Applaus Auch von mir einen schönen Abend. Einen schönen Abend. Zu dem ganz Aktuellen haben vielleicht manche von Ihnen, von Euch, meine Kolumne heute in den oberösterreichischen Nachrichten gelesen. Ich lese jetzt einen Text, der heißt Nie wieder, jedenfalls nicht gleich. Ein paar Gedanken zum Potenzial von Literaturenzeiten wie diesen. Mitten im Kalten Krieg, man schrieb das Jahr 1980, formulierte die kürzlich verstorbene österreichische Autorin Christine Heidegger selbst Kriegskind mit einem, wie es so schön heißt, im Felde gebliebenen Vater den nachdenkenswerten Satz Wenn uns die viel zitierten geistigen Werte wirklich etwas wert wären, müssten wir das Literaturbudget dem Militärbudget angleichen. Ich stieß auf ihn, als ich mich für meinen Beitrag zur Salzburger Gedenkfeier für Christine letzte Woche einlas. Ohne den Ukraine-Krieg im Kopf hätte ich ihn an diesem Abend wohl kaum zitiert. In normalen Zeiten wäre mir seine Zuspitzung nicht erhellen, sondern schlicht sinnlos übertrieben erschienen, aber in normalen Zeiten leben wir nicht. erschienen, aber in normalen Zeiten leben wir nicht. Und dann las ich dieser Tage einen Bericht über das literaturwissenschaftliche Projekt Kassandra, das literarische Texte als Instrument zur Verhinderung von Krieg und Gewalt nutzbar machen will, indem dessen Vorhersagepotenzial nutzbar gemacht werden soll. Sein Spiritus Rector, Jürgen Wertheimer, der dazu kürzlich ein Buch vorlegte, fand für das Cassandra-Unternehmen bis vor kurzem, man höre und staune, im deutschen Verteidigungsministerium einen Geldgeber, nun will er die NATO sowie die Militärakademie West Point anzapfen. Immerhin ein winziger Schritt in die Richtung von Christine Heideggers Utopie, denke ich mir. Wertheimer argumentiert, Literatur sei immer schon ein Seismograph für sich abzeichnende Entwicklungen gewesen. Heinrich Manns Buch Der Untertan von 1914 zum Beispiel habe das Profil späterer NS-Täter geradezu halluzinatorisch vorweggenommen, indem es den wilhelminischen Typus des karrieregeilen deutschen Untertanen in all seiner Perfidie, aber auch Ärmlichkeit herausarbeitete und zuspitzte. herausarbeitete und zuspitzte. Diederich Hessling war ein weiches Kind, fängt man satirischer Roman an und die Schlussszene schildert, wie Protagonist Hessling mit schwarz-weiß-roter Scherpe und behängter Ordensbrust nach dem apokalyptischen Unwetter bei der pathos getränkten Einweihung des Denkmals für Kaiser Wilhelm I. getränkten Einweihung des Denkmals für Kaiser Wilhelm I. am Krankenbett des alten Buck, eines liberalen Alter 1848ers, eintrifft. Der erblickt ihn, erschrickt und stirbt sofort. Eine Frau im Sterbezimmer schreit auf, der nunmehr Tote habe den Teufel gesehen. Ich könnte in der geschützten Werkstätte der heutigen Veranstaltung das Schreiben des solchen, die gern lesen, Texte zur Lage anbieten, die moralische Überlegenheit meiner Zunft anpreisen, das unabhängige Denken, die erhöhte Sensibilität hervorheben und ähnliche Pauschalfeststellungen treffen, die einer Überprüfung natürlich nicht standhalten. Denn immerhin hält es etwa ein wachsender Teil der Kollegenschaft für geboten, exzessive Gewalt in Form von blutrünstigen Krimis zur bloßen Unterhaltung, ja Belustigung des Publikums anzubieten, eine Entwicklung, die ich als frivol zu bezeichnen, nicht anstehe. Und dass unser einer stets gefeiert wäre gegen Hurra-Patriotismus und ideologische Scheuklappen gewesen wäre, widerlegen viele Beispiele von Theodor Körner bis zu Gertrud Fussenegger, um nur zwei Namen zu nennen. Aber andererseits stimmt es natürlich, dass die Kunst, also auch und vor allem die Literatur, ein großes Maß zur Erhellung der Mechanismen komplexer sozialer Geflechte und zum Verständlichmachen des Menschen an sich beitragen kann. Stellen wir uns einmal vor, dem Wehr, aber auch dem Zivildienst wäre, um Christine Heideggers Gedanken zu variieren, pflichtgemäß ein dreiwöchiger Literaturkurs vorgeschaltet. Heruntergebrochen auf das Wesentliche und die Bildungserfahrungen der jungen Leute, ließe sich dabei etwa, was heute gern toxische Männlichkeit genannt wird, mittels geeigneter Texte durchschaubar und in ihren Verheerungen auf persönlicher wie gesellschaftlicher Ebene sichtbar machen. Es ließen sich, spintisiere ich vor mich hin, drei Niveaustoffen denken, für die man sich je nach Selbsteinschätzung entscheiden können sollte. Zwischen Wolfgang Borcherts schlichten Lesebuchgeschichten und Ernst Jandls sprachlich avanciertem Wien-Heldenplatz fielen mir allein in der deutschsprachigen Literatur schnell Dutzende geeignete Arbeiten ein. Lagenliteratur schnell Dutzende geeignete Arbeiten ein. Politische wie religiöse Propaganda, Fake News und Verschwörungstheorien wären mit den Waffen der Literatur ebenso gut zu dekouvrieren wie das menschenfatale Anfälligkeit fürs Vergessen, Verdrängen und Wiederholen des Unmenschlichen. Aus gegebenem Anlass zitiere ich hier die erhellende Miniatur Günther Kunertz, als der Mensch unter den Trümmern seines bombardierten Hauses hervorgezogen wurde, schüttelte er sich und sagte, nie wieder, jedenfalls nicht gleich. Leider ist die Wirklichkeit von solchen idealistischen Überlegungen zur Nutzbarmachung von Literatur weit entfernt. So ist in den letzten Jahren ihr aufklärerisches Potenzial im Schulkontext unter dem fadenscheinigen Deckmantel für objektivierte, vergleichbare Prüfungsformate ungeeignet zu sein, völlig marginalisiert worden. Werkimmanente Schema-F-Interpretationen von Kürzestexten als Feigenblatt in einem engen Wörterkorridor sind der blanke Zynismus und es liegt allein an engagierten Deutschlehrerinnen und Lehrern, abseits davon zu retten, was zu retten ist. Doch indem auch die Deutschlehrerausbildung Literatur längst erfolgreich marginalisiert hat, besteht da kein großer Grund zum Optimismus. In der Ukraine wird uns täglich ein Spiegel vorgehalten, so kann der Mensch sein. Literatur, die mich interessiert, zu der ich über die Jahrzehnte selbst ein wenig beizutragen versucht habe, macht akkurat dasselbe. Nur ohne Bomben und Granaten. Danke. Applaus