Guten Abend, meine sehr geehrten Damen und Herren, mein Name ist Stefan Kögelberger. Es freut mich, dass Sie heute hier sind zu einer Buch- und Verlagspräsentation des Verlags Kremmeyer und Scherio. Zum einen soll es heute Abend um den neuen Roman von Gertrude Klemm gehen, der den Titel Einzeller trägt. Es ist kein Zufall, dass er fast punktgenau zum Internationalen Weltfrauentag im März diesen Jahres erschienen ist. Zu leise? Danke. Zum anderen geht es um Romina Pleschkos neuen Roman Offene Gewässer, der im Februar diesen Jahres bei Kreml und Scheriau erschienen ist. Moderieren wird den Abend Roxana Höchsmann vom Verlag Kreml und Scheriau. Sie ist dort für die Aufgabengebiete Presse, soziale Medien und Marketing verantwortlich. Ich darf beide Autorinnen ganz herzlich im Stifthaus begrüßen und auch Sie, Frau Höchsmann, herzlich willkommen. Schön, dass Sie da sind. Es wird ein schöner Abend. Es erwarten uns heute also zwei spannende Neuerscheinungen aus dem Hause Kreml und Scheria und auch, wahrscheinlich sind auch viele von Ihnen deswegen hier, zwei ganz interessante Persönlichkeiten. Lassen Sie mich die beiden Damen in aller Geboten ein Kürze vorstellen. Gertraud Klemm wuchs in Baden bei Wien auf. Als studierte Biologin arbeitete sie vormals als hygienische Gutachterin bei der Stadt Wien. Seit ihrem literarischen Buchdebüt im Erzählband Höhlenfrauen 2006 lebt sie als Freischriftstellerin. Ihre zahlreichen Romane und Essays haben sie zu einer wichtigen Stimme für den österreichischen Feminismus oder den Feminismus in Österreich gemacht. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen setzt sich Gertraud Klemm auch reflexiv und kritisch mit dem Feminismusbegriff und dessen verschiedenen Stoßrichtungen auseinander. In einem kürzlich im Falter erschienen Interview formulierte sie ihren Wunsch eines geeinten Feminismus, der sich auf zentrale und lebenspraktische Fragen konzentriert, die da wären, Zitat, warum verdiene ich als Frau weniger, warum droht mir Altersarmut, warum werde ich medizinisch schlechter versorgt, warum fehlt adäquate Repräsentation politisch wie in wirtschaftlichen Machtpositionen, warum ist Mutterschaft eine derartige patriarchale Zurichtung? Zitat Ende. Ich darf an dieser Stelle anmerken, dass ich diesen Ansatz persönlich für sehr sinnvoll und zielführend halte. Und ich bin mir sicher, wir werden auch heute noch mehr zum Thema erfahren. Gertraud Glemm erhielt für ihr literarisches Werk bereits zahlreiche Auszeichnungen, um nur einige zu nennen. Den Publikumspreis beim Ingeborg Bachmann-Preis 2014, den Outstanding Artist Award für Literatur, verliehen von der Republik 2020 oder den Anton Wildgans-Preis 2022. Kommen wir nun zu Romina Pleschko. Romina Pleschko genießt heute sozusagen ein Heimspiel. Sie ist in Gmunden geboren, Oberösterreicherin. Sie studierte Schauspiel am Konservatorium der Stadt Wien. In ihrer schauspielerischen Vita stehen auch Engagements bei den Wiener Festwochen. Anschließend setzte sie ihren Lebenslauf vollkommen logisch fort und zwar mit einem Studium der Japanologie. Auslandsaufenthalte führten sie nach Tokio und Hamburg. In Hamburg war sie tätig als Make-up-Artist im Bereich Mode, Printmedien und Werbung, zudem ist sie Absolventin der Leondinger Literaturakademie. Romina Pleschko hat, wie Sie bereits sehen, schon einige Leben gelebt, obwohl sie noch sehr jung ist. Ihr vielgelobter Debütroman Ameisenmonarchie erschien im Frühjahr 2021 bei Kremau und Scheriau und jetzt im Februar eben Offene Gewässer. Ein äußerst kluger Humor, das scheint Romina Pleskos literarisches Markenzeichen zu sein. Ich darf zitieren, oft bekam ich Herzrasen, wenn der Busfahrer sich für eine neue Route entschied oder ich auch einfach nur unfähig gewesen war, die Komplexität der ausgehängten Fahrpläne zu entwirren. Manch einer hat es wohl besser verstanden als ich, quasi mit dem Hausverstand, dass es ja ganz logisch war, den Bus um 12.37 Uhr an Marientagen ohne Fertilitätsbezug bei mehr als vier Insassen, Kinder unter 13 ausgenommen und Beamte, Beamte immer von allem ausgenommen, auf Kurzstrecke zu führen. Romina Pleschko versteht es aber auch, große Einsichten mit dieser humoristischen Leichtfüßigkeit anzubieten. Zum Beispiel, Zitat aus dem Roman Offene Gewässer, Die Schuld ist als moralisches Konzept offenbar etwas, was man zur Gänze verweigern kann, indem man die Gegenwart zur einzig relevanten Zeitform erklärt. Sehr interessant, wie ich finde. Also sehr hochphilosophisch in Wahrheit. Wir dürfen uns also auf einen ganz interessanten und, ich denke, spannenden Abend mit zwei tollen Autorinnen freuen. Oksana Höchstmann wird Ihnen zur Einführung noch etwas über den Verlag Rehmeyer und Scherrier berichten. Hinten können Sie nach der Veranstaltung Bücher der beiden Autorinnen erwerben. Sie sind auch gerne bereit zu signieren. Das Literaturcafé steht Ihnen für Erfrischungen zur Verfügung. Und das war es von meiner Seite. Sie wollen andere Leute reden hören. Vielen Dank. Guten Abend und herzlichen Dank für die Einladung, Stifterhaus. Vielen Dank für die Einführung, für die netten Worte, Herr Kügelberger. Wir sind sehr froh, hier heute sein zu dürfen und über diese ganz besonderen Neuerscheinungen aus diesem Frühjahr zu sprechen zu dürfen und auch einige Stellen daraus zu hören. Bevor es aber dazu kommt, möchte ich die Gelegenheit nutzen, Ihnen unseren Verlag ganz kurz vorzustellen. Wahrscheinlich ist er Ihnen sowieso ein Begriff, denn die Geschichte des Verlags ist nicht allzu kurz. Wir müssen nichts fürchten, wenn wir alles denken können. Getreu diesem optimistischen und auch unerschrockenen Motto entwickeln wir das Team des unabhängigen Wiener Verlags Grimann Scheriau Bücher mit Autorinnen, die die Lust und der Wille zur Einmischung eint, wie auch ganz wunderbar an den beiden Autorinnen, die heute da sind, zu sehen ist. Und ein klarer und unkorrumpierbarer Blick auf die Welt. Kneifen gilt also nicht in den Bereichen Politik, Gesellschaft, Kultur, Gesundheit und Geschichte. Und genau, die Geschichte ist eine lange, wie ich schon angedeutet habe, 1951 wurde der Verlag gegründet von Rudolf Krehmeier und Wilhelm Scheriau und war lange Zeit einer der wichtigsten Lizenzgeber für Donauland, für die Donauland Buchgemeinschaft, die Ihnen sicher auch etwas sagt. 1966 wurde der Verlag dann an Bertelsmann verkauft. In dieser Zeit entstanden dann zahlreiche Bestseller, zum Beispiel mit Hugo Portisch, So sah ich China oder So sah ich verschiedene Länder. Ich sehe ein Nicken im Publikum, das heißt, Sie wissen, wovon ich spreche. Oder Österreich I und Österreich II. Aber auch die Memoiren von Kreisky wurden veröffentlicht oder der Bestseller von Hans Bankel, Der Pathologe weiß alles, aber leider zu spät. Ein humorvoller Titel, der jetzt wieder neu aufgelegt wurde bei uns. 1991 wurde dann der Sachbuchverlag ORAC übernommen. Hier wurden vor allem sportliche Themen verarbeitet und Biografien berühmter Sportler erschienen, wie zum Beispiel von Niki Lauda, aber auch kritische Sachbücher und Ratgeber zu Gesundheit und zu gesellschaftlichen Themen. Hier möchte ich ganz kurz auf ein paar besondere Perlen eingehen, die ich aus dem Kuriositätenkabinett des Verlags mitgebracht habe. Nur damit Sie die ganze Bandbreite des Verlags auch nachempfinden können. Hier hätten wir zum Beispiel von Uschi Fellner, ja der Uschi Fellner, ein Buch namens Wir Rabenmütter, Kinder und Beruf. Aus den 90er Jahren sind die Titel jetzt alle. Oder Promi-Hunde packen aus, Grimaldi, jetzt rede ich. Wenn es etwas sportlicher zugehen soll, könnten wir Ihnen die Gymnastik in der Badewanne ans Herz legen. Das ist wirklich ein fantastischer Titel. Ich würde mich hier auch für eine Neuauflage stark machen. Und jetzt ein besonders interessantes Thema, das auch immer wieder zur Sprache kommt, besonders interessantes Thema, das auch immer wieder zur Sprache kommt, aber leider nicht ganz von der Medizin so verfolgt wird, wie wir Frauen das vielleicht gerne hätten, und zwar, wie Männer sich ja verhüten. Es sollte eben nicht immer nur an den Frauen hängen bleiben. an den Frauen hängenbleiben. Das als kurzer Einblick. Sie können gerne später auch mal kurz reinschauen, das lohnt sich auf jeden Fall. Sie würden es nicht denken, was alles für Bücher bei uns erschienen sind. Wobei man natürlich, die 90er waren einfach eine andere Zeit. Man kann vielleicht einen feministischen Anspruch hier entdecken oder, ja, auch hier geht es um Frauen und dass sie arbeiten gehen möchten und wie sie das mit Kinder bekommen, Kinder kriegen, vereinbaren können. Aber, ja, ich glaube, wir haben uns schon einiges weiterentwickelt mittlerweile. Genau, 2002 hat dann Martin Scheriau die Anteile von Bertelsmann zurückgekauft und war bis vor kurzem Geschäftsführer. Mittlerweile ist der Verlag in dritter Generation geführt, und zwar von seinem Sohn Philipp Scheria. Das ist erst vor kurzem passiert. Vielleicht haben Sie es mitbekommen, vielleicht aber noch nicht. Aber jetzt wissen Sie es Bescheid. Das Programm hat sich dann in den 2000er Jahren hat sich die Barbara Kösege gekümmert. Sie hat vor allem das Sachbuchprogramm sehr stark gemacht mit Autoren wie Karim El Gouari, der Ihnen sicher auch was sagt. Dann 2017 hat Stefanie Jaksch die Sachbuchleitung übernommen und 2020 auch die Verlagsleitung. Und unter ihr wurde zum Beispiel auch die sehr viel beachtete Essay-Reihe Übermorgen gestartet. Das haben wir ihr zu verdanken. Es erschien zum Beispiel der Titel Dummheit von Heidi Kastner vor eineinhalb Jahren. Der ging auch ganz gut durch die Decke und hat einfach den Nerv getroffen der damaligen Zeit. Und ein weiterer Titel, der in der Übermorgen-Reihe erschien, ist auch Geld von Marlene Engelhorn, der Millionenerbin, die sich für die Umverteilung der Vermögensteuer einsetzt. Ist Ihnen wahrscheinlich auch ein Begriff. Aber jetzt habe ich viel von Sachbüchern geredet und Ratgebern. Der Verlag ist natürlich mittlerweile vor allem für eines bekannt, und zwar für die sehr, sehr starke Literaturreihe. Die wurde 2015 ins Leben gerufen unter Tanja Reich. Und ja, der Anspruch war, dass neue österreichische Stimmen verlegt werden. Das heißt, es sind viele Debüts dabei und vor allem experimentelle Stimmen. Genau, viele Debüts und vor allem experimentelle Stimmen. Und es sollte auch immer ein gesellschaftspolitischer Anspruch den Romanen inne liegen. Einige Namen kann ich kurz nennen, zum Beispiel Petra Piuk. Sie hat mit dem Anti-Heimat-Roman Toni und Moni für Aufsehen erregt. Oder Jessica Lindh mit ihrem Titel Mama, Mario Schlembach, Simone Hirt, Martin Peichl, Stefan Reus, die zum Beispiel auch hier schon im Stifterhaus waren. Vielleicht waren sie ja selbst da damals. Und ja, jetzt würde ich aber sagen, ich wollte noch eine Sache erwähnen und zwar ist unser Verlag heute an mehreren also die Teammitglieder sind an verschiedenen Orten, weil ein Buch heute auch einen Preis bekommt und zwar den Wissenschaftsbuchpreis, der wird an das Fluchtparadox von Judith Kohlenberger verliehen und dieses Buch wird auch für den deutschen Sachbuchpreis nominiert sein. Da drücken wir alle fest die Daumen, dass das was wird. Von Preisen wollte ich eigentlich überleiten zu den vielen Preisen, die Gertraud Klemm bereits erhalten hat und verliehen bekommen hat und möchte auch gern kurz aus der Jurybegründung für den Anton-Wildgans-Preis lesen. Und zwar, Gertraud Klemm analysiert in ihren Romanen und Essays die beharrlich gleichen sozialen Fragen unserer sich verändernden Gesellschaft ohne Scheu vor Konfrontationen. Ihr scharfer Blick führt den Lesenden die Aktualität ungelöster alter Problematiken in einer lebendigen, präzisen Sprache, der auch das Spiel mit Humor nicht fremd ist, meisterlich vor Augen. Und das ist in Ihrem neuen Roman Einzeller auf jeden Fall wieder zu erkennen und ich freue mich sehr, dass wir jetzt daraus einige Stellen hören und auch einige Fragen klären können vielleicht, die dabei aufkommen. Liebe Gertraud, bitte auf die Bühne. Genau, vielleicht schenken wir uns erstmal was kurz. Danke. Genau, vielleicht schenken wir uns erst mal was kurz. Einleitend die Frage, Gertraud, das Cover zu Einzeller, wie bist du zufrieden damit? Du kannst es jetzt ehrlich sagen. Haben wir als Verlag gute Arbeit geleistet? Natürlich, weil ihr habt sicher meine Vorschläge gehalten. Also man muss dazu sagen, ich habe den Roman eigentlich schon im 21. Jahr fertig, im 22. Jahr fertig gehabt. Und ich wollte eigentlich einen Roman schreiben über die vierte Welle der Frauenbewegung und der hieß im Projektstatus immer die vierte Welle und dann kam Corona. Und wir haben gewusst, das mit der Welle geht jetzt, denke ich schon ein bisschen anders drüber. Das wäre jetzt vielleicht eh schon wieder, wir haben schon wieder alles vergessen. Aber die Welle wollte ich noch drin haben und die ist da im Cover in Form einer Sanddüne, in Form einer Sandwelle, also eine trockene Welle ist ja auch eine schöne Metapher für einen Feminismus abgesankt. Aber ich bin sehr zufrieden, aber ich bin auch, ich weise sehr zu schätzen, dass ihr meine Wünsche auch respektiert. Das ist nämlich etwas, was nicht selbstverständlich ist. Ich kenne sehr viele todunglückliche Autoren und Autorinnen, die bei jedem Buch aufs Neue über Frauen kämpfen müssen, dass da nicht Rosa ist und kein Prosecco-Gasl und kein Stöckelschuh am Cover. Und ich kenne einige, die Verlag gewechselt haben, weil das nicht durchzusetzen war. Und das ist eine Qualität vom Verlag. Wir versuchen auf jeden Fall auf die Wünsche einzugehen und freuen uns, wenn wir dann auch. Wir sind nämlich auch sehr glücklich damit. einzugehen und freuen uns, wenn wir dann auch, wir sind nämlich auch sehr glücklich damit. Genau, und zum Titel Einzeller, war das dein Wunschtitel oder hat da vielleicht die Lektorin ein Wort noch mitgeredet? Ja, wir haben dann so rumüberlegt, weil eben die vierte Welle nicht gegangen ist und Einzeller ist dann aus mehreren Vorschlägen, aus einem Vorschlag Wust heraus gearbeitet als letzte Option. Es war einer der wenigen Bücher, wo wir dann aus mehreren Vorschlägen, aus einem Vorschlagwust herausgeabert als letzte Option. Es war einer der wenigen Bücher, wo wir recht viel diskutiert haben. Wenn ich mich richtig erinnere, war das eigentlich das einzige Buch, wo wahnsinnig viel diskutiert wurde beim Titel. Hippocampus war wahrscheinlich relativ schnell. Hippocampus war schnell da, genau, weil das war Projekttitel und das war ziemlich eindeutig, da hat niemand gesagt, das ist kritisch und das ist halt immer so eine Bauchentscheidung auch, also das ist nicht nur literarisch relevant, sondern auch natürlich verkaufsrelevant, das ist was, was die Autoren und Autorinnen nicht so gut können, meistens, und deswegen habe ich dann auf euch gehört, weil wir hatten eigentlich, was war Hebenstreit und was war das Dritte, weißt du es noch? Man vergisst ja nicht mehr diese ganzen alten Entwürfe, aber es war das Beste gewesen. Ja, doch, es bleibt im Kopf und ist einzigartig, also, genau. Ganz kurz würde ich den Inhalt des Buches umreißen und dann geht's weiter. Simone Hebenstreit, wie wir schon gehört haben, die Protagonistin. Eine der Protagonistinnen ist seit kurzem pensionierte Lehrerin, Altfeministin aus dem Donal-Umfeld, politisch sehr aktiv und engagiert und gründet die Frauen-WG Bienenstock. Dazu schreibt sie oder dazu sagt sie, das hier ist ein ambitionierter Testballon. Die Vergrößerung einer männerlosen Familie. Eine spontan möglich gewordene Solidaritätsgemeinschaft, die auch ohne staatliche Verträge gemeinsame Kinder oder religiöse Banden halten könnte. Das war die Vorstellung von Bienenstock. Wir werden gleich noch hören, ob die Realität, ja, was dann damit passiert ist. Sie ziehen in eine alte Schule, renovieren diese gemeinsam. Mit von der Partie sind Eleonora, eine langjährige Freundin mit Simone, mit der Simone auch schon in einer vorherigen Wohngemeinschaft gewohnt hat. Dann Maren, eine Kostümbildnerin, die sich sehr viel engagiert. Hinzu kommt Flora und Lilly, die beiden werden gecastet. Und Lilly ist die Jüngste, sie ist erst Anfang 20, junge Studentin aus gutbürgerlichem Haus, die sich mit feministischer Theorie besser auskennt als mit der Praxis. Die WG wird dann eingeladen, an einem Reality-TV-Format mit dem Namen Big Sister teilzunehmen, in dem verschiedene feministische WGs gegeneinander antreten und jeweils externe, also Gäste, in die WG zum Abendessen einladen. Und dort sollen feministische Themen ausdiskutiert werden. Was zu viel Zündstoff sorgen wird, denn es versammeln sich hier verschiedene Ansichten der Mitbewohnerinnen, die aus den verschiedensten Generationen und verschiedensten, oder sie sind Anhängerinnen von verschiedenen feministischen Strömungen. Und erzählt ist das Ganze aus der Perspektive von Simone und Lilly. Und erzählt ist das Ganze aus der Perspektive von Simone und Lilly. Immer abwechselnd erzählt uns eine der Protagonistinnen, was gerade so vor sich geht im Bienenstock und auch drumherum. Und ich würde sagen, wir hören gleich mal aus einem Kapitel, das Simone erzählt und zwar relativ zu Beginn des Romans. Es ist noch vor der ersten Aufzeichnung von Big Sister und sie schreibt eine Rede. Und wir können ihr beim Denken und beim Sich-Ärgern zuhören. Okay. Wenn sie eine Funktion hätte, wäre sicher alles einfacher. Wenn sie einen dicken Bauch und einen weißen Rauschebart hätte, Universitätsprofessorin wäre, einer Partei angehörte, die für die Sache stünde. Aber diese Partei gibt es nicht. Es gibt nur Männerparteien, die Frauen in die erste Reihe schieben, wo sie dann wieder Männerpolitik machen dürfen. Keine Frauenpartei, die sich für deren Probleme stark macht. Es gibt ja auch keine Frauenbewegung mehr. Die Frauen sind eingerostet. Sie lassen sich vielleicht passiv bewegen vom Geld, vom Ehrgeiz, vom Gebrauchtwerden, von der Sucht zu gefallen, aber im Allgemeinen treiben sie auf einer vermeintlichen Sicherheit dahin. Sie muss sie anstacheln, dann bewegen sie ihren Arsch vielleicht wieder. Man muss halt schon sehr fest stacheln. Manche sind abgestumpft, manche totgerackert, bei den anderen ist der Speck zu dick. Und bei den Jungen herrscht das Woke-Narrativ, das am liebsten im Internet aktiv ist. Stell dir einfach vor, Simone, sagt sie zu sich selbst, stell dir die Frauen wie eine Masse vor, wie einen vielzelligen Organismus, der riesig groß ist, aber bewegungsunfähig, weil die Zellen keine Verbindung zueinander haben. Eine gigantische Ermöbe. Wie war das mit diesem Schleimpilz, der aussieht wie ein Spuckerfleck, über den sie unlängst eine Dokumentation gesehen hat? Sein ganzes Schleimpilzleben kriecht er auf feuchtem Holz herum, ohne Hirn und ohne Ziel, keine intelligente Lebensform, nur lauter einfache Zellen. Aber dann, wenn es um die Arterhaltung geht, kriechen sie plötzlich zusammen, kommunizieren und erheben sich zu einem richtigen Pilz mit Kopf und Stiel. Allerdings nur, bis die Sporen draußen sind. Dann ist der Zirkus auch schon wieder vorbei. So ein biochemisches Signal bräuchte es. Eines, das zum Erheben anstachelt, das auch dann anhält, bis endlich alles ausgehandelt ist, was sich seit den 1970ern nicht mehr bewegt hat. Damals, während dieser Pandemie mit ihren Lockdowns, hat es einmal kurz funktioniert. Erst hat ein Mediziner gefordert, dass die Leute ihre Kinder daheim lassen und nebenbei Homeoffice machen. Dann hat ein Politiker betont, wie leicht das alles ginge, Arbeiten, Kinderbetreuung und daneben ein bisschen Kuchen backen. Und als Lehrergewerkschafter dann verlangten, die Kinder müssen jetzt zum Schutze des Lehrkörpers noch länger zu Hause bleiben, da platzte Simone der Kragen. Eher spaßhalber hat sie auf ihrer Facebook-Seite zum Protest aufgerufen. Schickt die Kinder doch in die Lehrergewerkschaft, wenn sie nicht mehr in die Schule gehen sollen oder gleich ins Kanzleramt, hat sie gepostet. Aber anstatt den Aufruf nur zu liken, zu teilen und zu verlinken, vernetzten sich die Frauen, verließen ihre Häuser und schleppten ihre Kinder vor das Kanzleramt und die Lehrergewerkschaft. Die Muttis hatten Decken, Tee und Suppe in ihren Thermoskannen dabei, aber sie gingen. Endlich war der Leidensdruck groß genug. Sie verstopften die Straßen und schrien ihre Parolen in die kalte Märzluft. Und sie erreichten, dass die Kinder getestet wurden und der Lehrköpfer geimpft, aber dann war auch schon wieder Schluss mit der Revolution. Das war die dritte Welle von Likes, die Simone bekommen hat. Seitdem geht es so dahin und nun fühlt sie sich ein bisschen zuständig für Revolutionsfragen, weil es ja sonst keiner zu sein scheint. Wo sind alle, außer auf Insta und Facebook? Schade, dass es keinen Beruf dafür gibt, kein Institut und kein Gehalt. Nicht mal in den linken Parteien scheint sich jemand dafür zuständig zu fühlen. Die richtige Geschichte ist ein guter Anfang, denkt sie und schreibt. Nie kommen Frauen vor, nie schreiben sie mit. Geschichte, wie sie geschrieben und gelehrt wird, ist eine Geschichte ohne Alltag, ohne Frauen und Kinder. Kriegsgeschichte. Nicht das Leben, sondern das Töten wird beschrieben. Nicht der Alltag, sondern die Allmacht in Königs- und Kaiserhäusern. Das Leben wurde von Menschen aufgeschrieben, die es nicht gegeben haben, die es nicht aufgezogen und ermöglicht haben. Das Leben wurde von Mönchen und von Gelehrten beschrieben, die damals schon in Umständen gelebt haben, die wir heute privilegierte Blasen nennen. Aus diesen Blasen heraus haben sie uns Frauen gezeichnet, verschwommen und unwichtig. In ihre Schulbücher haben sie uns gezeichnet, in ihre Romane und auf ihre Bilder. Unseren Kindern hat man eine Geschichte der weißen Lücken gelehrt. In die weißen Lücken hat man Hexen, böse Stiefmütter und Starlights geschrieben. Wenn die Wirklichkeit für Frauen niedergeschrieben stand, dann in Verboten, die ausschließlich für sie reserviert waren. In ihre Gesetz- und Gottesbücher haben sie geschrieben. Du darfst nicht wählen, du darfst nicht studieren, du darfst nicht Rad fahren, du musst gehorchen, gebären und schön sein. Du bist schuldig. Sie haben uns in ihre Gesetze eingesperrt, in ihre religiösen Gebote und in ihre sexuellen Ansprüche. Liest sich wie ein Revolutionsaufruf, denkt Simone zufrieden, als sie nochmal drüber liest. Fertig. Sie steht ruckartig auf, greift sich auf das Kreuz, wiegt sich hin und her, kreist die Schultern, schüttelt die Beine aus und beginnt den ganzen Körper zu schütteln, Liegt sich hin und her, kreist die Schultern, schüttelt die Beine aus und beginnt den ganzen Körper zu schütteln, als müsse sie die Gedanken aus ihrem Körper rütteln. Du betreibst Raubbau am Nervensystem. Das Drahtseil, auf dem du deine Balanceakte vollführst, wird immer schmäler, hat ihre Tochter Hannah gesagt. Sie hat die Stimme ihrer Tochter wachgerüttelt. Sie werden dich irgendwann abknallen oder vergiften, bevor du die Frauen aufhetzt. Sie werden dich rückstellen, weil ungehorsame Frauen, das ist das Letzte, was sie brauchen können. Hannah und ihre Sorgen. Sie folgt einem Impuls, zieht sich die Schuhe, den dicken Mantel, Haube und Handschuhe an und verlässt die Wohnung, als hätte sie es eilig. Auf der Straße der Wind, die lange Ampelfase, eine Ungeduld im Unterbauch wie ein Darmvirus. Ein weißer Passat steht ein bisschen in den Zebrastreifen hinein. Sie kann den Fahrer hinter den getönten Scheiben nicht erkennen und er drückt beim Vorbeigehen einen Schlag auf die Motorhaube und hastet weiter in den Park und schlägt irgendeine Richtung ein. Bis 78, oder? Mit dem Aufwärmen von alten Theorien ist sie natürlich auch nicht die erste. Alles wurde spätestens im Zuge des Kampfes um das Frauenwahlrecht gekocht und wird jetzt in Wellen aufgewärmt. Erste, zweite, dritte Welle. Kein Wunder, dass es niemandem mehr schmeckt. Alles schon da gewesen, alle schon tausendmal ersonnen, ausgesprochen, niedergeschrieben und umzusetzen versucht. Andere waren schon erfolgreicher als sie und charismatischer, allerdings nie von Dauer. Die feministische Revolution in Deutschland und Österreich wurde von den Weltkriegen lahmgelegt, von Hitler. Man kann nachlesen, wie die Nazis revolutionäre Frauen auf Todeslisten gesetzt haben, sie ins Gas geschickt haben, ihre Schriften und Fotos vernichtet, ihre Bauten zerstört, ihre Bäuche mit Babys gefüllt. Eine konsequente Ausrottung. Sie ist am Ende des Parks angelangt, biegt ab, die Wege sind für kurze Distanzen gemacht, sie entscheidet sich dafür, runden zu gehen. Immer kredenzen sie Hitler. Wenn aber Hitler schuld war, warum gibt es keine Gleichberechtigung in England oder in den USA oder in Japan oder in der Schweiz, in Saudi-Arabien und in Nigeria? Überall dort gab es keinen Hitler und trotzdem regieren auf allen Kontinenten der Welt Männer, haben die wirtschaftliche Übermacht, stellen die Gottheiten, bezahlen die Frauen schlechter, begrabschen sie und schieben ihnen die ganze unbezahlte Arbeit zu. Zwei junge Frauen laufen an ihr vorbei. Unbeschwert sehen sie aus. Wartet nur, denkt Simone. Revolution, so ein großes Wort. Die größten Pleiten der Welt haben mit Revolutionen begonnen. Meist sind sie zu Wandel verzwergt. Wandel ist die lauwarme bürgerliche Version von Revolution, die der Kapitalismus gnädigerweise erlaubt. Ein träges Wälzen, eine Revolution leid, eingeschlafen, bevor sie überhaupt aus dem Bett gekrochen ist. Simone beschließt sich aufzuwärmen und steuert das kleine Café an. Eines dieser hippen Cafés mit veganen Bowls und glutenfreien Kuchen. Sie stellt sich in die Reihe hinter einem Mann, der ein quengelndes Kind aus dem Wagen nimmt, während sein Café zubereitet wird. Sie kauft sich auch einen Café, lässt ihren müden Körper auf den Hocker an der fensterseitigen Bar fallen, der ächzt. Der Mann sieht kurz zu ihr her. Kinnlange Haare, eine lange Nase und dichte Brauen. Er lächelt. Dann zieht er sich seine Jacke aus, krempelt die Ärmel hoch und setzt das Kind gegenüber in den Hochstuhl. Es streckt freudig die Arme aus und rudert euphorisch seinem Apfelmus entgegen, das der Mann mit großem Ernst verfüttert. Immer wieder öffnet sich der Kindermund zugleich mit dem schönen Männermund, Löffel für Löffel. Sie sieht den beiden gerne zu. Diese neuen Väter, die ein paar Wochen in Karenz gehen, Kinder wegen schieben und Windeln wechseln, die dieses patriarchale Ernährersein satt haben und ihre Kinder genießen können, sind diese erwachten Männer endlich jene Komplizen, auf die sie so lange gewartet hat? Ist ihnen zu trauen? Noch lieber würde sie abgerackerte Väter sehen, die da durchmüssen und nicht dürfen, so wie sie durchmusste, egal wie müde sie war und wie verzweifelt. Wo sind diese Väter? Ihr Telefon vibriert. Eine Nachricht vom Minister. Treffen übermorgen Nachmittag, fragt er. Gerne, antwortet sie. Was soll ich mitbringen, fragt er. Eine Heilige für meinen Herrgottswinkel, tippt sie. Er schickt ein Fragezeichen. Nicht Maria, keine Titten, kein Engel und doch weiblich, schreibt sie. Vielen Dank für die wunderbare, einführende Lesestelle. Es ist natürlich jetzt hier ein Cliffhanger, weil wir wollen alle wissen, was passiert mit dem Minister. Und mit diesem Minister hat Simone ja schon eine sehr lange Geschichte. Sie kennen sich aus der Jugend. Aber irgendwas hält sie an ihm? Wie hast du das gebaut, dass er ja, dass er doch so eine wichtige Rolle in ihrem Leben spielt, obwohl das ja eigentlich konträr zu ihren Überzeugungen läuft, das Ganze. Es gibt ja zwei Figuren, es gibt die Lilly und die Simone, die alternierend sprechen und beide haben ein Männerproblem. Also so wie ich glaube, dass der ganze Feminismus ein Männerproblem hat. Und ganz viel hat mit Konsequenz zu tun, natürlich. Und mit dem Minister verbindet sie einen Schwangerschaftsabbruch in der Jugend und ich habe halt ein Gegenüber gebraucht, also ich habe einen Politiker gebraucht. Als erstes ist er plötzlich da gestanden, das ist wirklich kein Witz und keine Übertreibung, der stand plötzlich im Weg und ich weiß jetzt doch beim siebten Roman, dass man solchen Figuren nicht wegschicken darf. Also wenn Sie so da herumstehen, ja, das ist ein bisschen metaphysisch, dann haben Sie einen Grund, dass Sie da sind. Und das ist auch wirklich so, wie bei einer Familienaufstellung hat der Minister die Aufgabe gehabt und sich hineingedrängt, weil er ein politisches Gegenüber für die Simone war und weil er auch die Möglichkeit gegeben hat, dass sie nicht perfekt sein darf und dass sie halt einfach einiges falsch machen darf in ihrem Leben. Und einer der fundamentalsten Fehler, die wir Frauen machen, ist, glaube ich, immer noch im privaten Bereich zu suchen. Und ganz viel in der Beziehung zu Männern und ganz viel mit dem, was dann aus den Frauen rauskommt bei solchen Beziehungen mit den Kindern. Und das sind halt für mich so Eckpunkte, mit denen hole ich mir auch immer große Kritik, weil es natürlich auch eine berechtigte Kritik an den Schicksalen von Frauen ist, aber ich glaube, das kann man einfach nicht so abstellen. Ich glaube halt, der Feminismus hat die Rechnung ohne die Geilheit gemacht. Und das habe ich in dem Buch verhandelt auch. Ja, und dadurch wird sie ja auch nahbarer und man kann sich auch doch irgendwie... Wie gesagt, das ist die Frage, ob man eine Revolutionsfigur in einem Setzkasten zusammenbaut oder ob man sie zum Leben erweckt. Und ich glaube, Menschen, die Fehler, also ich mag nicht über Menschen schreiben, die fehlerlos sind, weil das sind wir nicht. Also ich möchte schon, also ich bin ja selber auch so. Ja, wir sind Menschen. Also ich bin ja selber auch so. Ja, wir sind Menschen. Und du hast gerade schon angedeutet, die Figur des Ministers war plötzlich da. Aufgedrängt, ja. Genau. Welche Figuren waren noch von Anfang an da und war für dich klar, dass der Fokus auf Lilli und Simone liegen wird oder hattest du es erst anders konzipiert? Ja, ich bin total verliebt in die Trilogie von der Virginie Despont, glaube ich, spricht man sie aus, über dieses Vernon-Subotex. Und ich glaube, das ist insgesamt aus zwölf, 13, 14 Perspektiven. Und ich habe mir gedacht, boah, das kann ich auch. Und ich habe es natürlich nicht gekonnt. Ich habe es aus sechs Perspektiven versucht und bin ganz grandios gescheitert. Also ich musste das ganze Buch auseinandernehmen und neu schreiben. Wer wäre da noch dabei gewesen? Da wäre der Vater von der Lili dabei gewesen. Eleonora hatte eine Stimme, Marin hatte eine Stimme, der Minister hat auch gesprochen dazwischen. Also Lili, also es waren alle, alle die vorkommen, haben was zu sagen gehabt und es war ein wirres Durcheinander und hat überhaupt nicht funktioniert. Und ich war schon kurz davor, dass ich das weglege und sage, ich mag nichtommen, haben was zu sagen gehabt. Und das war ein wirres Durcheinander und hat überhaupt nicht funktioniert. Und ich war schon kurz davor, dass ich das weglege und sage, ich mag nicht mehr, weil das ist, ich sage immer, es ist wie erbrochenes Sortieren. So ein Buch umzuschreiben, es ist wirklich, es hat überhaupt nichts Lustvolles und ist eine sehr unangenehme Arbeit und überhaupt nicht kreativ und so ungefähr wie Buchhaltung. Aber das habe ich dann gemacht und Gott sei Dank habe ich es gemacht. Also das heißt, diese Figuren werden vielleicht auch nicht irgendwann wieder erweckt? Nein, die sind einfach, die sind jetzt im Buch. Nein, die sind, glaube ich, ehrlich gestanden begraben im Buch. Aber es war eine große Verlockung und manchmal ist das Vermögen dann einfach nicht da, das Schreibvermögen für solche Ziele. Die Figur der Simone wandelt sich ja im Laufe des Romans von hier noch der motivierten Kämpferin, wie ich sie wahrnehmen würde. Also klar hat sie auch schon Rückschläge verarbeitet, gerade was die Bereitschaft der anderen Frauen angeht, zu kämpfen, aber sie verspürt schon noch Revolutionsgeist. Genau, aber was passiert oder was ist dann der Auslöser, dass sie irgendwann resigniert und sagt, okay, dem Feminismus ist eigentlich nicht mehr zu helfen und er ist gerade da gut und dran dabei, sich eigentlich aufzulösen. Also was ja eigentlich der Kern des Romans ist, dass die verschiedenen Feminismen, wie man so sagt, die verschiedenen Strömungen, vor allem natürlich der Feminismus der zweiten Welle und jetzt der neue, der dritte, vierte Welle, der intersektionale Feminismus vor allem. Wieso ist sie da sehr frustriert? Ja, kann man sagen. Ja, weil ich frustriert bin, ist sie frustriert. Also ich habe da meine große Frustration hineingeschrieben, wo ich glaube, Feministinnen streiten sich im Netz, in den Medien, im Feuilleton, wo auch immer sie können, um Begrifflichkeiten, um Identitätspolitik, um Sexarbeit, um Religion, Kopftücher. Also es sind ganz viele symbolische Diskussionen und Streitereien. Und es wird überhaupt nicht mehr über das, was ich Gummistiefelfeminismus nenne, gesprochen. Nämlich über solche Sachen wie gleiches Geld für gleiche Arbeit, sexuelle Selbstbestimmung, Altersarmut bei Frauen, solche medizinische, Gendermedizin, diese Fortschritte, die wir nicht machen, Männerverhütung. Also es gibt ganz viele Themen, die einfach seit den 70ern stecken geblieben sind und die niemanden zu interessieren scheinen oder sehr wenige. Und stattdessen werden einfach so akademische Themen verhandelt und damit habe ich das Gefühl, werden demokratische Mehrheiten oder wird ein Potenzial verschenkt und wegdiskutiert, dass uns dann immer wieder eigentlich das Knack bricht bei jeder Wahl. Das sind Frauen, die sich abwenden mit Grauen vor dem Feminismus, wo man nicht mehr Frau sagen darf und so. Also das ist dann quasi diese Sprechpolitik auch. Das beobachte ich und die Simone hat das auch. Also ich möchte jetzt dazu sagen, dass ich nicht Simone bin. Ich bin auch nicht Lilly, aber ich bin, glaube ich, in der Mitte zwischen diesen beiden Generationen oder de facto bin ich das. Und die Simone wendet sich dann eigentlich von dem Feminismus ab, weil sie dann versucht, Revolution zu machen und dann streiten alle nur über Sexarbeit und über das Kopftuch und ich weiß nicht was. Und sie sagt einfach, das ist nicht mehr mein Feminismus und dafür stehe ich nicht mehr zur Verfügung. Und was noch passiert ist, was ich leider ein bisschen vorausgesehen habe, ist, dass wir eine Rechtswende in Österreich haben, wieder mal, und dass die diesmal aber ernst machen und den Frauen so ein Müttergeld und so Mutteralmosen anbieten und die Frauen da dankbar sagen, ja, lieber das als gar nichts. Und so im Hintergrund werden ihnen die Rechte aus der Hosentasche rausgezogen, so wie es in Polen passiert ist oder in den USA. Das sind alles demokratische Länder, das sind alles reiche Länder, das sind jetzt keine rückständigen Staaten. Und trotzdem ist das passiert und der ganze Protest hat nichts genutzt. Also das habe ich halt gesehen, ich sehe das halt gleichzeitig. Ich sehe, wie sowas passiert und dann sehe ich die Diskussionen im Netz über Sternchenfeminismus und das macht mich krank, diese Diskrepanz. Und die habe ich da hinein, die eitert aus diesem Buch heraus, diese Diskrepanz. Das muss ich ehrlich sagen, das war mir ein großes Anliegen, weil es niemand schreibt, außer mir. Ja, es ist ja schon sehr beängstigend, gerade auch, was man jetzt bei der Wahl in Salzburg gesehen hat, dass vor allem die jungen Menschen, dass da die FPÖ einfach als stärkste Kraft gilt. Da kann einem echt Angst und Bange werden. Was lässt sich denn gegen einen antifeministischen Backlash unternehmen? Bildung, glaube ich. Bildung, unterhaltsamer Mainstream, Aufklärung, Gespräche, die das Wort Gespräch verdienen, die Bezeichnung Gespräch verdienen, also nicht geposte und das Aneinanderwerfen von Wahrheiten und wirklich diese Unkultur auf Twitter oder Facebook oder Instagram oder wo auch immer quasi eine Meinung haben zu müssen und sich diese umzuhängen und sich mit dieser eine Identität zu verleihen, das habe ich momentan das Gefühl, dass man sich jetzt nicht mehr schminkt oder Frauen schminken sich jetzt nicht mehr jeden Tag, sondern sie legen sich jeden Tag quasi eine Wahrheit um. So kommt mir das vor. Es gibt nur so diese Sexarbeit ist Arbeit und Postitution ist Verbrechen und eine von diesen Wahrheiten muss man sich quasi umlegen, bevor man aus dem Haus geht oder bevor man ins Netz geht und das ist glaube ich total falsch. Also das ist kein richtiger Ansatz, weil es gibt nicht eine Wahrheit für komplexe Probleme. Es gibt immer mehrere Wahrheiten oder verschiedene Ausprägungsformen. Und würden wir das diskutieren, anstatt es zu posten, würden wir uns zusammensetzen, also würden wir in Real gegenüberstehen, würde sich das ja niemand mehr trauen. Und ich glaube, dass das sehr viel mit den sozialen Medien zu tun hat, die natürlich eine große Vernetzungschance sind, aber eine große Falle einer Vereinfachung, die dem Diskurs nicht dient. Also dem Diskurs schon, aber der Sache nicht. Ich habe das letztens selbst gesehen bei einer Diskussion zur Prostitution, das ist wirklich total aus dem Ruder gelaufen und ich habe gedacht, okay, ich schaue es mir mal an, ob vielleicht irgendwie das Publikum der vortragenden Person eine Möglichkeit gibt, irgendwie klar zu kommunizieren, aber es wurde dann super emotional und es hat einfach nicht mehr funktioniert. Ja, die Diskussionen, die dann in der WG stattfinden, die im TV-Format Big Sister übertragen werden, die funktionieren auch nicht wirklich. hat Puls 24 heißt das, oder? Puls 4, plötzlich Puls 4. Ich habe das mit Ö24 verwechselt. Auf Puls 4 haben sie eine Feminismus-Diskussion gemacht und ich bin mit der Elfriede Hamerl befreundet. Und sie haben diese Elfriede Hamerl vorher, sie haben mir gesagt, möchtest du da hinkommen? Und sie haben gesagt, es kommt darauf an, wer kommt. Und dann haben sie gesagt, es kommt das und das. Und das kamen halt wirklich lauter. Also sie haben die absolut am weitesten voneinander entfernten ideologischen Positionen eingeladen. Sie haben eine Transfrau eingeladen. Sie haben eine super, eine relativ radikale Feministin eingeladen. Sie haben eine super rechte Feministin, also eine ganz rechte Deutsche eingeladen und die Hammerl war irgendwie in der Mitte drinnen, sage ich jetzt mal, und meiner Meinung nach die Einzige, die wirklich fundierte Positionen gehabt hatte. Und das Ganze war wirklich nur darauf aus, auf Krawall gebürstet zu sein. Also das Ganze hatte keinen anderen Sinn, außer dass man schaut, wie die depperten Weiber sich die Augen auskratzen. Also das war quasi der mediale Auftrag, meiner Meinung nach. Hat auch gut funktioniert, also jeder, der irgendwie vom Feminismus was hören wollte, hat das abgeschalten und das ist das, was ich glaube, was schief geht, wenn Medien das übernehmen, also wenn man so Feminismus baut. Und das endet dann halt, dass eine Transfrau zu Elfriede Hamerl sagt, lesen Sie mal irgendwas anderes als das, was Sie immer lesen oder bilden Sie sich mal weiter und ich glaube, dass wir so nicht mehr kommunizieren dürfen. Da ist auch teilweise eine Art mit den Ahnenen unter Anführungszeichen oder mit denen, die vor uns schon für alles Mögliche eingestanden sind und Arbeit geleistet haben, umzugehen. Ich glaube, man kann so nicht mit kanonisierten Intellektuellen sprechen. Also so kann man nicht bei anderen umgehen. Die Lilly versucht ja auch dann bei den Diskussionen, ihre Position klarzumachen und interveniert dann. Genau. Sie hat natürlich auch eine berechtigte, das muss ich jetzt von der anderen Seite auch argumentieren, berechtigte Kritik, dass sie sagt, du kannst nicht immer nur an diesen Grundsätzen festhalten, du musst schauen, wie die Realität ist und wir müssen alle zusammenhalten und das ist ja auch das, was der intersektionale Feminismus eigentlich möchte und kann, dass er über diese ideologischen Grenzen hinweg eine Solidarität schafft. Es ist halt im Alltag relativ schwierig, wenn einfach die Positionen auseinander gehen, aber grundsätzlich wäre es super, wenn alle Frauen zusammenhalten würden, aber das ist halt sehr viel Träumerei und das diskutieren die halt. Und das Problem ist halt, dass diese Diskussion dann auch von den Medien so getriggert wird und so gelenkt wird, dass es wieder darum geht, dass die depperten Weiber sich die Augen auskratzen. Und nicht, dass wirklich kein intellektuelles, gutes Gespräch rauskommt, wo man sich vielleicht darauf einigt, dass man sagt, diskutieren wir über das, was uns vereint und nicht über das, was uns trennt. Wir müssen jetzt zum Beispiel nicht über Sexarbeit sprechen, wenn wir über Altersarmut sprechen. Da sind sich die meisten Frauen einig. Dass sie keine Gewalt erleiden wollen, sind sich auch alle einig. Dass sie wollen, dass ihre Kinder eine gute Bildung wollen. Ich glaube, dass keine einzige Frau auf der Welt sagt, nein, das ist eine schlechte Idee. Dass die Care-Arbeit umverteilt gehört. Es gibt so viele fundamentale Basisfunktionen, die den Feminismus einen könnten und stattdessen wird über kleine Inselthemen gesprochen, die auch wichtig sind, die aber, glaube ich, zu keinem Ziel führen. Die Einzeller. Die Frauen als Einzeller. Die die Frauen zu Einzellern macht, genau. Wollen wir da jetzt noch die zweite Stelle hören, die wir rausgesucht haben? Wir haben ja noch die Romina auch. So, wir waren bei 100, ich habe das schon... 196. Es ist lustig, dass ich das immer einblätter und dann ist es weg. So. 196 haben wir gesagt. Das ist jetzt mitten in einer Diskussion, das ist eigentlich schon relativ weit fortgeschritten. Streiten sich die Simone und die Lilly? Dazu muss man sagen, dass bei einer von diesen Diskussionen eine Sexarbeiterin war, aber jetzt keine Prostituierte, sondern eine super ermächtigte Sexarbeiterin, wie das so oft passiert übrigens im öffentlichen Medien. Und dann gibt es noch eine Diskussion mit einer religiösen Frau, mit einer Muslima. Also es werden halt so ganz klassisch diese getriggerten Themen eigentlich aufgebracht. Und die beiden diskutieren jetzt über was da schiefgegangen ist bei diesen Pixista-Geschichten. Simone lacht plötzlich, steht auf, öffnet die Arme und drückt Lili an sich, viel zu fest. Sie will sich eigentlich wehren, aber sie traut sich nicht, dass es Lili's Position ist. Ihr Gesicht in Simones Pullover gedrückt, den Geruch von Seife und Kaffee hört Simone sprechen. Nicht diesen, mein Schatz, du kannst nicht alles auf einmal richtig machen. Glaub mir, diese richtige Seite, die gibt es nicht, die hat es nie gegeben. Gerade als Lilly sich befreien will, weil sie wenig Luft bekommt, drückt Simone sie wieder an sich. Ihre Stimme hat jetzt etwas Knurrendes im Unterton. Ihr Jungen, ihr habt einen übertriebenen Hang zur Sportlichkeit, wenn es ums Diskutieren geht. Ihr wollt es immer gewinnen. Ihr diskutiert, als würdet ihr freeclimben. Ja, genau. Ihr braucht die Gefahr, die Überhänge. Das vor Angst und Bewunderung zitternde Publikum am Fuße des Berges. Lilly versucht, Simone von sich zu drücken. Lass mich los, sagt sie. Du erstickst mich. Simones raues Lachen dringt zu ihr. Sie spürt, wie der Brustkorb schwingt. Sie gibt nicht nach, wie stark sie ist. Lilly kriegt Angst. So schnell erstickst du nicht. Ihr Sternchenfeministinnen seid zäh. Weißt du, wer erstickt? Die Cis-Heteronormalos. Die kriegen überhaupt keine Luft mehr in eurer Glitzerblase. Die zischen uns alle ab. Simone, es reicht, sagt Lilly. Fasst Simone an den Schultern und drückt sie mit aller Kraft von sich. Es gelingt, aber nur, weil Simone ihren Griff gelockert hat. Lili atmet erleichtert auf und streift sich die Haare aus dem Gesicht. Simone ist aber noch nicht fertig. Frauen, die ihr als Swerfs und Törfs beschimpft, die wissen gar nicht, was eine Swerf und eine Törf ist. Denen geht ein theoretischer Feminismus am Arsch vorbei, weil ihnen das praktische Patriarchat die Zeit zum Lesen und Nachdenken über die weibliche Identität stiehlt. Die können nicht über Judith Butlers feuchte Träume diskutieren, weil sie in ihren ungeputzten Wohnungen und schlecht bezahlten Jobs echte Sorgen haben. ungeputzten Wohnungen und schlecht bezahlten Jobs echte Sorgen haben. Zies-Heterosorgen, Privilegierte, Männersorgen, Geldsorgen, unversorgte Kinder, denen sie die Ungerechtigkeit vorleben müssen, damit sie auch mal zum patriarchalen Normal loswerden. Solche Frauen vergeht der Feminismus schneller, als ihr Sternchenfeministinnen eure Anklage zu Ende gendern könnt. Simone verstellt die Stimme zu einem hohen Seiern. Ihr bösen weißen Feministinnen, ihr Ausgrenzerinnen. Sie schaut böse, ihre Stimme sinkt wieder. Die machen aber die Masse aus. Die verlieren wir gerade an die rechten Mutti-Politikmacher und Almosenverteiler, während wir hier schwafeln und streiten. Ohne diese Frauen kommen wir aber nie auch nur annähernd an die kritische Masse heran, die es bräuchte, um sich konsequent zu erheben. Verstehst du das? Lili sieht in das rote Gesicht, dass sie jetzt etwas Verzweifeltes hat. Diese kritische Masse erreicht man doch nie, denkt sie. Aber sie traut sich nicht, das auszusprechen. Sie fürchtet sich vor Simone, davor, dass sie wieder diese Umklammerung wiederholt. Am liebsten würde sie in ihr Zimmer gehen und sich einsperren, aber Simone würde ihr nachgehen. Die gibt jetzt keine Ruhe, denkt sie. Worüber reden wir eigentlich, fragt Lilly. Über Solidarität natürlich, ruft Simone. Über echte, alltagstaugliche Solidarität. Gut, sagt Lilly. Ich bin mit Ray und Jasmina solidarisch und mit der schwarzen Zwangsprostituierten auch und mit euch auch. So what? Falsch, sagt Simone. Du kannst nicht gleichzeitig mit allen solidarisch sein. Du bist solidarisch mit den Nutznießern von Ray und Jasmina. In jedem Fall sind das Männer. Es ist mir egal, aus welchen Motiven Frauen Männer Dienstleistungen oder Gehorsam verkaufen und wie ermächtigt sie sich dabei fühlen. Nicht egal ist mir, wenn er so zwungen ist. Solange es kein Gegenüber wie männliche Huren oder eine dazugehörige Schattenwirtschaft gibt, dient eine Solidarität dem Patriarchat. Solange es keine Religion gibt, in der Männer rechtlich und gesellschaftlich benachteiligt sind, dient eine Solidarität dem Patriarchat. Solange die elende Transdebatte am Feminismus dranhängt, dient deine Solidarität dem Patriarchat. Solange die elende Transdebatte am Feminismus dranhängt, dient deine Solidarität dem Patriarchat. Und das wissen die Männer. Aber das ist doch absurd, wirft Lilly ein. Ach so, ruft Simone aus. Du diskutierst über die Hure, der Mann kauft sie. Du diskutierst über das Kopftuch, der Mann muss es nicht aufsetzen. Du solidarisierst dich mit den Transaktivistinnen, dem Mann kann es nur recht sein, wenn einer von ihnen auf einem Frauenquotenplatz sitzt. So unsolidarisch wie wir können Männer gar nicht agieren. Vielleicht streiten sie über Steuersätze oder über den Namen des Propheten, aber darüber, dass Frauen sie gratis bedienen, weniger Kohle kriegen sollen und nicht an die Macht kommen sollen, darüber sind sie sich einig. Keiner von denen verbrennt sich die Finger mit Forderungen, von denen er nichts hat. Lili spürt, wie sie rot wird. Aber sich nicht mit den Sexarbeiterinnen und Kopftuchträgerinnen zu solidarisieren, heißt eine große Gruppe von Frauen auszuschließen. Die brauchen wir doch auch. Lies doch einmal was anderes als deine Zweiterwelle, Feministinnen. Mein Kind, sagt Simone jetzt zärtlich, ihr klugen jungen Frauen, die ihr so beherzt an alle denkt. Ich kenne diese empathische sozialistische Ursuppe. Ich bin lange genug in ihr geschwommen. Du musst mir jetzt ordentlich zuhören. Mir ist die Prostitution oder die Sexarbeit egal. Aber Propaganda für Prostitution oder die Sexarbeit egal, aber Propaganda für Prostitution während eines Frauenabendessens, das ist obszön, genauso wie die Propaganda für ein Verbot obszön ist. Die Obszönität liegt darin, dass wir den Männern den Gefallen tun, es für sie zu diskutieren und uns dabei zu entzweien. Und jedes Mal, wenn wir darüber diskutieren, diskutieren wir nicht über die ungleiche Bezahlung oder Femizid oder die gläserne Decke oder über das, was in diesem Land auf uns zukommt. Das Prostituierten-Thema ist Zeitverschwendung, gerade in Zeiten wie diesen. wenn unsere Gehaltsschere nicht schließen und sie werden das Abtreibungsverbot, das jetzt gerade kommt, nicht wegzaubern und auch nicht die kommende Regierung. Dankeschön. Vielen Dank. Vielen Dank, Gertraud. Vielen Dank, Gertraud. Ja, ich würde sagen, wer wissen möchte, was noch passiert im Bienenstock und mit Simone, der oder dem sei das Buch auf jeden Fall ans Herz gelegt. Und es geht weiter mit einer weiteren sehr treffenden Gegenwartsanalyse. Einer humorvolle. Liebe Romina, schön, dass du hier bist, bei mir auf der Bühne. Auch hier mit dir einmal zu Beginn kurz den Cover-Check. Tipptopp. Was sehen wir denn hier? Wir sehen den Rand eines Sees, also das Ufer. Des offenen Gewässers. Des offenen Gewässers, das Ende des offenen. Und das offene Gewässer liegt in Liebstadt. Genau. Liebstadt am See, ein fiktives Kleinstädtchen, hat aber wahrscheinlich ein Vorbild in der Realität dieser Stadt. Ja, also das kann ich anhand meiner eigenen Biografie nicht ganz leugnen, aber es kann rein theoretisch jeder Ort in Österreich sein, der irgendwie von der Natur bevorzugt ist, wo touristisches Geld zu Hause ist. Vielleicht klingelt es jetzt bei Ihnen im Publikum, welche Kleinstadt hier gemeint sein kann. Es gibt ja auch den Liebstatter Sonntag. Liebstatt Sonntag. Liebstatt Sonntag, genau. Der Namensgeber für den Ort ist, nehme ich an. Ich würde ein paar Sätze zum Inhalt sagen und dann steigen wir auch mit einer ersten Lesepassage ein, damit wir ein Gefühl bekommen für den sehr fantastischen Text. Also der Roman ist in zwei Teile aufgeteilt. Der erste heißt Liebstadt, wie schon gerade gesagt. Der zweite dann Stadtlieb. Es deutet schon an, wie es weitergeht. Es ist im ersten Teil die Coming-of-Age-Geschichte von Elfie, der Protagonistin, die bei ihrer Großmutter aufwächst, im höchst idyllischen, aber provinziellen Liebstadt am See. Ihr Aufwachsen ist geprägt von Abschiedsängsten und auch von Ausgrenzungen. Sie möchte eigentlich immer dazugehören zur Gesellschaft, aber die Gesellschaft nimmt sie nicht so auf, wie sie sich das wünschen würde und sucht sich kleine und große Gefährten. Das ist wunderschön am Anfang. Es wird beschrieben, wie sich Elfi zum Beispiel Eier mit nach Hause nimmt und versucht, die mit einer Infrarotlampe auszubrüten. Was aber nur zu einem üblen Gestank im Schlafzimmer führt. Und die Großmutter, bei der sie aufwächst, die bekommt das natürlich auch mit. Um aber doch dazu zu gehören oder versucht sie sich in verschiedene Gesellschaften einzuklinken, zum Beispiel entdeckt sie ihre Leidenschaft fürs Schwimmen, aber die ist auch nur so halb vorhanden. Ich hoffe, wir werden jetzt durch den kleinen Leseeinblick hören, was da genau vor sich geht im Schwimmverein, dem sie dann beitritt. Und ja, bitte. Dankeschön. Also nach dem Eier-Desaster gibt die Elfe das auf, den Gefährten in Form eines Haustiers zu suchen, sondern hält sich lieber an echte Menschen und geht dazu in den ortsansässigen Schwimmverein. Nach einigen Monaten regelmäßigem Schwimmtraining erhielt ich endlich einen Vereinsjogginganzug und eine Vereinshaube, zusätzlich noch zwei mit dem Vereinslogo bestickte Badeanzüge, auf die ich besonders stolz war. ein Heer aus fliederfarbenem Polyester einreihen konnte, das Rascheln der aneinander reibenden Oberschenkel meiner Vereinskollegen als einzige Geräuschkulisse, wenn wir erschöpft von einem erfolglosen Wettkampf in Richtung Bus marschierten, einzig getragen von der vagen Hoffnung, auf der Heimfahrt an einem Fastfood-Restaurant Halt zu machen. Ich selbst war dürr und hatte keinen Busen, körperliche Merkmale, die mir bald den Spitznamen Steckerlfisch einbrachten. Noch Jahre später, wenn ich als erwachsene Person auf einen ehemaligen Kollegen aus dem Verein traf, begrüßte er mich unpassenderweise mit meinem alten Spitznamen. Den Steckerlfisch wurde ich nicht los. Mich störte es nicht weiter. Kulinarisch schätzte ich diese regionale Besonderheit. Schlicht und salzig, daran konnte nichts Schlechtes sein, zu dem ich mich meiner Meinung nach wendig wie ein Fisch bewegte im Wasser, vielleicht wie eine Schratze, eine richtige Killerschraze mit magerem, aber festem Fleisch, klein, unverwüstlich und zur Attacke bereit, selbst wenn die Lage aussichtslos erscheinen mochte. Mein eigener dürftiger Körperbau hinderte mich jedoch nicht im geringsten daran, alle männlichen Kollegenkörper im Detail zu studieren. Die engen Badehosen zeigten bei jeder Rollwende stilvoll, was der Tragende zu bieten hatte, insbesondere wenn die stete Exposition im Chlorwasser für stoffliche Transparenz sorgte. Meine Partnersuche im Verein musste sich leider hauptsächlich auf die körperlichen Aspekte konzentrieren, da man über 50 Prozent der gemeinsamen Zeit unter Wasser verbrachte und dadurch die Kommunikation empfindlich eingeschränkt wurde. Rund um das Training war die Zeit knapp bemessen. Die Duschen wurden nach Geschlecht getrennt, beim Haare föhnen war es ein Ding der Unmöglichkeit, die Lautstärke dauerhaft zu übertönen, um unverbindlich nach gemeinsamen Interessen zu forschen. So hatte ich mir das eigentlich nicht vorgestellt. Es blieb mir nur die verhältnismäßig kurze Zeit im fahrlässig überfüllten Vereinsbus ebenfalls suboptimal, da nach dem Training eine allgemeine Grunderschöpfung vorherrschte, die ich mit meinem Hang zu tief schürfenden Gesprächen nur störte. Niemand hatte Lust, mit mir über die anstehenden Gemeinderatswahlen zu diskutieren, vor allem nicht die Kinder des Bürgermeisters, die ungerechterweise immer vorne beim Fahrer sitzen durften. Leider gab es auch keine schwimmenden jugendlichen Naturwissenschaftler im Verein, nur farblosen männlichen Nachwuchs für Bank und Büro. Somit verlor ich schnell das Interesse an den vorhandenen potenziellen Partnern, was eventuell zu einem großen Teil daran lag, dass sich auch niemand für mich interessierte. Meine sportliche Antriebslosigkeit war innerhalb kurzer Zeit stadtbekannt. Kaum ein Training verging, ohne dass mir der entnervte Trainer seinen Badeschlapfen ins Becken hinterhergeschleudert hätte, wenn ich mich zwischendurch leblos auf den Bauch treiben ließ, die Haare schlängelnd vor dem Gesicht wie Medusa spielerisch den Tod vor Augen. Ich verweigerte prinzipiell die Rückgabe. So hatte er pro Training genau zwei Gelegenheiten, um einen cholerischen Anfall mit korrespondierender körperlicher Attacke zu bekommen. Irgendwann unterließ er es und akzeptierte, dass ich nicht bereit war, ohne Grund an meine körperlichen Grenzen zu gehen. Diesen dauernden Willen zur Grenzüberschreitung im Sport konnte ich nie nachvollziehen. Im Gegenteil, ich fand, er war ein Ausdruck grundlegender Verzweiflung im Angesicht der unvermeidbaren Tatsache, dass jeder einzelne Körper ohnehin früher oder später die relevanten Funktionen der Reihe nach einstellte. einem vulgären Knall zerriss beim hektischen Überziehen und mir dabei auch noch den halben Schädel skalpierte, nur weil der Trainer drängelte und mich unter Stress setzte. Die Großmutter würde ihrem Unmut über meinen exorbitanten Badehaubenverschleiß zu Hause deutlich Ausdruck verleihen, da erlaubte ich mir keine Illusionen. Egal was ich machte, ich konnte nur verlieren. Der Trainer rollte daraufhin mit den Augen, schlappte bedrohlich auf mich zu, klatschte mehrmals laut in die Hände und schrie zurück. Keine Faxen jetzt, Steckerlfisch. Zack, zack, zack, rein ins Becken, sonst schmeiß ich dich. Und zehn Längen Graulbeine extra. Ich fühlte mich wahrhaftig, sehr unwohl in dieser Aura der aufgesetzten Unsterblichkeit, die dem Vereinssport künstlich anhaftete. Die freizeitraubenden Wettschwimmen am Wochenende verabscheute ich mit Inbrunst und nutzte sie hauptsächlich dazu, heimlich die selbstgebackenen Mehlspeisen willfähriger Vereinsmütter in mich hineinzustopfen und schon im Vorlauf erbärmlich abzusaufen. Meistens musste man mich sogar wiederholt aufrufen für den Wettbewerb. Ich hatte schnell gelernt, alle Ansagerstimmen auszublenden, um ungestört die opulente Kuchenwelt am Buffet genießen zu können. Gut gemachte Raffaello-Schnitten konnten mein Wochenende retten, wenngleich ich einmal im Eifer des wiederholten Aufrufes Kokosraspel in die Luftröhre bekam, hustend am Startblock stand und einen Fehlstart provozierte, weil ich dringend einen Schluck Wasser brauchte und sei es nur Geklortes, um nicht in aller Öffentlichkeit zu ersticken. sei es nur Geklortes, um nicht in aller Öffentlichkeit zu ersticken. Die ansonsten entzückende Frau des Trainers schrie mich danach vollkommen außer sich an und gab mir eine Tachtel auf den Hinterkopf, wahrscheinlich aber nur, weil ich ihre Riebiselschnitten ignoriert hatte. Geschmacksarmer, aber dafür latent schleimiger Eischnee, beim Verspeisen rasant zersetzt von der gnadenlosen Säure dieser harmlos wirkenden Beeren, es gab wenig Unappetitlicheres, dass trotzdem das Privileg genoss, sich Süßspeise nennen zu dürfen. Als mein Trainer mitten in der laufenden Saison ankündigte, dass wir in zwei Wochen zu den Europameisterschaften nach Wien fahren durften, war ich dementsprechend ungehalten. Diese Verlautbarung klang äußerst wichtig, auch für eine Bewegungspragmatikerin wie mich, und ich fand, er hätte unsere Teilnahme ruhig früher bekannt geben können. Trotzdem war ich zu stolz, um genauer nachzufragen. Im schlimmsten Fall erhöhte sich einfach nur das Arbeitsvolumen bei Nachfrage und ich hatte wahrlich keine Lust auf dringend notwendiges ergänzendes Krafttraining. Jedoch stellte ich präventiv alle Faxen für die folgenden fünf Trainingseinheiten ein. Das bedeutete keine ausgedehnten Klopausen unter der heißen Dusche mehr, kein lebloses Herumtreiben im Becken, keine plötzliche Bahnenzähldiskalkulie zu Ungunsten der Trainingsdistanz. Ich schwamm nach Ansage und konzentrierte mich auf die Technik, denn mit Kraft konnte ich nicht punkten. Im Gegenteil, meine Ärmchen wurden regelmäßig als Schwachstelle adressiert. An besagtem Tag packte ich in stiller Aufregung, schließlich wurde das Fernsehen erwartet, meine Schwimmtasche, um während der Gespräche im eigens angemieteten Reisebus in einem körperlich erregenden Wechselbad der Gefühle festzustellen, dass wir nur als Cheerleading-Truppe für eine berühmte Schwimmerin fungieren sollten. Natürlich, was auch sonst, ich gluckste fröhlich in mich hinein, von niemandem ertappt worden zu sein bei einer derartigen Selbstüberschätzung. Jeder von uns sollte einen Pappmaché-Buchstaben ihres Namens hochhalten, wir schafften es sogar in die Zeit im Bild damit. Ich hielt das L und war wirklich den ganzen Tag hindurch erleichtert, nicht selbst starten zu müssen. Nie wieder habe ich jemanden mit solcher Emphase angefeuert. So viel Mitleid hatte ich mit dieser Frau. Go, go, go, zirk! Dass Holz aus dem Spitzensportlerinnen geschnitzt sind, war in meinem Fall wohl eher Fournier. Vielen Dank für diese sehr eindrückliche Lesestelle. Ich glaube, wir sind jetzt alle ganz genau bei Elphi und können uns vorstellen, was sie so umtreibt. Wie hast du denn den Ton von Elphi gefunden? Hat er oder, ja, weil es ist ja schon... Also die Elphi hat eigentlich mich gefunden, hat sie aufgestaut bis zu dieser Vogelgeschichte. Also der Beginn des Romans war tatsächlich auch der Beginn meines Schreibens und nur anhand dieser ersten Szene war mir die Figur dann sehr greifbar schon, auch in ihrem Ton, in ihrer Distanziertheit irgendwie, obwohl sie so bemüht ist mit dem Rest der Gesellschaft, in ihrer einsamen, eigenartigen Art. Okay, das wäre auch eine Frage gewesen, ob erst die ältere Elfie da gewesen ist und dann die Jugend, die Kindheit dazukommt. Ja, zuerst die junge Elfie. Die junge. Und diesen besonderen Geschmack, den sie hat. Also ich finde, Nahrung hat auch einen besonderen, oder die Nahrungsaufnahme hat einen besonderen Stellenwert bei Elphi. Ja, also meine Lektorin war eh sehr streng mit mir. Da sind mehrere Seiten über Kuchen-Weltexkurse rausgestrichen worden. Das war schon bei meinem ersten Roman so. Da war es nur Wurstware, jetzt ist es Mehlspeise. Es scheint ein Autorinnenproblem zu sein. Ich bin froh, dass die Wursttheke als Rettungsinsel für Elphi aber geblieben ist. Ach so, ja, stimmt. Die kommt am Rande jetzt vor. Aber es wurde weniger. Im zweiten Teil wohnt Elphi dann plötzlich an einem Haus am See. Und was nicht erzählt ist, was in so circa 20 Jahren dazwischen passiert ist. Genau, also sie sucht ja im ersten Teil nach Gesellschaft, versucht es so über ganz banal ein Haustier, über Vereinswesen irgendwie dann einen Mann zu finden, einen Partner, einen Gefährten und schafft es auf eine sehr unorthodoxe Art und Weise auch, aber die guten Jahre sind nicht erzählt. Genau, die werden ausgespart. Also wo manche Romane erst eigentlich anfangen, um die glückliche Zeit, die müssen sich die LeserInnen einfach denken. Genau, der zweite Teil setzt dann wieder mit diesem Scheitern, mit diesem Zurückgeworfensein ins Alleinsein, setzt er ein mit dem Unterschied, dass sie nicht mehr versucht, da teilzuhaben. Also das geht eher in eine Bedrängnis, die sie jetzt empfindet, in eine Resignation und am Schluss dann eigentlich in eine Eskalation mit diesem Ort, der so wehrhaft ist, ihr gegenüber. Genau, also es gibt ja auch einige Figuren, zum Beispiel die Nachbarn von Elphi, mit denen sie regelmäßig, also die sie zwar regelmäßig trifft, wenn sie zum Beispiel nach ihrem täglichen Schwimm-Exkurs im See wieder zurückkommt. Sie versucht aber, jeglichen Kontakt eigentlich zu vermeiden. Eben, sie zieht sich zurück und wird auch manchmal attackiert von anderen Dorfbewohnern. Sie fühlt sich so bedrängt von diesen Anforderungen einer ländlichen Struktur, so mit dieser Offenheit, die von ihr verlangt wird. Da hat sie keine Lust drauf im zweiten Teil. Sie will dann nicht mehr dabei sein. Sie will ihre Ruhe. Hören wir doch den Beginn des zweiten Teils. Dann wird das, glaube ich, unserem Publikum auch sehr schnell klar, wie der Gemütszustand von Elphi sich gewandelt hat. Seit er nicht mehr da ist, leide ich an unkontrollierbaren Wutanfällen, die einer erwachsenen Frau mehr als unwürdig sind und ich gebe mein Bestes, mich zu zügeln. Offensichtlich und für mich beschämend diente der Mann wohl als eine Art Puffer zwischen mir und der Welt, warf sich regelmäßig mutig hinein in meine Gefühlsstürme und zerhackte sie dadurch in unschädliche Lüftchen. Zwar nehme ich mir immer wieder aufs Neue fest vor, mich nicht von meinen Emotionen überwältigen zu lassen, mich mit autogenem Training hindurch zu atmen durch jegliche Aufwallung, weil ich jetzt allein und ungeschützt leben muss, ein rationaler Geist wie der meine, sollte diese Herausforderung gewachsen sein, bloß habe ich nicht mit der wachsenden Vulnerabilität gerechnet, die mich nach Jahren der Isolation im Seehaus immer zügiger in unberechenbare Einzelteile zersetzt. Ich hatte mich hier eingerichtet, das Haus nach der Scheidung als optimalen Ort zum dring aus meiner kurzen Zeit als Schauspielerin, aber ich habe diese prägnante Anleitung für viel mehr als das Rollenstudium gebrauchen können. Sie ist beispielsweise auch ein gutes Mantra für fast alle sexuellen Aktivitäten, hilft bei der Gartenarbeit ebenso wie bei der jährlichen Autoreinigung oder eben zur oberflächlichen Erststabilisierung nach schwerwiegenden Lebenseinschnitten. Ein neuer Wasserhahn mit Kohlensäurekartusche und heißem Teewasser auf Knopfdruck wirkt beispielsweise hervorragend gegen aufsteigende melancholische Tendenzen. Ich kann ihn auch mit Tränenschleier vor den Augen bedienen oder mit zittrigen Händen mir jederzeit innerhalb weniger Sekunden einen Beruhigungstee zubereiten. Ich besitze dafür eine Art Setzkasten, meinen kräutergefüllten Erste-Hilfe-Koffer, in den verschiedene Teebeutel, die teuren pyramidenförmigen aus Biokunststoff ohne Metallklammern, passend etikettiert zu meinen gängigsten Gemüts- und Körperregungen einsortiert sind, gut sichtbar durch eine Glasscheibe. Ihre blumigen Namen, erdacht von misogynen Altwerbern, schwärze ich mit Edding und ersetze sie durch Eigenkreationen. Es wird schon wieder zwicke die Zwack, habe ich durch das Leben ein Krampf ersetzt. Diese reaktionären Beutel dulde ich ausschließlich aufgrund ihrer hervorragenden Holunderblütennote, die ich leider trotz engagierter Recherche nirgendwo sonst in dieser Intensität finden konnte. Meine ganzheitliche Blase der Bequemlichkeit darf unter keinen Umständen gestört werden. Dazu kleide ich mich in weichste Wolle. Das Fußbett meiner Schuhe ist vorsorglich maßgefertigt. Ich ertrage keine Druckstellen mehr an den Zehen. Sie haben jedes Recht, locker nebeneinander liegen zu dürfen. Meine Bettwäsche ist aus Flanell im Winter, ägyptischer Baumwolle in den Übergangsjahreszeiten und Leinen im Sommer. Trotzdem wache ich oft schweißgebadet auf. Ganz vermeiden lässt es sich nicht, aber wenigstens signifikant reduzieren. Die Albträume sind die eine Sache, aber synthetische Materialien eine andere. Sie spornen meine Schweißproduktion noch zusätzlich an. Ursache und Wirkung verschwimmen dann zu einem nicht näher identifizierbaren Brei, dem ich nur durch sorgsame Auswahl meiner Nutztextilien entgegenwirken kann. Doch wenn trotz aller Vorsichtsmaßnahmen etwas schief geht, ich beispielsweise eingehüllt in mein Kaschmir-Pläter auf dem ergonomischen Fernsehsessel schon im Begriff sanft einzunicken, einen Politiker im Fernsehen Stumpfsinn reden höre, auf, dass ich herumschreie. Ich fühle die sedierende Weichheit meiner Gewandung nicht mehr. Die Körperhärchen stellen sich allesamt auf und halten mir die Wollfasern vom Leib wie abwehrend ausgestreckte Hände. Es ist vorbei mit dem mühevoll arrangierten Ruhezustand. Lautstark beschimpfe ich seine lächerliche Frisur, das fleckig aufgetragene Streuhaar der Maskenbildnerin, dessen krebserregende Partikel sich mit dem Hautfett zu einer hellbraunen Schmiere vermengen. Vorgetäuschte Virilität ist ausnahmslos ein Warnzeichen. Umso brutaler agiert der Mann, dem täglich anhand dieser demütigenden Kaschierungsbemühungen des Haupthaarschwundes in schmerzhafter Deutlichkeit der physische Niedergang vor Augen geführt wird. Ich verstehe nicht, wie man so jemandem mit einer Wählerstimme sein Vertrauen aussprechen kann. Nehmt euch in Acht vor den Gefärbten, den Trappierten, den Gepuderten oder gar den Implantierten. Sie haben nichts mehr zu verlieren, verehrte Damen und Herren. Unter Umständen schlage ich vor lauter Wut mit der flachen Hand auf dem Panzerglastisch neben meinem Fernsehsessel mehrmals eiskalt und in vollem Bewusstsein die unvermeidbare Verletzung in Kauf nehmend, indem ich die Intensität der Schläge parallel zu meinen Flüchen steigere, bis ich die kleinen Äderchen in meinem Daumenballen platzen spüre, tausende lebendige Nadelstiche gegen all die Ungerechtigkeiten. Für diesen Fall, ich wünschte, ich könnte ihn als absolute Ausnahme bezeichnen, besitze ich eine ergonomische Daumenschiene, die mir in den Wochen darauf Linderung verschafft, wenn ich nicht mehr fähig bin, die adäquate Menge Zahnpasta schmerzfrei aus der Tube zu drücken. Unter allen Umständen jedoch beschimpfe ich den schlecht sitzenden Anzug des Politikers, ein leichtes Fürwahr, die Schuppen, die auf die Schultern rieseln und die erbärmlichen Ansichten noch eine Spur erbärmlicher machen, als würde sein Gehirn einfach ausflocken bei derartiger Einfältigkeit. Ich beschimpfe auch seine dumme, gefügige Frau, seine stumpfsinnigen Kinder mit den engstehenden Augen, seinen schwulen Geliebten, den er beim Cruising am Herr-Nalser-Gürtel in Wien kennengelernt hat, seinen gottverdammten Bleifuß auf der Autobahn, den widerwärtig maßlosen Schweinefleischkonsum in der Grillsaison und schlussendlich schon erschöpft und mit brechender Stimme seinen haarigen Hängearsch, den reizlosen Faltenwurf, der hervorragend mit den haarigen Hängetestikeln korrespondiert. Eventuell beruhige ich mich kurz aus Gründen der Stimm- und Gemütsschonung und fasse einen immer wiederkehrenden, nie umgesetzten Plan, der meinem Leben für einen Moment wieder Sinn einhaucht. Ich möchte den Männern das Altern ebenso verleiden, wie es den Frauen verlitten wird, indem ich eine breit angelegte ästhetische Offensive gegen Hängetestikel starte. Sie sollen gesellschaftlich ähnlich verächtlich im Diskurs abgestraft werden wie ihr weibliches Pendant der Hängebusen. Auf Social Media ließe sich das gut anstellen. Es müsste viral gehen. Eine hässliche Animation schwingender Hängetestikel unterschiedlicher Größe, wild behaart und auf jeden Fall runzelig, dazu als Hintergrundmusik dieser eine große Hit von Marianne Mendt. Bei erfolgreicher Mobilisierung der Öffentlichkeit könnte ich dann Jahre später die Früchte meines Erfolges ernten, wenn im österreichischen Privatfernsehen der Leidensweg eines körperbewussten Geografie-Professors kurz vor der Pensionierung dokumentiert würde, dieser im Interview vor der mittlerweile im Mainstream angekommenen Testikelverjüngung beim Senderchirurgen wortreich seine Beweggründe erläuterte. Ich mache das ausschließlich für mich selbst. Und nach der Werbung dann etwas wortkarger. Ich bin doch überrascht, dass die Schmerzen so lange anhalten. Auf dem Rückenläge mit einem Eisbeutel zwischen die Oberschenkel geklemmt, eine Woche nach dem erfolgreichen OP-Termin. Ich muss lachen bei der Vorstellung, spiegle mich dabei im Fenster, die Stirn glatt, die Nasenseitenwände kräuseln sich wie Krepppapier. Manches bleibt ein Traum, übrig nur die Wut. Vielen Dank. Applaus Und die letzten Seiten zeigen uns, dass sie dann doch eine Art Frieden findet. Ja, schön formuliert. Ganz deutlich. Aber mehr möchte ich, glaube ich, nicht verraten an der Stelle. Aber eine Sache würde ich da noch wissen möchten. Es ist ja ein Schelmenen-Roman, der rückblickend erzählt wird von ihr und das heißt ja eigentlich, dass sie noch lebt, oder? Weil sonst könnte sie die Geschichte ja nicht erzählen. Genau das. Also das ist ein Rückblick aus einer geläuterten Situation raus, wie so nicht unüblich beim Schelmen-Roman. Vielen Dank für diesen wunderbaren Roman. Ich glaube, falls es noch Fragen gibt, dann wäre jetzt die Möglichkeit auch an Gertraud Klemm. wäre jetzt die Möglichkeit auch an Gertraud Klemm. Ich weiß nicht, wie es im Publikum aussieht, ob es direkt irgendetwas anzumerken gibt. Sonst gibt es auch noch die Möglichkeit, dann im Zweiergespräch etwas zu fragen, beim Signieren zum Beispiel des gekauften Buches hinten am Büchertisch. Vielen Dank. Es war eine sehr große Freude, die Stellen von euch vorgelesen zu haben bekommen. Danke. Dankeschön. Danke.