Margit Schreiner, Mütter, Väter, Klassenkämpfe, über das Private, erschienen bei Schöffling & Co. heute hier bei uns im Stifterhaus stattfindet. Ich begrüße Margit Schreiner sehr herzlich. Herzlich willkommen. Besonders begrüßen möchte ich auch die Essayistin, Literaturwissenschaftlerin und Literaturkritikerin Dr. Daniela Striegel. Sie wird den heutigen Abend moderieren. Ebenfalls herzlich willkommen. Applaus ging es in Margit Schreiners Buch Vater, Mutter, Kind, Kriegserklärungen über das Private, das vergangenes Jahr erschienen ist und auch bei uns präsentiert wurde, um die oft mit vielen Tabus beladene Kindheit eines Menschen, so geht es im neuen Buch um das Heranwachsen, um die Kämpfe in der Pubertät. Margit Schreiner erinnert sich an ihre eigene Pubertät und setzt sich, wie schon in ihrem letzten Buch, zugleich mit der Frage nach Erinnerung und Autofiktion auseinander. So schreibt sie etwa auf Seite 206, Zitat, in meinem Gedächtnis gibt es einen Mythologen und einen Archivar. Der Mythologe kümmert sich darum, aus den hingewürfelten Ereignissen einen roten Faden zu weben, der schließlich in meinem jeweiligen Ich mündet. Und etwas später, er ist naturgemäß chaotisch und kümmert sich nicht besonders um die Fakten in meinem Leben, darum kümmert sich der Archivar. Ich hatte in meinem Leben stets einen verlässlich arbeitenden Mythologen im Kopf und einen sehr schlampigen Archivar. Zitat Ende. Margit Schreiner ist sich jederzeit bewusst, dass Erinnerungen im Laufe des Lebens sich auch verändern. Zitat, so gesehen ist jede Erinnerung eine Erfindung. Aber es geht ohnehin nicht nur um das Private Margit Schreiners. Der erste Satz des neuen Buches lautet, der Slogan der 68er-Bewegung, alles Privates politisch, schien haargenau zu meiner Situation zu passen. In Margit Schreiners Büchern wird immer wieder deutlich, wie und wie sehr privates und politisches Zusammenhängen, wie sehr das Leben jedes Einzelnen oder jeder Einzelnen von politischen Rahmenbedingungen geprägt ist. Ich wünsche Ihnen in diesem Sinne einen sehr anregenden Abend und übergebe das Wort an Daniela Stregl. Vielen Dank. Vielen Dank. Ja, guten Abend, meine Damen und Herren. Ich freue mich sehr, dass ich dieses neue Buch von Margit Scheiner hier heute begleiten darf. Linz, wie man so sagt, vorzustellen. Das käme mir doch eigentümlich vor. Ich möchte nur ein paar kurze Bemerkungen als Einstimmung auf dieses neue Buch machen. Das hat Regina Pinter schon angedeutet, dass, eigentlich könnte man sagen, dass Margit Schreiner schon autofiktional geschrieben hat, als man noch gar nicht wusste, was dieser Begriff eigentlich bedeutet. Fast alles, was Margit Schreiner vorgelegt hat, fast das Gesamtwerk ist in diesem Sinne autofiktional. eigene Biografie als ein Steinbruch verwendet, aber diese Klötze, diese Felsbrocken aus diesem Steinbruch werden in den Texten bearbeitet, die werden verarbeitet und nicht einfach roh zusammengefügt. Und diese Methode hat momentan Konjunktur bei Margit Schreiner, es ist einfach nur konsequent, dass sie diesen Weg weitergegangen ist. Die Elternbücher, wenn man das so sagen kann, nämlich heißt Lieben und Nackte Väter, die Bücher, in denen es um die Eltern der Ich-Erzählerin geht, die haben als Ausgangspunkt den Tod des Vaters, den Tod der Mutter und beleuchten von diesem Ausgangspunkt das Leben der Ich-Erzählerin und manchmal geht der Scheinwerfer da auch bis in die Kindheit zurück und leuchtet einzelne Szenen aus. Nun, mit dieser neuen Reihe, die mit Vater, Mutter, Kind begonnen hat, ist die Perspektive eine andere und wir sind von Anfang anstellerin blickt sozusagen ihrem alter Ego, ihrem kindlichen alter Ego immer wieder über die Schulter. In Vater, Mutter, Kind war die Protagonistin so ein Kind, ungefähr siebenjährig zunächst und dann könnte man sagen, das geht so, die Kindheit im engeren Sinn geht bis ungefähr zehn und hier in dem neuen Buch geht es so von zehn, elf bis 18, also bis zur Matura, bis zum Beginn des Studiums, die Phase, die eben die Pubertät umfasst. Aber am Beginn ist dieses Mädchen, um das es hier geht, doch auch noch sehr kindlich. Ich zitiere eine andere Gallionsfigur des Stifterinstituts, nämlich Marleen Haushofer. Die Kindheit war nicht sanft und idyllisch, sondern der Schauplatz wilder, bitterter Kämpfe unter der Maske, rosiger Wangen, runder Augen und unschuldiger Lippen. Das ist aus einer Hand voll Leben und da heißt es dann weiter, dass diese Kämpfe der Kindheit so mörderisch sind, dass die meisten Erwachsenen sie am liebsten vergessen und sich so eine eigene Kindheitserzählung zurechtzimmern, wo dann man irgendwann zu seinem wahren Leben erwacht, aber ohne große dramatische Entwicklungen. Liest man die Bücher von Margit Schreiner, ist das ganz anders. Die Kindheit wird eben viel eher so gesehen, wie sie auch Marlene Haushofer gesehen hat, als eine ganz dramatische Periode und auch als eine Kampfzeit. Der Kampf gegen die Eltern wird natürlich in der Pubertät sozusagen manifest und in der frühen Kindheit hat das Kind, hat das Mädchen viel weniger Möglichkeiten zu kämpfen. selbstkritisch natürlich aus der gegenwärtigen Perspektive, eine sensible, aber auch durchaus beherzte Spurensuche. Und wie immer bei Margit Schreiner geht es ironisch zu, aber auch wahrhaftig dramatisch. Es geht eben auch um wirkliche Erschütterungen. um wirkliche Erschütterungen. Und dieses Mörderische zeigt sich im Privaten über das Private, das war ja auch schon der Untertitel des vorigen Bandes, es zeigt sich in den privatpolitischen Verwicklungen und es zeigt sich eben auch im Kampf mit und gegen die Eltern. Natürlich ein Kampf, der immer mit Liebe zu tun hat, aber das wird im Moment des Kämpfens eben dem Kind nicht unbedingt immer bewusst. Wir haben uns darauf verständigt, dass Margit Schreiner zunächst lesen wird und dass wir dann nachher noch ein Gespräch zu dem Gelesenen im Anschluss führen möchten. Ich möchte Ihnen noch eine Passage mit auf den Weg geben, die ich mir erlaube vorzulesen, nämlich eine, es gibt immer wieder auch Reflexionen in diesem Buch über das Dasein der Schriftstellerin, über das Schreiben, über das Erinnern. Und da heißt es, eine Lesung zum Beispiel ist abgesehen von der Tatsache, dass der Schriftsteller wesentlich von den Einnahmen der Lesungen lebt, ja immer auch eine Prüfung. ja immer auch eine Prüfung. Liest man zu schnell oder zu langsam? Zu betont oder zu unbetont? Verliest man sich am Ende peinlicherweise dauernd? Wie reagiert das Publikum? Hält es das Gleichgewicht zwischen dem Text und den eigenen Gedanken oder schweift es ab? Ist es aufmerksam oder döst es langsam ein? Ich bin zuversichtlich, dass in Linz das Zweite nicht stattfinden wird. Und bitte Margit Schreiner zu lesen. Vielen Dank. in denen genau das gewünscht ist, zum Beispiel in den endlosen dunklen Wintern der Inuits, ist der der beste Schriftsteller, bei dem alle einschlafen. Und wer nicht das Ende der Geschichte kennt, ist der beste Zuhörer. ist der beste Zuhörer. Ich fange von vorne an und werde dann, hört man mich gut? Ich werde dann ein bisschen quer durchs Buch lesen. Das Slogan der 68er-Bewegung, alles Private ist politisch, schien haargenau zu meiner Situation zu passen. Es fiel mir wie Schuppen von den Augen. Mein Vater hatte meine Mutter geheiratet, damit sie ihm ihre Arbeitskraft zur Reproduktion seiner Arbeitskraft zur Verfügung stellte. Dafür musste mein Vater die Arbeitskraft meiner Mutter erhalten, indem er sie ernährte. Aber davon später. meiner Mutter erhalten, indem er sie ernährte. Aber davon später. Alles wäre leichter gewesen, wenn man die Sache mit der Pubertät auf den Punkt gebracht hätte. Nur, dass der Punkt in dieser Angelegenheit entsetzlich peinlich war. Es gab anscheinend keine Worte dafür, die nicht peinlich gewesen wären. Nicht einmal Meierers Lexikon fand sie. Allein das Wort Geschlechtsreife ist ja schon eine Zumutung. Grauslich irgendwie. Das Geschlecht, das reift, stellt man sich schnell einmal wie das Hinterteil eines Pavians vor, der knallrot wird und anschwillt. Oder wie überreife Früchte, die vom Baum fallen und am Boden zermatscht vor sich hingehen. Dazu kommen Ausdrücke wie Fortpflanzungsorgane, noch dazu funktionsfähige Achsel- und Schamhaare. Deshalb schämen wir uns in dieser Zeit ununterbrochen. Es gibt schließlich nichts Unangenehmeres, als zu beobachten, dass andere beobachten, wie unsere sekundären Geschlechtsmerkmale sichtbar werden. Ein Übergriff Sondergleichen. Am liebsten würden wir im Boden versinken. Wenn dann noch hinzukommt, dass die sekundären Geschlechtsmerkmale gar nicht sichtbar werden, wie sie sollten, weil uns beispielsweise, wenn wir weiblich sind, kein Busen wächst oder wenn wir männlich sind, kein Bart. Wird alles noch peinlicher, als es ohnehin schon ist. Da reicht es dann schon aus, versehentlich zu stolpern oder sich öffentlich zu verschlucken, um zu wünschen, man wäre nie geboren worden. Aufgrund der fatalen Verschleierung der Tatsache, dass die Pubertät auf der Geschlechtsreife beruht, weichen Eltern, Schulen und ähnliche Institutionen, die dafür keine direkten Worte finden, auf die Hormone aus. Auch heute noch. finden, auf die Hormone aus. Auch heute noch. Die Müdigkeit und die Langeweile, die angesichts des herrschenden Gesellschaftssystems jeden vernünftigen Menschen befallen muss, sobald er nachzudenken beginnt, werden in der Zeit zwischen dem 11. und 18. Lebensjahr lapidar auf die Hormone zurückgeführt. Ebenso die Weigerung, Sonntagsspaziergänge im Familienkonvoi zu unternehmen. Berechtigte Forderungen werden denunziert als Aggressionen, freie Entscheidungen als Launen, eigene Meinung als Respektlosigkeiten. Jedermann glaubt, einem Jugendlichen in dieser Zeit besonders strenge Regeln abverlangen zu müssen. Das Gegenteil ist der Fall. Einen heranwachsenden Menschen sollte man in Ruhe lassen. Er soll so lange schlafen können, wie er will und wenn er sein Zimmer nicht aufräumen, die Zähne nicht putzen und die Unterhose nicht wechseln will, so sollte man das akzeptieren. Es gibt schließlich wichtigere Dinge im Leben. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, wie lange der Mensch schon gegen seine Natur kämpft. Allein der Entschluss zum aufrechten Gang war eine krasse Fehlentscheidung. Sie hat durch die Länge der Wirbelsäule zwangsläufig zum Verlust aller Würde geführt. Wäre er auf allen Vieren geblieben, hätte er diese Fortbewegungsart verfeinern können und müsste nicht, wie die meisten Menschen, die ich auf der Straße sah, mit hängenden Schultern und gekrümmten Rücken dahinschleichen. Viele Menschen strecken beim Gehen den Bauch und den Kopf nach vorne, sodass sie gegen den Schwerpunkt, den gewichtigsten Mittelpunkt ihres Körpers ankämpfen müssen und deshalb die Beine dem Diktat des Bauchs folgend nachziehen, anstatt umgekehrt den ausholenden Schritten der Beine zu folgen, die schließlich von selbst wissen, wo sie hinwollen. Oder sie ziehen den Bauch bewusst ein, was ihrem ganzen Gang eine Steifheit gibt, die geradezu lächerlich ist. Wer den Bauch ein- und die Schultern hochzieht, muss den Oberkörper vorlehnen und den Hintern rausstrecken, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Er watschelt. Sogar die Kinder, die nach anfänglichen schauderhaften Versuchen endlich unter der Aufsicht überheblicher Erwachsener auf die Beine kommen und zunächst die Vorteile des aufrechten Ganges kennenlernen und Wiesel flink ihren Beinen folgen, Ganges kennenlernen und Wiesel flink ihren Beinen folgen, haben die Anmut eines halbwegs natürlichen Ganges spätestens mit der Einschulung verlernt. Springen und Hüpfen sind das Erste, das Kinder verlieren. Was ja kein Wunder ist, weil man ihnen viel zu schwere Schultaschen umhängt, die sie nach hinten ziehen, sodass sie, wenn sie nicht dagegen steuern, unweigerlich auf dem Rücken fallen und liegen bleiben würden wie Käfer, die auf dem Boden zappeln. Das Gewicht der mit sinnlosem Zeug vollgestopften Schultaschen erhöht sich aufgrund der vielen Unterrichtsfächer noch einmal im Gymnasium. Ich war harten Zeiten ausgesetzt. Meine Eltern hatten mich nach der Volksschule 1964 ausgerechnet im wirtschaftskundlichen Realgymnasium angemeldet, mit Handarbeiten und Kochen als Pflichtfächer. Für so etwas muss man geboren sein. Ich war es nicht. Niemand fragte damals seine Kinder, in welche Schule sie gehen wollten. Dazu kam, dass meine Eltern diese lächerliche Schule nicht einmal deshalb gewählt hatten, damit ich später eine tüchtige Hausfrau würde, sondern weil sie der Ansicht waren, im wirtschaftskundlichen Realgymnasium würde von allen Gymnasien die geringsten Anforderungen an den Schüler gestellt. Was hieß, dass sie mich für zu blöd hielten, um ein normales Gymnasium zu besuchen. Keine ideale Voraussetzung, um eine gute Schülerin zu werden. Ich selbst hatte es nach dem Wechsel von der Volksschule endgültig satt, mich unter den unwürdigsten Bedingungen in eine Schule zu schleppen, in der ich Tag für Tag unterschätzt wurde. Niemand von den Lehrern im Gymnasium, die sich jetzt Professoren nannten, kam auf die Idee, dass jemand aus eigenem Antrieb Interesse an irgendeinem Unterrichtsgegenstand haben könnte. Deshalb wurden wir ständig aufgerufen, geprüft, mussten Schularbeiten schreiben oder die Tafel löschen. Es war demütigend. Zu Hause war ich mit einer Mutter konfrontiert, die jeden Monat eine neue Diät ausprobierte und deshalb mit ihren Nerven am Ende war. Mein Vater runzelte während der Nachrichten im Fernsehen allabendlich die Stirn und sprach von einem gefährlichen Krisenherd in Vietnam. Da ich zu stolz war, meine Eltern zu fragen, wo Vietnam lag und wieso es ein gefährlicher Krisenherd war, blätterte ich stundenlang erfolglos in Mayers Lexikon herum, wo Vietnam nicht einmal erwähnt wurde. Ich war enttäuscht, denn in Mayers Lexikon war sogar eine Karte des nördlichen und südlichen Sternenhimmels bis 25 Grad nördlicher bzw. südlicher Deklination abgebildet. Ebenso die Spuren des Kaninchens, des Hasen, der Katze, des Rehs, des Dachses, des Fischotters, des Fuchses, des Marders, des Iltis, des Rot- und Darmwilds sowie des Hermelins im Schnee. Auch die Funktionen von Owens sechsarmigeriger verbesserter Flaschenblasmaschine, der Mauser Selbstladepistole oder die verschiedenen Feuerungsanlagen hatten sich mir erst nach dem Selbststudium von Meyers Lexikon erschlossen. Unübertroffen waren jedoch die Bildtafeln von Tieren, Bäumen, Blumen in den prächtigsten Farben. Nie werde ich die Entdeckung der Tiefseefische vergessen, die ihr Gebiss außerhalb des Maules haben oder an der Stirn Laternen mit sich herumtragen, damit sie in der absoluten Finsternis der tiefsten Meere etwas sehen. der absoluten Finsternis der tiefsten Meere etwas sehen. Alles, was ich wusste und bestaunte, hatte ich aus Meyers Lexikon gelernt. Und nun erwies es sich zum ersten Mal in meinem Leben als vollkommen unbrauchbar. Meine Frustration war kaum noch zu überbieten. Viel später wurde mir klar, warum. Unsere Ausgabe von Mayers Lexikon war 1926 erschienen. Meine Lage hatte sich, genau wie in meinen finstersten Vorstellungen, mit dem Wechsel von der Volksschule ins Gymnasium nicht verbessert, sondern rundum verschlechtert. Ich hasste die Professoren im Gymnasium nicht, ich verachtete sie. Sie alle hatten einmal studiert und verschleuderten nun ihr Leben an uns. Die Biologie-Professorin zum Beispiel hätte nach dem Studium nach Afrika gehen und wie Dian Fosse die Verhaltensweisen der Berggorillas aufzeichnen und ihr Leben im Kampf gegen Wilderer opfern können. Ein Geografieprofessor hätte, statt sich mit seiner Solariumsbräune vor uns aufzuspielen, eine neue Theorie des Vulkanismus aufstellen und zu ausbrechenden Vulkanen in aller Welt reisen können. in aller Welt reisen können. Unsere dicke Turn- und Psychologie-Lehrerin hätte nach dem Sportstudium, als sie sicherlich noch schlank war, für die Turn-Olympiade trainieren und ihre Fähigkeiten zeigen können, statt später dickliche Schüler zurechtzuweisen, wenn sie kraftlos in der Sprossenwand hingen. Nur für die Deutschprofessorin hätte es keine Alternative gegeben. Für eine Schriftstellerin war sie zu oberflächlich. Wie alle Deutschlehrer, die ich später noch kennenlernte, besuchte sie niemals eine Dichterlesung und las in ihrer Freizeit Krimis. Und was hätte jemand, der Germanistik studiert hat, schon werden können, außer Schriftsteller oder Lehrer? Wenn sie montags zur Klassentür hereinstürmte, sie gab sich gern dynamisch, und von ihren Erlebnissen am Wochenende erzählte, war das nur peinlich. Offenbar hatte sie, obwohl sie Zauntür und meiner Meinung nach außerordentlich unansehnlich war, einen Mann ergattert, mein Freund, der Motorrad fuhr. Die Frau glaubte tatsächlich, uns damit beeindrucken zu können, dass sie hinter ihrem Freund auf dem Motorrad gesessen hatte und zwischen dem Salzburgring und Hallein durch das Wiestal gebrettert war. Mein einziger Trost war, dass wenigstens meine Freundin Gabi, die schon in der Volksschule neben mir gesessen hatte, auch jetzt wieder neben mir in der Bank saß. Die Frustration der Lehrer, die darauf bestanden, Professor genannt zu werden, zu beobachten, war eigentlich das Eigentlich das abstoßendste an der Schulzeit. Handarbeiten war mein absolutes Horrorfach. Nahm aber im wirtschaftskundlichen Realgymnasium eine wichtige Rolle ein. Nicht was die Noten betraf, in dem Fach bekam sowieso jeder eine Eins oder Zwei, sondern was die Zeit betraf. Vier Stunden in der Woche strickten, stickten, häkelten oder nähten wir. Beziehungsweise strickten, stickten, häkelten oder nähten eben nicht, sondern versuchten, stricken, sticken, häkeln oder nähen vorzutäuschen, um dann daheim unsere Mütter oder Großmütter stricken, sticken, häkeln oder nähen zu lassen. Mir lagen alle vier Handarbeiten gar nicht. Beim Stricken, Sticken und Häkeln verkrampfte ich mich so, dass ich Schweißhände bekam, wodurch die Handarbeiten, meistens in Weiß oder Pastell, wir mussten beispielsweise weiße Kopfkissenbezüge mit weißem Garn besticken, rosa-rote Waschlappen stricken, hellblaue Eierwärmer häkeln, sich drauf erwärmen. Das Nähen war fast noch schlimmer. Mir war die Nähmaschine an sich ein Rätsel. war die Nähmaschine an sich ein Rätsel. Auf unglaublich komplizierte Weise musste nämlich ein Ober- und ein Unterfaden in die Nadel der Nähmaschine eingeführt werden. Von unten und oben kam dann normalerweise je ein Faden aus einer Spule auf der Nähmaschine und einer Spule unter der Nähmaschine. Bei mir nicht. und einer Spule unter der Nähmaschine. Bei mir nicht. Versuchte ich, die verschiedenen Wege, die der jeweilige Faden nehmen muss, über Häkchen und Rollen von oben und aus dem Spulbehälter unten durch die Öffnung neben der Nadel zu ziehen und dann in die Nadel einzufädeln, hakte garantiert irgendetwas. Der Faden ließ sich nicht bewegen oder riss sogar ab oder die beiden Fäden von oben und unten verwickelten sich. Mir wird heute noch ganz schlecht bei der Vorstellung, so eine Nähmaschine nähbereit zu machen. Manchmal kam dann die Handarbeitslehrerin bzw. die Handarbeitsprofessorin und fädelte Ober- und Unterfaden ein. Aber das nützte auch nichts. Das Nähen selbst war nicht einfacher. So eine Nähmaschine rattert los, wenn man sie erst einmal in Bewegung versetzt und hält sich an keine Vorgaben mehr. Meine Nähte waren schief oder verliefen in ihrem Zickzackkurs quer über das Kopfkissen. Ich musste also über das Wäschestück gebeugt stundenlang vortäuschen, eine gerade Naht nach der anderen zu nähen, um das Ganze zu Hause meiner Mutter zu übergeben, die in unserem sogenannten Kabinett neuerdings ein Tischchen mit versenkbarer Nähmaschine stehen hatte. Meine Mutter strickte und stickte und häkelte auch alle meine anderen Werkstücke aus der Handarbeitsstunde neu. Wenn die sogenannten Professoren ihre Frustration während des normalen Unterrichts nicht los wurden, hatten sie immer noch die Prüfungen. In den Hauptfächern in Form von Schularbeiten, in den Nebenfächern in Form von mündlichen Prüfungen. Manche Lehrer kündigten mündliche Prüfungen an, andere nicht. Aber egal, ob angekündigt oder nicht, man wusste in beiden Fällen nie, wann genau man aufgerufen werden würde. Es gab Schüler, denen machte das nichts aus. Anscheinend waren sie immer auf dem Laufenden, was den jeweiligen Lernstoff anbelangte. Die Mehrheit zitterte, wenn die Lehrer das Büchlein zückten, in das sie die Prüfungsnoten eintrugen. Wie die Schüler, die nicht zitterten, es schafften, immer auf dem Laufenden des jeweiligen Lernstoffes zu sein, war mir ein Rätsel. Am wahrscheinlichsten ist, dass sie auf jedes Privatleben verzichteten, nur um den ungeheuren Stress zu vermeiden, den es bedeutet, ahnungslos, was den Stoff betrifft, aufgerufen zu werden und wie zur Hinrichtung hinaus zum Lehrerpult zu wanken. Wir waren auch solchen Schultagen aufgerufen oder nicht immer schlecht. Also eigentlich meistens. Irgendwer prüfte immer. Heute hört man ja ständig im Radio und im Fernsehen, dass man Stress vermeiden soll. Zu viel Stress heißt es, führe zu Burnout, Schlaflosigkeit, Depressionen, Krebs. Oder man war auch damals schon dieser Meinung, konnte es sich aber leisten, Jugendliche diesem Stress auszusetzen, weil die Jugendlichen ja nicht unmittelbar darauf am Burnout Depressionen oder Krebs erkrankten, sondern erst Jahre später, wenn sie die Verursachung ihrer letztendlich tödlichen Krankheit, also ihre Lehrer, längst vergessen hatten. Aber so ist die Klassengesellschaft. Die einen, die Lehrer, wiederholen gut bezahlt Jahr für Jahr, was in grauer Vorzeit einmal gelernt haben. Die anderen, die Schüler, schuften ohne Lohn Tag für Tag unter schlechtesten Bedingungen. Zu wenig Pausen und zu reichende Luftzufuhr, bis sie krank werden. Noten sind das Mittel zur Unterdrückung der arbeitenden Schulklasse. Wenn ich auf mein Privatleben verzichtet hätte, um, was den Lernstoff betrifft, immer auf dem Laufenden zu sein, hätte ich infolge der Stresslosigkeit wahrscheinlich in meinem späteren Leben weder an Schlaflosigkeit noch an Depressionen gelitten, wäre aber womöglich früh dement geworden vor Langeweile. Als Schüler hätte ich mir dringend eine Seuche gewünscht. Nicht gerade tödlich wie Pest, aber immerhin so gefährlich, dass man sämtliche Schulen hätte schließen müssen. Ich hätte endlich in Ruhe zu Hause bleiben können, zu vernünftigen Zeiten aufstehen, in bequemen Trainingshosen im Bett liegend, Bücher über Molekularforscher, Entdecker der weißen Flächen auf unseren Landkarten, Löser der großen mathematischen Rätsel, Studien über den Zerfall des Römischen Reiches und die Entstehung des Nationalsozialismus lesen können. Oder einfach zeichnen, Musik hören, Literatur lesen, wonach und wann mir zumute gewesen wäre und nicht, was irgendein Stundenplan vorschrieb. wäre und nicht, was irgendein Stundenplan vorschrieb. Vielleicht hätte ich dann in meiner Schulzeit etwas gelernt und mir nicht hinterher unter viel schlechteren Bedingungen alles selbst aneignen müssen. Alles, was in meinem bisherigen Leben etwas bedeutet hatte, begann sich in meiner Gymnasialzeit aufzulösen. Früher war ich nach der Schule wenigstens in unseren Hinterhof gegangen und hatte mit anderen Kindern gespielt. Aber unsere Hofgemeinschaft hatte längst zu bröckeln begonnen, nachdem Markus, der seiner Mutter in jeder Hinsicht über den Kopf gewachsen war, in ein Internat nach Weidhofen an der Ips, wo immer das sein mochte, geschickt worden war. Basti war angeblich mit seiner Mutter nach Australien ausgewandert und Irmgard und Jörgi waren mit ihren Eltern nach Dänemark zurückgekehrt. Ilse war sowieso bereits seit Jahren nur sporadisch in den Hof gekommen, weil sie so viel lernen musste und seit einem Jahr besuchte auch ihre Schwester Emma das Gymnasium und hatte keine Zeit mehr. Und nun war auch ich soweit. Manchmal stand ich an unserem Küchenfenster und schaute auf den Hof hinaus, in dem höchstens einmal der dickliche Frank mit seiner Schwester Ball spielte. Ansonsten lag der Hof verödet da. Der Hausmeister hatte begonnen, auf den Wiesenflächen Ziersträucher zu pflanzen. Das Gras war höher als früher, weil es nicht mehr von uns niedergetrampelt wurde und manchmal wuchsen jetzt sogar Blumen auf der Wiese. Der Gynäkologe war groß, dick und hässlich. Er küsste meine Halbschwester zur Begrüßung auf beide Wangen, mich beachtete er gar nicht. Erst als Vera die Geschichte meiner Menstruation erzählte, mit elf sagte sie das erste Mal, dann nicht mehr, sah er mich an. Mir kam es abschätzig vor. Wuchs unter den Achseln und im Intimbereich aus. Meine Halbschwester antwortete an meiner Stelle. Gott sei Dank blieb sie dann wenigstens während der Untersuchung im Wartezimmer. Im Untersuchungszimmer herrschte gedämpftes Licht. Der sogenannte Frauenarzt setzte sich hinter einen gewaltigen Schreibtisch und notierte etwas in sein Notizbuch. Mit der freien Hand deutete er auf einen Wandschirm aus geflochtenem Rattan. Dort zog ich mich unten herum aus. Die Bluse und die Socken ließ ich an. Als ich ums Eck des Rattanwandschirms schaute, saß der Frauenarzt bereits vor dem gewaltigen Stuhl und schaute aus dem Fenster, hinter dessen Stoas sich die Umrisse eines Baumes abzeichneten. Der gewaltige Gynäkologenstuhl schien aus Plastik zu sein und war gelblich-weiß. Später habe ich einen ähnlichen Stuhl nur einmal in einer Motorjacht gesehen, wo er allerdings ohne Halterung für die Füße als Kapitänssitz diente. Auf der Sitzfläche des Gynäkologenstuhls lag frisches, saugfähiges Krepppapier. Heute würde man sagen ein großer Bogen Küchenrolle. Mir grauste, als ich hinaufkletterte, darauf bedacht, die Küchenrolle ja nicht zu verschieben. Ich dachte an all die Frauen, die bereits auf dem Stuhl gesessen hatten. Besonders an meine Halbschwester, deren Liaison mit dem Gynäkologen womöglich auf dem Stuhl sitzend begonnen hatte. Kaum saß ich halbwegs gerade auf dem Stuhl, betätigte der Gynäkologe mit dem rechten Fuß einen Schalter auf dem Boden und ein greller Spott Scheinwerferlicht fiel auf meinen Unterkörper. Gleichzeitig surrte der Stuhl als Ganzes in die Höhe und die Rückenlehne senkte sich ab. Aus meiner neuen liegenden Position konnte ich den Gynäkologen nicht mehr sehen, Gott sei Dank. Ich hatte keine Lust, ihm auch noch zuzuschauen, wie er in mich hineinschaute. Ich hörte mehr, als ich sah, dass er Gummihandschuhe anzog, die er offenbar mit einer Flüssigkeit eingerieben hatte, die sich eiskalt in meinem Leib anfühlte. Es war außerdem glitschig, weswegen es wenigstens nicht wehtat, als er in meinem Körper herum fuhr, werkte. Ich verkrampfte mich trotzdem total, weil ich noch die Eisenstange erwartete, von der meine Freundin Gabi gesprochen hatte. Kurz befiel mich die Vorstellung, ich könnte mich derart verkrampfen, dass der Gynäkologe seinen Arm nicht mehr aus mir herausziehen könne und wir in dieser Lage ausharren mussten, bis meine Verkrampfung vielleicht erst nach Stunden nachließ. Die Eisenstange verwendete der Gynäkologe dann gar nicht. Er stand plötzlich auf und ging wieder zu seinem Schreibtisch. Einen Moment wusste ich nicht, ob die Untersuchung nun beendet war oder ob sich der Gynäkologe kurz an seinem Schreibtisch ausruhen musste, bevor er weitermachen könnte. Da er keine Anstalten machte, zu seinem Hocker auf Rollen zurückzukehren, machte ich mich an den Abstieg vom Stuhl. Genau wie bei meiner Freundin Gabi hatte der Frauenarzt vergessen, die Lehne wieder hinauf und den Stuhl hinunterzufahren. Der Scheinwerfer war ebenfalls noch an. Ich löste meine Füße aus den Halterungen und rutschte in grellem Scheinwerferlicht mit dem Körper auf der Küchenrolle weit nach vorn, um überhaupt absteigen zu können. Als ich so weit nach vorn gerutscht war, dass ich mich aufrichten konnte, fiel die Küchenrolle von der Kante des Stuhls auf den Boden und ich berührte mit dem Hintern den grauslichen weiß-gelben Plastikstuhl. Vor Schreck sprang ich sofort ab und hätte beinahe den Scheinwerfer umgestoßen, der rechts von mir stand. Ich eilte hinter den Rattan-Wandschirm und setzte mich erschöpft auf den Hocker hinter dem Schirm, auf dem ebenfalls ein Stück Küchenrolle lag. Als ich vollständig angezogen wieder hervorkam, saß Vera ihrem ehemaligen Gynäkologen-Liebhaber gegenüber. Die beiden waren bereits in ein Gespräch über meine Menstruation vertieft. waren bereits in ein Gespräch über meine Menstruation vertieft. Ich stand neben dem Besucherstuhl, auf dem meine Halbschwester saß und hörte, wie er ihr erklärte, dass das Beste in meinem Falle die Verschreibung der Antibabypille sei, die eine regelmäßige Menstruation vortäuschen würde. Vera lächelte und der Arzt auch. Mich sah er dabei gar nicht an. Kurze Zeit später betraten wir eine Apotheke, in der Vera das Rezept vorwies, worauf ihr die Antibabypille ausgehändigt wurde und die sie dann an mich weiterreichte. Meiner Erinnerung nach waren sie in einem handlichen, runden Pillendosierer untergebracht, an dessen 21 Fächern sich jeweils eine Pille befand. Die Box konnte man weiterdrehen, sodass sie immer nur eine Pille auf einmal freigab. Ich fand den Pillenbehälter ausgesprochen elegant. Gabi hatte die Pille nur in einem ganz normalen Aluminiumstreifen mit 21 herauszudrückenden Pillen bekommen. Aber es war ja von vornherein klar gewesen, dass meine Halbschwester nur mit einem ganz besonderen Gynäkologen, der ganz besondere Pillen verschrieb, eine Liaison gehabt haben konnte. Die Nebenwirkungen, die auf dem Beizettel standen, waren mannigfach. Es stand zum Beispiel auf dem Beipackzettel, dass eine Gewichtszunahme durch die Pilleneinnahme erfolgen konnte. Aber das war mir egal, im Gegenteil. Ich war damals so dünn, dass ich manchmal heimlich eine Riesenschüssel gezuckerten Schlagobers aß, weil ich zunehmen wollte. Besonders am Busen und am Hintern. Aber es nützte nichts. Übrigens half auch die Pille diesbezüglich nicht. Andere Nebenwirkungen waren Depressionen, Übelkeit, Kopfschmerzen, allgemeine Lustlosigkeit. Das hatte ich alles ohnehin. Und die gefährlichsten Nebenwirkungen wie Krebs, Schlaganfall, Herzinfarkt, Bluthochdruck bestanden meiner Meinung nach sowieso nur für ältere Frauen. Meine Halbschwester berief einen Familienrat ein, was vor allem der Absicht galt, meinen Eltern schmackhaft zu machen, dass es für mich wichtig sei, die Antibabypille zu nehmen. Mein Vater nahm an dem Familienrat nicht teil. Er war grundsätzlich gegen die Antibabypille und runzelte allein bei ihrer Erwähnung die Stirn. Meine Mutter war auch gegen die Antibabypille, aber sie war auch gegen das Ausbleiben meiner Monatsblutung. Und genau da setzte meine Halbschwester an, wobei sie sich auf den Gynäkologen berief. Ausbleibende Monatsblutungen, sagte sie, könnten im späteren Leben zur Vermännlichung, also tiefer Stimme, starker Körperbehaarung und letztlich zur Kinderlosigkeit führen. Das alles wollte meine Mutter auf keinen Fall. Die Pille hingegen fuhr sie fort, sorge für eine regelmäßige, allerdings nicht zu starke und zu lange andauernde Scheinregel und würde auf diese Weise den weiblichen Regelzyklus vorantreiben. Das Rätsel, weshalb ich eine Pille nehmen sollte, die die Regel nur vortäuschte, löste sich nie. Auch meine Mutter hinterfragte die Angelegenheit niemals. Sie erinnerte mich jeden Morgen vor der Schule an das Einnehmen der Antibabypille. vor der Schule an das Einnehmen der Antibabypille. Es war eine komische Zeit. Beinahe alles war plötzlich widersprüchlich und brachte mich ständig in Zwiespalt. Der Kontakt mit dem anderen Geschlecht, die Schule, die Freizeitgestaltung. Ich wünschte oft die Zeit zurück, in der alles so einfach gewesen war. Die Erwachsenen waren die Erwachsenen und die Kinder die Kinder. Niemand konnte verlangen, dass sich Kinder wie Erwachsene benahmen und die Regeln der Erwachsenen verstanden. Es konnte auch niemand verlangen, dass man die Regeln strikt befolgte. Man befolgt sie oder befolgt sie nicht, aber im Grunde gingen sie einen nichts an. Sie gingen nur die Erwachsenen etwas an, die Regelverstöße mehr oder weniger bestraften. Auch das war normal. Man war kein schlechter Mensch, nur weil man die Regeln nicht einhielt. Man wurde lediglich bestraft. Und genau diese Situation hatte sich nun grundlegend gewandelt. Die Erwachsenen erwarteten von den Heranwachsenden, dass sie die Regeln, die diese ja nicht selbst erfunden hatten, nicht nur befolgten, sondern gut hießen. Gleichzeitig wurden genau diese Regeln 1968 öffentlich vehement infrage gestellt. Da die Erwachsenen, um ihre Regeln zu schützen, wie gedruckt logen, führte das zu einem weiteren Zwiespalt. Sie behaupteten solchen Unsinn wie, alles was einen nicht umbringe, mache einen nur härter, Frauen seien sensibler als Männer oder Onanit zerstöre das Rückenmark. Ich hatte es so satt, zumal sie harmlose Notlügen der Heranwachsenden als Verbrechen hinstellten. Jedes Kind hat ein Bewusstsein. Wahrscheinlich haben sogar meine beiden Katzen ein Bewusstsein. Was weder Kinder noch Katzen haben, ist ein reflektierendes Bewusstsein, sofern man darunter versteht, dass man überhaupt von seinen Gefühlen, Gedanken etc. als Produkte seines eigenen, ganz subjektiven Ichs weiß. meines eigenen, ganz subjektiven Ichs weiß. Keine Ahnung, wann genau das entsteht. Ich hatte den größten Schub meines reflektierenden Bewusstseins mit circa 15 Jahren, nachdem sich der erste Schock über die Zumutungen des Körperlichen gelegt hatte und sich nun der Abgrund der Zumutungen des Geistigen auftat. Mein Bewusstsein reflektierte ununterbrochen, was eine Belastung ist, wenn man zwischen allen Fronten steht. Oft reflektiert man sich ja ins Out und wünscht sich die Zeit zurück, in der man sorglos mit Bauklötzen spielte. Klötzen spielte. Zum Beispiel beschäftigte mich die Frage ununterbrochen, ob das, was ich sah, Realität war oder nur die Vorspiegelung der Realität oder nur meine Vorstellung von Realität oder sogar einfach nur Einbildung. Allein die Wahrnehmung selbst war ja eine äußerst unsichere. Es war leicht daran zu erkennen, wie verschieden die Wahrnehmungen meiner Eltern und meine Wahrnehmungen in den aller banalsten Dingen waren. Und zwar nicht nur in der Beurteilung von Sachverhalten, sondern im Sachverhalt selbst. Meine Mutter behauptete, die Frau Kutschera aus der Wohnung unter uns habe ein gelbes Kleid angehabt, als sie bei uns zum Sonntagskaffee und Kuchen eingeladen war. Mein Vater sagte, das Kleid sei orange gewesen und ich hatte es rot in Erinnerung. ich war, wie konnte ich dann wissen, was die anderen eigentlich sahen? Und verstanden sie überhaupt, was ich über die Realität oder das, was sich für die Realität hielt, sagte? Oder verstanden sie am Ende nur das, was sie verstehen wollten oder konnten? Wie war unter diesen Bedingungen eine Unterhaltung möglich? Und wo war letztlich der Beweis, dass ich überhaupt existierte? Ein männliches Wesen mit abgewetzter Lederjacke, schulterlangen braunen Locken und einem sonnengebräunten Indianergesicht verteilte Flugblätter vor unserer Klasse, die damals längst in den Container am Spallerhof untergebracht war. Heute ist an der Stelle ein Altersheim. Die Überschrift lautete kostenlose Nachhilfedienst. Gabi und ich nahmen uns einen Packen der Flugblätter mit in die Klasse, um sie in der Pause zu studieren. mit in die Klasse, um sie in der Pause zu stud Schultisch und zog die Flugblätter hervor. Freies Lernen für freie Menschen, las sie vor. Und zieht die Professoren an ihren reaktionären Ohren. Der letzte Satz schien die Prohaska besonders zu erzürnen. Sie warf die Flugblätter auf den Boden und drückte ihre Enttäuschung aus. Gabi und ich brauchten eine Weile, um zu erkennen, dass wir es waren, von denen sie so enttäuscht war. Die Prohaska sagte nichts und schickte uns zum Direktor. Vom Direktor erfuhren wir dann, dass wir verdächtigt wurden, die Flugblätter im Schulhof verteilt, wenn nicht gar selbst geschrieben zu haben. Wir bestritten das wahrheitsgemäß vehement. Da der Direktor von der Prohaska nur den Hinweis, aber keinen Beweis erhalten hatte, ließ er uns nach einer Weile in die Klasse zurückgehen. nach einer Weile in die Klasse zurückgehen. Nach der Stunde beteuerten wir Prohaska nochmals die Flugblätter in der Annahme, es handele sich um kostenlose Nachhilfe mitgenommen, aber noch gar nicht gelesen zu haben. Die Prohaska sagte doch tatsächlich, wer einmal lügt, dem glaubt man nicht und wenn er auch die Wahrheit spricht. Das muss man sich einmal vorstellen. Die Frau war Psychologie-Professorin. Gut, sie unterrichtete auch Turnen, aber das durfte noch lange nicht dahin führen, die Psychologie derart zu vernachlässigen. Das Fass war übergelaufen. Eine unsägliche Wut brach plötzlich aus mir heraus. Die Wut betraf alles. Die Schule, Werner mit seinem bescheuerten Kakadu, den aufdringlichen Markus, den Brief von Wolfgang, die Reaktion meiner Eltern darauf und natürlich die Prohaska. Meine Welt war zerbrochen. Es galt, sie von Grund auf neu zusammenzusetzen. Unsere Psychologie-Professorin hatte mich vom schwarzen Panther eines Maharajas unmittelbar in die Arme der linken Schüler- und Studentenbewegung von Linz getrieben. Die Metamorphose von einem Tier in einen Menschen durch einen bösen Gott ist selten. Hier war sie gelungen. Was ich von früher, von meiner Zeit als Panther beibehielt, war der schleichende Gang. Andeutungen der Gangart eines Panzers sind sogar in der nächsten Generation zu finden. Schleichen die Mütter, schleichen auch die Töchter. Manche Menschen nennen das Schlurfen. Wer Ende der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts als Schüler einmal in Berührung mit linken Schüler- und Studentengruppen gekommen ist, kam davon nicht mehr los. Die Erwachsenen waren Kritik nicht gewohnt. Sie schlugen besinnungslos um sich, wenn man begann, ihre Welt in Frage zu stellen. Es häuften sich von Seiten der Lehrer und Eltern die Ungerechtigkeiten, die schließlich genau zu den kritisierten Zuständen in Schule und Gesellschaft passten, dass der einzelne Schüler sich wunderte, wie er überhaupt, bevor er noch mit der linken Schüler- und Studentenbewegung in Kontakt gekommen war, hatte leben können. Blind und mit Unwissenheit geschlagen. Plötzlich wurden sowohl für die Eltern als auch für die Lehrer jede Frage, ob zum Nationalsozialismus oder zum Kolonialismus, sogar so harmlose wie zur Sinnhaftigkeit des Muttertags, der Notengebung, des Frühjahrsputzes und so weiter, zur Provokation. Die Welt war zum Leben erwacht. Es galt, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Das männliche Wesen mit der abgewetzten Lederjacke und dem Indianergesicht ging mir nicht aus dem Kopf. Was mir besonders an ihm gefiel, war die Kombination aus äußerster Zartheit und entschlossener Rebellion. Sein Gesicht war fast mädchenhaft mit den grünen Augen, den hohen Backenknochen und dem vollen Mund. hohen Backenknochen und dem vollen Mund. Ich überredete meine Freundin Gabi, nach der Schule heimlich zu der auf dem Flugblatt angegebenen Adresse zu gehen, an der die kostenlose Nachhilfe stattfinden sollte. Es handelte sich um ein Gewerkschaftsheim. Dort trafen wir auf eine Gruppe von Schülern und Studenten. Das heißt, von den Schülern waren eigentlich nur meine Freundin Gabi und ich und das männliche Wesen mit dem Indianergesicht gekommen. Einer der Studenten, ebenfalls Lederjacke und schulterlange Haare, erklärte uns die Mechanismen des autoritären Schulbetriebs. Statt das Interesse der Schüler zu wecken, Abfragen des Lernstoffes. Statt Entfaltung des Menschen, Notengebung. Statt Entwicklung, Unterdrückung. Konkurrenz statt Solidarität. Genau was wir empfanden. Die Studenten boten uns ein alternatives Lernprogramm an, ein alternatives Lernprogramm an, orientiert an der anti-autoritären Schule in Summerhill. Naturgemäß hatten Gabi und ich keine Ahnung von Summerhill. Wir wurden über die drei Hauptmerkmale der Reformpädagogik aufgeklärt. Selbstverwaltung der Schüler, freiwilliges Lernen und Werkstätten. Sensationell. Elmar, so hieß der Schüler mit dem Indianergesicht, lieh uns ein offenbar stark benutztes Buch über Summerhill. Es war voll Anmerkungen mit roten, schwarzen und blauen Stiften. Gabi und ich lasen demokratisch abwechselnd in dem Buch. Einen Tag sie, den anderen ich. Gabi wurde als erstes von ihren Eltern beim Lesen erwischt. Sie konnte gerade noch verhindern, dass ihr Vater das Buch zerriss und gab es mir am nächsten Tag zurück. Sie bekam zwei Wochen Hausarrest. Meine Eltern, die bis dahin einen liberalen Erziehungsstil befürwortet hatten, nahmen es mir zwar ab, nachdem meine Mutter es in meinem Bett gefunden hatte, wo ich nachts mit der Taschenlampe unter der Bettdecke las, aber zu dem Zweck, es selbst zu lesen. Nach zwei Tagen kam mein Vater abends nach dem Abendessen in mein Zimmer. Er setzte sich auf die ausziehbare Couch, ich setzte mich auf meinen Schreibtischstuhl. Mein Vater begann damit, dass er das Modell Summerhill sehr interessant fände, dass es aber in der Praxis undurchführbar sei. Ich wandte ein, dass es bereits seit 40 Jahren funktionierte, was in dem Buch stand. Mein Vater schüttelte den Kopf. Der junge Mensch, sagte er, sei nicht für Selbstbestimmung gemacht. Er müsse erst einmal etwas über das Leben lernen, bevor er es selbst bestimmen könne. Ich entgegnete, dass man aber in unserer Schule nichts über das Leben lernen würde. Eine Weile argumentierten wir hin und her, dann sagte mein Vater zum ersten Mal mit zusammengekniffenen Lippen, dass er mich, wenn ich in der Schule ohnehin nichts lernen würde, aus der Schule nehmen und in eine Lehre geben würde. Ich erschrak zutiefst. Eine Lehre war das Letzte, was ich wollte. Wenn man eine Lehre machte, musste man womöglich noch früher aufstehen als für die Schule und wurde noch mehr bevormundet. Und außerdem, welche Lehre? Etwas Nützliches, sagte mein Vater, zum Beispiel Schneiderin. Mir wurde bei der Vorstellung richtig gern schlecht. Tag für Tag an der rätselhaften Nähmaschine, schweißgebadet über weiße Leintücher gebeugt, die mit Ziernähten aus weißem Garn zu versehen waren. Ich glaube, mir traten sogar Tränen in die Augen. Mein Vater war zufrieden und verließ mein Zimmer. Das Buch über Summerhill ließ er auf meinem Schreibtisch liegen. Auch in Deutschland gab es da bereits so eine liberale Gesamtschule wie Summerhill, in der die Lehrer geduzt, die Schüler an der Verwaltung und am Unterrichtsstoff beteiligt waren, die Odenwaldschule. Ich kannte damals die Odenwaldschule nicht, aber wenn ich sie gekannt hätte, wäre ich niemals auf die Idee gekommen, dass so ein pädagogisches Paradies Ende der 1990er Jahre ausgerechnet wegen jahrzehntelangen sexuellen Missbrauchs von Schülern durch verschiedene Lehrkräfte an dieser Schule bekannt werden würde. Es war auch 1999 noch ein Schock für mich. Viele bekannte Schriftsteller wie Klaus Mann oder Wolfgang Hildesheimer, Politiker wie Klaus Gysi, Vater von Gregor Gysi, oder Daniel Kompendit, Verleger wie Joachim Unseld und Isabella und Konstantin Niven-Dumont, Journalisten wie Tilman Jens oder Johannes von Dohany waren Odenwaldschüler, aber auch Kabarettisten, Maler, der Erbe der Kunstsammlung Cornelius Gurlitt oder der Magier, Zirkusdirektor und Illusionist André Sarasani. Sie alle waren hochbegabt und unangepasst, die meisten bis ins hohe Alter. Manche haben sich umgebracht. Alles, was man in der Pubertät sucht, findet, tut oder nicht tut, kann anscheinend schief gehen. oder nicht tut, kann anscheinend schief gehen. Überall lauern Gefahren und gerade der Pubertierende ist der Letzte, der sie wirklich abschätzen kann. Offenbar liegt es am Gehirn. Wie Neurowissenschaftler inzwischen festgestellt haben, ist der präfrontale Kortex der letzte Teil des Gehirns, der fertig ausgebildet ist, und zwar erst im Alter von 18 bis 20 Jahren. Genau da liegt aber das Zentrum der Impulskontrolle, des Sozialverhaltens und der Handlungsplanung. Im Grunde kann man sagen, dass jeder, der halbwegs unbeschadet durch seine Pubertät gekommen ist, Glück gehabt hat. Das mit der Lehre sollte mein Vater in Zukunft noch oft wiederholen. Mit der Zeit begriff ich aber, dass für meinen Vater der Gedanke, ich würde statt in die Schule in die Lehre gehen, selbst unerträglich war. Er hatte in seiner Jugend, nachdem er jahrelang, angeblich ohne lernen zu müssen, Klassenbester im Gymnasium gewesen war, zu dem er übrigens auch noch täglich je eineinhalb Stunden hin und eineinhalb Stunden zurück hatte zu Fuß gehen müssen, nichts ähnlicher gewünscht als zu studieren. Aber dazu war seine Familie zu arm gewesen. Seine Versuche zu arbeiten und nebenbei sein eigenes Fernstudium in Prag zu organisieren, indem er einen Kommilitonen für Mitschriften bezahlte, scheiterte an der Arroganz der Universitätsprofessoren, die Anwesenheit forderten. Mein Vater drohte also im Grunde sich selbst und nie im Leben würde er seine Drohung wahrmachen. In meinem Gedächtnis gibt es einen Mythologen und einen Archivar. Der Mythologe kümmert sich darum, aus den bunt gewürfelten Ereignissen meines Lebens einen roten Faden zu weben, der schließlich in meinem jeweiligen Ich mündet. Selbstverständlich webt der Mythologe mein Leben lang an diesem, meinem Ich, lässt manches wieder fallen, um es später durch anderes zu ersetzen bzw. einzuweben. Er ist naturgemäß chaotisch und kümmert sich nicht besonders um die Fakten in meinem Leben. Darum kümmert sich der Archivar. Ich hatte in meinem Leben stets einen verlässlich arbeitenden Mythologen im Kopf und einen sehr schlampigen Archivar. Ich kann bis heute nicht mit Sicherheit sagen, von wann bis wann ich in Tokio, Paris, Rom oder Berlin gelebt habe. Die Unterlagen, um das verlässlich herauszufinden, habe ich während der vielen Umzüge teils verloren, teils sind die Beweise dafür in vielen verschiedenen Mappen verstreut. Nicht nur mein Archival ist schlampig, ich selbst bin es auch. Meistens ist es mir ganz egal, was wann stattgefunden hat, solange mein Mythologe mich mit seinen Geschichten auf dem Laufenden hält. Genau das tut er nicht, was meine mündliche Reifeprüfung anbelangt. Nicht der winzigste Ansatz von Identität lässt sich mit mir in Verbindung bringen. Als hätte sie gar nicht stattgefunden oder als wäre der diejenige, die laut Zeugnis die Reifeprüfung bestanden hat, eine andere gewesen. Ich war das nicht. Der Archivar muss einspringen. Ich hatte, lässt sich der Archivar herab, mir zögernd mitzuteilen, bei der schriftlichen Prüfung in Mathematik ein Nichtgenügend geschrieben, hatte Mathematik zur Sicherheit aber ohnehin als mündlichen Prüfungsgegenstand gewählt. Was ich außerdem noch gewählt hatte, weiß er nicht mehr. Frag doch deinen Mythologen, sagt er patzig. Nach zwei Tagen erfolglosen Kramens in meinem mythologischen Gedächtnis rückt der Archivar schließlich doch mit der Tatsache heraus, dass ich zur mündlichen Reifeprüfung in Mathematik einen Beweis ausführen sollte, den mir die Mathematikprofessorin vorher besonders ans Herz gelegt hatte. Den habe ich angeblich auswendig gelernt und ihn genauso, wie ich ihn auswendig gelernt hatte, aufgeschrieben. Er fügt hinzu, dass ich drei Tafeln vollgeschrieben hätte. Er fügt hinzu, dass ich drei Tafeln vollgeschrieben hätte. Die Kommissionsmitglieder seien während der Prüfung, sagt er, nicht schlecht erstaunt gewesen, in welcher Affengeschwindigkeit ich, kreidebleich im Gesicht, den endlosen Beweis fehlerfrei auf die Tafel geschrieben hätte. Nach der Beweisführung sei ich aufs Klo gegangen und habe gekotzt. Dort behauptete der Archivar in meinem Gedächtnis, habe mich die Deutschprofessorin aufgesucht, um mir Mut zuzusprechen. Wieso, wisse er auch nicht. Sie habe mich jedenfalls geduzt. Das ist alles, was ich meinem Gedächtnis entlocken kann. Die Matura-Feier, der Sommer nach der Matura, alles aus dem Gedächtnis entlocken kann. Die Matura-Feier, der Sommer nach der Matura, alles aus dem Gedächtnis gestrichen. Es setzte erst vier Monate später wieder ein, als ich an einem strahlenden Herbsttag im vollbeladenen Auto neben meinem Vater nach Salzburg fuhr, um mich dort an der Paris-Lodron-Universität zu inskripieren. Danke. Danke. Ja, vielen Dank für diesen Parcours durch das Buch. Und das Ende, da gibt es eigentlich zwischen einzelnen Texten sichtbar. Und was ich mir jetzt noch einmal gedacht habe beim Zuhören, dass eigentlich der Körper eine Hauptrolle wieder spielt in diesem Text. Also klar, es geht um die Pubertät, aber das ist nicht das Einzige. Also es geht immer wieder um Scham und um die Verbindung der Scham mit dem Körper. War das sozusagen die Keimzelle der Idee zu dem Buch? War das eine körperliche Erinnerung, ein Körpergedächtnis? Ja, ich glaube, die Erinnerung ist sehr stark an den Körper geknüpft. Und über die Körpererinnerung kommen alle anderen Erinnerungen mit ins Spiel. Die ursprüngliche Idee war eigentlich zu dem Buch die Verknüpfung von meiner persönlichen Pubertät mit der Pubertät der 68er-Bewegung. Also die Unsicherheit auf meiner Seite, aber auch die Unsicherheit der 68er auf der anderen Seite, die ja auch unglaubliche Parolen ausgegeben haben. Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment. Das war dann für die Frauen irgendwie auch ein Druck. Also ein sehr merkwürdiges Zusammentreffen dieser beiden. Vor allem ist es ja schon verräterisch, dass dieser Slogan nur von der männlichen Seite ausgeht. Ja, das hast du. Klar, wer da irgendwie bestimmt, was jetzt noch tragbar ist für ein revolutionäres Bewusstsein und was nicht. Aber interessant finde ich auch, bevor wir vielleicht noch auf die Schule zurückkommen, dass ja an einem bestimmten Punkt der Entwicklung auch die Eltern infiziert werden von diesem 68er-Geist. Ganz zum Schluss meinst du diese Stimme? Ja, und es hat sich natürlich nicht nur für die Jugendlichen, sondern auch für die Erwachsenen einiges getan. Sie mussten einfach manche Dinge infrage stellen. Und bei meinen Eltern war es zum Beispiel, dass sie plötzlich, es ging von meiner Mutter aus, zum Pföstpfarrer in Erlöhinger, in die Föstpfarrer gegangen sind, der ein sehr aufgeschlossener und auch, kann man wohl sagen, linker Mensch war, der die Messen in der Halle der Stahlarbeiter gelesen hat und so weiter. Und plötzlich hat sich ergeben, dass meine Mutter gesagt hat, wir müssen jetzt zur Mitgliederversammlung. Und ich, also jetzt ein bisschen zeitlich schon versetzt, musste auch in den politischen Gruppen zur Mitgliederversammlung. Es gab ein Leitungsgremium bei meiner Mutter und in dieser Föstpfarre auch und da hat sich so einiges bewegt. Nur meine Mutter hat meine Tendenzen damals schwerst bekämpft, während ihre wunderbare Erweiterung ihrer Tätigkeit war. Aber ich stelle mir vor, dass es auch etwas Irriterendes hat, wenn man rebelliert und dann das Gefühl hat, die Eltern rebellieren plötzlich auch. Irgendwie wird dann, es heißt ja auch im Text, es waren relativ liberale Eltern im Vergleich zu anderen. Dann ist ja das eigentlich schon so eine Gummiband oder es ist jedenfalls kein ganz starres Hindernis. Ja, jetzt muss ich schon sagen, dass viele Sachen, die sich dann vor allen Dingen in meiner Studentenzeit, also das Leben in Wohngemeinschaften und die verschiedenen Freunde. Und das war alles nach wie vor absolut suspekt. Und da war schon die Wand noch da. Ja, und eben so ein Leitmotiv ist die Peinlichkeit. Das ist natürlich so ein klassisches Motiv der Pubertätsliteratur. Und ich finde es auch sehr witzig, was alles peinlich sein kann. Und wo man wirklich das Gefühl hat, beim Erinnern gibt es, bei aller Genauigkeit der Erinnerung gibt es aber schon auch etwas wie ein Erstaunen über die eigene damalige Erfahrung. Also das Peinliche. Die Schule ist auch so ein Ort der Peinlichkeit. Jetzt würde mich doch auch interessieren, wie sich die Schule von damals, das war ja noch sehr viel von schwarzer Pädagogik übrig. übrig und dann gab es aber doch schon so auch einen gewissen frischen Wind. Es war eigentlich eine Umbruchszeit auch in der Schule. Also in meiner Zeit noch kaum. Noch kaum. Also da war so das, was aufgenommen wurde, ist dann in Bastelarbeiten und das Klassenzimmer verschönernd irgendwie übergegangen. Also nur die Fassade war modern. Es war aber inhaltlich, es war nichts im Geschichtsunterricht, was irgendwo auf die Zeit bezogen gewesen wäre. Im Gegenteil, es wurde strikt abgelehnt. Und ja, die Peinlichkeit, weil es gibt zum Beispiel eine Stelle in dem Buch, in der Chemiestunde, die Chemielehrerin war besonders strenge, und da hatte ich dreimal hintereinander statt Organismus in der Chemiestunde Orgasmus vorgelesen. Und alle haben schon gelacht, ich habe es gar nicht gemerkt, bis dann alle gelacht haben. Und dann so wahnsinnig peinlich, weil das also ein Leben lang bleibt dieses Element des Peinlichen, weil die Erlebnisse damals so stark waren, also so tief peinlich, dass es immer wieder triggert. Das merke ich, manchmal ist mir plötzlich alles peinlich und ich muss richtig mich bemühen, nicht zurückzufallen in die Pubertät. Und das Peinliche hängt eben sehr oft an gewissen sprachlichen Ausdrücken. Die werden ja auch unter die Lupe genommen. Und wie das so ist, wenn man ein Wort genau anschaut, wie Karl Kraus gesagt hat, schaut es einen irgendwann ganz fremd zurück. Man liest so ein Wort hinweg wie Fortpflanzungsorgan. Aber wenn man das genau anschaut, denkt man sich, was steht da? das genau anschaut, denken Sie, was steht da? Da gibt es hier einige tolle Beobachtungen und auch Erinnerungen an bestimmte Wörter, die auch nachwirken und die mit der Peinlichkeit ja was zu tun haben. Die schulische Erziehung, also an einer Stelle, wo es um das Schleichen und Schlurfen geht, wird so angedeutet, da kommt die eigene Tochter ins Spiel, die Tochter der Erzählerin jedenfalls, die nächste Generation. Wie hat sich denn das geändert? Was ist heute? Sind heute heute ganz andere Dinge, peinlich. Also ich bin heute zufällig in der Straßenbahn vor zwei Mädchen gesessen, die haben sich unterhalten über die Schule und da hat der eine zu der anderen gesagt, also ich weiß nicht, jemand, der wirklich was lernen will, so wie wir, der ist in diesem Schulsystem fehl am Platz. Da habe ich mir gedacht, komisch, also in meiner Schulzeit habe ich sowas eigentlich nicht gehört. Ja, das stimmt. Das ist ein schöner Satz. Also ich glaube, dass heute das Peinliche viel weiter geht als damals. Meine Tochter, weil du sie gerade erwähnt hast, hat mir erzählt, die lebt in Glasgow und hat dort eine Dokumentation gesehen, was über die Medien, über die Social Media, alles passiert. Und sie hat gesagt, da werden von allem kleine Videos gedreht, also wenn einer gemobbt wird oder einer wird verprügelt, dann kommt das sofort ins Netz. Der ist natürlich bloßgestellt und dann nicht nur vor der Klasse, sondern vor der ganzen Schule. Oder die ganzen Freundesbeziehungen zwischen den Geschlechtern spülen sie übers Internet ab. Und da wird aber dann gefragt, schick mir doch einmal ein Nacktfoto. Tust du es nicht, bist du Brüder, tust du es, wird es veröffentlicht. Und dann gibt es, und sie hat gesagt, es war in einer Schule, also Dokumentation über eine Schule, wo die dann die Nacktfotos der verschiedenen, die Mädchen waren aber alle 13, 14, 15 Jahre, wo die dann ausgetauscht wurden. Also was da passiert mit den Menschen, das möchte ich mir gar nicht vorstellen. Ja, vor allem, weil ja sozusagen der Marktplatz der Peinlichkeit einfach unendlich groß geworden ist. Ja. Und es war schon innerhalb der Schule peinlich oder innerhalb der Klasse. Ja. Und jetzt ist das Klassenzimmer praktisch weltweit. Weltweit, ja. Im schlimmsten Fall. Es gibt einen Satz, den ich mir aufgeschrieben habe, weil etwas so schön trifft, was auch immer wieder Thema ist. Es geht ja in dem Alter sehr viel um Schönheit und Hässlichkeit. Also wie man sich selbst wahrnimmt, wie man die Objekte der Begierde wahrnimmt oder die Objekte der Verehrung wahrnimmt und dass die dann plötzlich entzaubert sind. Und dann gibt es eben den Satz, das ununterbrochene Festhalten am Schönen ist eine Kraftfrage. Es folgt auf eine kurze Szene, in der so relativiert wird, was schön ist. Also von weiter weg sieht man einen männlichen Engel in der Straßenbahn stehen und plötzlich grinst er auf eine Weise, dass er richtig hässlich wird. Also grinst so herablassend oder grinst so höhnisch, er wird hässlich. Und insofern bleibt, und das habe ich auch lang in meinem Leben immer wieder gespürt, dass das Festhalten am Schönen eine Kraftfrage ist. Es kann so leicht kippen und alles wird nicht nur Menschen, sondern auch Wohnungen, Zimmer, Teppiche, alles kann so hässlich werden. Das ist eine Kraftfrage. Ein anderer Aspekt der Veränderung ist, dass Wünsche auch ihre Kraft verlieren. Also im Kindheitsbuch, der Wunsch nach dem Hund, der eine Fantasie mündet. Und hier gäbe es dann die Möglichkeit, das ist ein Ablenkungsmanöver aus der Sicht der Erzählerin der Mutter, plötzlich wird der Hund erlaubt, aber es ist zu spät. Es ist zu spät, weil auch eine Absicht dahinter steht, nämlich, dass der Hund tagestrukturierend ist und man muss am Abend mit ihm gehen und man muss ihn füttern und dann ist eine ordentliche Familiensituation geschaffen. Und jetzt dann im Buch, an dem ich jetzt gerade schreibe, wird wieder ein Hund kommen, auch dann ein realer, ein eigener, realer Hund. Ist das die chronologische Fortsetzung der Geschichte? Ja, im Wesentlichen, also nicht ganz chronologisch. Aber so ungefähr? Ja, ja. An der Stelle, also ich sehe Sie jetzt nur so im Dunkeln, aber wenn Sie irgendeine Frage haben an Margit Schreiner, ist es, glaube ich, die Gelegenheit, sie zu stellen. Sie müssten sich irgendwie bemerkbar machen, weil ich etwas geblendet bin. Also vielleicht haben Sie ja auch aus der Lesung heraus irgendeine Frage oder irgendeine Ergänzung zu machen. Dann bitte ich Sie, sich zu melden. dann bitte ich Sie, sich zu melden. Sonst hätte ich noch eine Anmerkung und auch noch dann eine Frage. Es beginnt ja, bevor diese Pubertätsaufmüpfigkeit richtig akut wird und bevor auch das Politische dann wirklich ins Private hineinwirkt, was auch sehr viele komische Seiten hat, weil wenn man die eigenen Eltern mit ihren Produktionsverhältnissen konfrontiert, dann finden die das auch gar nicht so lustig, aber zum Lesen ist es natürlich lustig, ist eigentlich die Welt dieses Mädchens auch sehr kindlich. Also diese Fantasie von dem Maharaja, aber das Mädchen stellt sich nicht vor, es ist der Maharaja, sondern es ist der Panther des Maharajas. Und das begleitet eigentlich dieses, glaube ich, elfjährige Mädchen noch ganz real, wie man es sich vielleicht eher für kleinere Kinder sonst vorstellt. Also ich habe mir das vorgestellt als der letzte Versuch, diese Welt, diese Traumwelt zu halten. Und auch der Versuch, weil der Maharaja liebt diesen Panther, der das Mädchen ist, liebt es und als er stirbt, will das Mädchen auch sterben, also der Panther. Und es ist auch eine Liebesgeschichte, die sich aber noch in dieser Fantasiewelt abspielt. Und alles, was dann in die Realität später eingeht, ist viel weniger schön. Und es ist so brüsk und so hart bezeichnet. Also diese Maharaja-Welt ist natürlich eine durch und durch ästhetische und orientalisch üppige Welt und vielleicht hängt es auch damit zusammen, dass der Panther überhaupt kein Körperproblem hat. Der hat gar kein Körperproblem hat. Der hat gar kein Körperproblem. Und das Einüben des Panther-Ganges ist auch ganz wichtig, weil es heißt ja am Anfang, die auf allen Vieren hätte man bleiben sollen, dann hätte man alle Kraft entwickeln können. Und der Panther ist halt der Sinnbild dieser kraftvollen Fähigkeit, von 0 auf 100 loszulaufen und zu springen. Und es ist genau in der Pubertät, wird das so abgebrochen, diese körperliche Fähigkeit, sich zu bewegen. Die Arme werden zu lang und die Bewegungen sind alle so holprig. Und da ist der Panther einfach das Idealbild. Und ich glaube, das mit dem Körperlichen, da hast du recht. Es wird nämlich auch im dritten Band eine ganz große Rolle spielen. Auch natürlich immer im Vergleich zu dem ersten Band von der siebenjährigen, also siebtes Lebensjahr und siebtes Lebensjahrzehnt. Und da ja auch, es ist die Erzählerposition, ist die einer alternden Frau oder einer alten Frau. Und da spielt immer das Körperliche eine Rolle. Und ich glaube auch, beide Bücher sind für mich sehr stark in einer Art Meditation entstanden, also in einem völligen Rückzug. Und auch der war sehr körperlich. Ich habe gemerkt, dauernd am Schreibtisch zu sitzen, das kann ich gar nicht mehr. Ich muss dazwischen ein paar Übungen machen, sonst hält das gar nicht mehr aus. Also das Körperliche spielt in allen Bänden, glaube ich. Auch wenn der Vierte im Vierten dann noch einmal ganz stark eine große Rolle hat. Man könnte auch sagen, in diesem Buch, wo der Untertitel im Klassenkämpfe ist, und kann man natürlich auch doppelt deuten, als der Kampf in der Schulklasse und der proletarische Klassenkampf, es ist eigentlich, letztlich geht es darum, dass diese schmerzhafte Verwandlung von einem Fabeltier oder von einem starken, wilden Tier in einen Menschen verkraftet werden muss und irgendwie bewältigt werden muss. Und das hat auch was mit Kindheit und Erwachsenwerden zu tun, ja. Ja, also es gibt einen Satz, der eigentlich für alle Moderatoren eine Warnung sein sollte. Welcher Schriftsteller weiß schon, was er schreibt, heißt es einmal. Aber das ist ja eine bekannte Tatsache, dass viele Texte klüger sind als ihre Autorinnen und sie selber dann darüber staunen, was drinnen steht. Und dann gibt es noch eine Stelle, wo es um den Deutschaufsatz geht und die Fantasie, die in der Schule immer verlangt wird, dass die Fantasie da walten soll. Und offenbar hast du schon damals dazu geneigt, am Leben entlang, es war natürlich auch verlangt, Lebensaufsatz war das Thema, so am Leben entlang zu schreiben. Und dann gibt es eine Passage, vielleicht kommt daher, nämlich von dieser Forderung der Deutschprofessorin, meine Abneigung gegen Adjektive, Klammer, Ausschmückungen, Klammer zu, und meine Lust, Familiengeheimnisse auszuplaudern. Und dann heißt es aber dann später einschränkend, vielleicht glaube ich ja nur, Familiengeheimnisse auszuplaudern und erfinde in Wirklichkeit gewohnheitsmäßig sogar meine Jugend neu. So ist es. Also das ist, glaube ich, eine schöne Reflexion über das autofiktionale, das sogenannte autofiktionale Schreiben, dass auch die Schreibende, wie die immer wieder, werden ja Autorinnen gefragt, was ist da jetzt autobiografisch, aber auch diese Frage können sie nicht selbst hundertprozentig beantworten, weil sie nicht wissen, was sie erfinden und was der Archivar beisteuert und was der Mythologe beisteuert. Ich würde nur nicht so weit gehen, wie Reichard Nitzke damals gesagt hat, der gesagt hat, der Ornitholo... Nein, der Vogel weiß nichts über Ornithologie. Also ein bisschen was ahnt die Schriftstellerin schon, auch wenn sie es nicht immer zugibt. Ich bedanke mich ganz herzlich bei dir, auch für die Hintergrunderläuterungen, bei Ihnen für die Aufmerksamkeit. Und es gibt selbstverständlich irgendwo im mythischen Dunkel einen Büchertisch. Und dort gibt es das Buch. Dankeschön.