Applaus Schönen guten Abend. Zur Lage, ja zur Lage, das ist jeden Tag sozusagen, das Thema hat etwas an sich, dass esst im Sterben liegt zum Beispiel, dass dieses Thema vor Monaten sozusagen beschlossen, jetzt durch die Tagesereignisse, da ist eben die Frage, ob man dem hinterherhäkeln soll, da habe ich eben auch geschrieben, ich häkle zwar den Nachrichten hinterher in Vorbereitung meines Textes, aber wer will bei einer solchen Lesungsveranstaltung ernsthaft noch einmal etwas zur Lage hören, wo alles voll ist mit Lageberichten, gepfercht wie die langen ukrainischen Züge mit Flüchtenden. Ich sehe mich an Klaus Mann erinnert, der angesichts des sich Anspinnenden zum Geschwür sich auswachsenden Zweiten Weltkrieges notierte, plötzlich ist man wieder Anfänger, jeder Satz bereitet Kopfzerbrechen. Das Gefühl, in sich überschlagender Katastrophentektonik zu leben, wobei es die Schichten ineinander treibt, sie sich aufwölbt, um zu zerreißen, ein einziger hektischer Pfusch am womöglich Sterbebett der Menschheit. In einem Krieg der alten Politik, wo der Erde wegen eine andere, neue Politik nötig wäre, die Welt in furchtbaren Murks untergehend. Nicht in einem Kampf der Weltanschauungen oder Religionen, der Menschenbilder, nicht einmal der Rassen, so grausig dieses war, sondern an den Altlasten des dahin rottenden Ost-West-Konflikts des vorigen Jahrhunderts. Deshalb mein Gedanke, etwas ganz anderes zu lesen, was aber im weiteren Sinn damit zusammenhängt. Aber nicht in sich überschlagenden Aktualitäten von News und Fake News im Prozess der Verfeindungslogik, wie sie in Kriegen leider immer ihren Lauf nimmt, nachhechelnd. Dabei könnte an sich jetzt der Frühling kommen, aber die alten krachenden Strukturen überlebter Systeme bannen uns in eine falsche Welt 2, in eine Irrealität, die aber als Realität vorzustellen wir gezwungen sind. Also lese ich stattdessen einen Text, der heißt Billy. Der Fußmarsch mit dem jungen Koch, der mich Mitte April letzten Jahres um den Wallersee führte, wohl 20 Kilometer von Hennendorf weg, als die Corona-Maßnahmen des ersten Lockdowns noch nicht gelockert waren, ist im Rückblick ein Höhepunkt des an äußeren Ereignissen armen 2020ers gewesen. Wir hatten zunächst die hellblauen Masken auf, als wir von Hennendorf aus starteten. In der Konditorei dort hatte mein Begleiter mehrere Stücke Tiramisu sowie ein Sixpack Bier netterweise für uns als Wegzehrung gekauft. Wir marschierten am Ufer entlang, wo verwaiste Wochenendhütten standen. Dieser Strand lag wie ausgestorben. Die Luft war kalt, der Frühling hatte sich noch nicht durchsetzen können. Mein Begleiter war viel zu leicht und luftig angezogen, in kurzer, dünner Hose, mit T-Shirt, erschlotterte. Ich hatte zufällig zwei Pullover und zwei Mützen mit dabei, ohne aber eigens an ihn gedacht zu haben. Hofer und zwei Mützen mit dabei, ohne aber eigens an ihn gedacht zu haben. Wie wir am See entlang gingen, er inzwischen mit diesen Sachen aus meinem Rucksack zusätzlich bekleidet, hatte ich das Gefühl, hier zum ersten Mal zu gehen, was aber nicht stimmen konnte. Und erst nachdem wir den See umrundet hatten und ich auf der Heimfahrt nach Salzburg mich befand, erinnerte mich wieder an vormalige andere Touren, sei es noch mit den Eltern, mit der Schulklasse oder alleine, die mich um den See herumgeführt haben mussten, was aber inzwischen so weit zurück lag, als hätte es in einem früheren Leben stattgefunden. Undeutlich zeigten sich die Knospen von nachträglich hineinkonstruierten Déjà-vus, wobei ich mich stets als Erinnerungskünstler empfunden hatte, hier jedoch eine abermalige Probe des Entschwindens der Jahre geliefert bekam, ebenso wie ich mich auf den wenigen alten Fotos, so deutlich sie mir vor Augen zu stehen schienen, dass ich sie jahrelang nicht mehr betrachten zu müssen glaubte, kaum mehr mit Überzeugung erkennen kann, was aber nichts macht. Dass diese Hüllen aus verschiedenen Vorleben wegfallen, sich auflösen, ist nur naturgemäß, ist keine Katastrophe, wobei meine diesbezügliche Grundeinstellung meinem Leben gleich deutlich in zwei Großabschnitte zerfällt. Die Zeit, in der ich alles tat, um mich nicht zu verändern, eine sehr weit gefasste Jugendzeit und die andere Zeit, in der ich dem Auseinandertriften freie Fahrt lasse und förmlich befriedigt darüber bin, wenn ich mich auch äußerlich verändere, ja am Ende mich auflösen werde und sei es in die Atome, wie Marco Aurel in den Selbstbetrachtungen geschrieben hatte. Die Zeit, sich Lehrern auszusetzen, ist vorbei, wenn man nicht nur Hitler bald um zwei Jahre überlebt und auch Thomas Bernhardt wenigstens nach Wochen überholt hat. Denn Bernhardt war mit 58 gestorben, drei Tage nach seinem Geburtstag. Wenn noch Lehrern sich aussetzen, dann ganz Jungen, sage ich mir. Denn mit den Älteren hatte ich kein Glück. Und es ist der größte Vertrauensbeweis von mir, notorischem Nicht-Koch, wenn ich mir von einem Jungkoch doch noch Kochen beibringen lassen würde, zumal ich erfahren musste, dass Kochen mit Macht einhergehen kann. Um dem Jungen mich anzuähneln, habe ich mir genau seine Kopfhörer bestellt, vor Weihnachten aus der Slowakei und die nie eintrafen, was ich auf Corona zurückzuführen geneigt war. Nicht vergessen war ich worden, denn ein nicht mehr erwarteter Anruf verhieß mir die Zustellung des Headsets an meine Adresse. Es freute mich nicht wenig, die Rechnung war lang schon bezahlt, der Anbieter aber gilt, wie Stimmen im Internet zeigen, als unzuverlässig. Die österreichische Post würde mir das Stück, das mich dem Jungkoch magisch verähnlichen würde, diese in diesem Fall letzte Woche des Jahres noch zustellen, hieß es. Und prompt bekam ich eine Mail von der Post, die Sendungsverfolgung betreffend. Nicht erinnere ich mich, jeder Post meine Mailadresse durchgegeben zu haben, aber das kann täuschen. Ich freute mich nicht wenig, endlich würde es klappen, aber obwohl ich zu Hause war, wurde bei mir nicht geläutet. Ich rauchte vor der Haustür, danach blickte ich abermals auf die Sendungsverfolgung und musste sehen, dass eine halbe Stunde vorher die Zustellung direkt an meiner Haustür offenbar gescheitert sein musste, weil ich verabsäumt hatte, die Top-Nummer dazu zu schreiben, zumal mich die Postsachen sonst trotzdem erreichen. Ihr nicht. Ich rief den Kundendienst an, bekam die Auskunft, das Paket würde in die Slowakei zurückgeschickt. Das sei nicht mehr umzudirigieren, was ich einfach nicht glauben wollte. Somit probierte ich herum, die App der Post herunterzuladen, was einige Zeit beanspruchte. Und dazu wurden meine Daten, wurde mein Reisepass gebraucht, um meine Identität zu verifizieren. 2500 Sekunden, also mehr als eine halbe Stunde, dauerte die Wartezeit, bis das entsprechende Unternehmen sich per Videoschaltung meldete. Auftraggeber war die Post, die ja meine Daten anscheinend hatte. Trotzdem musste ich mich einer längeren Prozedur jetzt unterziehen, den Pass ans Fenster halten, hin und her auf- und abwenden, meine Finger einzeln über den Pass, dessen Laminierung das Licht von draußen zurückreflektierte, streifen lassen. Ich sah den jungen, bärtigen Herrn mir diese Anweisungen Schritt für Schritt geben, wobei ich mich sicher unbeholfen angestellt hatte. Mein dagegen appellieren, dass die Post meine Daten hätte, half nicht. Sie waren vor der Tür gestanden mit dem Paket und wieder abgefahren. Ich wollte es umlenken, warum nicht einfach es in einer Abholstation deponieren oder in einer Postfiliale zur persönlichen Abholung bereithalten. Ich wiederholte mich, sah mich selbst auf dem Handy, wie ich dem Herrn im kleineren Fenster, der nur seine Arbeit verrichtete, dies erklären, wobei ich mich selbst verabscheute, meine sich kringelnden Haare, mein gealtertes Gesicht, mein Ausgesetztsein, den ganzen morgendlichen Unsinn, diesen Knäuel an Hyperbürokratie. Wegen des Datenschutzes, sagte der an sich ja geduldige Mensch am anderen Ende. Aber wessen Daten sollen hier geschützt werden, warnte ich ein. Die Post hat ungefragt ja meine Daten wie der zugestellte Sendungsverlauf mir bewies. Nichts half es, es wurde mir nach Ende der tölpelhaft umständlichen, steinzeitlich anmutenden Identifikationsprozedur eine sogenannte TAN-Nummer durchgegeben. Die solle ich eintippen. Danach würden mir, und jetzt kommt es, Zitat, weitere Fragen zu meinem Leben gestellt werden. Was noch alles? Doch die TAN-Nummer war falsch oder inzwischen in jenen langen Minuten der Umständlichkeit wieder abgelaufen. Der Kontakt riss ab, alles umsonst. Ich hätte mich abermals eine halbe Stunde in die Warteschleife zu begeben gehabt. Und was war das Ergebnis all dieses angeblichen Datenschutzes? Dass jemand anderer jetzt meinen ganzen Pass mit allem drum und dran, so wie meine Finger und meine Visage hat, ablichten können. Und ich hatte mich vorher noch per Anklicken als so freundlich erklärt, dass der mit mir unternommene Film zu Schulungszwecken verwendet werden dürfe. Datenschutz, Sie haben alles und ich nichts. Und zum Friseur, der wegen Corona wochenlang geschlossen hatte, müsste ich endlich auch. Das war dieser Text, denn wir haben es in der Ukraine bei uns schon seit Jahren mit einem großen Systemproblem zu tun. Wir nennen das Digitalisierung und alles mögliche, aber es ist zum Teil eine Hyperbürokratisierung. Der einzelne Mensch ist irgendwie angesichts dieser ganzen Systeme, ihrer Dysfunktionalitäten, Corona beweist es wieder und plötzlich das Ende der Impfpflicht und all dieser Dinge ist eigentlich am Arsch daheim in diesem ganzen System. Diesen Eindruck habe ich. Letztlich bleibt der Einzelne mit seinen Träumen, soll schauen, wo er bleibt und davon hat mein Text jetzt gehandelt. Und man soll sich nicht von der Majestät des Todes und des Krieges sozusagen in die Knie zwingen lassen, bevor es einen nicht auch wirklich in die Knie zwingt. Das ist meine Meinung. Dankeschön. Gracias.