13. Dezember. Zurück. Ernst, 46, selbstständiger Grafiker, eigenes Stadtbüro mit drei Angestellten. Haus im Villenviertel der Stadt, seit 15 Jahren verheiratet, mit Monika, 40, zwei Kinder, Teresa, 13 und Hanna, 10. Die Hochzeit, damals eine Sensation. Ernst, ein bunter Hund in der städtischen Kulturszene, eine Werbekampagne für die Stadt, hatte ihn schlagartig berühmt gemacht. Die Frauen schwärmten von ihm. So toll, so männlich, so kreativ, so höflich, so zärtlich. Die Männer sahen einerseits zu, dass sie in seiner Nähe waren, wann immer es ging. Mann mit Riecher, Powermann, Karriere-Typ, Verführer, Abschlepper. Es konnte leicht etwas abfallen für sie, Frauen und auftragsmäßig. Die andere Seite verachtete ihn, ließ kein gutes Haar an ihm, Aufschneider, Großmaul, Chauvy, Auspresser, Sklaventreiber, Pseudokünstler. So war es kein Wunder, dass damals sogar die Seitenblicke bei seiner Vermählung dabei waren. Natürlich hatte er vorher einen Spezi von der Redaktion sehr dezent auf das Ereignis hingewiesen. Riesenfete mehr als 500 Leute in der Barockkirche, Geladene und Ungeladene, noch immer etwas, etwa die Hälfte auch am Abend mit Tanz und Live-Karaoke-Wettbewerb bei einem Weinbauern. Lange her das alles, lange her, sehr lange. Inzwischen nicht mehr ganz oben, Job und Frauenmäßig, aber noch immer gut im Geschäft. Haus- und Hoflieferant der Stadt, wenn es um Werbung ging. Und die Tage, an denen er länger arbeiten musste, wurden mehr. Nicht, dass Monika sich nicht aufgeregt hätte, nein. Sie hatten sich arrangiert. Sie, die Kinder, das Haus, er, die Arbeit, das Geld verdienen. Kein Problem nach 15 Jahren. Kein Problem. Oder doch? Seit mehr als einem halben Jahr sitzt er nicht so lange am Schreibtisch seines Stadtbüros, wie das Monika erzählt. Seit mehr als einem halben Jahr hat er eine Fixe. einem halben Jahr hat er eine Fixe, Karin, 27, Single, Sekretärin in einer anderen Werbeagentur. Niemand weiß etwas, sie gehen nie gemeinsam aus, treffen sich nur bei ihr. Und nachher geht er immer noch auf Lokalrunde, wird dort gesehen, da gesehen. Immer alleine und abgearbeitet. Kommt direkt aus dem Büro. Braucht noch einen Trink zum Abspannen, bevor er nach Hause fährt. Und manchmal treffen sie sich zufällig, Monika und Ernst. Dann sind sie beide sehr verwirrt. Sie stellt ihm ihre jeweiligen Begleiterinnen oder Begleiter vor. Er zeigt sich gut gelaunt, aber müde, fährt dann bald nach Hause. Sie kommt meist auch gleich nach. Und im Sommer haben Karin und Ernst eines Nachts beschlossen, dass sie Weihnachten gemeinsam feiern wollen. Karin war ihm so zur Traumfrau geworden, dass er sich gar nicht mehr vorstellen konnte, mit einer anderen Frau als ihr und natürlich Monika im Bett zu liegen. Alle seine Träume konnte Karin erfüllen. Sie war schlank und kleinbrüstig, sie war aktiv und kreativ, sie war ein Hammer. Warum also nicht? Wer weiß, vielleicht konnte er Monika sogar dazu überreden, sich scheiden zu lassen. Mit der nötigen Abfindung würde sie doch wohl dazu zu bewegen sein. Aber alles zu seiner Zeit. Zuerst der Test zu Weihnachten. Weihnachten. Ernst hatte Reisekataloge besorgt und bei Karin waren sie dann nebeneinander beuchlings auf dem Bett gelegen und hatten, wie die 18-Jährigen, die Angebote nach dem passenden Ziel für ihren ersten gemeinsamen Urlaub durchgestöbert. Sonne, Sandstrand, Palmen und Meer. Karin war geschockt gewesen von den Preisen. Kein Problem für Ernst. Sie sollte sehen, was er sich leisten konnte. Club Med, vier Ziele, waren in die engere Wahl gekommen. Eins auf den Turks und Kaikos Inseln Mittelamerika. Flaschen tauchen, Wind surfen, Wasserskis, Segeln, fliegendes Trapez. Eins auf den Matletiven, Flaschen tauchen, Wind surfen, Segeln, Hochseefischen. Eins auf Mauritius, Wasserski, Wind surfen, Segeln, Golf. Eins auf Französisch-Polynesien, Flaschen tauchen, Wind surfen, segeln. Geworden ist es dann Turquois. Entscheidungskriterium, Katalogtext. Dieses Clubdorf ist volljährigen Gästen vorbehalten. Wunderbar, keine Kinder, nur sie zwei. Zwei Tage später war gebucht. Mr. und Mrs. Ernst. Tickets und Reiseunterlagen im Stadtbüro. Dann das Gespräch mit Monika im Herbst. Überarbeitet, ausgebrannt, keine Ideen mehr. Druck steigt, Auftrag von der Stadt für Werbelinie für neues Museum wackelt. Gürtel enger schnallen, falls notwendig. Ausweg, Abschalturlaub. Ohne Kinder. Zu Weihnachten. Und Monika. Ohne Kinder. Ohne mich. Ernst ist sauer. Monika soll es sich überlegen. Auch für ihre Beziehung gut. Nach 15 Ehejahren läuft nicht mehr so rund wie früher. Kinder einmal ausklammern. Monika sagt nein. Funkstille. Zwei Wochen. Dann Monika. Also gut, Weihnachtsurlaub ja, aber sie mit den Kindern eher alleine. Ernst? Hat keinen Geldscheiß, dann musst du die Kohle erst einmal verdienen, die du so rausschmeißen willst. Funkstille. Eine Woche später ein neuer Vorschlag von Monika. Du zahlst für die Kinder, ich treib das Geld für mich schon irgendwie auf. Ernst? Wo willst du denn das Geld hernehmen? Ist doch wieder nur meines. Funkstille. Dann geht alles Schlag auf Schlag. Die Kinder jammern, sie wollen mit Mama und Papa Weihnachten feiern. Monika hat einen Sponsor für ihre Urlaubskosten aufgetrieben, den sie nicht nennen will. Karin findet, dass Ernst ziemlich abbaut in letzter Zeit. Ernst entdeckt an Karin, dass sie immer öfter unzufrieden herumnörgelt, wenn er in der Nacht von ihr wegfährt. Er trifft Monika bei seinen nächtlichen Streifzügen dreimal mit demselben Begleiter und hört auf seine Frage, wer das ist, von ihr nur, dass er ein guter Bekannter ist von früher. Auch, dass die Kinder immer wieder mehr Kontakt zu ihm suchen, macht ihn stutzig. Er fragt sie, wer so anruft, wenn er abends nicht da ist. Sie wissen es nicht. Männer oder Frauen, fragt er. Männer. Seid ihr oft alleine am Abend? Naja, zweimal in der Woche. Wo geht denn die Mama da hin, wenn sie euch alleine lässt? Ins Kino zu vorträgen, auf ein Glaserl Wein. Mit wem? Wissen wir doch nicht, frag sie halt. Dann wieder mit Monika. Du vernachlässigst die Kinder, bist viel zu viel unterwegs. So war das nicht ausgemacht. Wo bist du immer, wenn du sie alleine lässt? Na hallo, so haben wir nicht gewettet. Was ist mit deiner Vaterpflicht? Wo bist du immer, wenn du sie alleine lässt? Na hallo, so haben wir nicht gewettet. Was ist mit deiner Vaterpflicht? Wo bist du, wenn du um zwei oder drei Uhr früh nach Hause kommst? Ich arbeite bis zum Umfallen, damit ich die Kohle verdiene, die du dann ausgibst. Ich arbeite. Nennst du das Arbeiten, wenn ich dich um ein Uhr früh in einer Bar treffe? Das brauche ich nach der Arbeit. Ich muss meinen Kopf leer bekommen. Aber du, warum treibst du dich nach Mitternacht in Lokalen herum mit guten Bekannten, anstatt zu Hause bei den Kindern zu sein? Jetzt reicht's. Du brauchst mir keine Vorschriften machen. Kümmer dich endlich wieder einmal um die Mädel. Die wissen ja gar nicht mehr, wie du aussiehst. Und tschüss von Ernst und zu Karin. Und Herz ausschütten. Und sie hört ihm zu und dann ganz ruhig. Ist das nicht dein Problem? Und Tschüss von Ernst. Und dann steht er in seiner Stammbar und lässt sich volllaufen. Taxi ins Stadtbüro, schläft auf der Besprechungscouch. Dann ruft Monika an. Moment bitte, sofort. Und ernst? Ja, was ist? Du, ich kann jetzt nicht. Nein, ich war die ganze Nacht im Büro. Ich habe um zehn eine Besprechung. Wie lange dauert die, Frau Karin? Bis zwölf? Also ich bin um ungefähr zwölf, Viertel nach zwölf, eher halb eins daheim. Passt das? Na gut, ich bin neugierig, was du mir zu erzählen hast. Ernst lässt sich die Unterlagen geben, setzt sich hinter seinen Schreibtisch, bereitet sich vor. Die Besprechung zieht sich. Er ist nicht bei der Sache. Halb zwölf. Erledigt. Positiv. Ein gutes Zeichen. Ernst lässt Karin ein Taxi rufen, holt sein Auto ab, fährt nach Hause. Monika ist angespannt. Ernst auch. Sie fährt ihn an. Wo er denn war die ganze Nacht? In meiner Stammkneipe. Wo sonst? Wo sonst hätte ich mich zusaufen können ohne Gesichtsverlust? Wo sonst hätte ich meine Sorgen wegspülen können? Du machst mich fertig. In der Arbeit läuft nichts, wie es soll. Die Girls machen mir ein schlechtes Gewissen. Du hast einen guten Bekannten, mit dem du deine Sorgen besprechen kannst. Und was weiß ich noch alles? Aber ich? was weiß ich noch alles. Aber ich? Armes Burli, armes Kerlchen, armer Ernsti, komm her zu mir. Ich tu dich ein bisschen trösten. Verarschen lasse ich mich nicht von dir, ist das klar? Da gehe ich lieber wieder. He, he, he, nur nicht so stürmisch, mein Herr. Was ist los? Komm, erzähl. Er schüttet ihr sein Herz aus. Und sie hört ihm zu und alle seine Ängste, alle seine Sorgen sind plötzlich wieder auch ihre. Und dann schaut er sie an, wie er sie jahrelang schon nicht mehr angeschaut hat. Und dann kuschelt er sich zu ihr, wie er es schon jahrelang nicht mehr getan hat. Und dann spürt er diese Nähe wieder, die er jahrelang nicht gespürt hat. Und dann sagt er ihr das. Und dann sagt er ihr das. Und dann lieben sie sich, wie sie sich Jahre schon nicht mehr geliebt haben. Und dann kommen die Mädchen und wundern sich, dass der Papa daheim ist. Und dann geht er kurz in sein Arbeitszimmer und telefoniert. Und dann kommt er heraus und dann erklärt er seinen Mädchen, wo die Turks und die Kaikos-Inseln sind. Und dann sagt er ihnen, dass sie dort aber nicht hinfliegen können, weil dort keine Kinder erlaubt sind. Und dann beschließen sie, dass es ja noch andere Ziele auch gibt. Und dann suchen sie gemeinsam den Club auf Mauritius aus, weil man dort auch Bogenschießen lernen kann, wo sie doch alle vier keine Ahnung vom Bogenschießen haben.