß er nicht zu deuten. und das Kreuz betrachtet, weiß er nicht zu deuten. Rudi würde gerne wissen, was hinter dieser Stirn vor sich geht. Was sind wir doch für Lausbuben gewesen, sagt Rudi. Sein Gegenüber schweigt weiter, wiebt nur langsam vor und zurück. Simon, noch auf der Decke liegend, spürt den Erdboden unter sich, die Sonne wärmt und Lichtspiegelungen tanzen vor seinen Augen. Gräser riechen, Insekten brummen über seinem Kopf. Sie nehmen Grashalme in den Mund, ziehen daran und sagen, sie würden Haschisch rauchen. Wohin haben sich die Träume von damals verflüchtigt, während ein Elfenbeinkreuz geblieben ist, was es ist. Simon, manches bleibt unverändert, während anderes sich in Luft auflöst. Rudi, wir haben uns verändert, nicht wahr, Simon? Den Mädchen die Röcke hochziehen und in den Uhackel auf den Bus und schießen, das würde uns nicht mehr einfallen. Rudi, wovon redet ihr? Simon kehrt von der Sommerwiese zurück in dieses Zimmer. Er weiß nichts über ihn, mit dem er über Hausübungshefte gesessen hatte, mit dem er träumte und verrückte Sachen machte. Simon, du bist in der Gegend geblieben? Rudi, sicher, ja, mit Hanni habe ich drei Kinder und ich bin schon Opa. Simon, ist dir alles gut gelaufen bei dir? Naja, am Ende schon. Du weißt sicher, dass ich, ich war gerade mit der Tischlerlehre fertig, über Nacht fast erblindet bin. Jetzt arbeite ich seit Jahren als Portier, bin zufrieden. Sehen tue ich ja, nur schleierhaft. Simon, beinahe blind? Nein, wie hätte ich das wissen sollen? Doch, er hat es einmal gewusst. Jonas hat es ihm gesagt, damals. Dieser war gern unter Leuten hier im Ort und sank mit Rude im Kirchenchor. Simons Kontakt zu seinem Freund war mit der Schule beendet. Eine neue Welt tat sich für ihn auf, als er ins Gymnasium wechselte. Und Rude machte also eine Tischellehre. Das Bedauern über dessen Schicksal hatte er für sich behalten. Er sieht Rudi an, sieht den Schleier über den Augen. Sein Lächeln erinnert ihn und auch die Grüppchen neben den Mundwinkeln. Hat er auch damals gezwinkert? Und du, Simon, wie ist es für dich gelaufen? Man sieht dich nie im Ort, als wärst du gar nicht da. Simon, du wusstest, dass ich da bin. Rudi, in so einer kleinen Gemeinde weiß immer jemand irgendwas. Simon, ich bin Sozialbetreuer, Verwalter, Hausbesitzer. Mit den Leuten draußen habe ich nichts zu tun, was soll ich mit ihnen? Rudi, hätte nicht gedacht, dass du einmal Sozialarbeit machst. Ich war mir sicher, du wirst Forscher, heiratest eine Prinzessin und bist in der ganzen Welt zu Hause. Rudi erinnert sich an die vielen dicken Bücher in Simons Zimmer. Bücher über das Weltall, Geschichte und Geografie. Bist du nicht auch woanders gestrandet, als du geplant hattest, sagt Simon. Rudi meint Kränkung, Simons Stimme zu hören. Dieser hat das Elfenbeinkreuz in die Hand genommen und klopft damit auf den Tisch. Rudi, man macht halt das Beste draus, was nicht zu ändern ist, gell? Simon, sicher, was das Beste für ein Individuum ist, wo steht das geschrieben? Nirgendwo, Simon. Man muss es selbst finden. Du, wir könnten mal auf ein Bier gehen. Ein Bier trinken? Nun ja, warum nicht? Dass seine Prinzessin in England geblieben ist, sagt er Rudi nicht. Auch nicht, weshalb seine Pläne andere geworden sind. Simons Händedruck beim Abschied ist ein wenig fester als zuvor, lässt die Hände nicht gleich wieder los. Er bedankt sich für den wiedergefundenen Anhänger. Ganz sicher würden sie sich bald wieder sehen, versprechen sie einander. So viel Zeit darf nicht mehr vergehen, das ginge sich nicht mehr aus. Und als Ruth ein paar Schritte gegangen ist, fällt ihm ein, dass sie keine Telefonnummern ausgetauscht haben. Er dreht sich noch einmal um, aber da ist die Haustür schon ins Schloss gefallen. Danke.