Guten Abend im Stifterhaus, meine sehr geehrten Damen und Herren. Mein Name ist Stefan Kögelberger. Es freut mich, dass Sie heute den Weg zu uns gefunden haben. Es wird Ihr Schaden gewiss nicht sein. Erwartet uns doch ein Abend mit zwei äußerst interessanten Büchern von Autorinnen, wartet uns doch ein Abend mit zwei äußerst interessanten Büchern von Autorinnen, die jeweils für sich eine ganz eigene Form des Erzählens, ihre eigene Sprache gefunden haben. Weil man in der Literaturbranche, ja in der Kulturbranche ganz allgemein, überraschenderweise besonders lange zum jungen Eisen gezählt wird, hätte ich unsere heutigen Gäste gut und gerne auch mit dem Adjektiv jung schmücken können. Das habe ich aber schon alleine deshalb nicht getan, weil es sich bei beiden um alles andere als Deputanten handelt, sie vielmehr schon mehrmals von sich reden gemacht haben und mit Preisen bedacht worden sind. Die Höflichkeit gebietet es selbstverständlich, mit der Dame zu beginnen. Die Höflichkeit gebietet es selbstverständlich, mit der Dame zu beginnen. Ich darf die Urheberin des Romans Eskalationsstufen, der im Februar 2024 im Verlag Kreml und Schere erschienen ist, ganz herzlich bei uns im Stifterhaus begrü Eskalationsstufen wurde Barbara Rieger 2023 mit dem Marianne von Willemmer Frauenliteraturpreis der Stadt Linz bedacht. In der Urteilsbegründung der Jury hieß es, ich darf zitieren, der Romanauszug adressiert eine große Bandbreite an Themen. Dysfunktionale Familie, Gewalterfahrung, Abhängigkeitsverhältnisse. Die Autorin schafft es, die thematische Komplexität sprachlich sehr gut zu lösen. Dieses Können ermöglicht es Lesern, zu ich erzählenden Personen unterschiedliche, teils auch ambivalente Beziehungen aufzubauen. Der Text entfaltet in seinem schnellen Erzählen eine Sogwirkung. Zitat Ende. Und genau diese Sogwirkung zeichnet Texte der gebürtigen Grazerin, die Kultur- und Sozialanthropologie sowie Deutsch als Fremd- und Zweitsprache studiert hat, seit langem aus. Sie lebt im Almtal in Oberösterreich und in Wien und arbeitet auch als Deutsch-Trainerin. In Eskalationsstufen skizziert Barbara Rieger mit viel Tempo und meines Erachtens sehr gelungener Rhythmik den Verlauf einer Beziehung, die geradewegs vom Himmel in die Hölle führt. Dass das Grundthema des Romans leider beileibe nicht dem Reich der Fiktion zuzuordnen ist, führen Zahlen der Statistik Austria aus dem Jahr 2022 vor Augen, die, nämlich, dass der Diskurs zum Thema nicht versiegt. Lassen Sie mich nun zu unserem zweiten Gast kommen. Es freut mich ehrlich, ihn heute hier im Stifterhaus begrüßen zu können, zumal wir zu einer Zeit, als Österreich gerade darüber abstimmte, Teil der Europäischen Union zu werden oder nicht, etliche Stunden darauf verwendet haben, unser fußballerisches Talent bestmöglich auszuformen. Es ist also schon ein Weilchen her, seit wir uns zuletzt gesehen haben. Deshalb auch von ganz persönlicher Seite herzlich willkommen im Stifterhaus, Stefan Reuss. Und schön, dich nach so vielen Jahren wiederzusehen, ganz offiziell. Nach seinem viel beachteten Roman-Debüt Rizeratops, das 2020 im Verlag Krehmeier und Scheriau erschienen ist und es auf die Longlist zum Deutschen Buchpreis geschafft hatte, hat Stefan Reuss nunmehr vor wenigen Tagen seinen zweiten Roman vorgelegt. Dieser trägt den Titel Lauter und ist im Jung & Jung Verlag erschienen. Stefan Reuss hat Kunstwissenschaft und Philosophie studiert und ist nach Eigenbezeichnung in Ottensheim und unterwegs zu Hause, künstlerisch und literarisch jedoch in vielen Milieus beheimatet. Musikalisch als Mitglied der Bands Äffchen & Craigs und Fang den Berg, literarisch nicht nur als Autor von Poser und Lyrik, sondern auch von Hörspielen, Theaterstücken und Graphic Novels. Seinen jüngsten Roman Lauter zeichnet insbesondere eine sprachliche Musikalität und Feinfühligkeit, ja beinahe Zärtlichkeit mit der Welt aus. Stefan Reues gibt der Sprache unumwunden den Vorrang vor einer kunstvoll gewobenen Handlung, wie er das auch im Rahmen eines Ö1-Interviews anlässlich der heute präsentierten Neuerscheinung beschrieben hat. Zitat, es sollte eine Symphonie werden, das war so ein Stichwort, das über meinem Schreibtisch gebrannt ist. Und weiter, sehr interessant, wenn man 500 Seiten über einen Stein schreibt und es passiert weiter nichts, aber diese 500 Seiten sind stilistisch brillant und die Sprache ist adäquat, dann ist das ein großartiges Buch. Zitat Ende. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, meine Damen und Herren, aber für mich klingt das wie ein Ansatz einer eigenen, vielleicht auch eigenwilligen Poetologie. Zu guter Letzt bin ich Ihnen noch den Moderator des heutigen Abends schuldig. Auch ihn darf ich ganz herzlich im Stifterhaus willkommen heißen. Herzlich willkommen, Stefan Gmünder. Schön, dass Sie da sind. Stefan Gmünder ist sozusagen der internationale Beitrag zu diesem österreichischen, ja fast schon oberösterreichischen Abend, denn der gebürtige Schweizer, auch wenn er schon 30 Jahre in Wien lebt, ist nach wie vor Schweizer. ist nach wie vor Schweizer. Er ist Redakteur bei der Tageszeitung Der Standard und der Literaturzeitschrift Volltext und wurde 2021 im Übrigen als erstes Nicht-Österreicher der Staatspreis für Literaturkritik der Republik Österreich verliehen. Das war es auch schon wieder von meiner Seite. Ich wünsche Ihnen einen anregenden und interessanten Abend mit Steffen Gmünder, Steffen Reuss und Barbara Rieger. Vielen Dank. Sehr geehrte Damen und Herren, es ist mir eine große Freude und eine Ehre, hier sein zu dürfen mit einer Autorin, einem Autor, deren Bücher ich, ihre neuen Bücher, die ich sehr schätze. Beide haben ihre Lebensmittelpunkte zum Teil in Oberösterreich, sind viel unterwegs. Ein Buch spielt auch in Linz. auch in Linz. Der Stefan hat mir meinen Witz schon gekillt, den ich immer bringe. Ich bin seit 30 Jahren in Wien, aber man hört es nicht. Und wir haben uns den, bitte noch einmal einen Applaus für die beiden. Wir haben uns den Ablauf des Abends so vorgestellt, dass zuerst, ich mache jeweils zu jeder Lesung eine kleine Einleitung, so fünf Minuten, dass Sie sich nervlich darauf vorbereiten können. Und dann werden die Autorinnen und Autoren ungefähr 20 bis 25 Minuten aus ihren Büchern lesen. Und am Schluss werden wir drei zusammen noch ein Gespräch über das Schreiben, Leben und alles andere auch führen. alles andere auch führen. Kunst, sagte Pablo Picasso, ist eine Lüge, die uns die Wahrheit erkennen lässt. Ich bin mir nicht sicher, ob dieser Satz stimmt oder ob er immer stimmt. Auf die Bilder des Malers Joe in Barbara Riegers neuem Roman Eskalationsstufen aber trifft er zu. Gegen Ende des Buches und am Schluss seiner Geschichte, die auch eine Geschichte männlicher Gewalt und von Femizid ist, also der Tötung von Frauen durch ihre Partner, steht die junge Ich-Erzählerin Julia vor einem Gemäldbt oder ob sie tot ist. Eines aber ist sicher. Zum Zeitpunkt, als sie dieses Bild von sich selbst findet, hat sich Julia längst in einer lebensbedrohlichen Beziehungssituation verstrickt. Sie ist isoliert, verzweifelt und wund und sitzt im Corona-Lockdown in einem oberösterreichischen Wald in einer Jagdhütte fest, die dem Maler Joe gehört, der das Bild von ihr gemalt hat. Im Moment ist er nicht da. Julia kann durchatmen, aber er wird zurückkehren, was einer Drohung gleich kommt. Und plötzlich weiss sie, ich zitiere, dass auf dem Bild bin ich und bin ich nicht. Ich trete einen Schritt zurück, wundere mich, wie lange ich gebraucht habe, um zu erkennen. Zitat Ende. Mann, der im Antal und in Wien lebenden Schriftstellerin Barbara Rieger, die in ihren Werken literarisch von Anfang an dorthin gegangen ist, wo es wehtut, auch gesellschaftlich. Kennengelernt haben sich Julia und dieser Joe bei einer Ausstellung in einem Wiener Bezirksmuseum, wo eines von Julias Baumbildern ausgestellt ist. Von Anfang an befindet sich die Beziehung der beiden in einer Schieflage. Joe ist erfolgreich, wohlhabend, älter als Julia und er ist in der Jury, die ihr Bild für die Ausstellung aussuchte. Julia träumt auch von einer Künstlerin in Leben, kann aber mit Malen allein finanziell nicht überleben. Sie schlägt sich als Deutsch-Trainerin durch und lebt mit David zusammen, der beruflich oft in Deutschland ist. Während Julia bevorzugt Bäume, also belebtes Malt, malt Joe tote, missbrauchte Frauen. Das habe, so sagt er, mit dem Trauma zu tun, dass er durch das ungeklärte Verschwinden seiner Frau Maria im schon angesprochenen oberösterreichischen Wald erlitten habe. Er hat Erfolg mit seinen Bildern, schließlich nimmt er mit ihnen das gesellschaftlich wichtige Thema des Femizids auf. Es kommt gut an, aber stimmt es auch? Oder ist es nur eine Pose, um ganz anderes zu verdecken? Einige von Julias Freundinnen haben kein gutes Gefühl und warnen sie. Trotzdem beginnt sie eine Affäre mit Joe, die schließlich ihre Beziehung mit David zerstört und ihre Existenz ins Wanken bringt. Nachdem sie überstürzt bei Joe Einzog, scheint zunächst alles normal, doch der Maler wird besitzergreifender, kontrollierender, dominanter. Er isoliert sie. Latente Gewalt liegt in der Luft. Julia ist verunsichert, zudem fühlt sie sich abhängig, nicht nur emotional, sondern auch finanziell. Und sie beginnt, an ihrer Wahrnehmung zu zweifeln. Kann sie Joe glauben, was er sagt? Soll sie ihm überhaupt etwas glauben? Parallel zu diesem Kammerspiel einer Beziehungshölle deutet Barbara Rieger einige weitere Handlungsstränge an. Einer handelt von Fatima, einer ihrer Schülerinnen im Sprachkurs, die von ihrem Mann misshandelt wird, es sich aber wie Julian nicht eingestehen will, ein anderer Strang blendet in Julias Familiengeschichte. Eskalationsstufen ist ein Buch über Kunst, Illusionen, emotionalen und körperlichen Missbrauch, tödliche Gewalt, Täuschung und Selbsttäuschung, das in acht Kapiteln und einem kurzen Prolog eine fatale Dynamik offenlegt, die sich wie die Autorin in den Anmerkungen am Ende des Romans schreibt, am Achtstufenmodell von Jane Moncton Smith orientiert. Letztere ist eine britische Kriminologin, die über Jahre Femizide untersuchte und zum Schluss kam, dass es sich dabei nicht um Verbrechen aus Leidenschaft oder Ausraster handelt, sondern um den Endpunkt eines immer gleich ablaufenden, kontrollierenden, gewalttätigen Musters. Doch Vorsicht, Eskalationsstufen ist keineswegs ein Thesenroman, der ein abstraktes Konzept durchzieht, im Gegenteil. Dieser in der Gegenwartsform geschriebene Roman ist in der Präzision seiner Sätze, den Leerstellen des Unerklärlichen, um die er kreist und durch die feine optische Wahrnehmung große Literatur, die keine einfachen Antworten zulässt, sondern unbequeme Fragen aufwirft und auf weit tiefer liegende patriarchale Strukturen der Gesellschaft hinweist, als einem lieb sein könnte. Max Frisch, der als Partner ein eher unerfreulicher Mensch war, notierte einmal ins Tagebuch, ich zitiere, Notiert ihr einmal ins Tagebuch, ich zitiere, Schreiben ist nicht Kommunikation mit Lesern, auch nicht Kommunikation mit sich selbst, sondern Kommunikation mit dem Unaussprechlichen. Barbara Igers Sätze, das werden Sie gleich hören, sind angetreten, diesen Schweigekerker zu sprengen. Nichts, und das ist die große Kunst dieser Autorin, wird in diesem Roman behauptet oder nur beschrieben. Vielmehr lässt sie mit Sprache die Konturen von etwas entstehen, das, wenn auch versteckt, um uns herum präsent ist, überall. Begrüßen Sie bitte Barbara Riegel. Vielen Dank für die Einladung, vielen Dank für die Einleitung. Wir haben uns kurz über Einleitungen unterhalten, es war sehr schön. Die Erwartungshaltung ist jetzt hoch, fürchte ich. Ich versuche mal, sie zu erfüllen und beginne einfach am Anfang bei der ersten Begegnung. Eins. Ich betrachte die Zeichnung. Einen Moment lang blende ich alles um mich herum aus, verliere mich im Verlauf der Äste, in den Adern der Blätter und bin zufrieden. Die Stimme kommt von der Seite, sie sagt, das auf dem Bild bist du. Ich drehe mich in Richtung der Stimme, hebe den Kopf und wundere mich, wie groß der Mann dazu ist, um einiges größer als ich, trotz der hohen Schuhe. Deine Zeichnung sticht aus allem heraus, sagt er, und beugt sich ein wenig zu mir hinunter, streckt mir die Hand entgegen. Auch die ist groß, fällt mir auf und ich zögere einen Augenblick, schaue auf seinen Mund, seine Lippen, sehe, wie sie meinen Namen formen. Julia, sagt er, du musst Julia Moser sein. Ich spüre seine Finger in meinem Handrücken, einen leichten Druck. Joe, sagt er, ich war in der Jury. Oh, als Künstler oder als Politiker? Rate mal, sagt er und tritt einen Schritt zurück. Ich betrachte ihn von oben, von seinen dichten schwarzen Haaren mit den einzelnen grauen Strähnen über das weiße Hemd, die beigen Korthosen bis nach unten zu den polierten, akkurat geschnürten Lederschuhen. Beides ist möglich, sage ich zuerst Er lacht und bekommt dabei kleine Falten um die Augen Künstler, sage ich dann Und vermutlich sollte ich deinen Namen kennen So berühmt bin ich nicht Bist du alleine hier? Ja, und schon auf dem Sprung Ich muss morgen arbeiten Woran arbeitest du? Als Deutsch-Trainerin Ach so Ich zucke mit den Achseln Und reiche ihm noch einmal die Hand Woran arbeitest du? Als Deutsch-Trainerin? Ach so. Ich zucke mit den Achseln und reiche ihm noch einmal die Hand, wie warm seine ist, denke ich, als ich sie schon wieder losgelassen, als ich mich schon umgedreht und auf den Weg zur Bezirksvorsteherin gemacht habe. Nachdem ich mich für die Einladung bedankt und mich verabschiedet habe, Bevor ich den Ausstellungsraum des Bezirksmuseums verlasse, drehe ich mich noch einmal nach Joe, dreht auch Joe sich noch einmal nach mir um. Er hebt die Hand und fährt sich damit durch die Haare. Ich winke und gehe hinaus. Plötzlich habe ich Lust, diese Haare zu zeichnen, habe ich Lust, aus diesem Joe auch eine Art Baum zu machen. Draußen werfe ich einen letzten Blick auf das Ausstellungsplakat. Wald in uns. Ein Plakat, auf dem mein Name steht. Mein Name als einer von vielen, aber immerhin. Dass David in Deutschland ist, wie jede Woche. Schönen Abend, hat er nur geschrieben. Dass David in Deutschland ist, wie jede Woche, schönen Abend, hat er nur geschrieben. Dass Kim absagt, wie so oft, es wird nicht deine letzte Ausstellung gewesen sein, hat sie geschrieben. Dass es noch ein langer Weg sein wird, bis wieder irgendwo mein Name steht, ist halb so schlimm. Ich bin zufrieden. Nur die Wahl der Schuhe beginne ich auf dem weg zur haltestelle zu bereuen ich springe zur zweiten begegnung der beiden schon vor der galerie ein vertrautes gefühl das gefühl nicht dazu zu gehören oder nicht dazugehören zu wollen. Wie immer fällt es mir schwer, das eine vom anderen zu unterscheiden. Alle hier scheinen sich zu kennen und ich kenne niemanden. Kim wäre gern mitgekommen, aber das Baby zahnt und lässt sie nicht aus dem Haus. Keine Chance. Ich entdecke eine Person mit einem Tablett in der Hand, versuche zu ihr zu gelangen, siehe Gäste nach vollen Gläsern greifen und leere Gläser abstellen, zwänge mich zwischen zwei Männern durch, Entschuldigung sage ich leise, Entschuldigung sage ich lauter. Einer weicht einen Schritt zur Seite und ich nähere mich dem Tablett. Es sind noch zwei Gläser darauf, als mir wieder jemand den Weg versperrt. Ich dränge mich vorbei, siehe vor mir nur Arme, siehe große Hände nach einem Glas langen, ein Sakko mit Ellbogen schonen, schwarze Haare, ein Lächeln, das mir gilt und dann werde ich von hinten geschoben, in seine Richtung gedrückt. Joe neigt sich zu mir herab, sein Bart kitzelt meine Wange und ich berühre seine Finger, als ich das Glas entgegennehme Er sagt, du bist durstig Ein wenig gebe ich zu und nehme einen Schluck Seine Augen glühen, alles hier glüht, kein Wunder denke ich und dass ich mich ausziehen muss, bevor mir die Wimperntusche ins Gesicht tropft. Halt mal bitte, sage ich, und gebe ihm mein Glas. Ich schlüpfe aus meiner Jacke, er hebt den Arm, ich lege die Jacke darauf, und er sieht mir zu, wie ich mir das Haargummi vom Handgelenk streife, nach meinen Haaren fasse und sie zusammenbinde. Er sieht mich an, wahrscheinlich liegt es nur in meinem Kleid, er sieht mich so an, als wollte er mich auf der Stelle malen. Julia Moser, sagt er, du bist wirklich gekommen. Und wo sind deine Bilder? Frage ich schnell. Ganz hinten, sagt er, soll ich dich begleiten? Sagt er, soll ich dich begleiten? Ich winke ab, nehme meine Jacke und das Glas aus seiner Hand. Komm wieder, sagt er und ich drehe mich um, zwänge mich durch die Menge. Auf einmal geht es ganz leicht. Im ersten Ausstellungsraum sind schon weniger Leute. Großformatige, grelle Collagen, sie sind aber nicht von Joe. Im hinteren, letzten Raum bin ich fast allein. Nur eine Gruppe Mädchen steht vor einem der Bilder. Sie drehen sich um, als sie mich kommen hören und flüstern. Ich nippe an meinem Wein und sehe mich um. Öl auf Leinwand, gefällige, warme Farben. Frauen. Schöne, zum Teil halb nackte Frauen. Dass das heute noch jemand ausstellt. Ich nehme einen der Folder zur Hand. Joe N. lese ich, betrachte das Geburtsdatum und bin überrascht, dass er gar nicht so viel älter ist als ich. Reisen durch Mittel- und Südamerika, verschiedene Lehraufträge, lebt und arbeitet in Wien. Eine längere Liste mit Preisen und Auszeichnungen. Ich lese weiter. My Pictures of You. Der Zyklus setzt sich mit verschwundenen und ermordeten Mädchen und Frauen auseinander. verschwundenen und ermordeten Mädchen und Frauen auseinander. Ich höre ein Geräusch, sehe die Mädchen den Raum verlassen, sehe mir das Bild, vor dem sie gestanden sind, genauer an. Die Porträtierte ist auch jung. Sie sitzt an einem Baum gelehnt in Erdämmerung, den Kopf nach hinten gebeugt, die Augen geschlossen, die Beine ein wenig verdreht, das Kleid ein wenig nach oben gerutscht. Ich verspüre einen leichten Schwindel, trete näher, noch näher, untersuche die Pinselstriche, entdecke den eingearbeiteten Zeitungsausschnitt. Selber schuld, dass sie gestorben ist. Sie hat Drogen genommen und ist einfach von zu Hause weggelaufen. Der Titel? Selber schuld. Ich trete wieder zurück, betrachte das Bild aus der Entfernung, sehe nun immer deutlicher, wie tot sie ist. Ich habe mehr als eine Frage, die ich zu stellen möchte, aber ich bin offenbar nicht die Einzige. Als ich in den Eingangsbereich komme und mich auf ihn zubewege, wird er ununterbrochen begrüßt, geküsst, umarmt, in Beschlag genommen. Von der Seite sieht man nicht, dass seine Nase schief ist. Von der Seite sieht er gar nicht so schlecht aus. sieht man nicht, dass seine Nase schief ist. Von der Seite sieht er gar nicht so schlecht aus. Während er redet, wippt sein Körper ganz leicht hin und her. Während er redet, fixiert er mich mit seinem Blick. Bis ich mich umdrehe, mir ein neues Glas von einem Tablett schnappe und an das Gesicht eines anderen Mannes schaue, auch eher im Sakko, allerdings ohne Ellbogenschoner. Er lächelt und stellt sich vor als der Galerist. Ob ich wegen Joe hier sei, will er wissen und antwortet sich im nächsten Moment selbst. Alle seien wegen Joe hier. Er sei ja so froh, redet der Galerist, weiter einen Künstler wie Joe in seiner Galerie zu haben. Einen so mutigen, kontroversen Künstler wie Joe. Er sei so froh, dass er sich getraut habe, ihn endlich wieder auszustellen. Der Abend gebe ihm vollkommen recht. Während er redet, wandert sein Blick von meinen Augen über meinen Körper hinunter bis zu meinen Schuhen und wieder zurück. Mich überkommt das Bedürfnis zu rauchen, aber ich befürchte, dass er sich anschließen wird. Bleibt mir noch die Flucht auf die Toilette. Gerade will ich ihn unterbrechen und fragen, wo dieser ist, als ich eine Berührung spüre, eine Hand an meinem Rücken, als ich die Stimme von Joe höre. Sie überlagert die Stimme des Galeristen. Der Galerist muss den Kopf heben, um Joe in die Augen zu sehen und ich atme auf. Doch da steht wieder eine Frau vor uns. Sie drückt sich an Joe, drückt sich fast in ihn hinein, flüstert in sein Ohr, mir scheint, sie verschwimmen zu einer Person. Ich drehe mich um und halte Ausschau nach meiner Jacke. Habe sie irgendwo auf dem Weg nach hinten über einen der wenigen Stühle gelegt. Mache mich auf die Suche, ziehe sie schließlich unter anderen Jacken hervor. Als ich mich aufrichte, steht Joe dicht neben mir. Das wird heute nichts mehr, sagt er, leider. Du bist der gefragteste Mann des Abends, sage ich. Die letzte Ausstellung ist schon etwas her, darf ich? Er nimmt meine Jacke und hält sie auf die richtige Höhe. Er scheint zu wissen, wo meine Arme sind, wo die Ärmel hingehören. Er macht das nicht zum ersten Mal, wahrscheinlich macht er das immer so. Ich richte den Kragen, ziehe die Haare heraus, die sich aus dem Knoten gelöst haben. Du musst mir noch deine Meinung verraten, sagt er. Ja, ich habe Fragen. Ein Verhör? Vielleicht. Bei dem Essen schlägt er vor. Schön, dass du da warst, sagt er und macht einen Schritt auf mich zu, legt mir die Hand auf die Schulter, berührt meine Wange mit seiner. Ich kann kaum atmen. Schönen Abend noch, sage ich und löse mich von ihm, trete hinaus auf die Straße. Beim Gehen spüre ich noch immer einen, mit ihren Bildern in einer Ausstellung mitzuwirken. Und ich lese noch eine kurze Szene, wie sie sich da auf den Weg macht. wie sie sich da auf den Weg macht. Beim Verabschieden betrachtet mich David länger als sonst. Es tue ihm leid, dass er wieder nicht dabei sein kann, dass er schon heute Abend fliegen muss. Der Termin morgen früh sei super wichtig. Wenn er zurückkomme, sagt er, müssten wir unbedingt wieder einmal etwas gemeinsam unternehmen. Ich nicke, er küsst mich, wünscht mir einen schönen Abend und dann geht er mit seinem Rollkoffer aus der Wohnung. Ich lehne mich mit dem Rücken gegen die geschlossene Tür und lasse mich nach unten gleiten, umschlinge meine Beine und bemerke das Blut an meinem Unterschenkel. Wieder einmal habe ich nicht aufgepasst. Schließlich stehe ich auf, gehe ins Bad und klebe ein Pflaster auf die Schnittwunde. Ich nehme eine schwarze Strumpfhose aus der Lade, rolle sie über das Bein hoch. Ich will es wissen, denke ich, und rolle die Strumpfhose über das andere Bein. Ich will es einfach wissen, was passiert, wenn wir uns haben. Ich greife nach dem Föhn, meine langen schwarzen Haare tanzen vor meinem Gesicht. Ich muss einfach wissen, was passiert, wenn wir uns gehabt haben. Zwei. Er hat versprochen, eine neue Kaffeemaschine zu kaufen, hat versprochen, dass es Kaffee geben wird, wenn ich das nächste Mal komme und ich habe versprochen, nicht wiederzukommen, nie wieder. Ich weiß nicht mehr, wie ich es formuliert habe, kann mich nur mehr dunkel daran erinnern. Wann war es gewesen? Gleich nach dem ersten oder erst nach dem letzten Mal in der Früh? Wir dürfen das nie wieder tun, könnte ich gesagt haben, etwas, was sie nur noch mehr angestachelt hat. Es war also nicht nach dem letzten Mal, vielleicht nach dem vorletzten, wie viele Male, wie viele Kondome sind neben dem Bett gelegen. Wie laut habe ich geschrien. Irgendwann müssen wir geschlafen haben, denn ich erinnere mich plötzlich an die Türklingel, erinnere mich, dass uns das läuten aufgeweckt hat, erinnere mich an seinen langen, nackten Rücken und an seinen Anblick, als er zurück ins Schlafzimmer gekommen ist. Zu spät hat er gesagt und gelächelt und ich habe gesagt, es ist nie zu spät. Ich stehe vor der Haustür, vor meiner Haustür, habe nach Hause gefunden, wie ein Hund oder eine Katze nach Hause findet. Der Schlüssel passt ins Schloss, es gibt keinen Lift und ich muss nur ins Hochparterre, nur wenige Stufen. Mein Körper ist leicht. Sein Kühlschrank war leer bis auf eine Wodkaflasche. Er hat angeboten, etwas zu holen, etwas zu bestellen, aber ich habe abgelehnt. Ich hatte keinen, habe noch immer keinen Hunger. Der Hunger wird erst später kommen. Ich greife nach der Kaffeekanne und erinnere mich an eine der Geschichten, die er mir erzählt hat. Der Henkel seiner letzten Kaffeemaschine sei geschmolzen, weil er und die Frau, für die er den Kaffee aufgestellt habe, inzwischen wieder im Schlafzimmer gelandet seien. Das Plastik des Henkels sei auf die Platte getropft und habe zu rauchen begonnen. Die Küche sei schon voller Rauch gewesen, giftiger Plastikrauch. Was wäre das für ein Tod gewesen, hat er gesagt, gelacht, er mit irgendeiner Frau, an deren Namen er sich nicht mal erinnern könne, halbnackt im Schlafzimmer, von den Dämpfen erst bewusstlos, dann tot. Eine Zeit lang, hat er gesagt, habe er sich noch so einem Tod gesehnt, eine Zeit lang habe er versucht, sich ins Jenseits zu ficken. Jedes Ficken, ein Ficken gegen den Tod, habe ich eingeworfen und er hat mich angeschaut und gesagt, mit dir, Julia, mit dir, auf jeden Fall. Es ist nicht der Sex, es sind die Geschichten, die wir uns erzählen und das gemeinsame Lachen dazwischen. Ich höre dem Café dabei zu, wie er nach oben steigt, erinnere mich an weitere Details, an Sätze, Blicke, Bewegungen, Körperteile. Ich werde sie in keine vernünftige Reihenfolge, in keine Ordnung bringen. Alles ist, wir sind gleichzeitig passiert. Ich könnte ein Wimmelbild aus uns machen oder zeichnen, wie wir ineinander, miteinander verwachsen. Ich könnte einen neuen Zyklus beginnen, aber ich gieße Kaffee in die Tasse. Die besten Bilder seien die, hat Joe gesagt, die er im Rausch gemalt habe, deren Details er nachher betrachte und sich wundere, woher sie kämen, ob wirklich er sie geschaffen habe. Ob wirklich er, ob wirklich ich, denke ich, ob wirklich wir. Ich rieche am Kaffee. Ob das alles wirklich passiert ist und was weiter passieren wird? Nichts, denke ich, am besten gar nichts. Ich weiß, ich sollte noch warten, aber schon nehme ich einen Schluck vom Kaffee, verbrenne mir die Zungenspitze, spucke in die Abwasch. Scheiße, sage ich laut, verdammte Scheiße. sage ich laut, verdammte Scheiße. Genau, das ist ein Roman, das heißt die handelnden Figuren sind erfunden, aber es gibt einige Zitate, also ich wurde während dem Schreiben von der Realität ja ständig ein- und zum Teil auch überholt. Und bei dieser Ausstellungsszene in Kapitel 1, das Zitat, ist ein tatsächliches Zitat aus dem Falter der Wiener Wochenzeitung von 2021. Und auch eine Ausstellung, die die beiden besuchen, ist eine tatsächliche Ausstellung. Das war in Wien im Leopold Museum, Frauenhaus und die besuchen diese Ausstellung von Sanja Ivekovic und setzen sich eben auch mit Gewalt an Frauen, weil es ja auch das Thema ist, zu dem Joe arbeitet auseinander. Das lese ich jetzt aber nicht vor, aber wer möchte, kann sich das nachher anschauen. Und danach gehen sie, wie so oft, etwas trinken. Reden wir von etwas anderem. Ob ein weißer Mann heute überhaupt noch Frauen malen dürfe, will er von mir, will ich von ihm wissen und wenn ja, ob er es damit irgendwo hinbringen könne, bringen dürfe, will er von mir, will ich von ihm wissen und wenn ja, ob er es damit irgendwohin bringen könne, bringen dürfe. Die Kellnerin tauscht die leeren Gläser gegen volle. Ob es für weiße, heterosexuelle Männer schwieriger geworden sei, erfolgreich zu sein, ob ihre Befindlichkeiten überhaupt noch jemand hören und sehen wolle, ob wir nicht schon langsam genug davon hätten, diskutieren wir, während wir unsere Finger abwechselnd in das Körbchen mit den Bommes tauchen und das nächste Bier bestellen. Ob nicht zumindest in der Kunst- und Kulturszene das Patriarchat zu Ende sei, frage er sich oder sein sollte, füge ich hinzu. Dass es jedenfalls im wirklichen Leben schwieriger geworden ist, behauptet Joe. Was genau, will ich wissen. Das zu tun, sagt Joe, was man wirklich will. Und was ist das? Joe beugt sich nach vorn, sieht mir tief in die Augen und nimmt meine Hand. Langsam schiebt er sich meinen Zeigefinger in den Mund und schlägt mit der Zunge das Salz. Ich ziehe die Hand weg, sehe automatisch nach rechts und nach links, niemand beachtet uns. Joe rutscht um das Tischheck herum auf dem Platz neben mir. Zum Beispiel sagt er, und ich spüre sein Knie an meinem, macht es nur halb so viel Spaß, er schiebt ein Knie zwischen meine, vorher immer um Erlaubnis, er streckt den Arm aus, Fragen erlegt zu müssen, die Hand auf meine Brust, oder? ungefragt. Okay, okay, sagt er und seine Hand berührt mein Knie. Geht das? Sie fährt den Oberschenkel hinauf und legt sich in meinen Schritt. Geht das für dich? Die Hand drückt sich in den Stoff meiner Hose und ich lasse sie einen Moment lang dort liegen, lasse meine Hand einen Moment auf seiner, bevor ich sie weghebe, bevor ich sage, nein, wir sind doch kein Feuerwehrfest. Joe lacht. Mit diesen Falten um die Augen sieht er gleichzeitig älter und jünger aus, sieht er so nett aus, dass auch ich lachen muss. Dann wird er wieder ernst, er fragt, was sind wir, Julia? Nichts will ich nicht sagen, noch nichts vielleicht. Am Anfang könnte ich sagen, eine Möglichkeit könnte ich sagen, eine Unmöglichkeit, eine endlose Wiederholung, alles könnte ich sagen. Wir könnten alles sein, will ich nicht sagen. Ich sage eine Version der immer gleichen Geschichte. Aber die Beste, sagt er, hebt beide Hände in die Höhe und lehnt sich mit dem Oberkörper in meine Richtung, bis sein Gesicht vor meinem, bis seine Lippen an meinem. Darf ich? fragt er. Zum Abschluss gibt es jetzt noch eine Szene aus dem dritten Kapitel. Also das erste Kapitel war so dieses Kennenlernen, Annäherung, zweites Kapitel Affäre. Beim dritten Kapitel sind wir schon in der Beziehung und die Stelle habe ich ausgewählt, weil sie in Linz spielt. Joe sitzt gegen die Fahrtrichtung und schaut in seinen Laptop. Er geht noch einmal den Vortrag durch. Er bemerkt, dass ich ihn beobachte und ich bemerke, dass es ihn stört. Also schaue ich aus dem Fenster und rekonstruiere mit wie vielen, mit welchen Männern ich in diese Richtung gefahren bin. Meistens weiß die andere von Linz ins Tal, von Linz nach Wien, von Linz Richtung Flughafen. Da fährt der Zug in den Tunnel und ich sehe nur mehr Joe. Wie er aussehen würde ohne seine schwarzen Haare, frage ich mich. Wie das Bild aussehen würde ohne das Sakko am Haken hinter ihm. Warum es leichter ist, das Spiegelbild von jemandem zu zeichnen als die Person selbst und ob das auch für Fensterscheiben gilt. Mit welchem Teil ich anfangen würde, welcher Teil der wichtigste ist. Das Auge vermutlich, die kleine Kugel, die Augenhöhle und die Braue darum herum. Der Zug fährt aus dem Tundel, einen Moment lang ist Joe weg, einen Moment lang sehe ich nach draußen, sehe Himmel, Berge, Felder, Fabriken und Joes Nase, seinen Mund. Draußen dann wieder die Schallschutzwände, grau mit grauen Streifen. Sie zerschneiden sein Gesicht, zerlegen ihn in Teile. Die Farben verändern sich, grün, blau, rosa, ein Flimmern, ein Flirren. Ich schließe die Augen. Irgendwann werde ich ihn zeichnen, alle Teile von ihm und sie so übereinanderlegen, dass sie ein Ganzes ergeben. Board Service fragt jemand und Joe klappt den Laptop zu. Ich könnte einen Schluck Wein vertragen, sagt er. Wir sind doch gleich da. Das geht sich schon aus. Rot bitte, sagt er und hält dem Mitarbeiter einen Schein hin. Passt schon. Er nimmt die kleine Flasche und den Becher entgegen. Schau mich nicht so an, ich bin nervös, schließlich lerne ich nicht jeden Tag meine Schwiegermutter kennen. Er brustet mir zu und trinkt. Also, sagt er dann, was muss ich über deine Mutter wissen? Ich sehe aus dem Fenster, links schon der Friedhof, in wenigen Minuten erreichen wir Linz Hauptbahnhof. Joe trinkt den Wein auf Ex und steckt seinen Laptop in die Tasche. Ich überlege, was er noch über meine Mutter wissen muss, außer das, was ich ihm schon erzählt habe. Sie arbeitet jetzt als Friseurin, sage ich schließlich und Joe nickt, fährt sich durch die Haare mit Friseurinnen, verstehe er sich gut. Joe hat seine Arme ausgebreitet, seine Hand aufgehalten, er hat die Schultern gestrafft, sich aufgerichtet und sich dann wieder ein wenig kleiner gemacht. Er hatte den Sessel zurückgeschoben, ihren Mantel aufgehängt und ihr gegenüber Platz genommen. Er hat meine Hand gehalten, sich aber voll und ganz auf meine Mutter konzentriert. Er hat sein weltmännisches Gehabe abgelegt und seinen Dialekt ausgepackt, von dem ich nicht wusste, dass er existiert. Zuerst hat er über Haare geredet, dann über Kunst und Politik, er hat es sogar mit dem Wetter versucht. Er hat behauptet, dass ich die schönen Augen von meiner Mutter habe und die Wahl des Lokals gelobt. Er hat meiner Mutter sogar ein paar Mal ein Lachen entlockt. Er hat die Rechnung bezahlt, aber als meine Mutter uns gefragt hat, ob wir noch mit zu ihr auf einen Kaffee kommen, hat er dankend abgelehnt, er müsse dann an die Uni, der Vortrag. Und du fährst zu ihm, hat meine Mutter gefragt und damit den Großvater gemeint. Wir haben uns verabschiedet und Joe und ich sind schweigend auf die Donaubrücke spaziert. Deine Mutter, sagte er in der Mitte der Brücke, ist eine harte Nuss. Sie ist nur sehr zurückhaltend, sage ich. Sie mag mich nicht, sagt er, und ich umarme ihn, drücke ihn an mich. Bitte nimm es nicht persönlich. Nein, sagt er, sie scheint ja nicht mal dich besonders zu mögen. Ich lasse ihn los mit Schwung, die Brücke schwankt oder bin das ich? Entschuldigung, sagt er, das war jetzt unsensibel von mir. Ja, sage ich und schaue hinunter aufs Wasser, die Donau, denke ich, nimmt alles mit. Danke. Applaus Vielen Dank, Barbara Wiener. Sie haben es gehört, dieser Roman ist voller so kleiner Kipppunkte, die sich summieren und summieren, obwohl zunächst alles ganz ruhig und scheinbar normal, zwar heftig, aber normal beginnt. Mir ist vorhin beim Durchlesen aufgefallen, dass ich heute etwas lästig bin mit Zitaten in meinen Einleitungen. Ich hoffe, das ist nicht so schlimm, aber da müssen wir jetzt durch. Bewohnen wir einen Blitz, so ist er das Herz der Ewigkeit, schreibt der französische Autor René Jarre. Jarre war nicht nur ein großer Poet, in dessen Gedichten sich Widerstand mit Begehren und Zögerlichkeit mit sanfter Wildheit mischen, er war auch ein Schlichtsteller mit einem außergewöhnlich scharfen Blick für die Fülle und Schönheit der Welt und unseres Lebens, trotz allem. Das trifft auch für Leon im neuen Roman des Oppenseiners Autors und Musikers Stefan Reuss zu. Autors und Musikers Stefan Reuss zu. Alles beginnt in Kuba, also jenseits des Atlantiks und mit der Mutter des Sicherzählers Leon, die in Österreich im Sterben liegt. Der Erzähler bricht seine Reise ab und eilt zurück in die Heimat. Er kommt um Minuten zu spät und wird sie nicht mehr lebend sehen. Dieses einschneidende Erleben ist nur einer der existenziellen Blitze, die immer wieder durch diesen Roman zucken. Leon stürzt in einen Fuhrort des Erinnerns an jene Frau, die so gern Sängerin geworden wäre und ihn lehrte, eine Terz zu treffen, Sternbilder zu sehen oder an die Macht der Literatur zu glauben. Er blendet zurück in seine Kindheit, in der die Ehe der Eltern zu bröckeln begann und der Vater seine Unikarriere hinschmiss, wie er einer neureichen Geliebten durchbrannte und sein Heil in der Esoterik suchte. Leon wird dann lange nichts mehr mit ihm zu tun haben wollen, obwohl sich der Vater hartnäckig um ihn bemüht. In den ersten der elf Kapitel des Romans blendet Stefan Reuss, des Romans lauter blendet Stefan Reuss immer wieder von der Gegenwart Leons, Leons, der den Boden unter den Füssen zu verlieren droht, in die Erinnerung des Erzählers an seine Kindheit, an das Heranwachsen, die Schulzeit, die zunehmende Rebellion und die Trommeln des Aufruhrs, die er lauter und lauter vernimmt. mit Mühe und Not die Nacht nach Matura. Er stellt fest, dass sich sein Begehren nicht nur auf ein Geschlecht beschränkt. Er hängt in Thomys Tätowierstube und im Café ergeinst der Machine ab, gründet Bands, verlässt sie wieder, um schließlich mit Milena und Vio zwei wichtigen Figuren in Leons Leben, die Band Graugramant, zu gründen, die nach einem Fabelwesen aus Michael Endes' Die unendliche Geschichte benannt ist. Die drei spielen Punk, der einst mit dem Schlachtruf lauter schneller gegen die Zustände anrannte. Dieser Musik bzw. ihre Schilderung in Probereimen und auf Konzerten verdankt dieses Buch intensive Passagen, weil es Reuss schafft, dass man als Leserin die Musik zu hören glaubt, spüren, tut man sie auf jeden Fall. Immer wieder aber fährt der Autor die erzählerische Lautstärke zurück, bremst die Dynamik der Handlung und zuweilen hat man das Gefühl, die Zeit bleibe stehen. Etwa dann, wenn Leon eine Hundenkrebsdiagnose erreicht, die dem Buch eine weitere Wendung gibt. Der Tumor wird entfernt, allerdings findet man im Spital auch Härte in der Lunge, von denen unklar ist, ob sie vom Krebs befeuert waren oder nicht. In dieser Ungewissheit bricht Leon wieder zu einer Reise auf, zunächst nach Venedig, zum ehemaligen Kumpel Anton, der in der Jugend einer der Wilden und ein bekannter Musiker war, bevor ihn der Freitod seiner Schwester aus der Bahn warf. Anton zog daraufhin nach Venedig, änderte sein Leben, sagte den Drogen und gab sich einer stoisch-buddhistischen Existenz hin. Die beiden meditieren zusammen, doch Leon merkt, dass das sein Weg nicht ist. Er zieht weiter nach Rom und Neapel. Er reist mit leichtem Gepäck, hat kaum Geld, doch diese Reise bedeutet für ihn auch eine augenöffnende Schule des Sehens. Mit großer Beschreibungsmacht und einem nahezu unglaublichen Gefühl für Atmosphäre lässt Reuss nicht nur Leon, sondern auch den Leser, die Leserin, die Dinge, auch völlig unscheinbare, wie zum ersten Mal sehen oder wie zum letzten. Plötzlich gibt es nur mehr eine Zeit, die Gegenwart und Freude, also Bejahung durch bloßes Sehen. Das ist intensiv und stark gemacht. Das Buch endet dann auf der Vulkaninsel Stromboli in Musik, Lichtgewittern und in Stille. Ich kann es nicht sagen, vielleicht kann ich's reisen, schrieb der Schweizer Autor Paul Nisson in seinem Buch Canto. Und in einer weiteren überraschenden Wendung, die ich hier nicht verraten möchte, wird dieser Roman einen Wimpernschlag lang zu einem Vaterbuch. Lass die Haare wehen, Kleiner, haben Leo und seine Freundinnen Milena und Vio im Verlauf des Buches mehrere Male geraten. Er wird es tun, wir hoffentlich auch. Es war schon immer das Vorrecht und das Vermögen guter Literatur, Erinnerung wach zu halten und Schwäche in Stärke, einen Abwind in eine Aufwärtsbewegung und einen Hauch zu einem Sturm zu verwandeln. Auch das zeigt dieser Roman. Begrüßen Sie bitte Stefan Reuss. Ja, ganz herzlichen Dank für diese Einleitung und herzlichen Dank fürs Kommen. Ich freue mich sehr, hier zu sein und danke auch für die Einladung. Bis vor 45 Minuten oder sogar einer halben Stunde hatte ich noch vor, ganz was anderes zu lesen, aber im Vorgespräch wurde mir quasi nahegelegt, ich solle doch zwei verschiedene Passagen lesen. Das ist darin begründet, dass im Roman eine relativ große Bandbreite an Geschwindigkeiten, Tonlagen und Melodien gibt und sehr ruhige Passagen, sehr laute Passagen. Und um das zumindest ansatzweise abzubilden, werde ich zwei verschiedene Passagen lesen. abzubilden, werde ich zwei verschiedene Passagen lesen. Die erste braucht keine inhaltliche Vorrede, da sie fast ganz am Anfang steht. Van Thomas refused Mary Lou Lord. Wahllos zog ich Schallplatten aus Antons Sammlung. Inmitten eines Stücks von Tchaikovsky für Orchester und Klavier blieb die Nadel hängen. Ein Knacken und fünf leise Töne. Ein Knacken und fünf leise Töne. B-Moll. So oft hörte ich diese Sequenz, bis ich mir einbildete, feine Unterschiede zwischen den Wiederholungen ausmachen zu können. Ein Knacken und fünf leise Töne. Ich wurde mir zum Rätsel. Dass ich in Kuba gewesen war, bezeugten meine gebräunte Haut, die Handpuppe, Muscheln und Münzen. Aber wie war es möglich, dass der Mann, der letzte Woche noch durch leuchtende Fischschwärme getaucht war und dieses weltverlorene Gespenst, das in Bademantel und Stricksocken durch ein düsteres Haus schlich, ein und dieselbe Person waren. Bis zum Begräbnis hatte ich Haltung bewahrt, organisiert, was organisiert werden musste, den Zusammenbruch aufgeschoben und meinen Zorn im Zaum gehalten, doch kaum war die letzte Hand geschüttelt und die letzte Beileidsbekundung in der Kapelle verhallt, verlor ich die Fassung, sagte Vater, der mir anbot, mich nach Hause zu fahren, er soll aus meinem Leben verschwinden und sank dann in mich zusammen. Ich verbrachte die Tage in abgedunkelten Räumen. Die Sonne sah ich, wenn ich am Dachbodenfenster rauchte. Ich rauchte, um mich meines Atems zu versichern und unter dem Eindruck, es sei ohnehin Irrsinn, etwas zu tun, egal was. Warum bläst der Wind noch und warum hält der Kirschbaum ihm noch stand? Läutete es an der Tür, öffnete ich nicht, obwohl der Kaminrauch jedem verraten musste, dass ich zu Hause war. Das Telefon lag ausgeschaltet zwischen einzelnen Socken am Boden des Kleiderschranks. Bevor ich es dort hingelegt hatte, waren mir nur drei Anrufe unaufschiebbar erschienen. Ich hatte bei der Radiostation meinen Urlaub verlängert und meine beiden Bandkolleginnen um Verständnis gebeten. Grau Grammann würde pausieren müssen. Viu hatte gemeint, die Band sei doch jetzt scheißegal und auf ein Treffen gedrängt, ein gemeinsames Frühstück, einen Spaziergang, einen Kinobesuch zur Ablenkung, irgendetwas. Milena hatte mir eine Sprachnachricht geschickt. Ich solle mich melden, sobald ich mich wieder stark genug fühle, um mich schwach zu zeigen. Im Traum sang Mutter, doch ich konnte sie nicht hören. Ich rief sie, winkte, hämmerte mit den Fäusten gegen das unermessliche Glas zwischen uns. Sie reagierte nicht, spitzte die Lippen, machte den Mund weit auf. Sie sang weiter und starrte wie eine Blinde in eine unsichtbare Ferne. Jeden Tag stand ich ein wenig später auf. Nach dem Duschen sah ich zu, wie sich die Tropfen aus meinen Haarspitzen lösten und in die Wanne fielen. Ich wischte mit der Hand über den beschlagenen Spiegel. Zum Vorschein kamen glasige Augen, Bartstoppeln, Gänsehaut. Die Dinge entglitten mir. An zwei Tassen brachen die Henkel ab. Ständig bückte ich mich nach dem Feuerzeug. Meine Instrumente rührte ich nicht an. Für das Begräbnis hatte ich etwas komponieren wollen, doch schon nach wenigen Griffen aufgegeben, die Gitarre hatte sich so falsch angefühlt in meinen Händen. Ich wartete darauf, dass der Schmerz zurückkehrte, drückte mein Ohr gegen die Vertefelung und horchte den Holzwürmern zu, bog das Gilgamesch-Epos an einer Ecke auf und ließ die Blätter schnurren, als wäre es ein Daumenkino. Ich las alte Textnachrichten von Mutter und den Abschiedsbrief, den ich ihr nie gegeben hatte, hörte Aufnahmen ihrer Konzerte, blätterte in Fotoalben und in ihrem Reisepass, er wäre noch drei Jahre lang gültig gewesen. Die Tränen flossen in anderen Momenten. Als ich violette Tintenflecken im Innenfutter meiner Jacke bemerkte, als ich einen Wespenkörper vom Fensterbrett schnippte, Als ich violette Tintenflecken im Innenfutter meiner Jacke bemerkte. Als ich einen Wespenkörper vom Fensterbrett schnippte. Als ich das Ofentürchen öffnete, harziges Holz platzte, ein Funke auf halbem Weg zur Zimmerdecke erlosch, als ich ein Bild malen wollte und der Wachsmalstift in meiner Hand zerbröckelte. Der Sturm fauchte das Haus von allen Seiten an. Eingewickelt in eine steingraue Decke lauschte ich dem Prasseln des Regens und verfolgte die Wege der Fliegen, die vor mir auf der Tischplatte herumbiesterten, nippte Rotwein, klopfte mit dem Fingernagel gegen das Glas. Ich öffnete die Bestecklade aus keinem Grund. Ich erinnerte mich daran, wie Mutter mir zum ersten Mal erlaubt hatte, ein Messer zu benutzen, um unter ihrer Aufsicht meinen Namen in eine Bananenschale einzuritzen. Und wie ich gestaunt hatte, als die Buchstaben ausdunkelten und bald klar und deutlich Leon zu lesen war. Ich warf eine Karaffe gegen die Wand und als sie nicht zerbrechen wollte, schleuderte ich sie mit doppelter Gewalt noch einmal. Mutter hätte nicht auf diese Weise sterben dürfen. Einsam, an ihrer Seite bloß ein Mann, der sie nicht mehr liebte. Wir hatten sie allein gelassen. Vater schon vor vielen Jahren und ich gerade dann, als es darauf angekommen wäre. Halb aus Versehen zerschnitt ich mir die Hand an den Scherben. Von einer Minute auf die andere wurde es still. Ich hörte nur noch das Tropfen draußen und die Mäuse auf dem Dachboden. Am nächsten Morgen setzte ich mir Kontaktlinsen ein und trat erstmals wieder vor die Tür. Morgen setzte ich mir Kontaktlinsen ein und trat erstmals wieder vor die Tür. Auf der Fußmatte stand ein Glas Honig, aus dem Schlitz des Postkastens quollen feuchte Prospekte und Kuverts, die Büsche und Beete waren zerzaust. Ich sog kühle Luft ein, eine Krähe schabte mit ihren Krallen in der Regenrinne, das Knattern von Rotorblättern verriet mir, dass irgendwo hoch über mir ein Helikopter kreiste. Während ich rauchend im Garten stand und mich über die Himbeeren wunderte, die karmesinrot aus dem Gebüsch leuchteten, obwohl es eigentlich zu spät für sie war, läutete jemand Sturm. Ich rührte mich nicht. Nachdem das Klingeln endlich verstummt war, blieb es lange still, sodass ich meine Ruhe nicht weiter gefährdet glaubte. Doch dann hörte ich Schritte. Vio kam um die Ecke, stapfte in Gummistiefeln auf mich zu, riss sich die Haube vom kahlrasierten Kopf, stellte sich dicht vor mich. Ihre grünen Augen funkelten. Hallo, sagte ich. Sie schlug mich mit der flachen Hand ins Gesicht. Ich wich zurück. Vio hielt kurz inne, schlang dann ihre Arme um mich, drückte ihren Kopf an meine Brust, heulte los. Du Volltrottel, was glaubst du eigentlich, wer du bist? Sind wir dir so scheißegal? Ihr seid mir nicht egal, sagte ich und wollte ihr gerade über den Rücken streicheln, als sie sich aus der Umarmung löste und mich anschrie. Warum führst du dich dann so auf? Verkriechst dich in diesem verfickten Haus von diesem verfickten Buddhisten und spielst den einsamen Wolf, weil das Leben so böse zu dir ist? Ja, das steht dir schlecht. Sie blickte zur Seite, verschränkte die Arme, ihre Lederjacke knarzte. Die Katze, die keinem in der Siedlung gehörte, sprang vom Kirschbaum herab und verschwand hinter den Steinen der Feuerstelle. Ich weiß, dass ich euch gerade im Stich lasse, gerade jetzt, dass wir die Konzerte verschieben mussten. Es geht mir nicht um die Band, wie oft denn noch? Vio holte Tiefluft. Wir sind da, Leon. Wir sind deine Freundinnen. Wir haben ein Recht auf dich. Niemand hat das Recht auf irgendwen. Deine Mutter wird nicht wieder lebendig, wenn du dich totstellst. Ach wirklich, ist das so? Vio wollte etwas erwidern. Ich kam ihr zuvor. Ich kann machen, was ich will. Und wenn ich in diesem verfickten Haus von diesem verfickten Buddhisten verrecke, kann es dir herzlich egal sein. Kann es leider nicht, brüllte Vio. Ich brüllte zurück. Du bist wohl komplett durchgeknallt. Sie schüttelte den Kopf. Wie oft hast du dich bei mir über deinen Vater ausgekotzt, dabei bist du genau der gleiche Egoist. Was zur Hölle denkst du dir eigentlich? Der Leon, der hat seine Mutter verloren. Am besten ich schau mal vorbei, hau ihm eine runter und mach ihn zur Sau. Nein, du bist schlimmer, setzte Vio fort, als hätte ich nichts gesagt. Er erlebt seinen Egoismus wenigstens offen aus. Du, die Katze, schmiegte sich an ihre Gummistiefel. Du versinkst in Selbstmitleid und merkst nicht einmal, was für ein Arschlochmove das ist, sagte Vio und stampfte dabei auf. Arschlochmuff das ist, sagte Vio und stampfte dabei auf. Die Katze ließ von ihr ab, kam maunzend auf mich zu, drückte ihren Kopf gegen mein Schienbein. Ich ging in die Knie, um sie am Hals zu kraulen. Meine Hand zitterte. Die Katze leckte meinen Zeigefinger ab. Ihre Zunge erinnerte mich an feuchtes Schleifpapier. Mein Hals verengte sich, ich rang nach Luft. Schöner Pullover, sagte Vio. Das Eierschalengeld betont die Schatten unter deinen Augen. Die Katze duckte sich und fixierte eine Krähe, die über die Wiese stolzierte. Vio knetete ihre Haube. Ich spuckte aus, wischte mir mit dem Ärmel übers Gesicht. Kaffee? Vio nickte. Im Vorraum stand immer noch das Gepäck der Kuba-Reise. Aus dem aufgeklappten Koffer quollen Kleidungsstücke. Daneben türmten sich Konservendosen. Als sie sich die Stiefel auszog, stieß Vio eine leere Weinflasche um. Die Putzfrau ist krank, sagte ich und drückte die Tür zur Stube auf. Dein Pfleger wohl auch, sagte Vio. Du stinkst. Sie schob die Vorhänge zur Seite und riss ein Fenster nach dem anderen auf. Ich ließ sie gewähren, schüttete Kaffeebohnen in die Mühle, kurbelte, es rasselte und knirschte. Was ist mit deiner Hand passiert? Vio deutete auf den Verband. Arbeitsunfall, sagte ich. Vio deutete auf den Verband. Arbeitsunfall, sagte ich. Sie umarmte mich von hinten, stellte sich auf die Zehenspitzen und gab mir einen Kuss in den Nacken. Woran arbeitest du denn, Kleiner? Ich befüllte die Espressokanne mit Wasser und Kaffee, verschraubte sie, schaltete die Herdplatte an. Wäre ich 20 Minuten früher in Zimmer 508 gewesen, hätte sie noch geatmet. Vielleicht hätte sie mich noch bemerkt oder, wer weiß, sogar erkannt, hätte eine vertraute Stimme vernommen, Melodien, ohnmächtig liebevolle Worte, hätte gespürt, dass jemand sie streichelt. Warum hatte ausgerechnet an jenem Tag ein Protestzug den Verkehr alarmlegen müssen? Warum hatte Vater Er schreit. gewesen, das Mutters Übelkeit von einem Virus herrührte? Warum hatte ich es nicht weiter ernst genommen, als sie mir gesagt hatte, ihr sei heute so schwindelig? Warum hatte niemand diese schleichend langsame Hirnblutung entdeckt? War Mutter wirklich gestürzt? Was hatte sie in ihren letzten Momenten empfunden? Was hatte sie gedacht? Hatte sie noch empfunden? Hatte sie noch gedacht? Hatte sie gewusst, dass sie stirbt? Hatte sie gewusst, wer da stirbt? Ich konnte noch so viele Fragen stellen, Vorwürfe erheben, Versäumnisse beklagen. Nie mehr würde mich Mutter eine alte Seele nennen. Nie mehr Regenbogen, nie mehr kleiner Wildling, nie mehr Leon. Der Tod ist falsch, Mutter sollte leben, es sind noch Lieder zu singen. Das war die erste Passage. Ich springe jetzt sehr weit nach hinten. In der Zwischenzeit passiert so einiges. Nach dem Tod der Mutter und einer Zeit, in der sich Leon langsam wieder ein wenig ins Leben zurückkämpft, kommt quasi der nächste Schicksalsschlag, nämlich eine Krebserkrankung. nächster Schicksalsschlag, nämlich eine Krebserkrankung. Und er beschließt dann, eine Einladung von Anton, der in Venedig meditierend lebt, anzunehmen. Anfangs ist das durchaus eine fruchtbare Praxis, die die gemeinsam durchführen, aber es endet in einem Fiasko und Leon ergreift auch dort die Flucht, will eigentlich nach Hause zurück und alles wieder gut machen, auch mit Vio und mit Milena, mit denen er quasi gebrochen hat oder von denen er sich auf jeden Fall entzogen hat. Aber als von Vio sozusagen eine ablehnende Antwort kommt, stürzt er erneut in eine gewisse Verzweiflung und beschließt einfach, auf die Reise fortzusetzen. Und hier setze ich wieder an. Es ist, wie gesagt, eine ganz andere Tonlage, eine ganz andere Geschwindigkeit, weniger narrativ im Vollsinn und noch mehr musikalisch, assoziativ. Manchmal kam ich zu einem Bahnhof und hatte bereits ein Ziel. Manchmal nahm ich den nächstbesten Zug, egal wohin er fuhr. Ich stand an Straßenrändern und hielt Kartonschilder hoch. Ich stand in Menschenschlangen und wünschte mich fort. Ich kaufte mir in Turin einen Rucksack, überließ meinen Koffer samt einem Gutteil meiner Kleidung, einer Wahrsagerin, wanderte so lange, wie mein Bein es zuließ. Ich versäumte Busse. Ich kurfte auf einer Wespe im Slalom durch eine Pinienallee. Ich ließ meine Finger durch das Seewasser gleiten, die harte Kante eines Ruderbootes in meiner Achsel. Ich streckte meinen Kopf aus dem Fenster des Taxis, schloss die Augen. Die letzten Monate sollten von mir abblättern wie sonnenverbrannte Haut, und der Fahrtwind sollte sie mit sich reisen über wald und flur verstreuen auf nimmerwiedersehen es gab einen tag an dem ich oft pappdeckeln lag und das schwache licht eines kondomautomaten mir die nachttischlampe ersetzte es gab einen tag an dem ich unter einem luste erwachte der so breit war wie ein wagenrad und ich über einen spiegel blank gewischten korridor in einen frühstücks salon schlenderte wo kolorierte kupferstiche an den wänden hingen und ein grammophon knisterte über das über dreckige zimmer beschwerte ich mich nicht wozu morgen würde ich ohnehin wieder weg sein ich verschickte fotos von beidseitig abgebrochenen kleiderhaken schimmelten duschvorhängen und fingerlangen kakerlaken und zeichnete einen Blitz in die Staubschicht auf der Minibar. Ich folgte ersten Eingebungen und ergriff letzte Möglichkeiten, gab der Versuchung nach, berauschte mich am Tempo an Tollheiten, silbernen Lippen, Seeluft, Chinar, nur um eine Stunde später von der Tristesse sinnloser Freiheit ins Kissen gedrückt zu werden. Selber Mond, andere Stadt. Ich wollte der bleiben, der nicht bleiben muss und wünschte mir doch nichts mehr, als dass irgendetwas bleiben darf. Das diffuse Morgenlicht und die graublauen Gassen, das Mädchen, das die Taubenfeder in den Tautropfen tauchte und die Luft damit beschrieb. Ich wünschte mir, dass alles gewesen sein wird, auch das Vergebliche und Herz zertrümmernde. Ich dachte alles immer schon vom Ende her, küsste einen bronzenen Dichter nach einer Nacht voll träger Träume, die sich nicht dazu hatten durchringen können, von etwas zu handeln, setzte mich auf die Hafenmauer, sah die Sonne aus der Ungewissheit hinter dem Horizont auftauchen und hörte bald den Akkord, in dem ich das Glühen der Wolkenbänke aufbewahren wollte, den sanft surrenden Sound, ein langsames Glisando. Das Geschrei der Möwen gab mir die Idee einer Rhythmik ein. Ich übersetzte mir das Glitzern des Wassers in ein Geriesel hoher Töne und die Adria Frachter in satte Basstrommelschläge. Ich notierte eine Melodie auf der Rückseite einer Fahrkarte. Jede Note war Bestandteil eines aussichtslosen Unterfangens. Der Zerfall der Wirklichkeit dauerte an. Manchmal träumte ich davon, ein Theaterstück zu unterbrechen, die Spielenden und das Publikum des Saales zu verweisen, um danach allein ungestört durch das Bühnenbild zu wandeln. Es gebe keine Handlung mehr, keine überraschende Wendung, kein Drama, nur eine Anordnung von weißen Steinen. Strahlig gestreifte Partellen hafteten an der Kaimauer, vor dem Blumenladen standen kübelweise Rosen und ein Stufentisch mit hellgrünen Setzlingen. Im bunten Sortiment des Eissalons gab es schon mittags tiefe Gräben, geschürft von Löffeln aus Edelstahl. Im Park am Vorplatz des Bahnhofs schliefen schutzbefohlene, unter Gold glänzenden Folien. Eine Dame in Lila drehte langsam ihren Lippenstift heraus. Ein Bub zog einen Spazierstock aus dem Müll und ließ ihn über die Vergitterungen der Kellerfenster rattern. Auf meine Pizza legte sich der Staub, den die Baumaschinen aufgewirbelt hatten. Ich erkannte ionische Säulenkapitele in den dünn geschnittenen Champignons und im Brokkoli die Bäumchen, zwischen denen Vaters Modelleisenbahn hindurchgesaust war. Ich erkannte in gefleckten Bananenschalen das Fell von Geparden. Ich erfreute mich an den wilden Blumen neben dem Gleis und schlief im Zug an der Schulter eines sanftmütigen Fremden. An den Gott meiner Mutter glaubte ich schon lange nicht mehr und die Leerstelle, die er hinterlassen hatte, ließ ich verwuchern. Berauscht von den Farben und Düften der Kräutergärten kehrte ich zum Fluss zurück, in dem in brauner Plastikglatzhose ein Fliegenfischer stand, ein Vater, die Füße seines Kindes wusch, auf einem Felsen eine Frau, ihr langes, rotes Haar kämmte. Ein Schild wies die Grünfläche hinter dem Maschendrahtzaun als Militärzone aus, ich entdeckte dort bloß zwei Rutschen und ein Vogelhäuschen. und ein Vogelhäuschen. Abends betrank ich mich unter einer Kiwi-Laube mit dem glücklosen Fliegenfischer, spielte auf seiner Hammond-Orgel einen alten Björksong, verfolgte die Schatten der Wolken auf den gewaltigen Berghängen, bis es dunkel wurde. Die Äste waren angeschwollen, hatten die Rinde zum Platzen und das weißgelbe Fleisch zum Vorschein gebracht. Die Platane verstellte mir den Blick auf den Mond, ließ mich wissen, dass sie sich vor dem Mond befand und der Mond hinter ihr. Nichts war selbstverständlich, auch nicht, dass die Dinge sich zueinander ins Verhältnis setzen. Der Nachbar bestrich seinen latten Zaun mit saurer Milch und bot mir Kaffee aus zerriebenen Eicheln an. Unten im Dorf trage ich Hagebutten-Tee aus dünnwandigen Porzellantassen und Liköre mit kitschigen Aromen. Die Wirtin kraulte mit dem Bart und fragte mich Vokabeln ab. Der Raum bot mir ein Zuhause, einen Platz im großen Gefüge. Die Zeit lehrte mich das Fürchten. Vio hatte mich immer dafür ausgelacht, aber ich ertrug das Ticken eines Metronoms nur, wenn sich Musik darüber legte. Hatte ich früher einen schönen Ort gefunden, nahm ich mir vor, noch einmal hierher zurückzukehren. Nun dachte ich mir, vielleicht bin ich zum letzten Mal hier. Ich wurde von der Polizei verscheucht, als ich mit erhobenem Daumen an der Autobahnauffahrt stand und von zwei alten Damen zu einer Rundeskoper und einem Stück Zitronenkuchen eingeladen. Ich schlich mich in einen Campingplatz ein, übernachtete im Zelt einer tschechischen Buchhalterin, die mir mit einem Feuerzeug die Haare an meinen Oberarmen abfackelte, marschierte am nächsten Morgen durch einen vier Kilometer langen Arkadengang zu einem Heiligtum, um mitzuerleben, wie das Fell einer Kuh im Schatten die Farbe von Rost annahm. Straßenkünstlerinnen tanzten mit Spazierstock und Melone zu französischen Chansons, als gäbe es keine Mars-Missionen, keine Trollfarmen, keine Rasenmäher-Roboter. Jedes Mal, wenn die Tür geöffnet wurde, brach die Musik lautstark aus dem Lokal. Das Schwarzlicht trieb die Graffiti aus den Wänden heraus und ließ alles Weiße erstrahlen. Papier, Zähne, die Schuppen auf den Schultern. Die Bewegungen der Tanzenden wurden vom Stroboskop in Einzelbilder zerhackt. Mögen wir alle, Elefantentode sterben, lebenssatt die Stunde erkennen. Es ist gut, dass ich hier war. Es ist gut, dass ich jetzt gehe und uns in die Wellen legen unter einen alten Baum, an ein Herz, das uns gewollt hat. Ich glaube, wir hören hier auf. Vielen Dank. Wir haben noch ein paar Minuten, dann gehen wir jetzt dieses Experiment eines Dreiergespräches an. Lassen Sie uns vielleicht über die Entstehung der Romane sprechen. Sie, Frau Rieger, wann haben Sie gewusst, dass Sie sich dieses Stoffes, dieses Themas annehmen wollen? Das ist, glaube ich, eine mutige Entscheidung, die einige, nicht nur literarische Probleme mit sich bringt. 2019 schon, also da habe ich eigentlich noch an meinem vorigen Roman gearbeitet, aber da kam dieses Thema in den Medien verstärkt auf und da hatte ich irgendwie schon diese Geschichte im Kopf und habe zur damaligen Verlagsleiterin, zur Stefanie Jaksch, gesagt, ja, ich habe die Geschichte, die schreibe ich runter. War nicht so. Wir kommen nachher nochmal darauf zurück. Ich glaube, bei Ihnen war es eventuell auch nicht so, aber es ist nur eine Unterstellung. Ich habe gesehen, dass Sie 2017 Stadtschreiber in Hamburg waren. Und diese Stelle haben Sie gewonnen damals mit einem Text der Große Houdini. Ich nehme an, dass das schon, weil in diesem Text heißt es mal sehr ähnlich. Wie ist bei Ihnen die Entstehungsprozess dieses Romanes gewesen über längere Zeit? Also tatsächlich, jetzt haben Sie mich erwischt, zumindest diese Passage oder diese Hodenkrebspassagen, die sind schon älter und die habe ich sozusagen dann nachträglich eingefügt. Bei mir war eigentlich der Anfang war kurz nachdem ich, also eigentlich zwischen Lektorat von meinem ersten Roman und dessen Veröffentlichung habe ich schon begonnen, an diesem Buch zu arbeiten und ich hatte so ein paar Vorsätze, die ich nicht alle erfüllen konnte. Eins, was mir, glaube ich, gelungen ist, zumindest in meiner Perspektive, ich wollte ganz anders, also ich wollte bunter, rauschender schreiben, die Sprache mehr laufen lassen, weil Triceratops war sehr nüchtern, sehr karg, manchmal nahezu klaustrophobisch. Ich wollte nicht in wir natürlich schreiben, Triceratops ist in wir Perspektive oder in einer verklausulierten ich Perspektive und ich wollte ja auch nicht in ich Perspektive schreiben, das ist mir offensichtlich nicht gelungen. Ich bin eineinhalb Jahre oder fast zwei Jahre in die Irre gegangen und habe dann einsehen müssen, dass meines Erachtens der Stoff ein ich braucht. Und eigentlich war sozusagen bei mir der Auslöser oder die Grundprämisse war gar nicht so sehr inhaltlich, sondern ich wollte vor allem eine Fülle und ein Rauschen und eine Musikalität aufs Papier bringen. Und der Inhalt hat sich dann nach und nach erst ergeben. Also das passt zu den einleitenden Worten. Also ich glaube tatsächlich immer noch, dass man 500 Seiten über einen Stein schreiben kann. Und das ist großartig und man kann 500 Seiten vollpacken mit den interessantesten Figuren und ganz spannenden Handlungsbögen und Plot-Twists und allerlei derlei Dinge. Aber wenn die Sprache nicht stimmt, ist es einfach ein schlechtes Buch. Und genau, bei mir war eher der Ansatzatz ich will es laufen lassen und der inhalt hat sich nachher erst ergeben das ist eben je nachdem ist jetzt auch sagen mit dem mit dem stoff nicht nur die erzählperspektive also ich oder er sondern es stehen ja sehr viele ästhetische entscheidungen an bei ihnen frau rieger ich erzählerin präsenz also in der gegenwartsform nicht in der Vergangenheitsform, war Ihnen das von Anfang an klar, also wie Sie das auch sehr dialogisch, vieles entwickelt sich ja auch in den Dialogen zunächst. Wie war das? Ja, das Ich, die Ich-Perspektive war mir eigentlich von Anfang an klar, einfach aus einem pragmatischen Grund, weil wenn ich in der Ich-Form schreibe, kann ich mich am leichtesten in die Figur hineinversetzen, weil wenn ich schreibe, dann erlebe ich das eigentlich in dem Moment und es geht am leichtesten, wenn ich Ich schreibe, Ich sage. Und ich habe es tatsächlich auch mit Präteritum versucht und die Lektorin hat mich dann auch gefragt, aber da war es schon zu spät, warum nicht Präteritum? Also es war eine Überlegung, die ich dann auch mit dem Verlag besprochen habe und so und es ist dann doch Präsens geworden. Und irgendwie ist Präteritum ist noch ein Schritt so, also meine Bücher sind alle in Präsens geschrieben. Vielleicht kommt das irgendwann, aber es war noch nicht ganz so weit. Und bei Ihnen, warum sind Sie, Herr Reuss, in die Jere gegangen, quasi mit einer anderen Perspektive als der Richtperspektive? Was waren denn die Probleme, wie Sie sagen, Sie sind eineinhalb Jahre falsch gerannt? Das ist eine gute Frage. Schlicht und ergreifend glaube ich, dass es eine gewisse Innerlichkeit oder ein Ausverhandeln in der Innerlichkeit gebraucht hat, die mir nicht möglich war, in meinen tatsächlich sogar quasi auktorialen Versuchen am Anfang. Ich habe einfach das Gefühl gehabt, die Nähe, die ich erzeugen will, schaffe ich nicht im personalen und nicht im auktorialen Stil. Und ich glaube auch, irgendwann hat sich für mich herausgestellt dieser leon beziehungsweise seine weltwahrnehmung sind sehr zentral und die weltwahrnehmung eben diese fülle dieses aufsaugen der erlebnisse und dieses intensiv leben wollen ja hat sich hat sich quasi nicht anders für mich lösen lassen als in denen ich wirklich ganz nah ran gehe an ihn, also an dem Ich schreibe. Aber ich habe mir auch vorgenommen, das ist mein nächster Schritt, der nächste wird wirklich nicht im Ich. Und was bei Ihnen ja, dieser Ich, wie Sie sagen, das ist natürlich direkt, man kann sich besser reinversetzen, auch als Leser. Aber man müsste jetzt sagen, dass diese Julia auch, also diese Dialektik interessiert mich, weil aus ihrer Perspektive ja gezeigt wird, man merkt eigentlich, wie eine Falle aufgestellt wird und jemand reingeht. Und Sie ziehen das gnadenlos durch. Sie beschönigen auch nichts, was von Ihrer Seite dazu beiträgt. Ja, ehrlich gesagt, es war schwierig, diese Figur da auch weiter hineingehen zu lassen. Aber das war eben die Aufgabe, die ich mir gestellt habe. Also mich hat interessiert, wie kann es überhaupt so weit kommen? Also wo würde die Figur, wo ich jetzt persönlich als Barbara Rieger längst abbiegen würde und sagen würde, nein, danke, wie würde eine andere Figur, genannt Julia in dem Fall, da doch weiter hineingehen in diese Beziehung. Und es war mir aber wichtig, sie irgendwie nicht nur als dieses Opfer darzustellen, sondern eben auch, was natürlich auch eine gewisse, es ist eine schwierige Sache, es ist eine Spiel und so hat sie das Gefühl, es ist ihre Entscheidung, aber gleichzeitig wird das unterwandert, sie wird manipuliert und irgendwann ist es nicht mehr ihre Entscheidung. Aber das ist, finde ich, eine schwierige Frage jetzt, dass überhaupt so dieses Täter-Opfer, wer ist schuld, wie viel Schuld habe ich selbst. Und es ist dann auch bei den Rückmeldungen zum Beispiel zum Roman so, manche Leute sagen, ja, wieso geht die nicht einfach, warum macht sie das? Und andere sagen, ja, ich verstehe das genau. Also es ist sehr unterschiedlich von Person zu Person, Also es ist sehr unterschiedlich von Person zu Person, wie schnell, wie tief wir uns manipulieren lassen und was wir uns antun lassen und uns selbst antun. Sie haben es jetzt gerade angewendet, eine sogenannte Male Gaze, also diesen Blick von Männern, alten weißen Männern bevorzugt auf Frauen, umgekehrt gibt es auch diesen Female Gaze, das ist bei Ihnen im Roman ja eher ein bisschen aufgelöst, weil der Erzähler erstens mit beiden Geschlechtern kam, wenn er will, und andererseits mit der Vio und so, ja, Frauen und so, auch mit der Milena, die in einer homosexuellen Beziehung, wenn ich das richtig verstehe, mit Kind, mit ihrer Partnerin lebt, das ist dort eigentlich alles schon kein Thema in ihrem Setting. Ja, tatsächlich, das war eine bewusste Entscheidung. Es werden auch Probleme, quasi Gender-Probleme werden durchaus nicht ausgespart, aber ich wollte zumindest in diesem Kernfiguren-Ensemble, habe ich mir das rausgenommen, dass es da funktioniert, also dass es da quasi die Utopie schon ausgelebt wird, dass jede und jeder begehren kann, wen er oder sie will. Genau, das habe ich mir tatsächlich bei, es sind eh genug Probleme in diesem Roman, werden dafür handelt, aber das wollte ich irgendwie darstellen und auch tatsächlich gar nicht so sehr zum Thema machen, sondern einfach mal schreiben, dass es funktionieren kann. Das war eine bewusste Entscheidung tatsächlich. Und der Leon, glaube ich, hat auch sehr, also profitiert, profitieren ist das ganz übelste Wort in dem Zusammenhang, wird einfach bereichert durch diese starken Frauenfiguren an seiner Seite und glaube ich, ist auch kein klassischer, also ist schon sehr weit, glaube ich, in seiner Entmachoisierung. Was mich auch interessiert, sind die Anklänge bei Ihnen, Herr Reuss, sind sehr natürlich die Verweise auf gewisse Bands, oder Fantomas, Refused, aber dann auch wieder auf klassische Musik, Mendelssohn, Bartholdy, die schottische Sinfonie. Bei Ihnen, und das ist jetzt nur eine Unterstellung, aber glaubte ich, weil bei ihm ist es ausgewiesen, einen Teil auch einer Blaubart-Geschichte zu erkennen, also des Märchens Blaubart. Irgendwann klingt, glaube ich, Rilke an, wo sie so mit diesen, so wie die Stäbe beim Panther sind, sind es bei Ihnen die Bäume und vor allem Orpheus und Eurydike, der Sänger. Und das heißt, eigentlich gibt es am Schluss, er ist dir relativ offen, und sie sagt sich dann selber, jetzt nur nicht umdrehen, sie geht an ihm vorbei und dreht sich doch um. Ja, also mich haben schon diese Motive interessiert, die es eben in Werken der Literatur gibt, eben bei dieser Geschichte, auch in dem Teil, den ich vorgelesen habe, es ist eine Version der immer gleichen Geschichte, jetzt im Gegensatz zu deinem eine sehr heteronormative Geschichte. Also es gibt schon eine Person, die da nicht so reinfällt, aber Julia und Joe, die sind halt sehr in diesem heteronormativen Denken, Fühlen drinnen. Und mich hat interessiert, wo überall diese Elemente eigentlich vorkommen, in welchen Märchen, in welchen Geschichten, in welchen Filmen. Ich habe auch sehr viele andere Romane zu dem Thema gelesen und habe diese Motive auch so ein bisschen abgewandelt, verwendet, variiert. Weil Sie es ja vorhin gezeigt haben, das ist Ihnen, glaube ich, auch sehr wichtig. Es ist sehr wichtig, dass dieser Roman im Umfeld der bildnerischen Kunst, es werden einige noch andere, es werden Kataloge erwähnt hinten in den Anmerkungen, war es für Sie von Anfang an klar, den Roman im Kunstmilieu spielen zu lassen? Ja, ich wollte es im Kulturmilieu spielen lassen und eben nicht im Literaturbetrieb, weil das wäre zu nahe an meinem eigenen, an mir selbst. Und so kam eben noch, also Musik ist mir zuerst dadurch schwerer und mit, also wieder pragmatische Gründe. Ich habe auch selbst dann angefangen, wieder angefangen zu zeichnen und zu malen und der Hintergrund ist auch tatsächlich ein Bild von Bäumen, das ich dann gemalt habe, weil ich musste das selbst natürlich machen, dass ich das nochmal gut beschreiben kann, wie sich das anfühlt. Also Kunst war quasi ein pragmatischer Grund, aber Kultur wollte ich, weil ja gerade im Kulturbetrieb, der sich als sehr progressiv und offen gibt und darstellt und vielleicht zum Teil auch ist, sich ja doch diese narzisstischen Künstlerfiguren durchaus finden. Darf ich auch eine Frage stellen? Ja, bitte. Figuren durchaus finden. Darf ich auch eine Frage stellen? Ja, bitte. Was spielt, also ich wusste gar nicht, dass du malst, oder hast du für den Roman probiert zu malen? Ich mal nur hobbymäßig. Okay. Okay, das sollte nicht sein. Vielleicht gibt es eine zweite große Karriere, von der nichts mitgekommen ist. Nicht so wie du Musik machst. Eine unglaubliche große Karriere, von der ich nichts mitbekommen habe. Nicht so, wie du Musik machst. Nein, so ist es nicht. Oh, eine unglaubliche Weltkarriere. Ja, und wie ist das? Die Musik, auf die wollte ich jetzt nämlich noch kommen, ist eigentlich eine depperte Frage. Beeinflusst die Ihr Schreiben? Erstens, aber beim letzten, bei Ihrem Erstling haben Sie gesagt, dort seid ihr im Roman, der diese Geschichte erzählt, in der Wirrform, sei das Buch eigentlich sehr ernst, aber in der Band, glaube ich, in der Effien und Craigs, dort seien Sie eher lustig drauf. Ja, das ist richtig. Hören Sie sich das an. Aber es ist tatsächlich ganz anders. Also bei Effie und Craig rappe und singe ich auch auf oberösterreichischem Dialekt und es ist eigentlich durchwegs Humor. Also es gibt keine wirklich, vielleicht werden ernste Themen manchmal verhandelt, aber immer mit einem ironischen Zugang in der Literatur. Also gerade beim ersten Roman war das ganz und gar nicht so. Aber es sind halt einfach zwei Enden des Spektrums, also ich bin lustig und ernst, wie wir alle im Westen. Aber ich muss sagen, es ist schon auch sehr intensiv, also es ist nicht so oberflächlich ironisch lustig, Äffchen und Cracks, sondern es ist schon, es geht schon sehr tief hinein. Dankeschön. Aber es beeinflusst sich auch so von dem her nicht, es ist getrennt. Ich muss immer dasselbe sagen, also natürlich, wenn jemand, so wie ich halt, schreibt und Musik macht, dann stellen sich natürlich, also ist natürlich, liegt es natürlich nahe, diese Fragen zu stellen, aber mir fällt es gar nicht so leicht, da Antworten zu geben, weil ja, natürlich kann ich dann so Sachen sagen, wie in der Literatur ist mir eben Rhythmik, Melodik und Musikalität im Allgemeinen sehr wichtig, in dem Buch noch mehr als im ersten, weil eben auch durch den Protagonisten, der eben Musiker ist, das irgendwie nahe liegt. Aber für mich ist es eine Quelle. Ich bin ja auch in der Musik vor allem Sprachkünstler, nur mit dem Unterschied, dass ich meine Stimme auch einsetze bei Auftritten und bei Aufnahmen. Aber ich würde gar nicht von Beeinflussung reden, weil dann wären es zwei getrennte Dinge, die sich eben beeinflussen können. Es ist eher für mich eins, das sind zwei Seiten einer Medaille für mich. Vielleicht so. Da werden wir nicht mehr weiter drauf herumreiten. Vielleicht noch zwei Sachen, die wir mitnehmen können auf den Weg. Es geht ja bei beiden von Ihnen eigentlich in allen Büchern von Ihnen, Frau Rieger, und in den vorliegenden, schon jetzt in den Romanen jedenfalls von Herrn Reuss, das Beziehungsthema, ob das familiär oder insgesamt oder paargeschlechtlich, oder auf Paare bezogen ist. Das sind eigentlich Themen, die, man kann sagen, klar, natürlich in der Literatur gibt es immer Liebe, Tod, Beziehung und so weiter, aber es ist schon, sie meint, dem ist so. Ich finde schon, es ist, weil sie ja die variieren, sie variieren verschiedene, gerade sie mit Friss oder stirbt oder bis ans Ende Marie und so. Das sind immer Konstellationen. Schon das Erste ist ja eigentlich eine Frauenfreundschaft im ersten Roman, die aber quasi von einer Figur total dominiert wird. Ähnlich, also nicht, dass ein Gegenstück zu diesem Roman jetzt wäre, aber es ist viel schon angelegt, also in diesen Beziehungsdynamiken. aber es ist viel schon angelegt, also in diesen Beziehungsdynamiken. Mich hat ein Freund, ein Kollege gefragt, ja und worum geht es in deinem neuen Buch? Und ich so, ja, Liebe und Tod. Und er so, ah, das ist ein ganz seltenes Thema in der Literatur. Also deshalb habe ich jetzt so gelacht. Also deshalb habe ich jetzt so gelacht. Aber ich denke, Liebe und Tod sind einfach die existenzialistischen Dinge, die mich, die uns am meisten beschäftigen. Und bei mir gibt es ja auch einen Großvater, eine Figur, die hier stirbt. Die Passagen habe ich jetzt nicht gelesen, aber mich interessiert auch das Spannungsverhältnis von Lust und Tod, also Lebenstrieb und Todestrieb. Das finde ich einfach irgendwie fasziniert mich, dass das manchmal so knapp nebeneinander liegt. Das kann man eigentlich für Ihr Buch auch sagen. Ich sage es einfach, genau so ist es. Das, was der Ding ist, der Handke hat immer gesagt, wenn Sie ihn gefragt haben, was er als Nächster schreibt, er schreibt jetzt ein Drama über den Papst. Dann hast du diese Fragen auch vom Tisch. Ja, und jetzt vielleicht zum Abschluss noch, und die Liebe? Sie sind beide nicht offenbar bereit, ihre größere Dauer oder so zu verleihen. Beziehen Sie Stellung dazu. Aber tatsächlich habe ich, wann ist mir der Gedanke gekommen? Vor zwei Tagen, glaube ich, habe ich mir gedacht, ich sollte eigentlich über eine glückende Ehe schreiben, die seit 40, 50 Jahren anhält. Das ist noch das Problem, wie kommt Spannung ins Buch? Aber das kann ich anderweitig lösen. Kinder? Ja, zum Beispiel Kinder oder Herausforderungen, die gemeinsam bewältigt werden. Aber tatsächlich, das interessiert mich tatsächlich auch mal, weil in meinem ersten, also in diesem Buch und in dem vorherigen, sind die Beziehungen allesamt sehr brüchig, zumindest die-romantischen Beziehungen eher von kurzer Dauer oder nicht wahnsinnig verbindlich meistens. Aber es interessiert mich tatsächlich, über die goldene Hochzeit, silberne Hochzeit, einen Roman zu schreiben. Ja, ich werde auch über die Liebe schreiben. Sehr versöhnlich ist das. Ich danke Ihnen für die ausführlichen Antworten. Und ich bin sicher, die beiden werden noch im kleineren Kreis sehr gerne erstens die Bücher, die man hinten kaufen kann, signieren und Fragen, die jetzt noch offen geblieben sind, beantworten. Ich würde das gerne hier belassen. Ich bedanke mich sehr für die Erlesung, dass Sie gekommen sind. Vielen Dank Ihnen, dass Sie heute da waren. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend und alles Gute. Danke.